Almuth Lotz: Der Magiekonflikt in der Spätantike. Bonn: Habelt 2005 (Habelts Dissertationsdrucke. Reihe Alte Geschichte 48). X, 284 S. Euro 25,-. ISBN 3-7749-3357-X.

Dem Thema des Magiekonflikts – gesellschaftlichen und juristischen Auseinandersetzungen wegen Zauberei sowie Astrologie und Wahrsagung – sieht man den Komplexitätsgrad dieser Untersuchung zunächst nicht an. Will man den Gegenstand inhaltlich vollständig erfassen, sind die literarischen Quellen zu den Phänomenen der Magie in der Spätantike nicht nur mit den antiken Rechtsgrundlagen in Bezug zu setzen, sondern auch theoretisch und methodisch zu fundieren, wofür die Auseinandersetzung mit dem zu diesem Zweck verfügbaren sozialwissenschaftlichen Repertoire der Gegenwart unerläßlich erscheint. Almuth Lotz hat sich in ihrer Bonner Dissertation dieser Herausforderung gestellt und aufgrund der Einbettung des Magiekonflikts in die grundsätzlichen Fragestellungen juristischer und sozialanthropologischer Provenienz Interpretationen vorgelegt, die methodisch wie inhaltlich wohlerwogen sind und zuverlässige Einschätzungen über die Aussagekraft und -tendenz von Quellen zum Magiekonflikt ermöglichen.

Anhand der in der „Einführung“ zusammengestellten Aspekte werden daher eingehend die zu beachtenden Voraussetzungen erörtert. Lotz stellt zunächst das Quellenmaterial vor: die in den Codices Theodosianus und Iustinianus sowie den Constitutiones Sirmondianae faßbare Religionsgesetzgebung, ferner kirchenrechtliche Quellen, unter den literarischen Quellen heidnische Äußerungen (Libanius, Ammianus Marcellinus) und Christlich-Theologisches, wobei hagiographische Literatur besonders ergiebig ist; hinzu kommt archäologisches und papyrologisches Material wie Zauberpapyri, Amulette und Gemmen sowie Verfluchungstäfelchen. Die Untersuchung konzentriert sich auf den Zeitraum vom 4. bis 7. Jahrhundert, ohne die vorausgehende Literatur (z. B. Zwöfeltafelgesetz, Magie als fiktionales Motiv in der Literatur der Prinzipatszeit) auszublenden, und geographisch – überlieferungsbedingt – auf den östlichen Mittelmeerraum.

Von besonderer Bedeutung sind Terminologie und Vorstellung von Magie im Kontext der Antike und der Gegenwart. Lotz geht der Aufladung des Magie-Begriffes mit pejorativen Assoziationen in Griechenland infolge der Entwicklung der Philosophie und der Verwissenschaftlichung der Medizin nach und stellt anschließend die ambivalente Einschätzung der Magie in der römischen Welt – vor allem Schaden-, Liebes- und Heilungszauber – einschließlich zunehmender Rezeption griechischer Anschauungen vor. Mit dem Übergang zum Prinzipat und der Individualisierung des römischen Selbstverständnisses wurden die bisherigen Magie-Vorstellungen durch Astrologie und private Divination angereichert. In der Darstellung des Livius über den Bacchanalienskandal von 186 v. Chr. spiegeln sich die magiefeindlichen Maßnahmen augusteischer Zeit.

