Richard Klein: Pedro Barceló, Constantius II. und seine Zeit

Pedro Barceló: Constantius II. und seine Zeit. Die Anfänge des Staatskirchentums. Stuttgart: Klett-Cotta 2004. 276 S. Euro 25. ISBN 3-608-94046-4.


Es ist sicherlich ein Wagnis, über den in der Forschung noch immer weithin verkannten Constantinsohn erstmalig eine Biographie zu schreiben, da einem solchen Ansinnen beinahe unüberwindliche Schwierigkeiten entgegenstehen, zeichnen doch sowohl der heidnische Historiker Ammian wie auch die führenden Vertreter der kirchlichen Bischofspartei ein höchst einseitiges, bisweilen sogar gehässiges Bild von diesem Kaiser. Während ersterer Constantius als dunkle Folie für den von ihm zum Idelabild hochstilisierten Julian benützt, können die führenden kirchlichen Vertreter der Zeit, allen voran der streitbare alexandrinische Bischof Athanasius, ihm sein Eintreten für ihre „arianischen“ Widersacher nicht verzeihen. So muß es für den Potsdamer Althistoriker in dieser „biographischen Skizze“ vornehmlich darum gehen, seinen Helden aus dieser zweifachen perspektivischen Verzerrung zu lösen, und aus vielen Mosaiksteinchen ein Porträt von dessen Persönlichkeit zu entwerfen, wie es im Vorwort heißt, das "ihn in seiner ganzen Zielstrebigkeit und Widersprüchlichkeit erfasst". Der Verfasser dürfte sich wohl von vornherein im Klaren gewesen sein, dass ihm dies aufgrund des fast vollständigen Fehlens objektiver Quellen über den „Verkannten Kaiser“ (Kap. 1) nur ungenügend gelingen konnte. Methodisch wählt er hierfür ein chronologisches Vorgehen in kleinen Schritten, wodurch allerdings wegen des ständigen Wechsels der Schauplätze und der jeweiligen politischen Verpflichtungen kein thematisch ausgerichtetes Gesamtbild entstehen kann, von dabei notwendigerweise auftretenden Wiederholungen ganz zu schweigen. Dies ist auch deswegen der Fall, weil sich B. im wesentlichen auf eine kompilatorische Aneinanderreihung von Ereignissen beschränkt und relativ selten die Quellen selbst sprechen lässt bzw. argumentativ abwägend vorgeht.

Die detailreiche Schilderung beginnt mit einem kurzen Rückblick auf „Das Reich Constantins des Großen“ (Kap. 2), der seinem Sohn trotz der Konsolidierung auf vielen Gebieten zwei ungelöste Probleme hinterließ, die Constantius zeitlebens beschäftigten, nämlich die Glaubensfrage sowie die Bedrohung der Ostgrenze durch den Perserkönig Schapur II. Auffällig ist, dass das, was in dieser gerafften Zusammenfassung sonst noch angesprochen wird z. B. an rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Problemen, später keine eingehendere Betrachtung mehr erfährt.

In den „Lehrjahren in der unmittelbaren Umgebung des Vaters“ (Kap. 3) werden die wichtigsten Ereignisse während der Herrschaft Constantins referiert, die auch für die Erziehung der Söhne entscheidend gewesen sein dürften, so die immer stärkere Hinwendung zum Christentum (einschließlich einer christlichen Erziehung), der Machtkampf gegen Licinius, der offene Bruch mit der heidnischen Senatspartei in der alten Hauptstadt Rom im Jahre 326 mit dem unterlassenen Gang zum Kapitol (nach Wiemer, gegen Straub), die Familientragödie von 326 mit der Hinrichtung von Mutter und Halbbruder und schließlich die ersten vom Vater verordneten militärischen Kommandos in Gallien und im Orient. Aus all dem folgert B. eine widerstandslose Hinnahme der unbestrittenen Autorität des Famlienoberhauptes durch die Söhne trotz aller Bluttaten und Gewalttätigkeiten, aber auch die Anfänge eines hierarchischen Denkens, das Constantius später ebenso sehr auszeichnete wie das Festhalten am väterlichen Vorbild.

