Britta Rabold, Egon Schallmayer, Andreas Thiel: Der Limes. Die Deutsche Limes-Straße vom Rhein bis zur Donau, Stuttgart: Theiss 2000, 160 S., zahlr. Abb., DM 79,--, ISBN 3 8062 1461 1

 

Vorbemerkung: Für die moderne Altertumswissenschaft ist es eine existenzielle Aufgabe, sich ihren Platz im kulturellen Bewußtsein der Zeitgenossen zu sichern. Daher sind alle Publikationen willkommen, die, ohne die solide wissenschaftliche Basis zu verlassen, einem größeren Interessentenkreis die Forschungen und Erkenntnisse altertumswissenschaftlicher Disziplinen vermitteln. Aber auch für die Fachgenossen, die sich rasch über den Stand der Forschung in benachbarten Bereichen ihrer Wissenschaft informieren wollen, sind solche Publikationen hilfreich. Unter diesen beiden Aspekten sollen hier vier Neuerscheinungen des Theiss Verlags besprochen werden, die nicht zuletzt auch dem primär in der Spätantike Forschenden neue Erkenntnisse und Einsichten vermitteln können.


Der von drei Provinzialarchäologen gestaltete Band "Der Limes" vermittelt einen Überblick über den neuesten Stand der Erforschung und des Erhaltungszustandes des größten Bodendenkmals Europas, das auch in die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO aufgenommen werden soll. Einleitend wird ein Überblick gegeben über die Funktion und Aufgabe des Limes zur Römerzeit und über die Erforschung des Denkmals, ausgehend von den Untersuchungen des Hohenloher Archivrats Christian Ernst Hanßelmann im 18. Jh. Während sich dessen Forschungen v.a. auf den württembergischen Raum konzentrierten, hätte für den bayerischen Abschnitt des Rätischen Limes auch auf die schon im 16. Jh. einsetzende Beschäftigung v.a. mit inschriftlichen Funden aus den Limeskastellen durch Aventinus und Peutinger hingewiesen werden können. Ein Blick in die Sammlung Friedrich Vollmers Inscriptiones Baiuariae sive inscriptiones Raetiae adiectis aliquot Noricis Italisque von 1915 dokumentiert gerade die Bemühungen des Aventinus aufs beste. Gewürdigt wird die Tätigkeit der Reichs-Limeskommission, eines wissenschaftlichen Großunternehmens, das wie so manch anderes der deutschen Altertumswissenschaft dem organisatorischen Genie Theodor Mommsens zu verdanken ist. Daran konnte die Arbeit nach dem Krieg anknüpfen. Sie wandte sich u.a. der Erforschung der Holzbauphasen bereits bekannter Kastelle sowie der Zivilsiedlungen zu, die im Zusammenhang mit den Militäranlagen entstanden und die nicht selten in der Topographie der spätantiken und mittelalterlichen Stadtanlagen fortdauern. Gleichzeitig ist die gegenwärtige Forschung charakterisiert durch eine intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit nicht zuletzt mit naturwissenschaftlichen Disziplinen wie Geophysik, Archäobotanik oder prähistorischer Anthropologie. Das einleitende Kapitel bietet ferner einen Überblick über die historische Entwicklung des obergermanisch-rätischen Limes bis in die Jahre 260/70, wobei (22f.) vorsichtig die Möglichkeit einer fortdauernden Siedlungskontinuität angedeutet wird. Zu diesem Problem äußert sich die Althistorie schon dezidierter im Sinne einer bis in die Spätantike reichenden Kontinuitätsphase mit gegenseitiger Beeinflussung und Durchdringung. Auch die jüngsten Forschungen in den Kastellorten am Main (s.u.) weisen in diese Richtung. Auf jeden Fall bahnt sich hier interdisziplinär in Provinzialarchäologie und Alter Geschichte ein Wandel vom Bild des Endes des Imperium Romanum an, das nicht nur den Niedergang und Verfall dokumentiert, sondern auch die sich dabei anbahnenden zukünftigen Entwicklungen sichtbar werden läßt. So kann auch in diesem Bereich, wie im literarischen, die Spätantike als eine Epoche sui generis verstanden werden. An den historischen Abriß schließen sich Ausführungen über die Truppen am Limes und ihre Bewaffnung, über die Form der Nachrichtenübermittlung, über Kastelle, Badeanlagen, Zivilsiedlungen und Gutshöfe an. Eine Literaturauswahl beschließt diese Einleitung.

