James Allan Evans: The Empress Theodora. Partner of Justinian. Austin: University of Texas Press 2002. XVI, 146 S., 9 Abb., 2 Karten. $ 29,95. ISBN 0-292-72105-6

Mit den Worten „it is hard to separate Theodora’s policies from Justinian’s” (107) gesteht Evans im Nachwort seiner Theodora-Biographie selber die Schwierigkeiten ein, mit denen eine Darstellung des Lebens dieser Kaiserfrau verbunden ist: Von Justinian gleich bei Herrschaftsantritt zur Mitregentin erhoben, läßt sich ihr spezifischer Handlungsanteil kaum von dem ihres Ehemannes trennen, und versucht man es dennoch, bewegt man sich bald auf dem unsicheren Boden der Spekulation. Daher wird Theodoras Anteil an der Macht gern in Doppelbiographien[1] oder im Zusammenhang mit Prokop als wichtigster Quelle[2] abgehandelt; seltener sind allein ihr gewidmete Monographien[3] , in denen dann doch auch Justinian – wie von Evans im Untertitel angezeigt – überdeutlich sichtbar wird, weil Theodora ohne ihn nichts ist. Der unausweichlichen Einbeziehung Justinians, bedingt durch die Lebens- und Herrschaftsgemeinschaft des Kaiserpaares, trägt Evans im Theodora-Buch inhaltlich durchaus Rechnung; er kleidet diese Beziehung antithetisch in die Worte: „Theodora served as His Majesty’s loyal opposition“ (27).

 

Evans beschäftigt sich seit Jahrzehnten intensiv mit der Geschichte des 6. Jahrhunderts und hat als einen Ertrag dieser Forschungen vor einigen Jahren eine Monographie über Justinians Zeit vorgelegt[4], die die Ausgangsbasis für die jetzt erschienene Theodora-Biographie bildet. Das Theodora-Buch richtet sich durchaus auch an eine breitere Öffentlichkeit: Es ist angenehm lesbar geschrieben, und Evans ist sichtlich bemüht, Theodora ein eigenständiges Profil gewinnen zu lassen, indem er nachweisliche und mutmaßliche Aktivitäten herausarbeitet, und zwar im engen Bezug zu den Quellen, deren Standort und Valenz klar zutagetreten, doch nutzt er Interpretationsspielräume gerne zu Theodoras Gunsten. Der am Schluß beigefügte Anmerkungsapparat ist knapp gehalten, ebenso die Orientierung bietende Auswahlbibliographie.

 

Gegliedert ist das Buch in zehn Kapitel, die im großen und ganzen chronologisch, doch teilweise mit systematischen Aspekten durchsetzt, das Leben und Wirken der Theodora entfalten. Zu Beginn stellt Evans den Übergang der Macht von Kaiser Anastasius (491-518) auf die neue Dynastie dar, skizziert Justin (518-527), dessen Frau Euphemia und den Neffen Justinian vor dem Hintergrund der allgemeinpolitischen und kirchenpolitischen (Monophysitismus versus Chalcedonismus) Zustände dieser Zeit. Kapitel 2 erfaßt die Herkunft Theodoras aus dem Zirkus- und Prostituiertenmilieu von Konstantinopel, ihren Weg über Alexandria und Antiochia zurück in die Hauptstadt, wo sie Justinian kennengelernt haben muß: Evans sucht die Gelegenheit hierzu in Kontakten anläßlich der Rekrutierung von Informationszuträgern durch den Kaiserneffen im Theatermilieu.[5]  Zunächst Mätresse, nach dem Tode der Kaiserin Euphemia und einer Gesetzesänderung, die das Verbot der Eheschließung von Senatoren mit Schauspielerinnen aufhob, Ehefrau Justinians, gewann Theodora die Ausgangsbasis für eine einzigartige Machtstellung, die sie weit über das soziale Milieu hinaushob, dem sie selber entstammte, und die sie nutzte, um Personen zu schützen und zu fördern, denen sie nahestand: Verwandte und Bekannte aus ihrer Herkunftsschicht, die Zirkuspartei der „Blauen“, die Monophysiten. Dabei erklärt Evans gleich die Mißgunst Prokops, die dieser Theodora gegenüber in seinen „Anekdota“ an den Tag legt, mit den heimlichen Ressentiments der Oberschicht angesichts eines solchen unkonventionellen, geradezu märchenhaft anmutenden gesellschaftlichen Aufstiegs.

