Hartwig Schmidt: Archäologische Denkmäler in Deutschland, rekonstruiert und wieder aufgebaut, Stuttgart: Theiss 2000, 160 S., 250 Abb., DM 49,80, ISBN 3 8062 1395 X

 

Rekonstruktion und Wiederaufbau archäologischer Denkmäler sind in der Fachwelt nicht unumstritten. Unbezweifelbar vermag aber eine auf gründliche Bauforschung gestützte ganze oder teilweise Wiederherstellung nicht nur dem interessierten Laien eine Vorstellung zu vermitteln, wie es gewesen ist, sondern auch dem Altertumskundler, der seine Texte als in einer konkreten Umwelt entstanden versteht, wird jede Bemühung einer Nachbardisziplin willkommen sein, in der es darum geht, die reale Lebenswirklichkeit als Sitz dieser Texte zu veranschaulichen. In dem vorliegenden Band wird ein kritischer Überblick über die restaurierten archäologischen Denkmäler in Deutschland vorgelegt. Die Lektüre dieses Bandes, den der Verlag vorbildlich mit Karten, Fotos, historischen Ansichten und Rekonstruktionszeichnungen ausgestattet hat, ist ein Genuß, zumal gerade auch die Schwächen und Versäumnisse einzelner Museumskonzepte und Rekonstruktionen im Widerstreit zwischen archäologisch-denkmalschützerischen Anliegen und den ökonomischen Interessen des Tourismus deutlich gemacht werden. Das einleitende Kapitel befaßt sich in einem historischen Überblick mit den ersten archäologischen und denkmalschützerischen Bemühungen um römische Steinbauten in Deutschland, um daran die grundsätzliche Problematik des Wiederaufbaus antiker Steinbauten an ausgewählten Beispielen von den umstrittenen Rekonstruktionen in Knossos, den Wiederaufbauten in Pompeii und der Attalos-Stoa in Athen bis zur Kopie der Villa dei Papyri in Malibu (Paul Getty-Museum) und der Celsus-Bibliothek in Ephesos zu diskutieren. Von besonderer Problematik nicht nur wegen des Fehlens originaler Materialien ist der Wiederaufbau vor- und frühgeschichtlicher Holzbauten, dem ein eigenes Kapitel gewidmet ist. Nicht nur die Pfahlbauten in Unteruhldingen am Bodensee dokumentieren auch die ideologischen Verflechtungen der in den 20er und 30er Jahren errichteten "Germanengehöfte", die auch eine besondere Kulturhöhe der Germanen propagierten (S. 142), während in der Nachkriegszeit derartige Nachbauten häufig im Rahmen einer experimentellen Archäologie errichtet wurden (Museumsdorf Berlin-Düppel). Die "Konstruktion von Erlebniswelten" (S. 44-47) steht in diesem Zusammenhang. Ein bedeutender Aspekt der Rekonstruktionen ist die archäologische Denkmalpflege. Den verschiedenen Möglichkeiten, mit denen die Denkmalpflege auf Funde und den nicht selten aus wirtschaftlich-touristischen Interessen geforderten Rekonstruktionen reagieren kann, ist ein eigenes Kapitel gewidmet (48-62). Der Autor diskutiert kritisch die verschiedenen Möglichkeiten von der einfachen Konservierung bis hin zum Projekt eines Archäologischen Parks in Xanten ("eine Ansammlung von Baumodellen", S. 58), Kempten (mit spärlichen Grundlagen für die Rekonstruktion, S. 59) und Carnuntum. "Unser Wissen über römische Bautechnik hat sich dadurch nicht vermehrt" (S. 62). Anders steht es mit der "experimentellen Archäologie", die auf wissenschaftlich verwertbare Erkenntnisse gerichtet ist; als ein Hauptvertreter auf dem Gebiet des römischen Militärwesens wird Marcus Junkelmann gewürdigt (S. 63). Einen besonderen Aspekt stellen die wissenschaftlich exakten Kopien dar (Grabkammer des Keltenfürsten von Hochdorf, antike Schiffe).

