Paul Zanker, Björn Christian Ewald: Mit Mythen leben. Die Bilderwelt der römischen Sarkophage. München: Hirmer 2004. 392 S., 305 Abb. Euro 75.-- ISBN 3-7774-9650-2.

Zwar beschäftigt sich der Band nach der Aussage des Vorworts (5) mit den in Rom entstandenen Reliefbildern der hadrianischen Zeit, d.h. der Zeit der allgemeinen Ausbreitung dieser Denkmäler (28), tatsächlich sind aber auch zahlreiche Stücke aus dem 3. Jh. aufgenommen, sodaß eine nachdrückliche Vorstellung von der außerordentlichen Schönheit der profanen kaiserzeitlichen Sarkophagkunst vermittelt wird und der umfassend formulierte Titel gerechtfertigt ist. Die zentrale Frage ist die nach dem Sinn des Dargestellten für die Menschen der damaligen Zeit, zumal sich gleiche Motive und Szenen auch in Wandmalerein und Mosaiken nachweisen lassen. Zankers vielfach vorgetragene Überlegungen nach der „Macht“ der römischen Bilderwelten1 bilden immer wieder den Hintergrund der hier vorgelgten Beobachtungen und Interpretationen. „Mit Mythen leben“ war nicht nur ein Aspekt des politischen, sondern auch des privaten Lebens, und die Schicksale mythischer Gestalten wurden zu allen Zeiten als exemplarisch empfunden. „Auch in der römischen Kaiserzeit gibt der griechische Mythos noch Antwort auf existentielle Fragen“ (5).

Der Text besteht aus zwei Hauptteilen: Paul Zanker hat den ausführlicheren systematischen Teil verfaßt, Björn Christian Ewald eine Dokumentation zu Mythos und Ikonographie erstellt. Einleitend skizziert Zanker die Geschichte der römischen Sarkophage in Mittelalter und Neuzeit. Er zeigt, wie sie eigentlich nie ganz außer Gebrauch gekommen sind, sondern auf vielfältige Weise weiterverwendet und rezipiert wurden (9), sei es für neue Bestattungen, als Brunnenfassungen, als Anregung für andere Bildhauerarbeiten, als Sammelobjekte der Fürsten und Antiquare, als Dekor und Bauschmuck, als Vorlagen für die ersten Codices mit Antikenzeichnungen, und er legt dar, welche Bedeutung die Wiederverwendung und Rezeption für die Benutzer und Archäologen wie Winckelmann oder Carl Robert gehabt haben könnte. Daran schließt sich ein Überblick über Schwerpunkte der gegenwärtigen Interpretationsansätze (Funktion der Bilder in sozialen und kulturanthropologischen Zusammenhängen).

Ein weiterer Abschnitt der Einleitung ist dem Thema „Sarkophag und Grab“ gewidmet, d.h. der Aufstellung der Sarkophage (mit aufschlußreichen Überlegungen zu den Lichtverhältnissen; S. 32) in Grabbauten, den Häusern der Toten, und den Totenfesten, durch die die Lebenden sich mit den Toten verbunden fühlten und die sich wesentlich von den aristokratischen Selbstdarstellungen der Republik unterschieden. Das Auftreten der mythischen Darstellungen, allgegenwärtig und Ausdruck einer Bildungskultur, wird zunächst allgemein als „als eine allegorische Form des Redens über den Tod und den Toten“ verstanden (36). Eine wesentliche Aussage der Mythen ist die über die Ordnung der Welt und die Beziehungen zwischen Göttern und Menschen (41). Dabei wird der methodische Ansatz Zankers deutlich: „Die Bilder selbst sprechen lassen“ (42), d.h. er fragt nicht nach der „ikonographischen Ableitung einzelner Motive“, sondern nähert sich ihnen mit den Fragen „Warum an dieser Stelle?“ und „Warum in dieser Form?“. Diese beziehen sich auf zwei Themenkreise, Trauerhilfe und Totenlob bzw. Repräsentation mit porträthafter Darstellung der Verstorbenen in ausgewählten mythologischen Szenen, die verschiedenen Deutungen offenstehen.