 

Das nächste Kapitel ist Theodora in den ersten Jahren als Kaiserin gewidmet. In diesem Zusammenhang untersucht Evans kaiserliche Sozialreformen, Bautätigkeit und Gesetzgebung auf mögliche und plausible Einflußnahme Theodoras, so ihren Einsatz gegen die hauptstädtische Prostitution, ihre Beteiligung am Wiederaufbau des erdbebenzerstörten Antiochia und ihre Einwirkung auf eine die Interessen des weiblichen Geschlechts mehr als bisher achtende Gesetzgebung, z.B. im Ehe- und im Erbrecht, wobei Evans allerdings angesichts fehlender Nachweise vorsichtig formuliert: „it was probably his (sc. Justinians) respect for Theodora that led him to this view“ (37). Evans stellt einen aktiven Einfluß Theodoras auf diese Gesetzgebung damit sogar in Frage, zumal wenn man berücksichtigt, daß Justinian nur gesetzgeberische Tendenzen der Vergangenheit fortsetzte und zum Abschluß brachte, während Prokop (hist. 17, 24-26) damit die Gesellschaftsordnung auf den Kopf gestellt sieht und Theodora dafür verantwortlich macht. Theodoras mutiges Verhalten im Nika-Aufstand (Kapitel 4) angesichts der Fluchtabsichten ihres Ehemannes gab dem Justinian-Anhang neuen Elan und leitete die Peripetie der Aufstandsbewegung ein: „In the Nika revolt she showed her steely side. Justinian must have regarded her thereafter with new respect“ (47).

 

Es folgt eine kurze Prosopographie der Freunde und Feinde und damit eine Darstellung der Personalpolitik Theodoras (Kapitel 5): Evans stellt heraus, wie sich Theodora ihrer Feinde, zum Beispiel des Prätorianerpräfekten Johannes von Kappadokien, entledigte, wie sie Justinians Cousin Germanus und dessen Familienangehörige in der Karriere behinderte, wie sie ihre aus vergleichbaren gesellschaftlichen Kreisen stammende Freundin Antonina, die Ehefrau des Feldherrn Belisar, als Helfershelferin bei mancher Intrige einsetzte und ihre schützende Hand über den Finanzakrobaten Petrus Barsymas hielt. Beispiele für Theodoras Einmischung in die Außenpolitik (Kapitel 6) gelten unter anderem ihren angeblichen Bemühungen um Frieden mit den Persern und der ihr unterstellten aktiven Rolle bei der Ermordung der vom ostgotischen König Theodahad gefangengehaltenen Theoderich-Tochter Amalaswintha, deren Konkurrenz bei einem möglichen Exil in Konstantinopel sie gefürchtet habe (vgl. Prokop. hist. 16, 1-5). „If Theodora was implicated in Amalasuintha’s death, she served Justinian’s purpose” (65); dem Kaiser konnte dies als Vorwand für den Krieg gegen die Ostgoten gelegen kommen. Was die Aktivitäten Theodoras betrifft, folgt Evans in solchen Fällen häufig denn doch zu sehr Prokop, selbst wenn er mögliche Vorbehalte erkennen läßt.[6]

 

Die Kapitel 7-9 beschäftigen sich mit (Theodoras Anteil an) der Religionspolitik der justinianischen Zeit vor dem Hintergrund der auf dem Konzil von Chalcedon 451 gegen die Monophysiten und gegen die Nestorianer formulierten dogmatischen Position bezüglich der Natur Christi. Der Kaiser war um der Einheit des Glaubens willen an einem für Chalcedon-Anhänger und Monophysiten tragbaren Kompromiß interessiert, doch das wegen des Konflikts mit den Ostgoten und der Stellung des Patriarchen von Konstantinopel im hierarchischen Gefüge der Kirche auch politisch brisante Verhältnis zwischen dem Papst und dem Osten sowie die Auseinandersetzung zwischen den unterschiedlichen Richtungen im Osten verhinderten Lösungsversuche wie etwa das Henotikon von 482 oder Justinians zum „Dreikapitelstreit“ führendes Edikt mit der Verurteilung der drei Vertreter der antiochenischen Schule Theodor von Mopsuestia, Theodoret von Kyrrhos und Ibas von Edessa. Aus dieser komplizierten religionspolitischen Gemengelage Theodoras Anteil am aktiven Eingreifen der Staatsspitze in die Religionspolitik herauszupräparieren, ist kaum möglich. Evans betont Theodoras aktive und passive Schutzmaßnahmen für die verfolgten Monophysiten, ihren Anteil an der Ersetzung des Papstes Silverius durch Vigilius im Jahre 537, alles unter dem Dach ihrer loyalen Gefolgschaft gegenüber Justinians Bemühungen „to find a solution to the theological divisions that split the empire“, möglichst durch päpstliche Zugeständnisse „so as to bridge the gap between the Chalcedonians and the Monophysites“ (97, beide Zitate). Evans resümiert vorsichtig, daß Theodoras Aktivitäten zugunsten der monophysitischen Seite die Spaltung vertieften, „which was a result that she probably did not intend“ (97) und was Justinians Absichten jedenfalls diametral entgegenstand.

 

Im Nachwort (Kapitel 10) sucht Evans Theodoras Lebenswerk zu würdigen. Er stellt Theodoras Überzeugung, daß der Schwerpunkt des Reichs inzwischen im Osten lag, und damit ihre Skepsis gegenüber einer Politik der Wiedereroberung des Westens heraus und vermag an ihren direkten und indirekten Eingriffen in das politische Geschehen zu zeigen, wie die byzantinische Regierungsweise von persönlichen Beziehungen und unmittelbarer Einflußnahme abhing. Schließlich vergleicht er Theodora mit herausragenden anderen Kaiserfrauen von Livia bis zu ihrer Nichte Sophia, der Gattin Justins II. (565-578).

