Barbara Feichtinger, Helmut Seng (Hrsgg.): Die Christen und ihr Körper. Aspekte der Körperlichkeit in der christlichen Literatur der Spätantike. München: K. G. Saur 2004 (Beiträge zur Altertumskunde 184). 212 S. Euro 88. ISBN 3-598-77736-1

Körperlichkeit“ ist in der historischen Kulturforschung während der letzten Jahren zu einem ausgesprochenen Modethema geworden, was so weit führt, dass selbst Publikationen mit an sich wissenschaftlichem Anspruch das bewußte Signalwort gern verkaufsfördernd in ihren Titel aufnehmen, wiewohl sie eigentlich ganz traditionelle Themen behandeln. Wem wäre es noch vor kurzem eingefallen, eine Monographie über einen englischen Augustinermönch des 15. Jahrhunderts mit dem Titel "Impolitic Bodies"1 zu überschreiben? So verbirgt sich auch z.B. unter der "Krise der Leiblichkeit" eine sektengeschichtliche Studie der Buttlarschen Rotte um 17002, unter "Geschichtskörper"3 ein buntes, nicht unbedingt den Arbeiten von Ernst H. Kantorowicz entsprechendes Sammelsurium, unter "Fleisch und Stein. Der Körper und die Stadt in der westlichen Kultur"4 eine kulturgeschichtliche Darstellung des urbanen Lebens, unter "Körper der Nation"5 eine solche des Turnens im 19. Jahrhundert u.s.f.

Diesem Trend möchte sich verständlicherweise auch die Altertumswissenschaft nicht verschließen, wofür das hier anzuzeigende Buch zeugt, das auf ein Konstanzer Workshop des Jahres 2001 zurückgeht und dessen Druck von der DFG gefördert wurde. Wie der Untertitel andeutet, handelt es sich um sehr punktuelle Themen, die in der Tat einiges Erhellende nun wirklich über das Körperverständnis der neuen Religion bringen, ohne sich jedoch irgendwie zu einem Gesamtbild zusammenzuschließen, zumal der Schwerpunkt ganz auf dem leidenden Köper liegt, als ob das Christentum nicht auch positive Aspekte der Leiblichkeit wie etwa die Inkarnation des Erlösergottes oder den verklärten Auferstehungsleib kennen würde. Diese werden jedoch nur gelegentlich erwähnt.

Einige Grundgegebenheiten versucht die Herausgeberin in ihrer Einleitung zusammenzustellen, so die eher holistische Auffassung von der Person im Judentum vs. die dualistische der hellenistisch-neuplatonischen Tradition oder die neue Bedeutung, die somatisches Leid durch die Imitatio Christi erhält, „eine revolutionäre Neuerung“ (S. 16). Doch wendet sie sich bald einer Zusammenfassung der folgenden Beiträge zu. Diese beginnen mit einer Studie von K. Waldner (S. 29-74) zur Erzähltechnik bei der Darstellung körperlicher Schmerzen in zwei Märtyrerakten, nämlich dem Martyrium Polycarpi und der Passio Perpetuae et Felicitatis. Thematisiert wird z.B. direkte bzw. indirekte Darstellung bzw. zur Schau Stellung der in der Arena gequälten Körper. Die „Berichterstatter verwandeln die Schande des öffentlichen Spektakels in den Triumph der Wahrheit der christlichen Weltsicht.“ (S. 32). Dem schließt sich T. Binder mit ähnlicher Fragestellung für die Passio Montani et Lucii an (S. 75-99). Er analysiert den Text deskriptiv nach Bewegung, Mimik, Handlung etc. Dann geht es um den kranken Körper: A. Breitenbach greift S. 101-150 aus den Werken des Ambrosius von Mailand seinen Lukaskommentar und die Schrift De officis heraus, um daran zu zeigen, dass dem Bischof Krankheit Anzeichen der Vergänglichkeit war, und Heilung Folge des Glaubens. Krankheit des Leibes ist Hinweis auf die Krankheit der Seele; darauf war freilich nach den bekannten Geboten des Neuen Testaments zu reagieren, was aber primär der Selbstheiligung diente. Doch konnte karitative Tätigkeit für Ambrosius aufgrund seiner Interpretation körperlichen Leidens kein zentrales Element seiner Religiosität werden, wie es gern in der Kirchengeschichtsschreibung dargestellt wird. Nur einen Text, den Nachruf auf Fabiola (Ep.77) des Hieronymus, untersucht S. Lake (S. 151-172): Aufgrund der hyperbolischen Topik im Sinne der laudatio funebris dürfe dieser Brief nur sehr begrenzt für eine institutionalisierte Krankenfürsorge vonseiten der neuen Religion, d.h. also für die Anfänge des Spitalwesens im Westen, herangezogen werden. Diese Frage wird über Hieronymus hinausgehend diskutiert und ist in der Tat ein Thema, das immer wieder unter Einfluß der kirchlichen Geschichtsschreibung auch für die folgende Epoche zu optimistisch gesehen wurde, zumal, möchte ich ergänzen, auch die Infirmarien der Klöster in der Praxis ganz zuallererst die kranken Mitbrüder und –schwestern aufnahmen, und nicht irgendwelche an die Pforte klopfenden hilfebedürftigen Laien. Nicht nur die Einstellung des Augustinus zu Krankheit, sondern auch zur Sexualität und zur resurrectio mortuorum möchte T. Fuhrer auf wenigen Seiten zusammenfassen, was erwartungsgemäß auf ein paar nichts Neues bietende Schlaglichter beschränkt bleibt (S. 173-188). Wieder zu leidenden Körpern, nämlich denen der Asketen im christlichen Osten, die sich bemühten, die Seele durch Zerbrechen des materiellen Gefängnisses zu befreien, führt der Aufsatz von C. Markschies (S. 189-212). Er sieht hierin allerdings mehr Selbstdisziplinierungsversuche und geht auch auf Kritiken von Zeitgenossen an dieser Methode der Selbstheiligung ein. Weiter stellt der Verfasser eine Übereinstimmung der schriftlichen Quellen mit Ausgrabungsfunden und medizinal-anthropologischen Untersuchungen fest, was zu einer Aufwertung der gern als legendär bezeichneten Berichte über die bekannten Praktiken extremer Mortifikation führt. Hauptsächliche Motive sieht er in der Imitatio Christi und dem Ideal des engelgleichen Lebens, was freilich ohnehin communis opinio ist.

