Sabine Hübner: Der Klerus in der spätantiken Gesellschaft des spätantiken Kleinasiens. Altertumswissenschaftliches Kolloquium Band 15. Stuttgart: Steiner 2005. 318 S. Euro 63,-- / sFr 100,80. ISBN 3-515-08727-3.

Die vorliegende Arbeit, entstanden im Rahmen des Graduiertenkollegs „Leitbilder der Spätantike” an der Universität Jena, hat sich zum Ziel gesetzt, die Kleriker unterhalb des Bischofsamts in ihrer sozialen Herkunft, ihrer Legitimierung, ihren Lebensumständen und schließlich in ihrer Stellung in der spätantiken Gesellschaft zu untersuchen. Es wird nämlich mit Recht festgestellt, daß zwar über die Bischöfe eine nicht geringe Zahl von Arbeiten vorliegt, die geistlichen Ämter darunter aber bis jetzt weder in der literarischen noch in der juristischen Literatur zum Gegenstand eigener Untersuchungen gemacht wurden. Daß hierbei das spätantike Kleinasien ausgewählt wird, liegt nahe, besitzen wir doch neben den zahlreichen Angaben von Kirchenvätern, kaiserlichen Erlassen, historiographischen Zeugnissen eine große Zahl von Inschriften, „mit etwa gut 500 Individuen belegt”, die allerdings nur grob in die Zeit vom 4. bis zum 6. Jh. datiert werden können. Weiter geht es in der Einleitung um die Christianisierung Kleinasiens, die bekanntlich schon früh gekennzeichnet ist durch zahlreiche Sekten und Häresien mit asketisch-rigoristischen Lebensformen, mit ganz wenigen Zeugnissen aus der Zeit vor Konstantin (bes. die bekannte Aberkios-Inschrift), sowie um die Definition von Klerus, wofür bis in die Spätzeit keine klare Terminologie vorhanden ist. Als gemeinsames Charakteristikum der kirchlichen Amtsträger im Unterschied zu den Laien sieht die Verf. die Konsekration durch Handauflegung, wie sie schon bei Clemens von Alexandrien und Origenes greifbar wird. Da aber auch clerici die spezielle Bezeichnung für die Amtsträger unterhalb eines Bischofs ist (der zuweilen auch als sacerdos erscheint), ist die spezielle Ausrichtung der Arbeit sehr wohl gerechtfertigt.

Das erste Kapitel ist ganz allgemein den Amtsinhabern in Kleinasien gewidmet. Nach einigen kurzen Bemerkungen über die insgesamt fünf Phasen in der Herausbildung des Standes von den Anfängen bis zum 5. Jahrhundert mit den sich immer weiter vermehrenden Abstufungen - wobei freilich der Ausdruck cursus honorum zu einer Fehleinschätzung verleiten könnte, da die meisten Funktionsträger wegen fehlenden Rückhalts auf einer bestimmten Stufe stehen blieben (wie die Verf. am Ende selbst bekennt) – werden im Folgenden die einzelnen Amtsträger von den Totengräbern, Türhütern, Kantoren, Lektoren, Subdiakonen, Diakonen, Archi- und Protodiakonen bis hin zu den Chorbischöfen und Periodeuten (über deren Aufgaben nichts weiter gesagt wird) mit einer Reihe von Belegen, teilweise aus Inschriften, teils aus Briefen, Predigten usw. der Kirchenväter oder aus verschiedenen weltlichen wie geistlichen Konstitutionen, Konzilsbeschlüssen usw. vorgestellt. Aber auch in dieser Aufreihung besteht die Gefahr, daß man sich das Ganze zu sehr als hierarchische Stufenleiter vorstellt, was jedoch keineswegs der Fall ist, zumal bei den ersten beiden Stufen es sich streng genommen gar nicht um Kleriker handelt und das Entstehen der einzelnen Ämter zeitlich ganz unterschiedlich anzusetzen ist, bis es zur vollen Ausbildung unter Justinian gekommen ist. Die Frage, warum in den Inschriften häufig das nomen gentile nicht erscheint, wird mit dem Stolz auf den neuen Amtstitel erklärt, der die soziale Stellung unterstreichen sollte. Die Gruppe der Kleriker sei nun als dritter Stand selbstbewußt neben den Bauern- und Bürgerstand, z. B. der Flavii und Aurelii, getreten. Dieser wichtige Aspekt hätte freilich noch etwas näher ausgeführt werden sollen. Wie die Inschriften fernerhin zeigten, seien die meisten der Presbyter und Diakone im spätantiken Kleinasien verheiratet gewesen, insgesamt 38%. Allerdings durften diese wie die Bischöfe nach ihrer Weihe keine Ehe mehr eingehen. In diesem Punkt herrscht bekanntlich in der Forschung keine einheitliche Meinung darüber, ob das Enthaltsamkeitsgebot für Kleriker erst allmählich im 4. Jahrhundert Eingang in die Kirchendisziplin gefunden hat (so z. B. Gryson) oder ob bereits seit apostolischer Zeit eine Enthaltsamkeit nach der Weihe geboten war (so jetzt z. B. Heid). Die Inschriften scheinen hier wohl eher die erstere Ansicht zu bestätigen.

