Thomas Grünewald (Hrsg.): Germania inferior. Besiedlung, Gesellschaft und Wirtschaft an der Grenze der römisch-germanischen Welt. In Verbindung mit Hans J. Schalles (Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Ergänzungsband 28). Berlin/New York: W. de Gruyter 2001. XI, 572 S., zahlreiche Abb. Euro 148,00. ISBN 3-11-016969-X.

Thomas Grünewald, Sandra Seibel (Hrsgg.): Kontinuität und Diskontinuität. Germania inferior am Beginn und am Ende der römischen Herrschaft (Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Ergänzungsband 35). Berlin/New York: W. de Gruyter 2003. XVII, 435 S., zahlreiche Abb. Euro 128,00. ISBN 3-11-017688-2.

Wer sich mit dem römischen Niedergermanien beschäftig, sei es aus archäologischer oder auch aus historischer Sicht, wird zukünftig an den beiden hier anzuzeigenden Sammelbänden nicht vorbeikommen. In beiden Bänden werden die archäologischen Ergebnisse der letzten Jahre zusammengefasst und somit für die weitere Forschung zur provinzialrömischen Geschichte besser greifbar gemacht.1 Dies ist vor allem für die Germania inferior von großer Bedeutung, da hier die literarischen sowie die aussagekräftigen epigraphischen Quellen recht spärlich und zudem bereits intensiv bearbeitet worden sind. Wer also bei Arbeiten zu der politischen und ökonomischen Struktur des römischen Niedergermaniens zu neuen Ergebnissen kommen möchte, braucht die provinzialrömische Archäologie. Jeder der beiden Sammelbände geht auf eine Tagung zurück. Das erste Kolloquium fand im September 1999 im Regionalmuseum Xanten statt, das zweite im Juni 2001 in der Katholischen Universität Nijmegen.

Der erste hier anzuzeigende und umfangreichere Band „Germania Inferior“, Ergebnis der Tagung von 1999, erschien 2001 und umfasst 20 Abhandlungen aus der Feder deutscher, niederländischer sowie britischer Archäologen und Althistoriker, die durch den Beitrag Zusammenfassung und Ausblick" von Th. Grünewald und H. J. Schalles abgerundet werden.

Die erste von insgesamt drei Sektionen steht unter dem Titel „Einführende Beitrage“: T. Bechert, Wirtschaft und Gesellschaft in der Provinz Germania inferior: Zum Stand der Forschung (1–18) gefolgt von H. Galsterer, Romanisation am Niederrhein in der frühen Kaiserzeit (19–35). „Raum, Besiedlung und Gesellschaft“ markiert den zweiten Themenbereich: J. Klostermann, Klima und Landschaft am römischen Niederrhein (36–53); J. Heinrichs, Römische Perfidie und germanischer Edelmut? Zur Umsiedlung protocugernischer Gruppen in den Raum Xanten 8 v. Chr. (54–92); N. Roymans, The Lower Rhine Triquetrum Coinages and the Ethnogenesis of the Batavi (93–145); R. Wolters, Germanische Mobilität und römische Ansiedlungspolitik: Voraussetzungen und Strukturen germanischer Siedlungsbewegungen im römischen Grenzland (146–168); H. van Londen, Landscape and water management: Midden Delfland, a region south of the Limes (169–184); C. Bridger, Zur römischen Besiedlung im Umland der Colonia Ulpia Traiana/Tricensimae (185–211); W. Spickermann, Kultorganisation und Kultfunktionäre im Gebiet der Colonia Ulpia Traiana (212–240); A. R. Birley, The Names of the Batavians and Tungrians in the Tabulae Vindolandenses (241–260); W. Schmitz, Spätantike und frühmittelalterliche Grabinschriften als Zeugnisse der Besiedlungs- und Sprachkontinuität in den germanischen und gallischen Provinzen (261–305).

