Hildegard Temporini - Gräfin Vitzthum (Hrsg.): Die Kaiserinnen Roms. Von Livia bis Theodora. München: C. H. Beck 2002. 543 S., 58 Abb. Euro 30,80. ISBN 3-406-49513-3.

 

„Ein eigenwilliges und faszinierendes Bild von über fünfhundert Jahren vermeintlich vertrauter römischer Geschichte“ (Klappentext) möchte der bibliophil in edles Leinen gebundene Band zeichnen. Mutig sind sechs Autoren, allesamt namhafte Vertreter des Fachs Alte Geschichte im deutschsprachigen Raum, auf den mit ICE-Tempo rasenden Zug der Geschlechtergeschichte aufgesprungen und haben sich der römischen Reichsgeschichte aus weiblicher Perspektive angenähert. Im Mittelpunkt der Darstellungen stehen die „Kaiserrinnen Roms“.

Das Hauptproblem, daß nämlich das römische Kaiserreich Kaiserinnen im strengen Sinn nicht kannte, sondern bloß Kaiserfrauen und weibliche Angehörige der herrschenden Dynastien, spricht die Herausgeberin gleich in ihrem Vorwort an (S. 9). Die begriffliche Unschärfe, die unter Umständen einen sperrigen, angepeilten Verkaufszahlen im Wege stehenden Titel vermeiden half, mag man also der Verlagsseite ankreiden. Die „Grenzen der Macht“ (Kunst/Riemer 2000) römischer Kaiserfrauen sind sogar, so könnte man sagen, der Generalbaß, über dem die verschiedenen Autoren ihre Beiträge komponiert haben. Die Erkenntnis ist nicht grundsätzlich neu (vgl. Bauman 1992; Fischler 1994; Späth 2000), aber sie kontrastiert noch immer mit von Stereotypen dominierender Herrscherinnenpersönlichkeiten vom Schlage einer Messalina oder Agrippina bestimmten Handbuchdarstellungen.

Die Autoren haben, individuellen Schwerpunktsetzungen zum Trotz, ein vorbildlich kohärentes Buch zustande gebracht, in dem die großen Linien der langen Dauer über ein historisches Kontinuum von 600 Jahren ein plastisches Gesicht erhalten. Zu danken ist das nicht zuletzt dem vorzüglichen Schlußwort von Hartmut Leppin, das kongenial die gesponnenen Fäden aufgreift, reflektiert und in die poströmische Nachgeschichte in Ost (Byzanz) und West (lateinisches Europa) weiterdenkt. Allen Autoren gemeinsam ist obendrein, und das ist kein leichtgewichtiges Kompliment heutzutage, ein Kleinod narrativer Geschichtsdarstellung gelungen, das Leselust weckt und in dem nicht selten feiner Humor aufscheint. Ein vom Sujet her fast schon bestelltes Abgleiten ins Anekdotische vermeiden sie ebenso sicher wie die mit letzten Wahrheiten auftrumpfende Altklugheit unzähliger populärer Darstellungen.

Dennoch hat der Versuch, eine vom frühen Prinzipat bis zur spätesten Spätantike reichende, einen breiten Leserkreis ansprechende narrative Geschichte der römischen Kaiserinnen zu schreiben, etwas von der Quadratur des Kreises. Das Problem, mit dem sie konfrontiert, liegt auf der Hand: Die sichere Kenntnis der Ereignisgeschichte, einstmals kanonisiertes Bildungswissen, einfach vorauszusetzen, wäre heute abenteuerlich. Alle Beiträge, die grosso modo nach Dynastien gegliedert sind, haben also, mehr oder weniger wohldosiert, ein historisches Faktengerüst gleich mitzuliefern. Nur durch das Wissen um das, was ihre Männer waren und taten, werden Rollen und Handeln der Kaiserfrauen verständlich – ein Problem, das sich aus den Grenzen ihrer Macht von selbst ergibt.

Das Dilemma ist nun, daß Kaiserfrauen, die nur blasse Konturen auf der Folie der literarischen Evidenz hinterlassen haben, auch als Persönlichkeiten in der historischen Darstellung keine markante Statur erlangen. Was dann am Ende, bald klarer, bald verschwommener, durchscheint, ist ein sprachlich und ideologisch modernisierter, geschlechtergeschichtlich gewendeter Domaszewski (Domaszewski 1909 ff.) – personalisierte Kaisergeschichte unter besonderer Berücksichtigung des weiblichen Geschlechts, frei nach dem Motto: Männer machen Geschichte, ihre Frauen sind den Historiographen gut dazu, sie in das rechte (meist im Endeffekt recht sinistre) Licht zu rücken. Wenn unter dem Strich dann die Binsenwahrheit steht, daß „Frauenbilder römischer Autoren meist zeitgeistgeprägt und topisch angelegt“ (Hildegard Temporini in ihrer Einleitung, S. 18) sind, dann ist das, als Moral von der Geschicht’, reichlich dünn. Dem Anspruch, „die wahren biographischen Züge methodisch herauszuarbeiten“ (ebd.), sollte er denn je einzulösen sein, wird man so jedenfalls nicht gerecht.

