Florian Krüpe, Christoph Schäfer (Hrsgg.): Digitalisierte Vergangenheit. Datenbanken und Multimedia von der Antike bis zur frühen Neuzeit. Wiesbaden: Harrassowitz 2005 (Philippika. Marburger altertumskundliche Abhandlungen 5). XI, 147 S. € 48,00. ISBN 3-447-05048-9.

Der von Florian Krüpe und Christoph Schäfer herausgegebene Sammelband ist das Ergebnis einer Tagung, die an der Philipps-Universität Marburg (Fachbereich Geschichte und Kulturwissenschaften) stattfand. Er enthält acht Beiträge zum weiten Feld der sogenannten „Neuen Medien“ und ihrer Bedeutung für die Geschichtswissenschaften – angefangen vom Einsatz von Datenbanken in der historischen Forschung bis hin zu Digitalisierungsprojekten und neuen Informationsportalen für Historiker. Anhand der Vorstellung konkreter Projekte zeigen die zehn Autoren und Autorinnen der Beiträge sowohl die Chancen und neuen Möglichkeiten als auch die Risiken auf, die sich dem Geschichtswissenschafter durch die gezielte Verwendung der EDV eröffnen. Die EDV wird dabei nicht mehr nur als bloßes Mittel zum Zweck gesehen, sondern in bestimmten Bereichen auch schon in den Rang einer Hilfswissenschaft erhoben, deren Beherrschung auch in der Geschichtswissenschaft zunehmend an Bedeutung gewinnt.

Nun kurz zu den einzelnen Beiträgen: In ihrer Einleitung über „Historiker und Historie im Digitalen Zeitalter“ setzen sich die beiden Herausgeber Florian Krüpe und Christoph Schäfer kritisch mit den Vor- und Nachteilen der digitalen Medien auseinander. Sie zeigen dabei einerseits die enormen Möglichkeiten auf, die diese technischen Hilfsmittel (vor allem Datenbanken) durch vernetzte Recherchen in großen und multimedialen Datenbeständen bieten, lassen aber andererseits auch die neuen Probleme und Herausforderungen nicht außer Acht, die sich durch die verhältnismäßig geringe Lebenserwartung der meisten bisher gebräuchlichen Datenträger ergeben. Sie betonen, wie wichtig es ist, daß sich die Historiker nicht nur als passive Nutzer der Neuen Medien betätigen, sondern sich auch aktiv an der Entwicklung neuer Anwendungen in ihrem Fachbereich beteiligen und so die Zukunft der Geschichtswissenschaften selbst mitgestalten. Mit besonderem Nachdruck stellen sie fest, daß dieser Bereich auch als Aspekt beruflicher Qualifikation Berücksichtigung und Anerkennung finden muß und daß daher der wissenschaftliche Nachwuchs auf diesem Sektor entsprechende Förderung erfahren sollte. Denn nur so können die großen Herausforderungen bewältigt werden, vor denen die Historikerzunft im Zeitalter der Informationsgesellschaft steht.

Brigitte Truschnegg stellt in ihrem Beitrag das Projekt „Geschlechterrollen in der antiken Ethnographie“ des Instituts für Alte Geschichte und Altorientalistik an der Universität Innsbruck und die daraus hervorgegangene Datenbank FRuGAE vor. Ziel dieser Datenbank ist einerseits die möglichst umfassende Darstellung von Frauen in den antiken Texten, deren Schwerpunkt die Ethnographie darstellt, und andererseits die Erschließung der aufgenommenen Texte durch einen Suchbegriffskatalog, also normierte Schlagwörter. Leider ist die von der Autorin in Aussicht gestellte Internetversion der Datenbank bislang noch nicht realisiert, so daß sich der Leser bis auf weiteres mit der bloßen Beschreibung von deren Funktionen begnügen muß.

Der dritte Beitrag stammt von Kai Ruffing, der in sehr anschaulicher und übersichtlicher Weise webbasierte elektronische Ressourcen und Hilfsmittel für den Papyrologen vorstellt. Er zeigt anhand ausgewählter Internetportale und Online-Datenbanken, wie und in welchen Bereichen die Neuen Medien eine sinnvolle Ergänzung zu den gedruckten Hilfsmitteln darstellen.

Ein sehr innovatives Projekt stellt der Beitrag von Leif Scheuermann und Wolfgang Dietz vor: Die beiden Autoren beschreiben sowohl Vorgangsweise, Methodik und Ergebnisse des Projekts „Jerg Ratgeb – Maler“ als auch die Erfahrungen, die sie im Zuge dieser Arbeit machten. Beeindruckend ist an diesem Unternehmen neben dem starken inter- und transdisziplinären Aspekt vor allem die erfolgreiche Vernetzung sehr komplexer Daten unterschiedlichster Art (von Bildquellen über architektonische Zeugnisse und Kartenmaterial bis hin zu Daten, die aus Ortsbegehungen gewonnen wurden), die letztlich in Form von zwei multimedialen CDs mit interaktiven Elementen, audiovisuellen Sequenzen und dreidimensionalen Raumsimulationen für den Benutzer zugänglich gemacht wurden. Ziel war dabei jedoch nicht nur die reine Vermittlung von Faktenwissen, sondern man wollte es den Nutzern auch ermöglichen, die präsentierten Interpretationen kritisch zu hinterfragen und auf intuitive Weise durch das vorhandene Material zu navigieren.

