Udo Hartmann: Das palmyrenische Teilreich. Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2001 (Oriens et Occidens, Band 2) 533 S., 4 Tafeln. 96 Euro (DM 187,75) ISBN 3-515-07800-2.
Im Rahmen einer
Dissertation bei A. Demandt (FU Berlin) hat sich der Verfasser die arbeitsintensive
Aufgabe gestellt, die zahlreichen Einzelforschungen zur Geschichte Palmyras während der
sog. Reichskrise des 3. Jhs. zu einem Gesamtbild zusammenzufügen. Nach
einleitenden Ausführungen über das Problem des palmyrenischen Teilreiches (S. 916)
widmet sich Hartmann im zweiten Kapitel der Überlieferungslage. Hier werden nicht nur die
antiken Autoren (S. 1739), sondern auch die orientalischen Schriftquellen (S.
3942) und die Primärquellen (S. 43f.) behandelt. Im dritten Kapitel (S. 4564)
ist die Vorgeschichte der Oasenstadt Palmyra, hauptsächlich in der römischen Kaiserzeit,
dargestellt. Das vierte Kapitel (S. 65128) hat den Aufstieg des Odeaenath und seinen
familiären Hintergrund zum Inhalt, das fünfte (S. 129161) die Machtübernahme
Odaenaths im Orient. Das lange sechste Kapitel, das mit Der sonnengesandte
Löwe betitelt ist, beschreibt das politische und militärische Wirken Odaenaths in
den 260er Jahren. Dabei werden dessen erster Perserkrieg (S. 162185), Odaenaths
Herrschaft über den römischen Orient (S. 186211), der zweite Perserkrieg (S.
211218) und Odaenaths Ermordung (S. 218230) untersucht. Der Tod des
Kaiserstellvertreters markiert eine merkliche Zäsur. Sie wird durch die Einschaltung
eines Kapitels zur Chronologie der Jahre 268276 (S. 231240) verdeutlicht. Es
folgt das achte Kapitel, das sich mit der Regentschaft der Zenobia beschäftigt. Dabei
werden die Herrschaftsphasen des Vaballathus (S. 242259), die Ausdehnung der
Herrschaft über den Orient (S. 259296) und besonders ausführlich das
Reich der Zenobia (S. 297351) behandelt. Der unvermeidliche Konflikt zwischen den
Sonderherrschern und der Zentralgewalt bildet den Inhalt des neunten Kapitels. Dabei wird
kurz auf den Aufstieg Aurelians eingegangen (S. 352354), die Usurpation des
Vaballathus geschildert (S. 354364) und der Feldzug Aurelians gegen Zenobia
ausführlich untersucht (S. 364394). Die Behandlung des zweiten Orientzuges
Aurelians schliesst sich als zehntes Kapitel an (S. 395410). Kapitel 11 trägt die
Überschrift Der restitutor orbis und
die besiegte Königin (S. 411426), wobei es hauptsächlich um das spätere
Schicksal der Zenobia geht (S. 413424). Das abschliessende zwölfte Kapitel über
das palmyrenische Teilreich und die Krise des 3. Jhs. (S. 427466) geht über eine
Zusammenfassung, die man an dieser Stelle erwarten würde, in vielen Punkten hinaus. An
den untersuchenden Teil des Buches sind zwei Appendices angehängt. In ihnen sind
ausgewählte Inschriften der palmyrenischen Dynasten zusammengestellt (S. 467469)
sowie literarische, musikalische und künstlerische Adaptionen des Zenobia-Stoffes genannt
(S. 470475). Es folgt das durch ein Abkürzungsverzeichnis (S. 476479)
eingeleitete, umfassende Quellen- und Literaturverzeichnis (S. 480519). Dem Index
(S. 520532) schliessen sich noch vier Tafeln mit topographischen Plänen von Palmyra
und Münzbildnissen der dortigen Herrscher an.
Eines der
Verdienste von Hartmanns Arbeit besteht darin, dass Wirken und Leistungen Odaenaths, des
Begründers der palmyrenischen Machtstellung, den ihnen gebührenden Platz erhalten. Für
dieses Thema wird u.a. eine Quellengruppe ausgewertet, die zwar keineswegs unbekannt, aber
der althistorischen Wissenschaft insgesamt weniger geläufig ist. Es handelt sich um
Schriften des rabbinischen Judentums, in denen Odaenath unter dem Namen Ben Nasor, bzw.