 

Der Hauptteil umfaßt eine Streckenbeschreibung in 10 Abschnitten. Ausgehend vom caput limitis am Vinxtbach zwischen Bad Hönningen und Rheinbrohl werden Verlauf und Erhaltungszustand des Bodendenkmals beschrieben. Für die Kastelle werden außer dem archäologischen Befund und dem Hinweis auf besonders bemerkenswerte Fundstücke (Statuen, Mosaiken) auch die historischen Fakten, soweit bekannt, und die wichtigsten Grabungsdaten genannt. Jeder Abschnitt schließt in der Regel mit einer Auswahl neuester Publikationen sowie "Tourismus-Tipps", die auf weitere kulturhistorische Sehenswürdigkeiten des jeweiligen Abschnitts verweisen. Besonders ausführlich sind die Abschnitte über die Saalburg (36-43), wobei zur Rekonstruktion und ihrer zeitbedingten Form jetzt die Ausführungen von Hartwig Schmidt (S. 17ff.) eine willkommene Ergänzung bieten. Allerdings wären gerade für das nichtfachliche Publikum Hinweise darauf, inwieweit die Rekonstruktion nicht mehr dem heutigen Forschungsstand entspricht, sicher hilfreich (lediglich im Zusammenhang mit dem Stabsgebäude wird auf eine nicht korrekte Rekonstruktion verwiesen). Größere Abschnitte sind ferner Osterburken (78-82), Aalen und seinem Limesmuseum 102-107), Weißenburg (123-128), Eining (145-147) und Regensburg (153-157) gewidmet. Der Verein Deutsche Limesstraße als Herausgeber des Bandes (die Mitgliedsgemeinden sind im Anhang genannt) verfolgt legitimer Weise primär touristische Interessen. Durch die wissenschaftliche Kompetenz der Autoren, die unprätentiöse Darstellungsweise, durch eine hervorragende Bebilderung (Fotos von Originalen und Modellen, Straßen- und Wanderkartenausschnitte, Strichzeichnungen) sowie durch die ergänzenden touristischen Hinweise wird ein Kompendium an Information bereitgestellt, das nicht nur als Begleiter auf Fahrten entlang der 1999 fertig beschilderten Limesstraße gedacht ist, sondern auch die Vor- und Nachbereitung solcher Fahrten zu einem Vergnügen macht. Altertumswissenschaftliche Forschung wird auf diese Weise in ansprechender Form der Öffentlichkeit präsentiert. Gleichzeitig steht diese Publikation im Dienste des Denkmalschutzes, worauf im Geleitwort nachdrücklich hingewiesen wird.

 

Da der Band den gesamten Limes umfaßt, war eine Konzentration auf Wesentliches unumgänglich, umfaßte doch die gesamte Anlage etwa 900 Wachposten und mehr als 60 der mittlerweile im südwestdeutschen Raum bekannten über 170 Kastelle. Dargestellt sind in erster Linie die noch sichtbaren Reste des Bodendenkmals, während nur durch Messungen, Grabungen oder Luftbildarchäologie erschlossene Anlagen in der Regel nur knapp, wenn überhaupt, erwähnt werden.  Selektiv ist auch die Literaturauswahl zu den erwähnten Objekten. Wünschenswert wären Angaben zu den Anlagen in Zugmantel, auf dem Feldberg, in Hanau, Großkrotzenburg und Stockstadt, zum wiedereröffneten Pompejanum in Aschaffenburg und zu Öhringen. Im 8. Kapitel `Von der Ostalp zum Fränkischen SeenlandA setzen die Literaturangaben erst mit Ellingen ein. Zu den für Ruffenhofen erwähnten Auswertungen von Luftbildern (113) vgl. jetzt den Beitrag von H. Becker u.a. in: Das archäologische Jahr in Bayern 1999, 56-59.

