Paolo Cesaretti: Theodora. Herrscherin von Byzanz. Aus dem Italienischen von Roland Pauler. Düsseldorf/Zürich: Artemis & Winkler 2004. 450 S., 4 Farbtafeln. Euro 29,90. ISBN 3-538-07177-2.

Von der drei Jahre nach ihrem Erscheinen jetzt auf Deutsch vorgelegten Biographie der Gattin Kaiser Justinians kann sich der Leser regelrecht fesseln lassen: Er taucht, geführt vom Erzähltalent des italienischen Byzantinisten Paolo Cesaretti, hinein in die Welt des 6. Jahrhunderts, des spätantiken römischen Staates, der von Justinian initiierten Veränderungen und lernt dabei Theodora und ihren – nach Cesaretti großen – Anteil an der Geschichte dieser Zeit in Darlegungen kennen, die die Nachrichten, die uns die Quellen, in der Hauptsache Prokop, liefern, nicht nur interpretieren, sondern mit – in der Regel durchaus plausiblen – Schlußfolgerungen ausstaffieren, die Theodoras dem normalen römischen Bürger in der Tat wie ein Wunder erscheinenden Aufstieg zu einem ganzheitlichen Persönlichkeitsbild zu gestalten beabsichtigen. Cesaretti schreibt also weniger eine wissenschaftliche Biographie der Kaiserin, als vielmehr, auf einer wissenschaftlichen Grundlage, die seine exzellente Quellenkenntnis erkennen läßt, eine populärwissenschaftliche Darstellung mit gelegentlich auch romanhaften Zügen, wenn er Überlieferungslücken durch weitreichende Spekulationen überbrückt oder knappe Nachrichten zu längeren Passagen auszieht, denen er – unbeweisbar, doch durchaus nachzuvollziehen – die Funktion von Schlüsselerlebnissen für Theodoras Werdegang beimißt, wenn er ferner die Details einbettet in eingehende Informationen allgemeiner Art über Umfeld und Milieu, Orte und Baudenkmäler.

Insofern verwundern Äußerlichkeiten wie der Umfang des Buches und die tatsächliche Konzentration auf die Kaiserin und nicht auf deren Ehemann Justinian1 keineswegs. Es gelingt Cesaretti unter beträchtlichem Einsatz von Gelehrsamkeit, Kombinationsgabe und Darstellungsgeschick in der Interpretation ganz überwiegend problematischer Quellen und bei der Deutung von Verhaltensweisen ein auch in den Widersprüchen abgerundetes, hinsichtlich der inneren und äußeren Entwicklung Theodoras ganzheitliches, insgesamt also überzeugend wirkendes Bild der Kaiserin zu entwerfen und dieses in seine Sicht von der Übergangszeit des 6. Jahrhunderts zu integrieren. Große Vorsicht ist bei der Lektüre aber dennoch überall da angebracht, wo Cesaretti die Ebene des Belegbaren und Abgesicherten verläßt und sich in Spekulationen ergeht. Dabei sind die Übergänge von dokumentierten Nachrichten zu spekulativen Elementen und eigenen Ergänzungen in seiner Darstellung nicht immer gleich auf den ersten Blick erkennbar.

Dies betrifft naturgemäß nicht zuletzt die frühen Jahre Theodoras bis zu ihrer Begegnung mit Justinian. Eindrucksvoll stilisiert, doch so, wie es aufgrund der kurzen Notiz bei Prokop (hist. 9,5-7) „nicht sehr reich an konkreten Einzelheiten“ (53) dargestellt wird, letztlich der Phantasie des Autors entsprungen ist die Ausgestaltung des Wechsels von der Anstellung bei der Zirkuspartei der „Grünen“ zu der bei den „Blauen“ mit dem Auftritt der verwitweten Mutter Theodoras und ihrer drei Töchter in der Arena vor versammeltem Publikum, wodurch diese erfolgreich ihren Lebensunterhalt nach dem Tode des Ehemannes bzw. Vaters sicherzustellen wußten. Noch deutlicher ist dies bei der Ausmalung der Hekebolos-Affäre, die Theodora etwa im Jahre 518 aus dem Schauspielermilieu von Konstantinopel hinausführte in die libysche Pentapolis, gewiß in der Hoffnung, mit der Bindung an den Statthalter Sicherstellung, Ehe, Wohlstand und gesellschaftliches Ansehen zu erreichen, sie sich schließlich aber allein und mittellos über Alexandria und Antiochia auf den Weg zurück in die Hauptstadt machen mußte (vgl. Prok. hist. 9,27f.).