Das methodische Repertoire zur sozial- und mentalitätsgeschichtlichen Auswertung spätantiker Magiekonflikte fußt auf den in der Regel an neuzeitlichen Gegenständen exemplifizierten Debatten um sozialanthropologische Theoriebildung. Dabei spielen die von Edward E. Evans-Pritchard ausgehenden, Forschungen des französischen Soziologen Émile Durkheim rezipierenden Untersuchungen eine besondere Rolle, weil sie Peter Browns Zugang zu den spätantiken Phänomenen der Magie besonders beeinflußt haben;1 Browns Darlegungen zu dieser Thematik sind für Lotz wiederum von großer Bedeutung. Das Panorama der Vorstellungen von Magie schließt Lotz mit einer sozialwissenschaftlich orientierten Definition des Magiebegriffes: „Die Magie als eine Ausdrucksform des Denkens und Handelns konstituiert sich im Magievorwurf und ist unabhängig von diesem als eine gesellschaftliche Tatsache nicht vorstellbar“ (47). Es geht bei diesem Phänomen also um die Durchsetzung von Werturteilen, um Kennzeichnung und Ausschaltung von Gegnern, letztlich um „die Herstellung eines gesellschaftlichen Konsenses über die Vorstellung von Magie“ (48). Lotz beschließt ihre Einführung mit einem Überblick über die philologisch-religionshistorischen2, rechtsgeschichtlichen3 und althistorischen Forschungen4 zum Thema seit dem 19. Jahrhundert, die in den letzten zwei Jahrzehnten durch die Einbeziehung sozialgeschichtlicher Fragestellungen außerordentlichen Aufschwung genommen haben.

Am Ende der Einführung konturiert Lotz ihre Fragestellung, die unter Berücksichtigung der am Magiekonflikt beteiligten gesellschaftlichen Gruppen, der Einflüsse des gesellschaftlichen Klimas und der ihm zugrunde liegenden Verhältnisse sowie ihrer Veränderungen bei ihrem Thema sozialwissenschaftliche Ansätze in die althistorische Untersuchung einbezieht. Dabei sucht sie explizit auch rechtshistorische Sichtweisen zu integrieren, um Einseitigkeiten bestimmter wissenschaftlicher Zugänge zu vermeiden.

Das zentrale Kapitel über „Das Magiedelikt im römischen Recht der Spätantike“ behandelt zunächst, um das Thema richtig im historischen Kontext zu verankern, die mit dem Magiedelikt verbundene Rechtstradition. Diese Thematik bedingt die Auseinandersetzung mit der Ansicht der Rechtshistorikerin Marie Theres Fögen5, vor dem 4. Jahrhundert n. Chr. habe es keine genuin juristische Auseinandersetzung mit der Magie gegeben. Lotz stellt demgegenüber die strafrechtlichen Bestimmungen zum Schadenzauber aus Republik und Prinzipat zusammen und formuliert zur vermeintlichen Abstinenz der Juristen dieser Zeit, zum Magiedelikt Stellung zu nehmen, die plausible These, dies sei „der bloße Ausdruck einer generellen, systembedingten Schwerfälligkeit in der Herausbildung eines öffentlichen Strafrechts“ (67). Dagegen macht sie die Gesetzgebung der Zwölftafeln und Sullas geltend, die Schadenzauber „als gemeinschädliches Tun“ (73) brandmarken.

Berücksichtigt man zusätzlich auch die Maßnahmen zu Astrologie und Wahrsagung aus Republik und Prinzipat, vervollständigt sich dieses Bild; erkennbar wird ein Verrechtlichtungsprozeß aus gesellschaftlichen und machtpolitischen Motiven: Der Vorwurf des Schadenzaubers bediente sich religiöser Begründungen zur Stigmatisierung von Außenseitern und Aufsteigern als Schädigern des Gemeinwohls, Wahrsagung und Astrologie führten bei innenpolitischen Spannungen immer wieder zu zeitweiligen Vertreibungsedikten vor allem Nichtrömern gegenüber. Namentlich in der Kaiserzeit diente die Astrologie der Legitimierung des Herrschers, so daß sie umgekehrt leicht auch mit dem Vorwurf der laesa maiestas in Verbindung gebracht werden und zu Hochverratsprozessen führen konnte. Lotz schließt diese Betrachtung mit dem 294 erlassenen Lehrverbot Diokletians für Astrologen, das sie in den Kontext der religiösen Fundierung des tetrarchischen Herrschaftssystems stellt und an das die Verfolgung von Manichäern und Christen anschließt. Damit bezieht Diokletian nicht mehr nur zu Ausweisungen führende feststellbare Straftaten von Astrologen, sondern eine ganze Wissenschaft in die juristische Bewertung ein. Das ist in der Tat eine neue Entwicklung, die allerdings nicht die Feststellung rechtfertigt, vorher seien Magie, Astrologie und Divination von juristischer Seite nicht gewürdigt worden. Hier gilt es zu differenzieren, und so gelingt es Lotz, eine gegenüber Fögen weiterführende Sicht dieser Problematik zu präsentieren.