 


Während die in den ersten drei Kapiteln beschriebene Limesstrecke aus der Sicht der Kontinuität bis in Spätantike und Mittelalter kaum relevant ist, wandelt sich das Bild für den weiteren Verlauf vom Main an. In Großkrotzenburg zeigt der Straßenverlauf der Innenstadt den Umriß des Kastells, römisches Mauerwerk bildet das Fundament mittelalterlicher Häuser (62), in Seligenstadt wurden Steine aus der Kastellruine in die karolingische Einhard-Basilika verbaut (65), die Ortskerne von Niedernberg und Obernburg liegen auf den ehemaligen Kastellen. In Obernburg ist die Kontinuität durch die Namensgebung und fränkische Reihengräber bezeugt (G. Christ in: K. Bosl [Hrsg.], Handbuch der historischen Stätten Deutschlands. 7. Bd. Bayern, Stuttgart 1974, 550), v.a. aber durch den jüngsten Fund einer ins 4. Jh. zu datierenden, wohl aus Italien stammenden Glasschale mit christlichen Motiven, die H. Lüdemann in seinem im Literaturverzeichnis genannten Aufsatz publiziert hat. Für Miltenberg ergibt sich eine ähnliche Kontinuität (L. Wamser, Das archäologische Jahr in Bayern 1989, 160), für Regensburg ist sie seit langem nachgewiesen. Für die Limesstrecke in Württemberg fehlen solche Hinweise, doch geht auch hier die Forschung, bei aller gebotenen Zurückhaltung, von einer gewissen Kontinuität aus; vgl. S. Sommer, Die römischen Zivilsiedlungen in Südwestdeutschland, in: D. Planck (Hrsg.), Archäologie in Württemberg, Stuttgart 1988, 306f.

 

So ansprechend das Buch gestaltet ist, ergeben sich doch aus der Benützung in der Praxis  einige Desiderata: Das Format des Bandes (25 x 30 cm) ist schon für den mit dem Auto Reisenden unhandlich, für den Limeswanderer, der den Hinweisen auf die in den letzten Jahren entstandenen zahlreichen lokalen und überregionalen Limeswanderwege und Römerpfade folgt, kaum brauchbar. Das Kartenmaterial ist primär entsprechend dem Untertitel für den Autofahrer gedacht. Die zahlreichen Hinweise auf mögliche Wanderungen sind jedoch nicht konsequent mit Kartenausschnitten bedacht wie sie S. 36, 57, 87, 97, 108, 131, 139, 150 vorliegen. Die "Tourismus-Tipps" sind unterschiedlich gestaltet. Neben ausführlicheren Angaben und Adressen finden sich solche mit eher dürftigen Hinweisen. So vermißt man etwa S. 56 eine Notiz zu den erregenden Funden vom Glauberg (vgl. z.B. Antike Welt 29, 1998, 345ff.), die wohl ein weiteres altertumskundliches Projekt in dieser Region in Gestalt eines archäologischen Parks nach sich ziehen werden (FAZ 7.11.2000, S. 13).

 

Erfreulicherweise werden wiederholt Inschriften zur Erläuterung herangezogen. Gerade für den an der Antike Interessierten, der nicht selten auch einmal Latein gelernt hat, dürfte es willkommen sein, bei den Inschriften nicht nur eine Übersetzung des lateinischen Textes, sondern auch dessen Umschrift angegeben zu finden. Manchmal fehlt leider beides, etwa bei dem Militärdiplom aus Weißenburg (19), das auch bei Clauss (S. 40f.) vorliegt, oder man begnügt sich mit einer Paraphrase oder einer knappen Inhaltsangabe (S. 35 Weihung für Iulia Mamaea und Severus  Alexander). Umgekehrt sind erklärende Übersetzung lateinischer Titel hilfreich (so S. 54 und wiederholt in der Einleitung), doch fehlen sie häufig bei Titeln, die auch für den des Lateinischen Kundigen nicht immer verständlich sind, wie legatus Augusti pro praetore (14), Numerus Germanicianorum Divitiensium (27) oder Cohors II Augusta Cyrenaica equitata (46), womit gleichzeitig eine Information über die Truppenverschiebungen bzw. Herkunft der Kontigente vermittelt werden könnte. Gleiches gilt für die Ala Indiana Gallorum, die Ala Moesica felix (52), den numerus exploratorum Seiopensium (72) und andere. Bei den Einzelfunden fehlt gelegentlich die Angabe des Aufbewahrungsortes.

 

Zusammenfassung: Insgesamt haben die Autoren einen Band vorgelegt, der dank seiner attraktiven Bebilderung und seines solide informierenden Textes zum Kennenlernen des Limes einlädt und darüber hinaus geeignet ist, das Interesse an der römischen Vergangenheit in Deutschland zu vertiefen.

 

Joachim Gruber, Erlangen-München