Gute Einblicke in das gesamte Problem der niederen Weihestufen vermittelt im zweiten Kapitel „Kleriker in Stadt und Dorf” die Auswertung der epigraphischen Zeugnisse aus den Orten Korykos und Korikasion (in Kilikien) wegen der Fülle des Materials, da für die größere Siedlung allein 85 und für die kleinere Gemeinde in Korikasion 13 Kleriker durch Grabinschriften überliefert sind (bei insgesamt 91% Christen Ende des 4. Jh.). Man erfährt, allerdings immer etwas kursorisch, daß die Kleriker insgesamt aus der breiten unterprivilegierten Schicht der spätantiken Gesellschaft und nicht aus den alten Führungsschichten des Ortes hervorgingen und daß speziell in den Dörfern die recht selbständig agierenden Vertreter der Kirche - aber doch einfachen „Grade” - ihre früheren handwerklichen Tätigkeiten weiterführten, während in den Städten eher die begüterten Mittelschichten in den geistlichen Stand drängten. Gewiß gibt es auch umgekehrte Fälle und Veränderungen im Laufe der Jahrhunderte, so daß man mit allgemeinen Aussagen sehr zurückhaltend sein muß. Ganz unterschiedlich waren demgemäß auch die Motive für den Eintritt in den geistlichen Stand, die des Weiteren herausgearbeitet werden, bei Sklaven und Kolonen (solche Kleriker gibt es allerdings kaum), freien Bauern, Kriegsdienstpflichtigen, Handwerkern und Händlern (hierzu gibt es zahlreiche Belege), Ärzten (gehörten sie wirklich zu den angesehensten Berufsständen?), Frauen (als Diakonissen), Kurialen und Kohortalen (niedere Reichsbeamte in den officia der Statthalter), Senatoren und – etwas disparat – für den „sacred status” der Kleriker (Steuer- und Abgabenfreiheit, Freiheit von Strafen, bischöfliche Gerichtsbarkeit usw.). Jedoch spielten neben der Berufung zum geistlichen Stand sowie Ehrgeiz und Prestigedenken vornehmlich wirtschaftliche und finanzielle Vorteile eine nicht minder wichtige Rolle, wie vor allem aus den zahlreichen Gesetzen gegen Mißbrauch hervorgeht.

