In den letzten Jahren ist das Wissen über die urbane Entwicklung Roms durch systematische Überblicke wie Frank Kolbs "Rom. Die Geschichte der Stadt in der Antike" (München 1995) oder durch die bewundernswerte Enzyklopädie des Lexicon Topographicum Urbis Romae (LTUR) [1] in entscheidender Weise gefördert worden. Ergänzt werden diese Werke durch knappe, thesenhafte Denkanstöße, wie Paul Zankers "Der Kaiser baut fürs Volk"[2], oder wichtige Untersuchungen zu einzelnen Baukomplexen, beispielsweise zum Augustusforum[3], nicht zu vergessen durch die zu erwartenden Ergebnisse der aktuellen Ausgrabungen im Bereich der Kaiserforen[4]. In die Reihe dieser Bemühungen stellt sich auch Andrea Scheithauers[5] Buch, ursprünglich eine bei Géza Alföldy entstandene Heidelberger Habilitationsschrift aus dem Jahr 1994.
Man wird der Arbeit wohl am ehesten gerecht, wenn man sie als eine Art von Katalog, der in
zusammenhängendem Text verfaßt ist, begreift, mit dem ein Überblick geboten wird über
die städtebauliche Tätigkeit der römischen Herrscher, ihrer Familienangehörigen und
Vertrauten für die Zeit zwischen Augustus und Konstantin, bevor also durch die
Machtübernahme des Christentums auch eine neue Ära der römischen Topographie begann.[6]
Um es vorweg zu sagen: Was hier vorgelegt ist, zeugt von großem
Fleiß und Leseeifer. Dem Rezensenten ist bei der Lektüre kein wichtiges Bauwerk
aufgefallen, das nicht erwähnt wäre (auch nicht literarisch, sondern nur epigraphisch
oder archäologisch bezeugte Bauwerke sind behandelt). Daß angesichts dieser Fülle und
dieses zeitlichen Umfangs die Sekundärliteratur zu den jeweiligen Autoren nur in Auswahl
berücksichtigt werden konnte, versteht sich von selbst. Daß sich die Fertigstellung des
Buches und des LTUR zeitlich überschnitten, ist bedauerlich. Doch fragte sich der
Rezensent bei der Lektüre mitunter, ob die für die lange, katalogartige Reihung
verwendete Mühe nicht auf Gemeinschaftsunternehmen wie das LTUR übertragen werden und
die gewonnene Arbeitskapazität besser für die exemplarische Betrachtung, etwa für
mentalitätsgeschichtliche Überlegungen oder für die Frage nach dem Verhältnis von
literarischer Anspielung und expliziter Erwähnung in der von Fiktionalität konstitutiv
geprägten Dichtung hätte genutzt werden können. Mit Ausnahme nämlich von Lucans
Beschreibung des Palastes von Alexandria (10, 111ff.), der die aktuellen Erfahrungen mit
Neros domus aurea widerspiegelt (238), sind solche indirekten Zeugnisse nicht
behandelt.[7] Doch für die
jeweiligen Zeitgenossen dürften sie von größerem Reiz gewesen sein als die namentlichen
Erwähnungen ohnehin bekannter Bauten.[8]
Denn die lateinische Literatur war zu einem großen Teil stadtrömische Literatur,
die sich der Gemeinsamkeit des Wahrnehmungshorizonts mit dem primär intendierten Publikum
gewiß sein konnte. So läßt sich beispielsweise plausibel erklären, warum Ovid in den Fasti
die Ara Pacis nicht in einer Ekphrasis behandelt (was selbstverständlich möglich
und denkbar gewesen wäre), sondern ihre Erwähnung zu einer allgemeinen Betrachtung über
den Frieden in der augusteischen Zeit nützt.[9]
Damit zurück zu dem, was das Buch bieten will: Nach einer kurzen
Skizze der Quellenlage beginnt Scheithauer mit der Zeit des Augustus, die gleich die am
ausführlichsten gewürdigte Epoche darstellt, da dafür auch die Quellenlage quantitativ
am besten ist. Dabei konfrontiert sie die Fremdüberlieferung mit den Res gestae
des Augustus, der viel stärker auch auf die infrastrukturellen Maßnahmen abgehoben
hatte, während sich die Literatur naturgemäß eher auf die Glanzlichter des Bauprogramms
- die aurea Roma - konzentrierte. In insgesamt sieben Kapiteln geht die Verfasserin
sodann chronologisch die Reihe der Herrscher und ihrer Angehörigen durch, das achte und
letzte Kapitel (221-286) versucht dann eine systematische Schlußbilanz zu ziehen:
"Bauten und Publikum: die Kriterien für die Beurteilung der kaiserlichen
Bautätigkeit". Die überlieferten Reaktionen auf die Baumaßnahmen waren meist
positiv, allerdings stammt das Quellenmaterial fast durchgängig von Autoren der
Oberschicht, Zeugnisse wie die versus populares über die domus aurea (116)[10] sind selten erhalten. Scheithauer
findet folgende Kategorien, unter die sich die überlieferten Beurteilungen rubrizieren
lassen: ästhetische Gesichtspunkte, moralische Bewertungen (z.B. die Sorge für die
Bürger), Freigebigkeit (liberalitas), religiöse Aspekte (etwa die in Tempelbauten
zutage tretende pietas), Lebensqualität (z.B. infrastrukturelle Maßnahmen wie
Wasserleitungen und Straßen), ideologisch-politische Gesichtspunkte (z.B. die Betonung
des dynastischen Gedankens), Epochenspezifisches (gemeint sind aktuelle politische
Konstellationen, ansonsten bleiben die Beurteilungskriterien über die Jahrhunderte
erstaunlich stabil), Funktionales (eher selten erwähnt, was nicht weiter erstaunlich ist:
daß beispielsweise Grabmonumente zu Begräbnissen dienten, muß für Augenzeugen kaum
eigens erwähnt werden), standesspezifische Beurteilungen (wiederum vor allem die
Perspektive der Oberschicht, die ärmeren Bevölkerungsschichten kamen kaum zu Wort) und
schließlich indirekte Urteile durch Dritten in den Mund gelegte Zitate.