Beim Blick auf die folgende „Neuorientierung“ unmittelbar nach 337 (Kap. 4) glaubt der Verfasser, daß Constantius bei dem bekannten Blutbad von Constantinopel, das zur Beseitigung zahlreicher Angehöriger und Freunde des constantinischen Hauses führte, in die Geschehnisse verstrickt war und von der politischen Verantworung nicht freigesprochen werden kann. Es gibt bekanntlich auch entlastende Deutungen, so dass hier eine genauere Quellenbetrachtung am Platze gewesen wäre. Aus den Ergebnissen der Konferenz der drei Kaisersöhne in Viminacium (338), wo auf Druck des im Westen residierenden Constantin II. auch die Rückkehr des Athanasius von Trier nach Alexandrien beschlossen wurde - daher hier der nachträgliche Rückblick auf den theologischen Streit um den christlichen Gottesbegriff seit Origenes - schließt der Autor zu Recht, dass Constantius tatsächlich seine Macht mit Tatkraft durchzusetzen verstand, da er sich schließlich im Ringen um die Erbmasse des ermordeten Dalmatius Thrakien einschließlich Konstantinopel einverleiben konnte.

Der Abschnitt über die „Zeit der Bewährung als Augustus des Ostens“ (Kap. 5) zeigt erstmals das wiederholte Umschalten zwischen Außen- und Religionspolitik, da hier neben der Sicherung der Ostgrenze (erfolgreiche Wiedergewinnung Armeniens und Entsatz von Nisibis) ausführlich über die Rückkehr des stets machtbewußten Athanasius in die ägytische Hauptstadt und die daraus entstandenen Unruhen zu berichten ist. Mit Interesse und Zustimmung liest man die Ausführungen über die weitaus schwierigere Stellung der drei Kaiser in religiösen Zwistigkeiten infolge der „Änderung der Spielregeln“, da sie jeweils von einer Bischofspartei gewonnen werden konnten, im Vergleich zu Constantin als alleinigem, allseits anerkanntem Schiedsrichter. Richtig ist auch, dass Athanasius es später geschickt verstand, seine machtpolitischen Spiele jeweils mit einem angeblichen Eintreten für das rechte Glaubensbekenntnis zu verknüpfen, wofür in diesen frühen Jahren durchaus keine Begründung gegeben war.

Auch anschließend während der „Zweierherrschaft zwischen Kirchenkampf und Außenpolitik“ (Kap. 6), also zwischen 340 und 350, sieht B. den Ostkaiser zu einem Balanceakt und einem vorsichtigen Taktieren gegenüber den weitreichenden Forderungen des Constans nach dem letztlich missglückten Konzil von Serdica (B. entscheidet sich für das Jahr 343) wegen der steten Persergefahr gezwungen (verlustreiche Schlacht von Singara). Aber auch hier ist das Nachgeben des Constantius gegenüber der erneuten Rückkehr des Athanasius, kein Zeichen von Schwäche, so B. zutreffend, sondern eher als kaiserlicher Gnadenakt und erfolgreicher Versuch zu verstehen, die brüderliche Eintracht aufrechtzuerhalten.

Ausführlich wird hierauf der „Sieg über die Usurpatoren“ (Kap. 7) bis zum Aufstieg des Constantius als Augustus des Gesamtreiches gewürdigt, so im einzelnen der klug vorbereitete und daher erfolgreiche Feldzug gegen Magnentius und vorher schon der Erfolg gegen Vetranio, über dessen zwielichtige Rolle in der Forschung die Zweifel noch immer nicht ausgeräumt sind. War es ein Einverständnis mit Constantius von Anfang an oder ein späterer freiwilliger Verzicht aufgrund des beherzten Eingreifens der Kaiserschwester Constantina? Diplomatie, Propaganda, Bestechung, Einschüchterung, all das hat nach B. eine nicht unwesentliche Rolle gespielt (nach Bleckmann). Erfreulich auch, dass er das Verharren im Gebet während der blutigen Schlacht von Mursa nicht als Feigheit eines bigotten Herrschers interpretiert, wie es häufig geschieht, und ebenso das wiederholte Angebot von Verhandlungen an den westlichen Usurpator würdigt, um ein Blutbad zu vermeiden. Dagegen hätte man sich das hier nur am Rande erwähnte Lob über eine „von Pflichtbewusstsein getragene Amtsführung“ aufgrund einer überlegten Personalpolitik etwas konkreter gewünscht, über die Bestellung seines Neffen Gallus zum Mitherrscher im Osten hinaus.