Diese werden im vierten Kapitel „Der Klerus zwischen Anspruch und Alltag” besonders mit Hilfe der deskriptiven Quellen (vorher ist von normativen Quellen die Rede, ohne daß ein klarer Unterschied erkennbar würde!) im einzelnen behandelt, so die Flucht vor Steuern und munera (Frage: Kann ein munus keine Geldleistung sein?), Vetternwirtschaft, Vortäuschung, ein Kleriker zu sein, Simonie, Gebührenforderungen für kirchliche Amtshandlungen, Erbschleicherei bei Frauen, Vernachlässigung kirchlicher Pflichten, Verstöße gegen Sexualmoral, all das mit dem sicherlich nicht neuen Ergebnis, daß auch Kleriker als Mitmenschen mit alltäglichen Sorgen, Fehlern und Schwächen anzusehen seien. Zu Recht wird hier allerdings abschließend hinzugefügt, daß deutlich zwischen Amtsträgern und Amt zu unterscheiden sei und das Charisma des Amtes nicht verlorenging, sondern – um mit Max Weber zu sprechen – versachlicht worden sei. Die Wertschätzung der Amtsträger dürfte indes im Laufe der Zeit aufgrund der vielen Mißstände merklich gesunken sein, da die äußere Wahrnehmung der geforderten Lebensführung doch häufig diametral entgegenstand.

Recht aufschlußreich liest sich das fünfte Kapitel, welches die Lobpreisungen der Kleriker in den Inschriften der in zahlreiche Sekten aufgespaltenen Stadt Laodikeia Kekaumene sichtbar werden läßt, und zwar als Legitimierungsstreben, da zur Demonstration der eigenen Rechtgläubigkeit eine Hervorhebung einzelner Tugenden notwendig erschien (gegenüber Novatianern, Sakkophoren, Apotaktiken usw.). Die Bekämpfung des Heidentums spielt dagegen in den epigraphischen Zeugnissen keine Rolle mehr, was die Verf. u. a. damit erklärt, daß die Tempelzerstörungen im wesentlichen von „Mönchsbrigaden” und nicht von Klerikern ausgegangen seien (was man freilich nicht generalisieren kann, vgl. z. B. Theophilus in Alexandrien).

Das sechste Kapitel über die finanzielle Situation der Kleriker, in dem vorweg auf die Novelle Justinians vom Jahr 546 mit einer Staffelung der Jahreseinkünfte für Kleriker in sieben Gruppen verwiesen wird (die naturgemäß wenig über die Zustände davor aussagt), führt zu dem Resultat, daß vor allem die vornehmen Bischofssitze mit ihren zahlreichen Stellen erstrebenswert waren, da hier die Gehälter am höchsten waren. Es nimmt nicht wunder, wenn z. B. Justinian die Kleriker an der Hauptkirche in Konstantinopel auf 525 beschränkte. Da ein wenig begüterter Geistlicher die relativ hohen Gebühren für Ordination usw., die Justinian legitimierte, nicht bezahlen konnte, liegt es auf der Hand, daß der Unterhalt, den er in seiner Gemeinde erhielt, nicht ausreichte, um hier weiterzukommen. So waren z. B. am Sitz eines Patriarchen oder in einer reichen Metropole mehr als 100 Solidi „Antrittsgebühr” fällig. Hierfür konnten vermögende und schon höher situierte Bischofsbewerber auch die Gewinne einsetzen, die sie aus den Gebühren für Taufe, Eucharistie, Beerdigung, Richtersprüche usw. zogen (Frage: Ist der Ausdruck „finanzielles Vermögen” nicht eine Tautologie?). Standen hier bereits die Bischöfe im Vordergrund, welche doch nach der eingangs genannten Zielsetzung ausgeklammert bleiben sollten, so auch im siebten Kapitel, wo es schwerpunktmäßig um Bildung und soziale Herkunft geht. Hier wird in der Nachfolge der Forschungen von W. Eck, P. Brown, C. Rapp u. a. die ohne Zweifel ausschlaggebende Bedeutung des Bildungsgrades (rhetorische, juristische und literarische Bildung), des entsprechenden Vermögens, der weltlichen Macht und der Nähe zu den Schaltzentren bei der Erreichung der höchsten Kirchenämter hervorgehoben. Die äußerst geringe Zahl von Bewerbern aus dem Senatorenstand belegt, daß die häufig vertretene These von einer Herkunft aus dem Kurialenstand doch wohl weiterhin gültig ist. Freilich wird dies von der Verf. relativiert, wenn sie am Schluß betont, daß sich der Klerus im spätantiken Kleinasien aus allen Teilen der Gesellschaft zusammensetzte und somit der einzige Stand der spätantiken Gesellschaft gewesen sei, der die horizontalen Schichten vertikal überspannte. Jedoch dem ist entgegenzuhalten, daß die für die meisten kaum übersteigbaren Grenzen doch wiederum zu einer in sich geschlossenen Gruppenbildung führten. Sie bestätigt dies auch selbst, wenn sie in der Conclusio meint, daß der Klerus fest in die bestehende Ordnung eingebaut und ein Aufstieg durch gesellschaftspolitische Kriterien determiniert gewesen sei, die auch bei einer weltlichen Karriere im Staatsdienst den Ausschlag gaben.