Die Beiträge stammen, mit zwei Ausnahmen, von Verfasserinnen und Verfassern, die sich offenbar noch nicht lange auf diesem Gebiet bewegen, was sich mehrfach durch einen recht engen Blickwinkel auf nur den einen oder anderen ausgewählten Text und eine gewisse Absenz von mentalitätsgeschichtlichem Hintergrundwissen bemerkbar macht, zumal das Spezifische auch an der Einstellung des frühen Christentums zum Körper erst im Vergleich zu anderen historischen Epochen zu definieren wäre, also v.a. zur Antike v.d.Zw. und zum Frühmittelalter.

Zweifellos wird jeder Leser dieses Bandes manches für ihn Interessante und Neue finden, m. E. am ehesten bei Lake, ein Register wäre hierzu freilich hilfreich gewesen. Generell irritiert jedoch wiederholt die Abwesenheit grundlegender Sekundärliteratur: So etwa bzgl. Augustinus eine ganze Reihe von Arbeiten von K. Thraede (nicht einmal der Beitrag im RAC findet Erwähnung); wie man über frühchristliche Askese schreiben kann, ohne wenigstens in der Bibliographie die Standardwerke von O. Zöckler6, M. Viller/K. Rahner7 und B. Lohse8 zu vermerken, bleibt unnachvollziehbar; und dass es einen – wenn es schon um das christliche Körperverständnis geht - grundlegenden Artikel zum Thema im Dictionnaire de spiritualité ascétique et mystique9 gibt, ist überhaupt niemandem bekannt. Man kann aber gern unterschreiben, was die Herausgeberin im Vorwort zu diesem (übrigens ungewöhnlich leserfreundlich groß gedruckten) Band sagt: Es handle sich „um einen kleinen Beitrag“ zur „Ausformung eines zeit- und raumüberhobenen Leitsymbols christlicher Identität“ (S. 14). Freilich würde hier einen besonders wichtigen Raum auch die Betrachtung des Körpers Jesu einnehmen müssen: Wieso hat - von allen Weltreligionen - nur das Christentum den geschundenen, sterbenden oder toten Leib eines Menschen, des Religionsstifters, zum zentralen und in seinen Kultstätten allgegenwärtigen Symbol gemacht – wenn auch konsequent erst in nachantiker Zeit? Gerade eine Klärung der Weisen, wie anders die Leiblichkeit Christi sich für die Gläubigen in den ersten Jahrhunderten seiner Religion in Wort und Bild darstellte, als wie sie dann in Kontinuität seit etwa der Jahrtausendwende bis in die Gegenwart gestaltet wurde, könnte und sollte Gegenstand weiterer Forschung sein.

Peter Dinzelbacher, Innsbruck

peter.dinzelbacher@aon.at

1 Sheila Delany: Impolitic Bodies. Poetry, Saints, and Society in Fifteenth-Century England. The Work of Osbern Bokenham. Oxford 1998.

2 W. Temme: Krise der Leiblichkeit. Göttingen 1998.

3 W. Ernst, C. Vismann (Hrsgg.): Geschichtskörper. Zur Aktualität von E. H. Kantorowicz. München 1998.

4 Richard Sennet: Flesh and Stone. The Body and the City in Western Civilisation. New York 1994.

5 Svenja Goltermann: Körper der Nation. Göttingen 1998.

6 Askese und Mönchtum I/II. Frankfurt 1897.

7 Aszese und Mystik in der Väterzeit. Freiburg 1939.

8 Askese und Mönchtum in der Antike und in der alten Kirche. München 1969.

9 D. Gorce, Corps: DSAM II/2, 1953, 2338-2378.


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