Mit „Feldherr und Staatsmann. Constantius im Westen“ ist Kap. 8 überschrieben. B. beschäftigt sich dabei zunächst mit den Synoden von Arles vom J. 353 (darüber allerdings schon im vorangehenden Abschnitt) und Mailand vom J. 355, wo die gegen Athanasius erhobenen Beschuldigungen wie auch Charakter und Verhalten der ihn unterstützenden und ebenfalls verbannten Bischöfe (mit ihren Klagen gegen den Kaiser) erheblich mehr Material geboten hätten. Das gilt insbesondere für Lucifer von Calaris, der aufgrund der Konzilsbeschlüsse von Mailand eine Reihe von glühenden Invektiven gegen Constantius verfaßte (darüber hört man gar nichts), aber ebenso für Liberius, über dessen denkwürdige Unterredung mit Constantius doch ein wertvolles Protokoll erhalten ist (Theodoret, hist. eccl. 2,16), das im Gegensatz zu der freimütigen Rede, die Athanasius den römischen Bischof vor dem Herrscher halten lässt (hist. Ar: 35 ff.), weitgehend für echt gehalten wird.

Ist hier bereits von dem erfolgreichen Kampf des Kaisers gegen die Alemannen am Oberrhein die Rede, so spielen diese kriegerischen Auseinandersetzungen im anschließenden Juliankapitel „Unter den Auspizien Constantius' II.“ (Kap. 9) eine zentrale Rolle. Zutreffend beurteilt wird hier trotz aller bei Ammian greifbaren Ruhmredigkeit Julians, dass dieser nur unter der behutsamen Leitung des kaiserlichen Vetters seine nennenswerten Erfolge, so auch den Sieg von Straßburg, erreichen konnte.

Recht kurz ist der „Rombesuch des Constantius“ (Kap. 10) ausgefallen (nach Ammians berühmtem ersten Romexkurs 16,10) mit der zusätzlichen Überschrift „Glanz und Nostalgie“. Natürlich stehen im Mittelpunkt der feierliche Einzug in Rom sowie das zeitweise Abrücken von der strengen Heidengesetzgegung der vorangehenden Jahre. Aber etwas mehr über die besondere Stellung Roms in der Spätantike wäre hier doch am Platze gewesen.

Unumgänglich wird der ständige Wechsel der Thematik von Außen- und Kirchenpolitik bei der Schilderung von „Constantius' Aufenthalt im Donauraum“ (Kap. 11), da hier die erfolgreichen Feldzüge in den Sommermonaten von 357 bis 359 gegen Markomannen, Quaden und Sarmaten (mit dem Vernichtungsfeldzug gegen die Lentienser) ebenso in den Blick rücken wie die Synoden von Sirmium in den jeweiligen Wintermonaten mit den unterschiedlichen Glaubensformeln, die von dem auf Ausgleich zwischen den streitenden Parteien bedachten Kaiser favorisiert werden.

Ehe es in diesem Bereich zu einem vermeintlich erfolgreichen Abschluß kommt, dürfen „Die Rückschläge und Erfolge“ bei der Verteidigung der Ostgrenze (Kap. 12) nicht fehlen, wo selbst der Verlust von Amida, Singara und Bezabde den Verfasser zu Recht nicht von einem vorsichtig positiven Urteil über die behutsame Strategie gegen Schapur abbringen (trotz der negativen Schilderung des Augenzeugen Ammian), da vom großsprecherischen Anspruch Schapurs am Ende kaum mehr etwas übrig bleibt.