Kaisergeschichte à la Domaszewski betreibt namentlich die Herausgeberin selbst in ihren Beiträgen zur frühen julisch-claudischen Dynastie und zu den „Adoptivkaisern“. Bei ihr hat neben ansprechend vorgebrachter Ereignisgeschichte wenig anderes Platz. Gerade eine Figur wie Livia lädt aber zu einer das Spannungsfeld zwischen rechtlich formalisierter potestas und informell geübter potentia, wie es Thomas Späth (Späth 2000) am Beispiel der jüngeren Agrippina so treffend auf einen Nenner gebracht hat, problematisierenden Betrachtung geradezu ein. Skepsis ist gegenüber Temporinis Konzeption des Prinzipats angezeigt, der mit der Machtübernahme des Tiberius „vollends eine faktische Erbmonarchie geworden“ (S. 80) sei, in der „Frauen als Vermittlerinnen der Macht, als Legitimationsstützen für die herrschenden Männer“ (S. 234) herzuhalten hatten. Überhaupt ist es, wie Egon Flaig (Flaig 1992; 1997) plausibel machen konnte, fragwürdig, im Zusammenhang mit dem römischen Kaisertum mit dem Begriff „Legitimität“ zu operieren, beruhte doch der Prinzipat allein auf der Akzeptanz der relevanten sozialen Gruppen. So war das Kaisertum nicht nur „de iure“ (S. 237), sondern gewiß auch de facto keine Erbmonarchie. Frauen waren als „Legitimationsstützen“ in einem System, das per definitionem illegitim war, untauglich; das dynastische Prinzip konnte sich, solange der Prinzipat währte, niemals Geltung verschaffen.

Hingegen gelingt es Werner Eck und Helmut Castritius, in ihren Porträts der späteren julisch-claudischen bzw. flavischen Kaiserfrauen wesentliche Strukturmerkmale der Prinzipatsordnung wie des Geschlechterverhältnisses herauszuschälen: Eck die jedem modernem Verständnis konträr laufende Funktion der römischen Ehe, namentlich in Senatorenkreisen (S. 108 f.); Castritius die römischen Adelsgeschlechtern innewohnende Tendenz, mittels dynastischer Heiraten weitgespannte aristokratische Netzwerke zum Machtgewinn und Machterhalt zu knüpfen (S. 175). Ob man aber mit Castritius so weit gehen muß, den Kaiserfrauen eigenständige politische Ambitionen zu unterstellen, die lediglich durch eine notorisch „klatschsüchtige“ (S. 175) und den „seichten Publikumsgeschmack“ (S. 186) bedienende literarische Tradition zu einer Kapriolen schlagenden Libido verflacht worden seien, sei dahingestellt.

Über die severischen Frauen, die vier emesenischen Julien Domna, Maesa, Mamaea und Sohaemias, ist das letzte Wort noch lange nicht geschrieben worden. Eine mehr als rätselhafte literarische Überlieferung (Herodian, Cassius Dio, Historia Augusta) verstellt ebenso den Blick auf die Frauen des Kaiserhauses wie eine durch mehrfach gebrochene Orientalismen bestimmte Forschungstradition. Mit Bruno Bleckmann einfach der dionischen Überlieferung vor Herodian den Vorzug zu geben, geht jedenfalls nicht an. Gerade das kurzlebige Regiment des emesenischen Priesterdynasten Elagabal entzieht sich nach wie vor hartnäckig jeder modernen Sinngebung.

Wenig Material für eine „Kaiserinnengeschichte“ liefern die weiblichen Angehörigen der Soldatenkaiser, sieht man von Victoria, der Mutter des gallischen Kaisers Victorinus, und von Aurelians ihn überlebenden Gattin Salonina – mitsamt ihrer rätselhaften Rolle in der Nachfolge – einmal ab. Sich mit Bleckmann auf die Palmyrenerin Zenobia zu verlegen, ist deshalb legitim, schon ihrer Rezeptionsgeschichte wegen. Bleckmann schließt sich in seiner Wertung von Zenobias Machtergreifung einer von Fergus Millar und jüngst mit Nachdruck von Hartmann (2001) vertretenen Deutung der Vorgänge im Osten an, nach der Zenobias Machtergreifung nichts als eine weitere Usurpation nach römischem Modell, schlicht „an abortive claim to the Empire“ (Millar 1993, 335) war. Doch sind an diesem Modell, so suggestiv es ist, begründete Zweifel angebracht (Sommer 2003, 102-104).