Die dritte und abschließende Sektion steht unter dem Titel „Wirtschaft“: M. Erdrich, Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Germania inferior und dem germanischen Vorland – ein Wunschbild (306–335); H. van Enckevort, Bemerkungen zum Besiedlungssystem in den südöstlichen Niederlanden während der späten vorrömischen Eisenzeit und der römischen Kaiserzeit (326–396); J. P. A. van der Vin, Monetarisierung und Handel am Niederrhein in der augusteischen Zeit (397–408); L. Wierschowski, Cugerner, Baetasier, Traianenser und Bataver im überregionalen Handel der Kaiserzeit nach den epigraphischen Zeugnissen (409–430); H.-J. Schalles, Die Wirtschaftskraft städtischer Siedlungen am Niederrhein: Zur Frage der wirtschaftlichen Beziehungen des römischen Xanten mit seinem Umland (431–463); J. K. Haalebos, Die wirtschaftliche Bedeutung des Nijmegener Legionslagers und seiner canabae (646–479); C. Reichmann, Gelduba (Krefeld-Gellep) als Fernhandelsplatz (480–516); M. Gechter, Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen dem Römischen Reich und dem Bergischen Land (517–546) und Th. Fischer, Neuere Forschungen zum römischen Flottenlager Köln-Alteburg (547–564).

Wie einleitend bereits angemerkt, sind es gerade die archäologischen Aspekte, die neue Erkenntnisse bieten und damit die Grundlage für eine differenziertere Betrachtung des Themas bilden bzw. zu neuen Detailergebnissen verhelfen. So lassen sich die Gründe für die Ausbildung von städtischen Zentren wie auch die wirtschaftlichen Strukturen innerhalb der Germania inferior in einer relativ dünn besiedelten und stark vom Militär geprägten Provinz vor dem Hintergrund der dürftigen literarischen Quellen am besten mit Mitteln der Archäologie erforschen.

Zu den Beiträgen ist grundlegend Folgendes anzumerken: Jeder einzelne bietet am Ende einen guten Literaturüberblick und zahlreiche vorzügliche Abbildungen und Karten im Text. Dass man die zitierte Literatur sogleich hinter dem Beitrag findet, erweist sich lesetechnisch als günstig, führt jedoch aufgrund der thematischen Nähe aller Aufsätze zu häufigen Überschneidungen. Bisweilen hätte man auch einige Literaturangaben lieber anderen Beiträgen zugewiesen. Auffällig sowie kritisch zu betrachten ist die quantitative und qualitative Heterogenität der einzelnen Abhandlungen, die zwischen knappen Überblicksarbeiten (z. B. T. Bechert) und umfangreichen Detailstudien (z. B. J. Heinrichs, N. Roymans, W. Schmitz, H. van Enckevort oder auch H.–J. Schalles) schwanken. Bisweilen kündigt ein Titel auch mehr an, als er schlussendlich bietet, und manche Untersuchung mit vorgeblichem Modellcharakter ist sehr speziell angelegt. Insgesamt betrachtet wäre es wünschenswert gewesen, wenn alle Abhandlungen ihre Ergebnisse in einer Kurzzusammenfassung nochmals gebündelt hätten.2 Zudem hätte die Nutzbarkeit des Bandes noch verbessert werden können, wenn man ein Register beigegeben hätte. Gleiches gilt für eine detaillierte Karte der Provinz, die man beispielsweise im Einbanddeckel hätte positionieren können. Wäre diese vielleicht auch noch ausklappbar gewesen, so hätte man sie bei der Lektüre stets vor Augen gehabt. Bei allen diesen übergreifenden Aspekten hätte man sich eine stärker ordnende Hand des Herausgebers gewünscht.3


Grundsätzlich Vergleichbares lässt sich über die 16 Beiträge des zweiten Bandes sagen, der den wenig aussagekräftigen Titel „Kontinuität und Diskontinuität“ trägt.4 Aufgrund der thematischen Enge kommt es hier immer wieder zu inhaltlichen Überscheidungen mit Beiträgen aus dem ersten Band. Positiv fällt auf, dass im Gegensatz zum ersten Tagungsband – nunmehr dem „Naturell“ der Provinz entsprechend –, die Bedeutung des römischen Militärs bzw. die Belange des militärischen Umfelds stärker berücksichtigt werden.

Insgesamt gliedert sich das Werk in drei allgemein angelegte Themenbereiche. Die erste Sektion unter dem Titel „Raum und Besiedlung“ bietet sechs Beiträge: T. Bechert, Asciburgium und Dispargum. Das Ruhrmündungsgebiet zwischen Spätantike und Frühmittelalter (1–11); C. Bridger, Das spätantike Xanten – eine Bestandsaufnahme (12–36); Chr. Reichmann, Das Kastell Gelduba (Krefeld – Gellep) im 4. und 5. Jahrhundert (37–52); J. de Koning, Why did they leave? Why did they stay? On continuity versus discontinity from Roman Times to the Early Middle Ages in the western coastal area of the Netherlands (53–82); H. van Enckevort und J. Thijssen, Nijmegen und seine Umgebung im Umbruch zwischen Römerzeit und Mittelalter (83–118); A. Vanderhoeven, Aspekte der frühesten Romanisierung Tongerens und des zentralen Teiles der civitas Tungrorum (119–144).