 

Gerade am Beispiel der Kaiserin Sophia kann Evans darauf hinweisen, daß es Kaiserfrauen gab, die größeren politischen Einfluß geltend zu machen wußten als Theodora, die doch „the partner of one of the ablest emperors in Byzantine history“ (118) war. Zur Relativierung des politischen, insbesondere religionspolitischen Einflusses Theodoras trägt auch die Feststellung bei, daß Justinian nach ihrem Tode 548 seine auf Ausgleich bedachte Politik gegenüber den Monophysiten nicht zugunsten der chalcedonensischen Richtung verschärfte, ganz im Gegenteil – wenn man nicht für dieses Verhalten allein Motive gelten läßt, die die Anhänglichkeit des Kaisers gegenüber seiner Ehefrau über deren Tod hinaus in den Vordergrund stellen. Zu Abstrichen an der Auffassung von der wirklichen Macht Theodoras muß auch das einseitige Bild beitragen, das Prokop in den Anekdota von ihr entwirft: Er will das Kaiserpaar dämonisieren und braucht dafür eine ihrem Ehemann äquivalente Kaiserfrau, die er zu diesem Zweck mehr herausstellt als ihrer historischen Rolle angemessen wäre. Dank Prokop läßt sich mit Theodora Sensationsgeschichte schreiben, und hier die Spekulation nicht gar so weit auszufahren, dürfte einem adäquaten historischen Urteil über Theodora gerechter werden. Ob der Stoff dann noch für eine Theodora-Biographie reicht, die auf das Interesse einer breiteren Öffentlichkeit stößt, mag dahingestellt bleiben.

 

Evans hat sich für eine lebendige Darstellung entschieden, die den Lebensweg der Kaiserfrau anschaulich nachzeichnet, welche im Positiven wie im Negativen weitreichenden Einfluß ausübte, insbesondere ihre schützende Hand über die Monophysiten hielt und so ihren spezifischen Anteil am inneren Ausgleich religiöser Gegensätze nahm, um den Justinian sich auf andere Weise bemühte. Der Verdacht liegt nahe, daß Theodora im Gefolge der Darstellung Prokops daher aktiver erscheint, als zu rechtfertigen ist, auch wenn Evans erkennen läßt, daß er aus Quellenangaben Mutmaßungen herleitet. Wirklich in die Tiefe geht er mit seiner Interpretation aber nicht, was wohl auch kaum das Ziel ist, das er mit dieser Biographie verfolgt.

 

Ulrich Lambrecht, Bornheim-Sechtem

lambre@uni-koblenz.de



[1] Vgl. Wilhelm Schubart: Justinian und Theodora. München 1943 (Ndr. Hildesheim 1984); Robert Browning: Justinian and Theodora,.London 1971 (2. Aufl. London 1987).

[2] Vgl. Hans-Georg Beck: Kaiserin Theodora und Prokop. Der Historiker und sein Opfer. München 1986; Hartmut Leppin: Kaiserliche Kohabitation. Von der Normalität Theodoras, in: Christiane Kunst, Ulrike Riemer (Hrsg.): Grenzen der Macht. Zur Rolle der römischen Kaiserfrauen. Stuttgart 2000 (Potsdamer Altertumswissenschaftliche Beiträge 3), 75-85.

[3] Charles Diehl : Théodora. Impératrice de Byzance. Paris 1904; Antony Bridge: Theodora. Portrait in a Byzantine Landscape. London 1978.

[4] James Allan Stewart Evans: The Age of Justinian. The Circumstances of Imperial Power. London 1996. Vgl. auch die von Evans 1998 und 1999 verfaßten Artikel „Justin I“, „Justinian I“, „Justin II“ und „Theodora (Wife of Justinian I)“, in: De imperatoribus Romanis. An online Encyclopedia of Roman Emperors, online unter URL: http://www.roman-emperors.org/

[5] Die Aussage über die nach der Rückkehr und inneren Umkehr in einer Hütte vom Wollespinnen lebenden Theodora verweist Evans 18 in das Reich der Legende, wird aber etwa von Hartmut Leppin: Theodora und Iustinian, in: Hildegard Temporini-Gräfin Vitzthum (Hrsg.): Die Kaiserinnen Roms. Von Livia bis Theodora. München 2002, 437-481, hier 447f., ernster genommen. Infolgedessen wird die entscheidende Begegnung zwischen Justinian und Theodora, über die ja letztlich nichts bekannt ist, bei Leppin 449 auch vor einem anderen, weniger abenteuerlich anmutenden Hintergrund als bei Evans 17f. angesiedelt.

[6] Vgl. dagegen die deutliche Ablehnung dieser Positionen durch Leppin, Theodora und Iustinian (oben Anm. 5) 460-463.