Zusammenfassung: Andrea Scheithauers Buch ist eine solide Arbeit, die die selbst gestellten Anforderungen erfüllt, allerdings auch wenige Überraschungen birgt. Ihr Verdienst liegt darin, ein Nachschlagewerk geschaffen zu haben, das neben den eingangs genannten Werken den Zugang zur römischen Topographie erleichtert und für weitergehende Fragen öffnet. Daß ein solches Buch wohl meist über das Register benützt und nur in seltenen Fällen linear durchgelesen wird, gehört zu den mit dem gewählten Zugangsweg verbundenen Unabänderlichkeiten.
Ulrich Schmitzer | uhschmit@phil.uni-erlangen |
Universität Erlangen-Nürnberg | http://www.phil.uni-erlangen.de/~p2latein/personal/ushome.html |
Anmerkungen
[2]
Opladen 1997, dazu U. Schmitzer, Gymnasium 107, 2000, 78-80.
[3]
M. Spannagel: Exemplaria Principis. Untersuchungen zu Entstehung und Ausstattung des
Augustus-Forums. Heidelberg 1999; J. Ganzert: Im Allerheiligsten des Augustusforums. Fokus
oikoumenischer Akkulturation. Mainz 2000.
[4]
Siehe einstweilen http://www.traiano.com, http://www.comune.roma.it/cultura/italiano/musei_spazi_espositivi/musei/museo_fori/menu.htm
und http://www.capitolium.org/
[5] http://www.uni-heidelberg.de/institute/fak8/sag/htmls/SCHEITHA.html
[6]
J. Curran: Pagan City and Christian Capital. Rome in the Fourth Century. Oxford 2000, dazu
U. Schmitzer, Plekos 2001.
[7]
Vgl. z.B. C.J. Simpson: "Unexpected" References to the Horologium Augusti at
Ovid Ars amatoria 1,68 and 3,338. Athenaeum 80, 1992, 478-484; bei Scheithauer dagegen
sind keine zeitgenössischen Autoren genannt, sondern nur Plinius maior und Dio.
[8]
Für solche indirekten Wirkungen ein knapp skizziertes Beispiel: Scheithauer erwähnt die
Victoria-Statue, die aus Anlaß des Sieges von Actium in der curia Iulia aufgestellt
wurde, und gibt dafür Dio und Plinius, also zwei nachaugusteische Autoren als Beleg. Nun
scheint aber in der poetologisch und politisch hochbrisanten Arachne-Erzählung aus Ovids
Metamorphosen (6, 1-155) ein Reflex (und damit ein zeitnäheres Zeugnis) für die Wirkung
dieser Statue zu finden sein: Minerva schmückt den von ihr gewebten Teppich mit Szenen,
in denen die Götter in augusta gravitas erscheinen und die
mythologisch-allegorische Anspielungen auf die römischen Bürgerkriege enthalten. Victoria
operis finis: Die Bürgerkriegsdarstellungen werden genauso durch Victoria (in der
bildlichen Wiedergabe) beendet wie die realen Bürgerkriege durch den Sieg und die Statue
der Siegesgöttin.
[9]
Siehe zu solchen Fragen ausführlicher U. Schmitzer: Literarische Städteführungen von
Homer bis Ammianus Marcellinus und Petrarca. Gymnasium 107, 2001 (im Erscheinen).
[10]
Bisweilen verwundern die Urteile über die antiken Autoren, wenn etwa Martial ein
"soziales Bewußtsein" attestiert wird, weil er am für die domus aurea
getriebenen Aufwand kritisiert, daß Wohngebäude für die ärmeren Bevölkerungsschichten
geopfert wurden. Ein Blick auf Martials Gesamtwerk zeigt, daß von einer solchen
Grundhaltung nicht die Rede sein kann, daß dieser Aspekt vielmehr nur instrumentalisiert
wurde, um einen weiteren Angriffspunkt gegenüber Nero zu finden und diesen noch negativer
gegen die Flavier abzuheben.