Papa bar Nasor erscheint und negativ beurteilt wird. Als Werk eines eher jüdischen als
christlichen oder altgläubigen Autors gilt auch das 13. sibyllinische Orakel. Die
Interpretation dieser in die Form eines Vaticiniums (ex eventu) gekleideten
Geschichtsdichtung bereitet manche Probleme. Hartmann deutet die abschliessenden Verse
155171 im Anschluss an David S. Potter (Prophecy and History in the Crisis of the
Roman Empire. A Historical Commentary on the Thirteenth Sibylline Oracle, 1990) als das
Werk eines von dem Dichter der Verse 1154 verschiedenen Verfassers. Während im
längeren Anfangsteil ausführlich die Zeit von Gordian III. bis 253 beschrieben werde,
fasse der Autor der Schlusspassage die Ereignisse von 253 bis zu den militärischen
Erfolgen Odaenaths in geraffter Form zusammen. Mit dem in den Versen 164ff. genannten
sonnengesandten Löwen sei daher Odaenath gemeint. Andererseits muss Hartmann
zugestehen (S. 196f. mit Anm. 126f.), dass es sich bei dem in den Versen 150154
erwähnten sonnengesandten Priester aus einer Sonnenstadt in
Syrien nicht um Odaenath (der kein Priester war) handeln kann. Die betreffende Passage ist
von Hans Roland Baldus (Uranius Antoninus, 1971) überzeugend auf den Aphrodite-Priester
Sampsigeramos aus Emesa gedeutet worden, der wohl mit dem lokalen Sonderkaiser Uranius
Antoninus identisch war. Es erscheint eher unwahrscheinlich, dass im sonnengesandten
Priester der Sonnenstadt und im Sonnenlöwen zwei verschiedene Heilsbringer
gesehen werden sollten. Vor allen Dingen aber könnte die Ansicht, dass Odaenath in or.
Sib. 13 nicht erwähnt wird, die Schwierigkeiten beseitigen, die sich sonst aus der
konträren Beurteilung dieses Mannes in der jüdischen Überlieferung ergeben würden.
Die Kapitel, die
sich mit der Herrschaft der Zenobia beschäftigen, umfassen eine Fülle gelungener
Untersuchungen, auf die nicht im einzelnen eingegangen werden kann. Gut herausgearbeitet
ist insbesondere die Tatsache, dass Zenobia (im Namen ihres Sohnes Vaballathus) nicht
eigentlich ein Sonderreich bilden wollte, sondern durch Aurelian, der sich im
Unterschied zu seinen Vorgängern auf keine Kompromisse mehr einliess, geradezu zum
Schritt der Usurpation gedrängt wurde (S. 360ff.). Bekanntlich ist es Aurelian gelungen,
die Erhebung schnell niederzuschlagen. In diesem Zusammenhang berichten mehrere
literarische Quellen von der Belagerung Palmyras eine Darstellung, der bis in die
neueste Forschung gefolgt wird. Im Gegensatz dazu kann Hartmann, gestützt auf
archäologische Untersuchungen, verdeutlichen, dass Palmyra gar nicht verteidigungsfähig
war. Die Stadt verfügte nur über ein System von recht einfachen
Befestigungsanlagen, das den Charakter einer Zollmauer hatte (S. 377f.
u. Tafel II.). Der Bericht von der völligen Zerstörung der Stadt bei Zosimos und in der
Historia Augusta ist ebenfalls von der Mehrheit der Forschung akzeptiert worden. Auch in
dieser Frage ergibt sich jedoch aus dem archäologischen Befund, dass Palmyra sicher
geplündert und verwüstet wurde, aber nur kleinere Zerstörungen erlitt (S. 398ff.).
Zu den kontrovers
diskutierten Problemen im Zusammenhang mit dem Ende des palmyrenischen Teilreiches gehört
die Frage nach dem späteren Schicksal der Zenobia. Die Autoren der Breviarien und der
Historia Augusta lassen sie in Aurelians Triumphzug mitgeführt werden und hinterher ein
ruhiges, aber standesgemässes Leben in Rom führen, dessen Einzelzüge zum Teil liebevoll
ausgemalt werden. In schroffem Gegensatz hierzu steht der Bericht bei Zos. 1,59,4 (vgl.