Aufs Ganze gesehen wird der Leser in diesem Buch mit einer Fülle von Material konfrontiert, das die Wahl des Themas durchaus rechtfertigt. Besonders die breite Behandlung der wirtschaftlichen und finanziellen Situation der Kleriker verdient Beachtung, da diese Seite z. B. in dem Standardwerk von Ch. und L. Pietri: Die Geschichte des Christentums. Band 2: Das Entstehen der einen Christenheit (250 – 430), Freiburg 1996, 633 – 666 („Das Hineinwachsen des Klerus in die antike Gesellschaft”) weitgehend ausgespart wurde.

Freilich können am Ende gewisse meist formale Mängel nicht verschwiegen werden. Vielfach verdichtet sich der Eindruck, daß manches aus der Sekundärliteratur gar nicht gelesen, sondern anderswoher übernommen wurde, worauf etwa das Fehlen von Seitenangaben oder unvollständige Zitate hinweisen. Was soll man anfangen mit „ein (!) lex vivens und norma et exemplar bene vivendi, an denen sich die ... Gemeindemitglieder ein Vorbild ... nehmen könnten” (S. 161), wofür Johannes Chrysostomus mit seiner Schrift „de sacerdotio”, also eine griechische Quelle (!), als Beleg angegeben wird? Auch staunt man sonst über manches, so z. B. über die constitutio Antoniana (S. 17), über chrysargyrion (statt chrysargyron, S. 133), über capitatio (S. 124) als reine Kopfsteuer (statt capitatio-iugatio: kombinierte Kopf- und Ertragssteuer). Über die Haltung der frühen Kirche zu den Sklaven gibt es gerade einmal eine Anmerkung mit drei Zeilen (S. 184) usw. Auf eine hoffentlich nur sehr rasche Arbeitsweise lassen Fehler schließen wie „... die gleiche Funktion innewohnte wie den Gentilnomen (!)” (S. 69), dem gegenüber (S. 115), dem selben (S. 191), zu den Novatianer (S. 126), Chistentum (S. 83), les resources (S. 113), divisio mensura (S. 213), dagegen divisiones mensurnae (S. 214) usw.

Ganz schlimm wird es im Quellen- und Literaturverzeichnis, so z. B. Historia Numorum (S. 279); Concilium Carthagense (S. 280); Homiliae in principium Actum (!) Apostolorum; Maligrey (statt Malingrey); Leges Novellae at (!) Theodosianum pertinentes (S. 281); Epiphananius (!) Constantiniensis (S. 282); Novellae Maiorani - cum Constitutibus Sirmondinianis ... at Theodosium (S. 283); Gregor Nazianenus, kurz darauf richtig Nazianzenus, warum aber nicht Gregorius N.? (S. 282); Jones, The Later Roman Empire 264 - 602, 4 (!) Bde. (S. 291) usw.

Es ist schade, daß eine derart nachlässig redigierte Arbeit in der so renommierten Reihe der Jenenser Altertumswissenschaftlichen Kolloquien erscheinen konnte.

Richard Klein, Wendelstein
RiKle@gmx.net


PDF-Version ¦ ¦ Inhalt Plekos 8,2006 HTML ¦ ¦ Inhalt Plekos 6,2006 PDF ¦ ¦ Startseite Plekos