Richard Klein: Dummer/Vielberg (Hrsg.): Zwischen Historiographie und Hagiographie

Jürgen Dummer/Meinolf Vielberg (Hrsg.): Zwischen Historiographie und Hagiographie. Ausgewählte Beiträge zur Erforschung der Spätantike. Altertumswissenschaftliches Kolloquium, Band 13. Stuttgart: Steiner 2005. 107 S. Euro 30. ISBN 3-515-08661-7.

Mit diesem schmalen Opus liegt bereits der 13. Band jener Vorträge vor, die an der Universität Jena seit 1999 im Rahmen des Graduiertenkollegs „Leitbilder der Spätantike" gehalten wurden. Bekanntlich konzentrieren sich diese schwerpunktmäßig auf die Epoche der Spätantike mit christlichen Inhalten, die wegen ihrer zumeist weniger geläufigen Thematik stets besondere Aufmerksamkeit verdienen, sich jedoch nicht immer leicht unter einen griffigen Titel zusammenfassen lassen. Dies ist auch bei der hier vorliegenden Auswahl von Einzelvorträgen der Fall, die teils historisch bzw. historiographisch, teils hagiographisch (auch mit Überschneidungen) ausgerichtet sind und nach den einleitenden Worten der beiden Herausgeber als wichtige "Zeugnisse der europäischen Vor- und Frühgeschichte" gelesen werden können.

Den Anfang macht der kürzlich verstorbene spanische Althistoriker J. M. Alonso -Núñez (Madrid) mit dem Thema "Die Universalgeschichtsschreibung in der Spätantike und die westgotische Historiographie". Nach einem recht kursorischen, bisweilen etwas diffusen Überblick über die erste Hälfte seines Themas, die von Ephoros über Polybios bis zur "linearen Vorstellung der Geschichte bei den Christen" reicht (hier werden Eusebius, Augustinus, Salvian kurz und wenig differenziert nebeneinander gestellt), geht es dem Verfasser vor allem um die Spanier Orosius bis hin zu Isidor von Sevilla, den er als den größten Gelehrten des westgotischen Spanien bezeichnet. Es leuchtet zwar ein, dass bei diesem und seinen weniger bekannten Vorgängern Maximus von Caesaraugusta, Johannes von Biclaro, Hydatius aus Gallaecia, aber auch schon bei Cassiodor bzw. Jordanes und Gregor von Tours, bei Paulus Diaconus und Beda Venerabilis die Stammesgeschichte bes. in der Form einer patriotischen Rechtfertigung der Herrschaft des eigenen Volkes die Universalgeschichte ablöste, aber auch bei diesen sind noch immer die universalhistorischen Ansätze spürbar, da sie auf der heilsgeschichtlichen Betrachtung früherer Werke aufbauen (auch in der Abfolge der einzelnen Weltreiche), sonst wäre auch eine Wiederaufnahme etwa bei Otto von Freising oder Joachim von Fiore im Mittelalter schwer erklärbar.

Als feinsinnige Textinterpretation wie stets erweisen sich die Ausführungen des emeritierten Münsteraner Latinisten Chr. Gnilka über "Das gute Alter. Ein Leitbild des frühen Christentums". Der Autor glaubt speziell an Hand des bekannten Hieronymusbriefes 10, 1 f. (CSEL 54, 35 - 38) und durch Beiziehung von Textstellen aus Paulus von Perigueux (vit. Mart. 122 - 128) sowie aus Sulpicius Severus (epist. 3, 9 - 12) nachweisen zu können, dass für den Christen das Alter nicht nur Beschwerden und Krankheiten bringe, sondern zugleich Trost durch die Ausrichtung auf ein ewiges Leben. Diese Gewissheit gebe hier dem Bild des Alters eine Frische, eine Bewegung und eine Jugendlichkeit, die man in den vorchristlichen Reflexionen vergeblich suche. Aber ist diese "Gewissheit" etwa bei Martin von Tours (in der Passage bei Sulp. Sev.) nicht in die Form eines Gebets gekleidet, das trotz eines langen Lebens im Gehorsam gegen Gott und der Bereitschaft, dieses als pugna militiae aufzufassen, mehr Hoffnung (und sogar Furcht) als Sicherheit zum Ausdruck bringt?

Eine ungeteilte Aufmerksamkeit verlangt der Beitrag von D. J. O' Meara (Fribourg) "Die Geometrie und das Göttliche in der Spätantike". Bei dem auch durch zwei Illustrationen verdeutlichten Versuch, in der Architektur der Hagia Sophia in Konstantinopel "eine stereometrische Darstellung des Göttlichen" herauszufinden, welche durch die Philosophie des Neuplatonikers und vorletzten Schulhaupts der Athener Akademie Proklos lesbar werde, mutet der Verfasser dem Leser einige, wenn auch geraffte Kapitel über den Euklidkommentar dieses Philosophen zu, wo über den diskursiv aufgefächerten Weg Euklids von Kreisen, Halbkreisen, geraden Linien, Dreiecken, Quadraten bis hin zur höchsten Stufe der Einheit, Gleichheit, begrenzten Kraft und Stabilität gehandelt wird. Diese werde von Proklos als höchste Form der Erkenntnis verstanden, da bei ihm geometrische Gegenstände metaphysische Prinzipien abbildeten. Da der Verfasser Verbindungen zwischen Proklos und den beiden Architekten der Hagia Sophia feststellen zu können glaubt (welche allerdings nur angedeutet werden), könne es wahrscheinlich gemacht werden, dass "in der Gliederung der Kirche eine stereometrische Übertragung der Geometrie des Göttlichen zu erkennen ist".1