Geschichten wie diese dienen Cesaretti unter anderem dazu, später erkennbare Dispositionen und Verhaltensweisen der Theodora auf Grunderfahrungen in ihrer Jugend zurückzuführen. Soweit sich das auf die Favorisierung der „Blauen“ und der Monophysiten durch die Kaiserin bezieht, mag dieses Vorgehen vertretbar sein, wenn es aber darum geht, Charakterentwicklung und -eigenschaften aus den so anschaulich geschilderten frühen Erfahrungen zu erklären, erliegt Cesaretti, auch wenn es noch so plausibel klingt, der Gefahr von Zirkelschlüssen: Die Kapitel zu Beginn leben vom Gedanken an die nachmalige Kaiserin, und Verweise bei späteren Begebenheiten knüpfen an die frühen Erfahrungen dieser Frau an. So spannt Cesaretti einen Bogen plausibler Ganzheitlichkeit über ein Leben, das ebenso unvollständig wie tendenziös dokumentiert ist, auch wenn er immer wieder mit luziden Interpretationsansätzen zu Nachrichten und Stellungnahmen Prokops zu überzeugen bemüht ist. Gerade deshalb hätte sich Cesaretti romanhafte Einlagen wie die Schilderung der ersten Begegnung Theodoras mit Justinian ersparen können. Selbst sagt er: „In Ermangelung gesicherter Daten sind literarische Mythen erblüht“ (156) – und reiht sich anschließend mit einer eigenen Version selbst in diese Mythenbildung ein.

Der Nika-Aufstand von 532 ist ebenso ein solches Schlüsselereignis, das Cesaretti dazu dient, Theodoras frühe Erfahrungen, wie er sie dargelegt hat, wie sie so aber keineswegs alle zu belegen sind, für Erklärungen zu ihrem mutigen, mannhaften, wahrlich kaisergleichen Verhalten und zudem zur Begründung für ihre starke Stellung im justinianischen Herrschaftsgefüge der Folgezeit und ihre Durchsetzungskraft zu nutzen. Dabei interpretiert er – wie viele vor ihm – den Nika-Aufstand im traditionellen Sinne als Gefährdung des Kaisers, nicht als von Justinian zum Zweck der Ausschaltung seiner Gegner bewußt inszeniertes Ereignis,2 was Theodora jegliche Schlüsselrolle genommen hätte. Andererseits bemüht Cesaretti in noch so ausgeschmückten Darstellungen immer wieder die Grundlagen wissenschaftlicher Verfahrensweisen. Den Nika-Aufstand apostrophiert er eben nicht nur „als Theodoras Triumph“ (230), sondern weist zugleich auf „weitergreifende und geradezu kontroverse Perspektiven der Interpretation“ (231) hin – auch wenn hier die Provokation des Aufstands durch den Kaiser selbst fehlt – und erkennt im Ergebnis dieser Rebellion, daß Justinian nun die Energie „fand für die so lange hinausgeschobene Verwirklichung seiner Ziele der restitutio“ (ebd.). Damit steht Cesaretti zu der Auffassung, daß die Restitutionspolitik des Kaisers als großer Plan von Anbeginn vorlag und nicht erst im Zuge seiner militärischen Erfolge im Westen nach und nach gewachsen ist.

Das Ergebnis des Nika-Aufstandes ist für Cesaretti der Anlaß, Theodora von nun an als Justinian auch hinsichtlich ihrer Leistung gleichwertig einzuschätzen und im Lichte dieser Gleichheit die auf den Osten des Reiches gerichteten Initiativen Theodoras, besonders die Förderung des Monophysitismus, als Pendant zur im Interesse der restitutio eher westlich ausgerichteten Politik Justinians zu sehen. In der Gegensätzlichkeit, ja scheinbaren Unvereinbarkeit der Positionen vermag Cesaretti nicht nur die verschiedenen Facetten auf letztlich gleiche Ziele gerichteter Bemühungen um das Reichsganze hervorzuheben, sondern macht die Unterschiede zwischen Theodora und ihrem Ehemann auch durchaus nachvollziehbar. Er argumentiert also im Sinne der Einheitlichkeit des Kaiserwillens zum Nutzen des Reiches und verfolgt zugleich die Darlegung und Deutung einer konsequenten Persönlichkeitsentwicklung Theodoras, deren Charakter neben dominierenden Konstanten auch Veränderungen zeigt, zum Beispiel zunehmende Grausamkeit (vgl. z. B. 241; 307; 354) bei der hartnäckigen Verfolgung diverser Intrigen und der Absicherung der Ergebnisse dieser Machenschaften, wie etwa der Entmachtung Belisars.