 


Der zweite Teil des Bandes gibt einen Überblick über die in Deutschland erhaltenen Denkmäler, beginnend mit den vor- und frühgeschichtlichen Freilichtmuseen, bei denen grundsätzlich zwei Konzepte unterschieden werden: die chronologische idealtypische Präsentation der Objekte (wie Asparn an der Zaya in Niederösterreich, das Archéodrome bei Beaune, das Archeon in Alphen a.d. Rhijn bei Leiden oder das Freilichtmuseum in Oerlinghausen, Kreis Lippe, das ausführlicher beschrieben wird) oder die historische Bindung an den Museumsort. Diese findet sich u.a. in Hitzacker (Kreis Lüchow-Dannenberg; S. 71f.), Berlin-Düppel, in Unteruhldingen (S. 75ff.) und am Federsee bei Bad Buchau in Oberschwaben (79f.). Es folgt ein Überblick über die Fundorte der Großsteingräber (81-84) und über die keltischen Grabhügel, Siedlungen und Burgen (85-95), besonders hervorgehoben sind die Anlagen in Hochdorf an der Enz, in Bliesbruck-Reinheim, in Bundenbach (Rheinland-Pfalz) und auf der Heuneburg. Ergänzend zur Liste der Oppidum-Mauern sei auf die Rekonstruktion eines Mauerteils des Oppidums Alkimoennis im Museum der Stadt Kelheim hingewiesen (vgl. Der Limes, S. 148f.).

 

Von besonderem Interesse für die Spätantike sind die beiden Kapitel über "Römerbauten in Deutschland" (96-129) und "Bauten der Völkerwanderungs- und Merowingerzeit" (130-141). Besonders instruktiv für eine kritische Auseinandersetzung mit den zahlreichen Rekonstruktionsversuchen römischer Bauten ist der Abschnitt über die in unterschiedlicher Bauweise (Abb. 149) errichteten Limestürme, die nicht selten mit neuzeitlichen Materialien und in heutiger Bautechnik als touristische Attraktionen errichtet wurden und daher nur einen annähernd richtigen Eindruck vermitteln können (besonders WP 9/64 bei Schwäbisch Hall und ein Turm bei Dill im Hunsrück, dagegen mit wissenschaftlichem Anspruch z.B. WP 9/83 in Grab, WP 14/63 in Erkertshofen). Auch bei der Rekonstruktion einzelner römischer Häuser ist, etwa im Gegensatz zum "Römischen Haus" in Augst bei Basel, die Vernachlässigung römischer Bautechnik und Bauausführung bemerkenswert, so besonders in Tawern und Mehring (Rheinland-Pfalz) und Hechingen-Stein (Baden-Württemberg). Eingehender besprochen sind die Rekonstruktionen der Villa in Borg (Saarland) und der Siedlung in Homburg-Schwarzenacker, verschiedene Projekte in Köln sowie die Eifelwasserleitung. Den Hinweisen auf den archäologischen Park in Kalkriese, dem vermuteten Ort der Varusschlacht (128f.), können jetzt die kritischen Ausführungen von P. Kracht, Antike Welt 31, 2000, 607-610 zur Seite treten. Eher spärlich sind gegenüber den römerzeitlichen Bauten die der Völkerwanderungs- und Merowingerzeit. Wissenschaftlichen Ansprüchen genügen die Nachbauten in Berlin-Hermsdorf, das Projekt eines Germanendorfes in Klein Köris im Spreewald, die sächsische Siedlung von Warendorf in Oerlinghausen, das Sachsengehöft in Greven bei Münster. Die Rekonstruktion von Bauten aus karolingischer und ottonischer Zeit (137-141) betrifft v.a. den slawischen Burgenbau mit seinen großen Ringwällen (Groß Raden in Mecklenburg-Vorpommern) sowie die ottonische Königspfalz Tilleda am Kyffhäuser, deren Wiederaufbauten "eher ein gewisses Unverständnis für frühmittelalterliche Bauweisen" (S. 141) zeigen.

 

Zusammenfassung: Der vorliegende, vorbildlich ausgestattete Band gibt einen informativen Überblick über die rekonstruierten archäologischen Denkmäler in Deutschland. Er setzt sich kritisch nicht nur mit einzelnen Rekonstruktionsversuchen, sondern insbesondere mit dem touristischen Aspekt sog. Museumsdörfer und Freilichtmuseen auseinander. Die Warnung vor "erfundener Archäologie" (144) ist nachdrücklich hervorzuheben. Andererseits sollte nicht verkannt werden, daß gerade die mit den Rekonstruktionen verbundenen museumsdidaktischen Bemühungen auch in der Lage sind, ein oberflächliches touristisches Interesse zu vertiefen. Das Ziel und der Wunsch muß bleiben, dieses Interesse in ein historisches Verständnis einmünden zu lassen und dem "konsequenten Verzicht auf historische Denkprozesse" (Zitat Müllemeister S. 144), wenn er denn in dieser radikalen Form wirklich bestehen sollte, aufklärerisch entgegenzuwirken.

 

Joachim Gruber, Erlangen-München