Im zweiten Teil dieses Kapitels bespricht Lotz die kaiserliche Gesetzgebung zum Thema von Konstantin d. Gr. bis Valentinian III. Deren Inhalte werden nach heidnischer Tradition, Astrologie, manichäischer Häresie und Magie differenziert und in chronologischer Folge vorgestellt und interpretiert. Klar stellt Lotz heraus, daß sich der Kaiser auf diese Weise als der „alleinige Sachwalter des Göttlichen auf Erden“ (171) sieht und mit Hilfe der Gegner diffamierenden Gesetze potentielle Machtkonkurrenz beseitigt sowie durch Ausgrenzung einer Minderheit den Konsens der Mehrheit zu definieren sucht. Das schlägt sich auch in der Gesetzessprache nieder. Der Magievorwurf eignete sich vor Konstantin als Maßnahme gegen die christliche Minderheit, seit Konstantin als Mittel gegen Kontrahenten zur Stabilisierung der eigenen Herrschaft, sodann als Waffe gegen die nichtchristliche Religion und Tradition, schließlich gegen christliche Häretiker. Aus den nach Bedarf und Zeit unterschiedlichen Adressaten des Magievorwurfs wird plausibel, daß diese Gesetzgebung durch Situationen politischer Unsicherheit reaktiv verursacht ist.

Das dritte Kapitel ist dem „Magiekonflikt im gesellschaftlichen Alltag der Spätantike“ gewidmet. Ausgehend von dem vorher bereits thematisierten Magievorwurf als Mittel der Machtsicherung, verbindet Lotz das Thema mit den gesellschaftlichen Umbrüchen in der Spätantike, die keineswegs nur Glaubenskonflikte umfassen, sondern zugleich Auseinandersetzungen, die durch die ständische Umordnung der Führungsschicht und Konkurrenz zwischen etablierter Gesellschaft und sozialen Aufsteigern bedingt sind, wirtschaftliche Konflikte zum Beispiel zwischen Kurialen und Bauern, Gefühle existentieller Bedrohung, Minderheitenprobleme und das Verhältnis zwischen den Geschlechtern. Damit umreißt Lotz Problemlagen, die die spätrömische Gesellschaft in ihrer gesamten Bandbreite tangieren können.

Die die Oberschicht betreffenden Magieprozesse sind gut untersucht,6 so daß Lotz mit Hilfe vornehmlich hagiographischer Quellen die Aufmerksamkeit auf den Alltag des nicht im Mittelpunkt der Historiographie Ammians und der Lebenswelt des Libanius stehenden einfachen Volkes lenkt, für das die zur Magie führende „Inkongruenzerfahrung“7 im gesellschaftlichen Umbruch auf dieselben Grunderfahrungen zurückgeht wie für Inhaber mächtiger Positionen. Damit leistet sie auf einer breiteren Basis als in der bisherigen deutschsprachigen Literatur einen Beitrag zur sozial- und mentalitätsgeschichtlichen Verankerung des Magiekonflikts in der Spätantike. Lotz stellt den juristischen Verfahrensablauf von der Anzeige über die Prozeßeröffnung zum Hauptverfahren und Urteilsspruch vor und illustriert dies an geeigneten Beispielen. Wenn auch im Alltag der Magievorwurf eine gewisse Rolle gespielt hat, ist es doch für den Normalbürger aus verschiedenen Gründen, unter anderem wegen der Beweisschwierigkeiten, nur sehr selten zum Magieprozeß gekommen. Besondere Aufmerksamkeit widmet Lotz in diesem Zusammenhang der außergerichtlichen Streitbeilegung vor dem kirchlichen Schiedsgericht und deren Folgen für das Selbstverständnis der Kirche. Während die staatliche Justiz sich von Aspekten wie Rache und Abschreckung bei der Festlegung des Strafmaßes leiten ließ, spielte beim kirchlichen Verfahren der Gedanke von Sühne und Vergebung eine wichtigere Rolle, die mehr dazu angetan waren, Täter zu rehabilitieren und insgesamt deeskalierend im Sinne der Wiederherstellung eines gesellschaftlichen Konsenses zu wirken, was die entsprechende hagiographische Literatur wirkungsvoll in Szene zu setzen weiß.