Um die abschließenden Synoden von Ariminum und Seleukia (im Jahre 359) für die westlichen bzw. östlichen kirchlichen Würdenträger und von Konstantinopel (im Jahre 360) als krönendem Abschluß geht es unter den sprechenden Überschrift „Die verordnete Glaubensformel. Trugbild religiöser Eintracht“ (Kap. 13). Als sprechenden Beleg für die besonders von westlicher Seite als unerträglicher Zwang empfundene, vom Kaiser reichsweit angeordnete Glaubensformel hätten sich einige Sätze von Hilarius von Poitiers nicht nur aus dessen noch immer relativ gemäßigter Schrift „Ad Constantium“, sondern vielmehr aus dem leidenschaftlichen Pamphlet „Contra Constantium“ gegen den Kaiser als Antichrist und Totengräber der Kirchenfreiheit angeboten. Was am Ende über das Religionsverständnis des Constantius und die daraus sich ergebenden praktischen Folgen noch gesagt wird, hätte man freilich schon früher erwartet.

Schließlich schenkt der Leser den wenigen Seiten über „Julian Augustus. Eine vorhersehbare Entwicklung“ (Kap. 14) deswegen besondere Aufmerksamkeit, weil hier das unterschiedliche Glaubensverständnis der beiden Kontrahenten auf den Nenner gebracht wird, dass der Throninhaber gegen die christliche Umklammerung gar keine andere Wahl gehabt habe,1 während der Usurpator von dem Bewusstsein der Auserwähltheit als Schirmherr der altrömischen Religion getragen gewesen sei.2 Dabei spürt der Verfasser allerdings selbst, dass er sich auf recht spekulativem Boden bewegt. Sympathisch ist allerdings, dass er sich von Julians tendenziöser Großsprecherei (etwa im Brief an die Athener) gegenüber dem bis zuletzt verantwortungsbewusst handelnden Constantius nicht blenden lässt.

Als Zusammenfassung ist das letzte Kapitel 15 über den „Imperator Christianissimus als Zukunftsmodell römischen Kaisertums“ gedacht, wo es doch etwas zu bescheiden heißt, dass nunmehr der christlich gewordene Kaiser aus einem Gestalter zu einem Moderator geworden sei. Aber liegt nicht die Tragik des Constantius darin, dass sich zu seiner Zeit noch keine Glaubensrichtung und kein Glaubenssymbol als vorherrschend herauskristallisiert hatten wie zur Zeit des Theodosius das (weitergeführte) Nicaenum. Hätte es dieses schon 20 Jahre früher gegeben, wäre Constantius nicht dem Odium eines arianischen Häretikers und Tyrannen anheimgefallen, sondern hätte das Prädikat eines allseits anerkannten und hochgelobten imperator christianissimus erhalten. Ohne allen Zweifel richtig liegt B. indes, wenn er am Ende meint, dass eine Rückkehr zum heidnischen Polytheismus nicht mehr möglich war (dies war die völlige Fehleinschätzung Julians) und noch mehr, dass die Parteinahme für die christliche Kirche Maßstäbe gesetzt hatte, an denen sich seine Nachfolger messen lassen mussten.

Insgesamt lässt sich resümieren: Auch wenn wegen der speziellen Vorgehensweise kein Gesamtbild über die Zeit des Constantius entstehen konnte (wie es der Titel verspricht), so erscheint das Wagnis einer ersten Biographie über diesen bis heute verkannten Herrscher im Ganzen doch gelungen. Man hat nunmehr ein weitaus zuverlässigeres Porträt des Menschen und Politikers Constantius zur Hand, als es die antiken Quellen gezeichnet haben.3

Richard Klein, Wendelstein
RiKle@gmx.net


1 Wollte er das überhaupt?

2 Es waren doch im wesentlichen die griechische Tradition und die östlichen Mysterienkulte, die Julians Denken bestimmten, während die speziell römischen Kulte bei ihm kaum eine Rolle spielen.

3 S. 250 Anm. 22 muss es Araskios (nicht Arakios) bei dem Oberpriester von Galatien heißen.


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