Damit einher geht der Eindruck einer aktiven Einmischung Theodoras auch in die Außenpolitik: „Hinsichtlich der komplexen kriegerischen Operationen, die an die restitutio im Okzident gebunden und Justinian sehr am Herzen lagen, sollte Theodoras Rolle speziell dann spürbar werden, wenn sich die militärischen Aktivitäten mit der religiösen Sache der Monophysiten verknüpften. Andererseits blieb Theodoras Gelobtes Land der Orient der Diamanten, wo man lieber den Frieden nach dem Gewicht des Goldes kaufte, als eine Schlacht zu wagen, und wo man die neuen Gebiete durch persönliche Bande erwarb oder durch Übereinstimmung des Glaubens an ein gleiches Fleisch gewordenes Wort.“ (239) Bleiben diese Äußerungen in ihrer Allgemeinheit noch im Rahmen des Vertretbaren, so zieht Cesaretti daraus doch die geradlinige und in den Augen einer Forschung, die derartige Aktivitäten Theodoras für Legenden hält,3 falsche Konsequenz, daß die Kaiserin zum Beispiel im Zusammenhang mit der Absetzung des Papstes Silverius 536/37 durch eine „glänzende Initiative Justinian mehr zum Beobachter der Geschehnisse[,] als zum Herrn der Situation“ (286) machte, demnach „das Kommando der Operationen“ (ebd.) innehatte.

Als Wendejahr in der Herrschaft Justinians, ja der Epoche allgemein hebt Cesaretti das Jahr 542 hervor: das Jahr der Beulenpest, an der auch der Kaiser erkrankte, so daß die Kaiserin vermehrte Verantwortung übernahm, ein Jahr, für das Cesaretti allgemein festhält: „Vielleicht muss man im Jahr 542 die große ‚Wasserscheide’ nicht nur für das Leben von Justinian und Theodora erkennen, sondern für zwei historische Epochen“ (359). Die Zäsur für den Epochenübergang in das Jahr der Pest zu legen, erscheint als eine übertriebene Zuspitzung, die Cesaretti in seinen Ausführungen gar nicht so monokausal verfolgt.4 Der Übergang von der Antike zum Mittelalter ist vielmehr ein weiterer Aspekt, den Cesaretti namentlich in der zweiten Hälfte des Buches hervortreten läßt. Wenn er die Formulierung des 535 eingeführten, beim Eintritt in den kaiserlichen Dienst abzulegenden Eides damit kommentiert, „dass jetzt das Zivile und Religiöse, das Römische und das Christliche, die Kirche und das Reich unzertrennbar erscheinen“ (268), wenn ihm mit dem Jahr der Pestepidemie „das Bild des Imperiums konfuser und zur gleichen Zeit veraltet – quasi entwertet“ (308) vorkommt oder wenn er die christliche Familie als die – nicht zuletzt aufgrund der Bemühungen Theodoras – neue Grundeinheit der Gesellschaft vorstellt, durch die die bisherigen, mehr öffentlichkeitsbezogenen Strukturelemente wie die Zirkusparteien und in der Folge schließlich die Staatlichkeit des Römischen Reiches an Bedeutung verloren (vgl. z. B. 337; 377), so weist er auf Zeichen einer veränderten Zeit hin, die ins Mittelalter führt. Das Janusgesicht der Herrschaftszeit Justinians zeigt sich auch in dem Kaiserpaar selbst. Die westliche Ausrichtung und die Restitutionspolitik des Kaisers hatten nur kurzfristige Erfolge, schwächten das Reich und führten letztlich zu seiner Eingrenzung auf den östlichen Mittelmeerraum, die Förderung des Monophysitismus im Osten durch Theodora dagegen schützte – jenseits der dieser Glaubensrichtung im politischen Bereich innewohnenden zentrifugalen Tendenzen, doch diese letztlich unterstützend – Varianten „des Christentums, die sich als haltbar erwiesen, auch weil sie den Bedürfnissen der einzelnen Völker und Orte Aufmerksamkeit schenkten“ (400).