Der zweite Themenbereich „Militär und Wirtschaft“ umfasst fünf Beiträge: M. Gechter, Die Militärgeschichte am Niederrhein von Caesar bis Tiberius – eine Skizze (145–161); J. Aarts, Monetisation and army recruitment in the Dutch river area in the early 1st century AD (162–180); M. D. de Weerd, Archäologische Beobachtungen anhand der Fundmünzen aus Kalkriese und aus den tiberischen Lagern Vechten und Velsen (181–199); C. van Driel–Murray, Ethnic Soldiers: The Experience of the Lower Rhine Tribes (200–217); D. G. Wigg, Die Stimme der Gegenseite? Keltische Münzen und die augusteische Germanenpolitik (218–241).

Der abschließende dritte Part steht unter dem Titel „Kultur und Gesellschaft“: T. Derks und N. Roymans, Siegelkapseln und die Verbreitung der lateinischen Schriftkultur im Rheindelta (242–265); J. Heinrichs, Ubier, Chatten, Bataver. Mittel- und Niederrhein ca. 70-71 v. Chr. anhand germanischer Münzen (266–344); J. Nicolay, The use and significance of military equipment and horse gear from non-military contexts in the Batavian area: continuity from the Late Iron Age into the Early Roman Period (345–373); W. Schmitz, Quiescit in pace. Die Abkehr des Toten von der Welt der Lebenden. Epigraphische Zeugnisse der Spätantike als Quellen der historischen Familienforschung (374–413) und schließlich I. Vossen, The possibilities and limitations of demographic calculations in the Batavian area (414–435).

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die einzelnen Beiträge in unterschiedlicher Intensität zahlreiche Aspekte einer weit ausdifferenzierten Forschung bündeln und nicht zuletzt dadurch so manchen Denkanstoß liefern. Zudem ist es erfreulich, dass sich niederländische und deutsche Forscher gemeinsam „ihrer“ Provinz angenommen haben.

Michael Rathmann, Bonn
michael.rathmann@uni-bonn.de

1 Bei grundlegenderen historischen Fragen musste man bislang auf die mittlerweile veraltete Monographie von Chr. Rüger: Germania Inferior. Untersuchungen zur Territorial- und Verwaltungsgeschichte Niedergermaniens in der Prinzipatszeit. Beihft. BJ 30, Köln/Graz 1968 oder auf die allgemeine Darstellung von H. v. Petrikovitz: Rheinische Geschichte, Bd. I.1: Altertum, Düsseldorf 19802, bzw. auf das von H. G. Horn herausgegebene Sammelwerk Die Römer in Nordrhein-Westfalen, Stuttgart 1987 zurückgreifen. Für die Niederlande steht alternativ W. van Es: De Romeinen in Nederland, Bussum 19813 zur Verfügung. Einen kurzen Überblick bietet auch M.-Th. Raesaet-Charlier: Gallien und Germanien, in: C. Lepelley (Hrsg.): Rom und das Reich in der Hohen Kaiserzeit 44 v. Chr.–260 n. Chr., Bd. II: Die Regionen des Reiches, [frz. Paris 1998] München/Stuttgart 2001, 155–210. Zwar ersetzen die beiden Kolloquiumsbände diese Literatur nicht, geben jedoch die Möglichkeit, sich rasch über den neuesten Stand der Forschung zu informieren.

2 Ganz offensichtlich versucht gerade der Abschlussbeitrag von Grünewald und Schalles die einzelnen Fäden für den Leser kurz zu bündeln.

3 So vermisst man im Beitrag von J. Klostermann zu Klima und Landschaft am römischen Niederrhein einen wirklichen Bezug zum Niederrhein, da er eine eher allgemeine Ausführung über Klima und Landschaft bietet. Verwunderlich ist, dass der Beitrag von Th. Fischer (Neuere Forschungen zum römischen Flottenlager Köln–Alteburg) in der Sektion „Wirtschaft“ untergebracht wurde, obwohl er im Grunde eine Art Grabungsbericht darstellt.

4 Erst der Untertitel „Germania inferior am Beginn und am Ende der römischen Herrschaft“ ist wirklich sachdienlich.


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