Im nächsten Beitrag des Bandes stellt Otto Volk das Marburger Informationsportal zu Rechnungen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, COMPUTATIO, vor. Dieses Portal ist ein Beispiel dafür, wie man für einen begrenzten Themenbereich die in analoger und digitaler Form vorliegenden Informationen und Hilfsmittel im Internet für Studierende, Forscher und Lehrende zugänglich machen kann. Aus einer Vielzahl an bibliographischen Informationen, gedruckt oder digital vorliegenden Quellen, Angaben über laufende Forschungsprojekte zum Thema Rechnungen etc. entstand im Laufe der Jahre eine Internet-Plattform, die gleichermaßen der Information wie auch der Recherche und der Kommunikation dient und somit die bisher übliche Trennung von Bibliographien, Editionen etc. überwindet.

Mit dem DFG-Projekt „Erschließung und Digitalisierung der frühneuzeitlichen Einblattdrucke der Bayerischen Staatsbibliothek München“ befaßt sich der Beitrag von Franz Jürgen Götz. Ziel dieses Projekts ist es, diese für die historische Forschung äußerst wichtigen Quellen in zeitgemäßer Form zu erschließen und online zur Verfügung zu stellen. Dabei stand man vor der Herausforderung, die Daten einerseits so zu strukturieren, daß sie bibliothekarischen Standards entsprechen, wodurch ein problemloser Datenaustausch ermöglicht wird. Auf der anderen Seite war man bemüht, die Datenbank so anzulegen, daß eine tiefere Erschließung der Bestände jederzeit möglich ist. Neben der formalen und inhaltlichen Erschließung bestand ein weiteres Ziel des ambitionierten Projekts darin, die Blätter zu digitalisieren, um sie auf diese Weise auch virtuell zugänglich zu machen. Es handelt sich also im Grunde um einen Katalog der Einblattdrucke, der ganz im Sinne des zunehmend geforderten catalogue enrichment um die digitalen Bilder derselben erweitert ist.

Im vorletzten Beitrag des Bandes setzt sich Michael Haas mit digitalen Karten als Hilfsmittel für den Geschichtswissenschafter auseinander. Geographische Informationssysteme (GIS) machen es möglich, bestehende Karten in einem gültigen Koordinatensystem zu verorten und mit einer Reihe von Zusatzdaten (z.B. Abbildungen, Fotos, Angaben zu den kartierten Objekten etc.) zu verknüpfen. Dadurch wird eine anschauliche graphische Umsetzung empirischer Daten möglich, und neben der räumlichen Verortung historischer Fakten läßt sich so auch deren Gewichtung leicht visualisieren. Außerdem kann man auf diese Weise auch historisches Kartenmaterial auf seine Genauigkeit hin untersuchen.

Den Abschluß des Bandes bildet die Vorstellung einer sammlungsgeschichtlichen Datenbank durch Bettina von Briskorn. Ziel dieses Vorhabens war es, die Africana des Übersee-Museums in Bremen elektronisch zu erschließen und damit zugleich die Sammlungsgeschichte des Bestands afrikanischer Ethnographica dieses Museums für die Jahre 1841-1945 zu rekonstruieren. Der Verfasserin gelang es mittels der von ihr aufgebauten Datenbank, quantitative und qualitative Daten in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen und so die Sammlungsgeschichte des genannten Bestandes transparenter zu machen.

Alles in allem enthält der vorliegende Sammelband eine Reihe hervorragender Beiträge von hohem Informationswert (hervorgehoben sei hier beispielsweise nochmals der ausgezeichnete Beitrag von Kai Ruffing) und beachtlichem innovativem Potential (z.B. die Projektdarstellung von Leif Scheuermann und Wolfgang Dietz). Dennoch drängt sich bisweilen der Eindruck eines sehr flüchtig und unter großem Zeitdruck veröffentlichten Tagungsbandes auf, wovon nicht nur etliche Druckfehler zeugen, sondern auch das Fehlen von Elementen wie einem Index oder einer zusammenfassenden Bibliographie, die für den Leser von großem Nutzen wären. Auch eine begleitende Online-Version des Bandes bzw. zumindest eine online verfügbare Bibliographie bzw. Linkliste zu diesem sehr wichtigen Thema wäre hilfreich und als „Mehrwert“ für den potentiellen Käufer des Buches ein zusätzlicher Anreiz zum Kauf. Denn nichts veraltet in unserer Informationsgesellschaft rascher als reine Printversionen von Literatur zum Thema „Neue Medien und Wissenschaft“.

Zusammenfassung: Der vorliegende Band stellt eine Reihe richtungsweisender Projekte im Bereich „Geschichtswissenschaften und Neue Medien“ vor, die sich mit den Chancen und neuen Möglichkeiten auseinandersetzen, die der Einsatz von Datenbanken, Online-Portalen und Digitalisaten dem Historiker eröffnet. Die relativ breite Streuung und große Vielfalt der behandelten Themen erlaubt sowohl dem technischen Laien als auch dem technisch Versierten interessante Einblicke in die vorgestellten Projekte.

Sonja Reisner, Wien
sonja.reisner@univie.ac.at


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