Die Bewältigung des Stoffes war für Lotz gewiß nicht einfach: Die sozialanthropologischen Voraussetzungen und die Rechtsmaterie sind heterogene Aspekte, die von verschiedenen Seiten aufeinander einwirken und in komplexer Verflechtung Voraussetzungen für das richtige Verständnis der Erscheinungsweise von Magiekonflikten in Quellen unterschiedlichster Provenienz darstellen. In der Arbeit von Lotz scheinen der theoretische Vorspann und die Behandlung der rechtlichen Seite des Magiewesens gegenüber den Interpretationen der literarischen Quellen ein Übergewicht zu haben, jedoch sind sie zugleich unerläßliche Voraussetzungen für den Zugang zu diesen Quellen, zumal der problematischen Gattung der Hagiographie.

Almuth Lotz weiß das Thema ihrer Untersuchung anhand einer sozialgeschichtlichen Fundierung im Sinne der Erschließung des Verständnisses für die im Magievorwurf zum Ausdruck kommenden gesellschaftlichen Umformungsprozesse zu nutzen. Durch die betonte Einbeziehung der Rechtsquellen in die althistorische Untersuchung vermeidet sie Einseitigkeiten und vermag mit Hilfe des gesellschaftsanalytischen Aspekts eine Betrachtung der Problematik von den Zwölftafeln bis in die Spätantike unter einheitlichen Gesichtspunkten sicherzustellen. Dabei zeigt sie einen Weg auf, der über die unbefriedigenden Aspekte der Position Marie Theres Fögens hinausführt, und erschließt auf der von Peter Brown vorgezeichneten Bahn wichtige Quellen für einen Zugang zum Verständnis der spätrömischen Gesellschaft. Es ist schade, daß die Darstellung keine Register hat.

Ulrich Lambrecht, Koblenz
lambre@uni-koblenz.de


1 Vgl. Edward E. Evans-Pritchard, Hexerei, Orakel und Magie bei den Zande. Von Eva Gillies gekürzte u. eingeleitete Ausgabe, Frankfurt am Main 1988; von Peter Brown z. B.: Sorcery, Demons and the Rise of Christianity. From Late Antiquity into the Middle Ages, in: Peter Brown, Religion and Society in the Age of Saint Augustine, London 1972, 119-146, und: Die Heiligenverehrung. Ihre Entstehung und Funktion in der lateinischen Christenheit, übersetzt, bearb. u. hrsg. v. Johannes Bernard, Leipzig 1991.

2 Vgl. z. B. aus jüngster Zeit Fritz Graf, Gottesnähe und Schadenzauber. Die Magie in der griechisch-römischen Antike, München 1996.

3 Vgl. z. B. Marie Theres Fögen, Die Enteignung der Wahrsager. Studien zum kaiserlichen Wissensmonopol in der Spätantike, Frankfurt am Main 1993.

4 Zu Peter Brown, der juristische Aspekte meist unberücksichtigt läßt, vgl. o. Anm. 1.

5 Vgl. o. Anm. 3.

6 Vgl. z. B. Raban von Haehling, Ammianus Marcellinus und der Prozeß von Skythopolis, in: JbAC 21, 1978, 74-101; Franz Josef Wiebe, Kaiser Valens und die heidnische Opposition, Bonn 1995 (Antiquitas I 44).

7 Lotz 185 in Anlehnung an Brown, Sorcery (o. Anm. 1) 134f.



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