Andrea Scheithauer: Kaiserliche Bautätigkeit in Rom. Das Echo in der antiken Literatur. Stuttgart: Steiner, 2000 (Heidelberger Althistorische Studien und Epigraphische Beiträge 32). 338 S. DM 120,00. ISBN 3-515-07465-1.

In den letzten Jahren ist das Wissen über die urbane Entwicklung Roms durch systematische Überblicke wie Frank Kolbs "Rom. Die Geschichte der Stadt in der Antike" (München 1995) oder durch die bewundernswerte Enzyklopädie des Lexicon Topographicum Urbis Romae (LTUR) [1] in entscheidender Weise gefördert worden. Ergänzt werden diese Werke durch knappe, thesenhafte Denkanstöße, wie Paul Zankers "Der Kaiser baut fürs Volk"[2], oder wichtige Untersuchungen zu einzelnen Baukomplexen, beispielsweise zum Augustusforum[3], nicht zu vergessen durch die zu erwartenden Ergebnisse der aktuellen Ausgrabungen im Bereich der Kaiserforen[4]. In die Reihe dieser Bemühungen stellt sich auch Andrea Scheithauers[5] Buch, ursprünglich eine bei Géza Alföldy entstandene Heidelberger Habilitationsschrift aus dem Jahr 1994.


Man wird der Arbeit wohl am ehesten gerecht, wenn man sie als eine Art von Katalog, der in zusammenhängendem Text verfaßt ist, begreift, mit dem ein Überblick geboten wird über die städtebauliche Tätigkeit der römischen Herrscher, ihrer Familienangehörigen und Vertrauten für die Zeit zwischen Augustus und Konstantin, bevor also durch die Machtübernahme des Christentums auch eine neue Ära der römischen Topographie begann.[6]

Um es vorweg zu sagen: Was hier vorgelegt ist, zeugt von großem Fleiß und Leseeifer. Dem Rezensenten ist bei der Lektüre kein wichtiges Bauwerk aufgefallen, das nicht erwähnt wäre (auch nicht literarisch, sondern nur epigraphisch oder archäologisch bezeugte Bauwerke sind behandelt). Daß angesichts dieser Fülle und dieses zeitlichen Umfangs die Sekundärliteratur zu den jeweiligen Autoren nur in Auswahl berücksichtigt werden konnte, versteht sich von selbst. Daß sich die Fertigstellung des Buches und des LTUR zeitlich überschnitten, ist bedauerlich. Doch fragte sich der Rezensent bei der Lektüre mitunter, ob die für die lange, katalogartige Reihung verwendete Mühe nicht auf Gemeinschaftsunternehmen wie das LTUR übertragen werden und die gewonnene Arbeitskapazität besser für die exemplarische Betrachtung, etwa für mentalitätsgeschichtliche Überlegungen oder für die Frage nach dem Verhältnis von literarischer Anspielung und expliziter Erwähnung in der von Fiktionalität konstitutiv geprägten Dichtung hätte genutzt werden können. Mit Ausnahme nämlich von Lucans Beschreibung des Palastes von Alexandria (10, 111ff.), der die aktuellen Erfahrungen mit Neros domus aurea widerspiegelt (238), sind solche indirekten Zeugnisse nicht behandelt.[7] Doch für die jeweiligen Zeitgenossen dürften sie von größerem Reiz gewesen sein als die namentlichen Erwähnungen ohnehin bekannter Bauten.[8] Denn die lateinische Literatur war zu einem großen Teil stadtrömische Literatur, die sich der Gemeinsamkeit des Wahrnehmungshorizonts mit dem primär intendierten Publikum gewiß sein konnte. So läßt sich beispielsweise plausibel erklären, warum Ovid in den Fasti die Ara Pacis nicht in einer Ekphrasis behandelt (was selbstverständlich möglich und denkbar gewesen wäre), sondern ihre Erwähnung zu einer allgemeinen Betrachtung über den Frieden in der augusteischen Zeit nützt.[9]