Zon. 12,27), nach dem die ehemalige Königin bereits auf dem Weg nach Europa verstorben
sei. Die Forschung (einschliesslich Hartmanns) hat sich in überwältigender Mehrheit der
Version von einem Lebensabend der früheren Königin in Rom angeschlossen. Ob dies mit
Recht geschehen ist, soll dahingestellt bleiben. In diesem Zusammenhang sorgen besonders
einige Gedanken, die sich der Autor zur sog. Zenobia-Villa gemacht hat, eher für
Befremden. Nur in der Historia Augusta (trig. tyr. 30,27) ist überhaupt von der possessio
der Zenobia in Tibur die Rede, wobei die betreffenden Ausführungen auch noch mit ferturque eingeleitet werden. Hartmann hält den
Bericht des Zosimos über den Tod der Königin auf der Reise nach Rom u.a. deswegen für
unrichtig, weil er durch ein man sagt (phasín) eingeschränkt werde (S.
414f.). Dagegen wird die entsprechende Floskel der Historia Augusta von ihm zwar
registriert, aber nicht weiter beachtet. Vielleicht darf daran erinnert werden, dass die
Geschichtsfälschungen in der Historia Augusta mitunter einen scherzhaften, ja fast
satirischen Zug haben. In der Ausdrucksweise des Autors, der in der Vita der Zenobia
(trig. tyr. 30,1-26) mancherlei Schnurren auftischt und dann den Schlussabschnitt mit ferturque beginnt, mag demnach ein augenzwinkernder
Hinweis auf die Glaubwürdigkeit des Berichteten gesehen werden. Insofern dürfte die
tiefschürfende, in der Auseinandersetzung mit Kennern der römischen Topographie
durchgeführte Untersuchung Hartmanns über die vermutliche Lage der Villa der Zenobia (S.
417424 mit Anm. 2240) allenfalls von wissenschaftsgeschichtlichem Interesse
sein.
Hartmanns
Monographie ist ein Beispiel dafür, dass selbst in einem abgegrenzten Gebiet wie der
Alten Geschichte Beschränkungen auf ein Spezialgebiet möglich sind. Bevor nicht neue
Primärquellen auftauchen, werden sich zu den vom Verfasser untersuchten Punkten wohl kaum
neue Aspekte finden lassen. Die Kehrseite einer derartigen Spezialisierung sind einzelne
Ungenauigkeiten bei Fragen, die ein wenig abseits des vom Autor behandelten Themas liegen.
So wäre es zu begrüssen gewesen, wenn er den letzten Partherkönig nicht, wie es vor
fünfzig oder hundert Jahren üblich war, als Artaban V. bezeichnet hätte (S. 65f.). Dass
die arsakidische Königsliste nicht mehr als vier regierende Artabanoi aufweist, ist heute
allgemein anerkannt (vgl. z.B. AMI 24, 1991, S. 7881; DNP 2, s.v. Artabanos 4) ff.).
Hartmann hat seine Zählung möglicherweise dem Werk von Percy Gardner (The Coinage of
Parthia) entnommen, das im Verzeichnis der Primärquellen in einer Ausgabe Chicago
1967 aufgelistet ist. Hiermit wird eine nicht vorhandene Aktualität suggeriert: Das
Original erschien 1877 in London. In den weiteren Umkreis der parthischen Geschichte
gehört auch das Schicksal einer Königin, die ebenfalls Zenobia hiess (vgl. zu ihr z.B.
AMI 27, 1994, 223ff.). Da durchaus die Gefahr einer Verwechslung, insbesondere in der
europäischen Rezeptionsgeschichte, besteht, erscheint der in Appendix II, S. 473, Anm. 15
versteckte Hinweis Hartmanns auf diese Gestalt etwas mager. Auch war sie nicht, wie dort
angegeben, eine armenische Prinzessin, sondern eine armenische Königsgemahlin
kaukasisch-iberischer Herkunft. Dass schliesslich der Geschichtsschreiber Iordanes mit
einem gleichnamigen Bischof von Croton identisch gewesen sei (S. 18, Anm. 7), wird heute
nicht mehr angenommen (A. Schwarcz, LexMA 5, 1991, Sp. 626f. s.v. Jordanes).
Keiner der
angeführten Kritikpunkte soll jedoch den Wert der Untersuchung schmälern, die einen
bedeutenden Beitrag zur Wissenschaft darstellt. Es ist vielmehr zu wünschen, dass sie in
Gesamtdarstellungen der römischen Kaiserzeit, der Reichskrise und der
Spätantike sowie in den Fachenzyklopädien ihre angemessene Berücksichtigung findet.
Martin Schottky,
Pretzfeld