Die reiche, aber auch disparate Thematik wird in drei Schritten erschlossen: „Klage, Trauer und Trost. Mythen als Trauerhilfe“, „Glücksvisionen“ und „Selbstdarstellung, Rollenbilder und Wertvorstellungen“. Der erste Hauptteil skizziert zunächst die mit der Beisetzung verbundenen Riten wie Aufbahrung und Bestattung. Ausgehend von den Bildern der rituellen Totenklage, schlägt Zanker die Brücke von den wenigen Darstellungen eines Totenzeremoniells als eines häuslichen Trauerbildes (nur auf Kindersarkophagen) zu den Darstellungen des Mythos. Denn wenn es in den Bildern sonst um Klage und Trauer geht, dann „allein in der Form mythischer Vergleiche und Allegorien (Heroentod wie Achills Klage um den toten Patroklos, die Beweinung Meleagers, Tod der Niobiden, der Kreusa, des Aktaion oder des Phaeton). Die dort dargestellten mythischen Schrecken des Todes vermögen wohl den Hinterbliebenen angesichts eines vergleichbaren Unglücks oder Todes einen gewissen Trost zu spenden, wobei nur schwer über eine derartige allgemeine Aussage hinauszukommen ist. Schon hier, aber deutlicher noch bei den Szenen der Entrückung (dem überaus beliebten Raub der Proserpina, dem Raub der Töchter des Leukippos, dem nur einmal belegten Raub des Hylas), des Abschieds und der Trauer (Alkestis, Protesilaos) und des Todesschlafs (Endymion, Ariadne) lehnt Zanker eine primär philosophisch-religionsgeschichtliche Deutung ab, auch wenn er sie nicht ganz ausschließen will.

Nähert man sich Zankers Text von philologischer Seite, also als „archäologischer Laie“, für den das Buch ausdrücklich bestimmt ist (5), dann begrüßt man gerne jeden literarischen Verweis, mit dem über die engeren Grenzen facharchäologischer Betrachtungsweise hinaus die Ganzheit der Altertumswissenschaft in den Blick kommt. Selbstverständlich werden Ovids Metamorphosen, aber auch Hyginus und andere Mythographen gelegentlich zur Erläuterung zitiert oder Stellen aus der augusteischen und frühkaiserzeitlichen Literatur zum Thema „Trauer, Tod, Trost“ herangezogen, aber literarische Zeugnisse gerade aus der Zeit der Hochblüte der Sarkophagkunst, also des 2. und frühen 3. Jahrunderts, sind eher die Ausnahme (gelegentlich wird auf Texte der sog. zweiten Sophistik verwiesen), und doch könnte ein Blick auf die in den Texten dieser Zeit faßbaren Vorstellungen über das Schicksal der Selle nach dem Tod oder über das Göttliche im Menschen dazu führen, Zankers Interpretationsergebnisse wenigstens in einer Hinsicht zu ergänzen. Wird man dem Autor bei seinen Deutungen des „Mythos als Trauerhilfe“ (63-115), bei der Interpretation der Bilder als „Glücksvisionen“ (117-177) und im Kapitel über Selbstdarstellung den zum Ausdruck gebrachten Wertvorstellungen weitgehend zustimmen, so dürfte die Argumentation zur Darstellung Verstorbener als Götter (z.B. als Aphrodite, Herakles, Adonis oder Endymion) noch etwas zu präzisieren sein. Wiederholt weist Zanker auf die Rolle der besonders philosophischen Bildung in der Selbstdarstellung Verstorbener hin (der Tote, mit Buchrolle und /oder in Begleitung von Philosophen). Fragt man aber genauer nach philsophisch-populären Grundvorstellungen gerade der Kaiserzeit, wird man rasch auf die nicht nur platonische Vorstellung von der Homoiosis, der „Angleichung“ an Gott stoßen, d.h. von der auch in der Popularphilosophie immer wieder geäußerten Hoffnung, durch eine philosophische Lebensweise schon im Leben größtmögliche Gottesnähe zu erreichen.2 Und dem göttlichen Teil im Menschen wird nach dessen Tod die Möglichkeit eröffnet, selbst göttlich zu werden.3 Wie anders läßt sich diese Überzeugung im Rahmen einer mythischen Bilderwelt darstellen, wenn nicht am einfachsten dadurch, daß man den Gestalten der Unsterblichen die porträthaften Züge der Verstorbenen verleiht?4 Diese Hoffnung auf „Gott werden“ zeigt sich dann aber auch darin, daß ein Kind unter die Musen aufgenommen wird, daß der Verstorbene als gottgeliebter Adonis oder Endymion gesehen wird, ja auch das Thema „Raub und Entrückung“ (Proserpina, Leukippiden, Hylas) kann von der Überzeugung mitgetragen sein, daß der oder die Entrückte an der Seite einer Gottheit ein göttergleiches Leben führen wird. Die gleiche Assoziation kann sich im Kontext eines Thiasos von Meerwesen oder bei der Darstellung dionysischen Personals einstellen, gerade auch wenn man mit Recht von der Vorstellung Abschied nimmt, daß jeder Sarkophag mit dionysischen Szenen für einen verstorbenen Dionysosmysten bestimmt gewesen sei, sondern Zanker in der Affassung folgt, damit würden vor allem Glücksvisionen evoziert.