Cesaretti hat ein spannendes Buch geschrieben. Es liefert einen anschaulichen Einblick in die Lebenswelt, die Ereignisse und die Themen der Zeit Justinians, eingebunden in die Biographie der Kaiserin Theodora, ihres märchenhaften Aufstiegs und ihrer aktiven Gestaltung innerer wie äußerer Politik als „Herrscherin von Byzanz“, wie es im Untertitel heißt. Genau dieser Aspekt macht viele Inhalte des Buches wissenschaftlich angreifbar. Rein immanent betrachtet, liefert Cesaretti eine abgerundete, wohlproportionierte Biographie der Kaiserin mit einer logisch aufgebauten Entwicklung der Anlagen Theodoras, die ihre Talente und ihren – wachsenden – Einfluß konsequent nutzt. Dabei schöpft Cesaretti aus seiner hervorragenden Kenntnis der Schriften Prokops, entkleidet besonders die Schmähungen der „Geheimgeschichte“ ihres ins Negative verzerrenden Charakters und deutet das nicht der Norm der Zeit und des Standes Prokops Entsprechende an Theodora, das der Geschichtsschreiber als dämonisch auffaßt, vielfach ins Rationale und teilweise ins Positive um. Dabei ist Cesaretti im Interesse seines eigenen Theodora-Bildes darauf angewiesen, die Größe und Bedeutung, die Prokop der Kaiserin in seiner Darstellung verleiht, gewendet und uminterpretiert beizubehalten. Wenn diese Grundlage gefährdet ist – und dafür spricht vieles –, schrumpft Theodoras Einfluß auf Normalmaß zusammen, beschränkt er sich auf Bereiche, die der Kaiser ihr zuweist oder in denen er sie unter seiner Aufsicht gewähren läßt. Schließlich entspricht dies auch nach Cesaretti der christlich bestimmten Sichtweise der Zeit, daß die Frauen „‚zu allererst Gott und dann den Mann ehren’, dem sie ‚ihre Ratschläge anbieten’, aber ... die letzten Entscheidungen überlassen. So konnten Justinian und Theodora von sich das Gefühl haben, ein vorbildliches und Norm gebendes Ehepaar für den siebten Äon, den christlichen Äon zu sein“5. Wenn dieses Prinzip das Handeln Theodoras wirklich mitbestimmt hat, stand sie viel mehr im Hintergrund als Prokop und Cesaretti, jeder auf seine Art, glauben machen. Dann wäre aber auch ein Sujet verloren, mit dem sich eine Biographie von 450 Seiten Länge farbenfroh gestalten ließe.


Ulrich Lambrecht, Bornheim-Sechtem
lambre@uni-koblenz.de



1 Vgl. z.B. die ebenfalls kürzlich vorgelegte Biographie von James Allan Evans, The Empress Theodora. Partner of Justinian, Austin 2002 (Rez. Ulrich Lambrecht Plekos 5, 2003). Diese ist – indirekt – eher als Doppelbiographie des Ehepaares angelegt, wie der Untertitel auch erkennen läßt, und dabei nur ein Drittel so umfangreich wie Cesarettis Werk.

2 Vgl. jüngst Mischa Meier, Die Inszenierung einer Katastrophe. Justinian und der Nika-Aufstand. ZPE 142, 2003, 273-300; in knapper Form dens., Justinian. Herrschaft, Reich und Religion, München 2004, 47-51; 56.

3 Vgl. z.B. Hartmut Leppin, Kaiserliche Kohabitation. Von der Normalität Theodoras, in: Christiane Kunst, Ulrike Riemer (Hrsg.): Grenzen der Macht. Zur Rolle der römischen Kaiserfrauen. Stuttgart 2000 (Potsdamer Altertumswissenschaftliche Beiträge 3), 75-85; dens., Theodora und Iustinian, in: Hildegard Temporini-Gräfin Vitzthum (Hrsg.): Die Kaiserinnen Roms. Von Livia bis Theodora. München 2002, 437-481, hier 460; 462; Meier, Justinian (oben Anm. 2) 58.

4 Vor dem Hintergrund der vielen Katastrophen im Reich zwischen 540 und 542 überzeugend herausgearbeitet wird die Zäsur innerhalb der Herrschaft Justinians (größere Passivität des Kaisers, seine Hinwendung zur Theologie) von Mischa Meier: Das andere Zeitalter Justinians. Kontingenzerfahrung und Kontingenzbewältigung im 6. Jahrhundert n. Chr. Göttingen 2003 (Hypomnemata 147), 234-341, zur Pest ferner 373-387.

5 Cesaretti 243 mit Bezug auf Gr. Naz. carm. 2.2 (poem.),6 (Ad Olympiadem),12.40 (MPG 37, 1542-1550, hier 1543; 1545).


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