Damit zurück zu dem, was das Buch bieten will: Nach einer kurzen Skizze der Quellenlage beginnt Scheithauer mit der Zeit des Augustus, die gleich die am ausführlichsten gewürdigte Epoche darstellt, da dafür auch die Quellenlage quantitativ am besten ist. Dabei konfrontiert sie die Fremdüberlieferung mit den Res gestae des Augustus, der viel stärker auch auf die infrastrukturellen Maßnahmen abgehoben hatte, während sich die Literatur naturgemäß eher auf die Glanzlichter des Bauprogramms - die aurea Roma - konzentrierte. In insgesamt sieben Kapiteln geht die Verfasserin sodann chronologisch die Reihe der Herrscher und ihrer Angehörigen durch, das achte und letzte Kapitel (221-286) versucht dann eine systematische Schlußbilanz zu ziehen: "Bauten und Publikum: die Kriterien für die Beurteilung der kaiserlichen Bautätigkeit". Die überlieferten Reaktionen auf die Baumaßnahmen waren meist positiv, allerdings stammt das Quellenmaterial fast durchgängig von Autoren der Oberschicht, Zeugnisse wie die versus populares über die domus aurea (116)[10] sind selten erhalten. Scheithauer findet folgende Kategorien, unter die sich die überlieferten Beurteilungen rubrizieren lassen: ästhetische Gesichtspunkte, moralische Bewertungen (z.B. die Sorge für die Bürger), Freigebigkeit (liberalitas), religiöse Aspekte (etwa die in Tempelbauten zutage tretende pietas), Lebensqualität (z.B. infrastrukturelle Maßnahmen wie Wasserleitungen und Straßen), ideologisch-politische Gesichtspunkte (z.B. die Betonung des dynastischen Gedankens), Epochenspezifisches (gemeint sind aktuelle politische Konstellationen, ansonsten bleiben die Beurteilungskriterien über die Jahrhunderte erstaunlich stabil), Funktionales (eher selten erwähnt, was nicht weiter erstaunlich ist: daß beispielsweise Grabmonumente zu Begräbnissen dienten, muß für Augenzeugen kaum eigens erwähnt werden), standesspezifische Beurteilungen (wiederum vor allem die Perspektive der Oberschicht, die ärmeren Bevölkerungsschichten kamen kaum zu Wort) und schließlich indirekte Urteile durch Dritten in den Mund gelegte Zitate.

Zusammenfassung: Andrea Scheithauers Buch ist eine solide Arbeit, die die selbst gestellten Anforderungen erfüllt, allerdings auch wenige Überraschungen birgt. Ihr Verdienst liegt darin, ein Nachschlagewerk geschaffen zu haben, das neben den eingangs genannten Werken den Zugang zur römischen Topographie erleichtert und für weitergehende Fragen öffnet. Daß ein solches Buch wohl meist über das Register benützt und nur in seltenen Fällen linear durchgelesen wird, gehört zu den mit dem gewählten Zugangsweg verbundenen Unabänderlichkeiten.


Anmerkungen


[1] Eva Margareta Steinby (Hg.): Lexicon Topographicum Urbis Romae. 6 Bände. Roma 1993-2000; dazu U. Schmitzer, Gymnasium 107, 2000, 184-186.

[2] Opladen 1997, dazu U. Schmitzer, Gymnasium 107, 2000, 78-80.

[3] M. Spannagel: Exemplaria Principis. Untersuchungen zu Entstehung und Ausstattung des Augustus-Forums. Heidelberg 1999; J. Ganzert: Im Allerheiligsten des Augustusforums. Fokus oikoumenischer Akkulturation. Mainz 2000.

[4] Siehe einstweilen http://www.traiano.com, http://www.comune.roma.it/cultura/italiano/musei_spazi_espositivi/musei/museo_fori/menu.htm und http://www.capitolium.org/

[5] http://www.uni-heidelberg.de/institute/fak8/sag/htmls/SCHEITHA.html

[6] J. Curran: Pagan City and Christian Capital. Rome in the Fourth Century. Oxford 2000, dazu U. Schmitzer, Plekos 2001.

[7] Vgl. z.B. C.J. Simpson: "Unexpected" References to the Horologium Augusti at Ovid Ars amatoria 1,68 and 3,338. Athenaeum 80, 1992, 478-484; bei Scheithauer dagegen sind keine zeitgenössischen Autoren genannt, sondern nur Plinius maior und Dio.

[8] Für solche indirekten Wirkungen ein knapp skizziertes Beispiel: Scheithauer erwähnt die Victoria-Statue, die aus Anlaß des Sieges von Actium in der curia Iulia aufgestellt wurde, und gibt dafür Dio und Plinius, also zwei nachaugusteische Autoren als Beleg. Nun scheint aber in der poetologisch und politisch hochbrisanten Arachne-Erzählung aus Ovids Metamorphosen (6, 1-155) ein Reflex (und damit ein zeitnäheres Zeugnis) für die Wirkung dieser Statue zu finden sein: Minerva schmückt den von ihr gewebten Teppich mit Szenen, in denen die Götter in augusta gravitas erscheinen und die mythologisch-allegorische Anspielungen auf die römischen Bürgerkriege enthalten. Victoria operis finis: Die Bürgerkriegsdarstellungen werden genauso durch Victoria (in der bildlichen Wiedergabe) beendet wie die realen Bürgerkriege durch den Sieg und die Statue der Siegesgöttin.

[9] Siehe zu solchen Fragen ausführlicher U. Schmitzer: Literarische Städteführungen von Homer bis Ammianus Marcellinus und Petrarca. Gymnasium 107, 2001 (im Erscheinen).

[10] Bisweilen verwundern die Urteile über die antiken Autoren, wenn etwa Martial ein "soziales Bewußtsein" attestiert wird, weil er am für die domus aurea getriebenen Aufwand kritisiert, daß Wohngebäude für die ärmeren Bevölkerungsschichten geopfert wurden. Ein Blick auf Martials Gesamtwerk zeigt, daß von einer solchen Grundhaltung nicht die Rede sein kann, daß dieser Aspekt vielmehr nur instrumentalisiert wurde, um einen weiteren Angriffspunkt gegenüber Nero zu finden und diesen noch negativer gegen die Flavier abzuheben.