Würde der Band mit dem 3. Jahrhundert schließen, fiele das Urteil bestenfalls zwiespältig aus. Wenn das Buch dennoch uneingeschränkt zu empfehlen und den Versprechungen des Klappentexts beizupflichten ist, dann liegt das an den furiosen – insgesamt immerhin ein Drittel seines Volumens ausmachenden – Schlußakkorden, die das Dioskurenpaar der Frankfurter Althistorie, Manfred Clauss und Hartmut Leppin, mit seinen stupenden Porträts der spätrömischen und frühbyzantinischen Kaiserfrauen erklingen läßt. Clauss’ pointiert-ironische Skizze der Kaiserin Helena und der sich um sie rankenden Legende von der Auffindung des Heiligen Kreuzes (dazu auch Trampedach 2001) und Leppins hinreißende Studie Theodoras, der Gemahlin Justinians, sind fraglos die Highlights des gesamten Bandes.

Man muß gerecht sein: Die Damen der spätantiken Kaiserhäuser, Frauen wie Eudoxia, die Gattin des Arkadios, Pulcheria und Eudokia-Athenaïs, Schwester bzw. Gemahlin Theodosios’ II., und Galla Placidia machen es den Autoren vergleichsweise leicht, um sie ihren historiographischen Faden zu spinnen. Aber mit welcher Rafinesse Clauss und Leppin dies tun, nötigt Hochachtung ab. Leppins Schlußwort („Rückblick und Ausblick“) erklärt auf wenigen Seiten mehr als manch voluminöses Kompendium zur antiken Geschlechtergeschichte. Der Band insgesamt wird seine Leser neugierig machen auf die Geschichte der römischen Kaiserzeit; gelänge es Clauss und Leppin mit ihren subtilen Miniaturen ein klein wenig, das Dornröschen Spätantike aus seinem Schlaf ins historische Gedächtnis unserer Zeit zurückzurufen, dann wäre viel gewonnen.

Archer/Fischler/Wyke 1994:
L. J. Archer/S. Fischler/M. Wyke (Hrsg.): Women in Ancient Societies. An Illusion of the Night, Basingstoke 1994.

Bauman 1992:
R. A. Bauman: Women and Politics in Ancient Rome, London/New York 1992.

Domaszewski 1909 ff:
A. v. Domaszewski: Geschichte der römischen Kaiser, Leipzig 1909 ff.

Fischler 1994:
S. Fischler: Social Stereotypes and Historical Analysis. The Case of the Imperial Women at Rome, in: Archer/Fischler/Wyke 1994, S. 115-133.

Flaig 1992:
E. Flaig: Den Kaiser herausfordern. Die Usurpation im römischen Reich, Frankfurt 1992.

Flaig 1997:
E. Flaig: Für eine Konzeptionalisierung der Usurpation im Spätrömischen Reich, in: Szidat 1997, 15-34.

Hartmann 2001:
U. Hartmann: Das palmyrenische Teilreich, Stuttgart 2001 (vgl. Plekos 3, 2001).

Kunst/Riemer 2000:
Ch. Kunst/U. Riemer (Hrsg.): Grenzen der Macht. Zur Rolle der römischen Kaiserfrauen (Potsdamer Altertumswissenschaftliche Beiträge, Bd. 3), Stuttgart 2000.

Millar 1993:
F. Millar: The Roman Near East. 31 BC–AD 337, Cambridge, Ma. 1993.

Sommer 2003:
M. Sommer: Die Soldatenkaiser, Darmstadt 2003.

Späth 2000:
Th. Späth: Agrippina minor. Frauenbild als Diskurskonzept, in: Kunst/Riemer 2000, 115-133.

Szidat 1997:
J. Szidat (Hrsg.): Usurpationen in der Spätantike,Stuttgart 1997.

Trampedach 2001:
K. Trampedach: Die Konstruktion des Heiligen Landes, in: M. Sommer (Hrsg.): Die Levante. Beiträge zur Historisierung des Nahostkonflikts, Freiburg, 83-110.

Michael Sommer, Oxford
sommermichael@yahoo.com