Ph. Régerat (Reims) behandelt in seiner Studie das Thema Vir Dei als Leitbild in der Spätantike: Das Beispiel der Vita Severini des Eugippius". Ausgewiesen durch die Ausgabe dieser Vita in der Reihe Sources Chrétiennes (1991) wirft der Verfasser zunächst einen Blick auf die Vita Antonii des Alexandriners Athanasius mit ihrem asketisch - christologischen Charakter, informiert sodann über den Autor Eugippius, das Werk und den Stil und charakterisiert schließlich mit einer Reihe von Belegstellen die dreifache Stellung Severins als Prophet, Asket und Wundertäter, wodurch naturgemäß der historische Wert dieser Lebensbeschreibung etwas ins Hintertreffen gerät. Freilich räumt er am Ende selbst ein, dass die Gestalt dieses im rätischen und norischen Donauraum so segensreich tätigen Heiligen trotz der hagiographischen Stilisierung als "Werkzeug des göttlichen Willens" im Vergleich zu dem Eremiten Antonius in Ägypten eine ganz andere, politische Rolle eingenommen hat. Hierzu hätte man gerne einige Sätze gehört etwa über die Studien von Lotter, Wirth, Christlein, Castritius u.a., von denen der erstere in Severin bekanntlich sogar einen ehemaligen hohen weltlichen Würdenträger erkennen wollte, der in einer neuen geistlichen Funktion sein fürsorgliches Wirken für die bedrängten Romanen in dieser Gegend fortsetzte.

Sehr informativ und übersichtlich ist der letzte Vortrag gehalten aus der Feder des bekannten Eusebius - Herausgebers F. Winkelmann (Berlin): "Die Historiographie in der Epoche des Kaisers Konstantin", besitzt dieser für eine solche Thematik aufgrund seiner langjährigen Beschäftigung mit den Texten, aber auch durch mehrere Studien2 doch die besten Voraussetzungen. Berichtet wird zunächst über den historischen Bestand, der in der Zeit des ersten christlichen Kaisers lediglich aus vier zeitgenössischen Werken besteht (Euseb, Laktanz, Praxagoras, Anonymus der Origo Constantini imperatoris), sowie über die wichtigsten Forschungsprobleme. Der Überblick über Konzeptionen, Methoden und Tendenzen bietet im wesentlichen eine Zusammenfassung, die erfreulicherweise der kleinen Schrift des Laktanz über die Todesarten der Verfolger3 das Odium einer "unerfreulichen Schrift" (Heck) nimmt, da sie doch wichtige Informationen enthält, und weiterhin in Eusebs Vita Constantini zu Recht auch distanzierende und kritische Töne, etwa bei der Kreuzesvision, nicht überhört. Etwas spekulativ erscheinen dagegen die Vermutungen über den Inhalt des zweibändigen Werkes des Heiden Praxagoras, der geradezu ein Idealkaisertum Konstantins gezeichnet habe (wir besitzen nur wenige Fragmente des Photios) sowie über den wahrscheinlich paganen Autor der Origo Constantini und etwaige spätere christliche Zusätze. Voll zuzustimmen ist den Schlussbemerkungen, wo der Verfasser noch einmal den entscheidenden neuen "Wirkungsfaktor" der heilsgeschichtlichen Ausrichtung Eusebs hervorhebt, gegen dessen innovative Grundhaltung die anderen drei Geschichtswerke dieser Zeit erheblich zurückstehen müssten. Hier befindet sich Winkelmann auf einer Linie mit der grundlegenden Studie von D. Timpe.4

Allein ein Beitrag wie der letzte rechtfertigt einen solchen Band.

Richard Klein, Wendelstein
RiKle@gmx.net


1 Eine englische Fassung dieser These wurde fast unverändert kurz vorher in einem Sammelband vorgetragen: D. J. O'Meara: Geometry and the Divine in Proclus, in: L. Bergmann, T. Koester (Hrsg.): Mathematics and the Divine. Amsterdam 2004.

2 Z. B. Euseb von Kaisareia. Der Vater der Kirchengeschichte. Berlin 1991.

3 S. jetzt die neue Ausgabe von A. Städele in der Reihe "Fontes Christiani", Darmstadt 2003, dazu die Rezension von R. Klein, Plekos 6, 2004, 19-21.

4 Was ist Kirchengeschichte? Zum Gattungscharakter der Historia Ecclesiastica des Eusebius, in: Festschrift für R. Werner, hrsg. von W. Dahlheim, Konstanz 1989, 171-204.


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