Ein letzter Abschnitt beschäftigt sich mit dem Wandel der Bilder und Wertvorstellungen (247-266). Zanker zeigt, wie in dem besprochenen Zeitraum sich die klassische Form auflöst und allmählich eine Abkehr vom Mythos statfindet. Der Verstorbene wird z.B. nicht mehr als mythischer Jäger sondern als aristokratischer Jagdherr dargestellt. Beliebt werden im 3. Jh. im Verlauf der „Entmythisierung“ die Jahreszeitensarkophage, von Zanker verstanden als Ausdruck für die „Fülle der Natur“, deren Gaben konkret im Totenmahl erscheinen.5 Die Bilderwelt der Spätantike wird an Exemplaren des Übergangs von der der traditionellen Welt des Mythos und des bürgerlichen Lebens zur christlichen Welt der Heilsbilder verdeutlicht. Man wünschte sich, daß der Band eine Fortsetzung in diese Richtung fände.

Während der Haupttext auf die ausführliche Erzählung der Mythen und die jeweils allseitige Interpretation der erwähnten Sarkophage verzichtet, bietet die Dokumentation ausgewählter Sarkophage die notwendigen ergänzenden Informationen zu den in alphabetischer Reihenfolge angeführten Mythen..

Das Buch ist ausdrücklich für den „archäologischen Laien“ (5) bestimmt, aber gerade als solcher glaubt der Rezensent versichern zu können, daß hier ein bedeutender Beitrag nicht nur für die Archäologie der römischen Kaiserzeit,6 sondern für die Altertumswissenschaft insgesamt vorliegt.

Ein umfangreicher Anmerkungsteil, ein Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur und der Standorte bieten reiches Material für weitere Informationen. Leider fehlt ein Sach-Index, der den vielfältigen Inhalt noch besser erschließen könnte.7 Die Bildpräsentation entspricht dem hohen Niveau, das man vom Verlag gewöhnt ist. Ihm und dem Autor sei für diese in jeder Hinsicht anregende, ja exzellente Publikation gedankt.

Joachim Gruber, Erlangen
joachim.gruber@nefkom.net


1 Der visuelle Seite der Totenriten bespricht Paul Zanker: Die Apotheose der römischen Kaiser. Ritual und städtische Bühne. München 2004; vgl. dazu die Besprechung von Bert Freyberger, Plekos 7, 2005.

2 Es genügt, auf den Satz Senecas (epist. 48,11) zu verweisen: hoc enim est, quod mihi philosopia promittit, ut parem deo faciat. Ad hoc invitatus sum, ad hoc veniWeitere Belege und Literatur in meinem Kommentar zur Consolatio Philosophiae des Boethius (Berlin 1978, 130 f.).

3 Vgl. z.B. Iamblichs Protreptikos 8 p. 48, 9ff. Pistelli (deutsch in der Übersetzung von Otto Schönberger: Iamblichos, Aufruf zur Philosophie. Würzburg 1984, 35), eine Stelle, die sich auf den Protreptikos des Aristoteles zurückführen läßt.

4 Unter diesem Aspekt ist auch Hades primär göttlich, dem dann auch porträthafte Züge verliehen werden können (S. 368). Ewalds Deutung läßt diese Möglichkeit unberücksichtigt.

5 Wenn auf dem berühmten Jahreszeitensarkophag in Dumbarton Oaks (Abb. 228) das verstorbene Paar im Zodiakos erscheint, wird man gerne mit Zanker ganz allgemein die „kosmisch-universelle Perspektive“ (S. 257) konstatieren, denn eine weitere Präzisierung im Kontext der zeitgenössischen Philosophie dürfte kaum möglich sein; vgl. auch Hans Georg Gundel: Zodiakos. Tierkreisbilder im Altertum. Mainz 1992, 109 („Dabei kann man sich von der Vorstellung eines Aufstiegs in den Himmel bis hin zu der eines Einswerdens mit den Sternen viele Möglichkeiten individueller Deutung des Bildthemas denken“). Gundel nennt noch zwei weitere Beispiele für diese Bildgestaltung.

6 Nicht zuletzt in Hinblick darauf, daß bislang bei Behandlung römischer Sarkophage den Jagd- und Schlachtreliefs besondere Aufmerksamkeit zuteil wird und andere Aspekte dabei weniger berücksichtigt werden (5f.).

7 Neben kleineren Druckversehen ist zu korrigieren: S. 128 Apollonios (statt „Apollodoros“), S. 205 K. Mras (statt „Nras“), S. 194 P. Papinius Statius (statt „P. P. Statius“), S. 240 Sidonius (statt „Sidoneus“).


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