Werner Eck: Köln in römischer Zeit. Geschichte einer Stadt im Rahmen des Imperium Romanum Geschichte der Stadt Köln in 13 Bänden, Bd. 1). Köln: Greven 2004, XLVI, 858 S., 301 Abb., 3 Karte. Euro 75. ISBN 3-7743-0357-8.

Ein auf 13 Bände angelegtes Gesamtwerk zur Kölner Stadtgeschichte hat mit dem vorliegenden Werk sein imposantes Entrée. Der Autor, langjähriger Ordinarius für Alte Geschichte in dieser Stadt, war wie kaum ein anderer prädestiniert für dieses Buch, das wissenschaftliches Fundament mit einer allgemeinverständlichen Darstellung verbindet.

Daß nach verschiedenen vergeblichen Anläufen (die von Hugo Stehkämper, dem wissenschaftlichen Herausgeber der Reihe, in einer längeren „Einführung in das Gesamtwerk, XXI - XLVI, beschrieben werden) das ehrgeizige Unternehmen erst jetzt erfolgreich gestartet ist, hat für die antike Epoche sein Gutes: konnten so doch die zufälligen Funde und Ausgrabungen der letzten Jahrzehnte ebenso miteinbezogen werden wie langerwartete Publikationen älterer Grabungen. Überhaupt ermöglichen ja erst die archäologischen, numismatischen und inschriftlichen Quellen eine echte Stadtgeschichte der Römerzeit; die literarische Überlieferung, namentlich im zweiten und dritten Jahrhundert, ist dazu viel zu dünn.

Der Autor beginnt mit der Beschreibung der niederrheinischen Tiefebene und seiner natürlichen Voraussetzungen (S. 10 – 30), um dann die chronologische Darstellung mit Caesar, den Eburonen und der Ansiedlung der (eigentlich rechtsrheinischen) Ubier aufzunehmen (S. 31-45). Dieser Beginn der Stadtgeschichte (‚Stadt’ im antiken Sinn verstanden, also inklusive ihres – in diesem Fall mehr als 5000 km² großen – Territoriums) ist, so Eck der Argumentation seines Schülers Johannes Heinrichs folgend, während Agrippas zweiter gallischer Statthalterschaft anzusetzen, 19/ 18 v.Chr. Tacitus erwähnt dieses Ereignis in den Annalen: acciderat ut eam gentem [sc. die Ubier] Rhenum transgressam … Agrippa in fidem acciperet (12,27,1). Daß Tacitus die zeitliche Abfolge hier umgedreht hat (so im Ergebnis Eck, S. 55), also in Wirklichkeit erst die Unterwerfung (receptio in fidem) bzw. der Vertrag, dann der Rheinübergang erfolgte, muß man nicht annehmen. Natürlich fanden die materiellen Vereinbahrungen vorher statt, das offizielle foedus könnte aber wirklich erst nach dem freiwilligen Überwechseln geschlossen worden sein (die Freiwilligkeit der Ubier betont ja auch Strabon 4,3,4). Diese Reihefolge, die den Ubiern einen etwas aktiveren Part beläßt, dürfte dann auch auf der repräsentativen Inschrift festgehalten worden sein, die den Vertragsschluß später dokumentierte (wenn es eine solche gab).

Für die weitere augusteische Zeit geht es dann immer wieder um Köln als geplantes Zentrum einer germanischen Provinz, eine Konzeption, die nach wie vor umstritten ist. In der m.E. überzeugenden Argumentation (kürzlich vom Autor noch einmal intensiviert: W.Eck: Augustus und die Großprovinz Germanien; in: KJ 37, 2004, 11-22) spielt der zentrale Altar des germanischen Kaiserkults in Köln die Hauptrolle. Ab 16 n. Chr., dem Zeitpunkt der faktischen Aufgabe einer Expansion jenseits des Rheins fand sich Köln plötzlich an der Grenze des Imperium Romanum wieder. Weitere Etappen sind die Gründung der Kolonie unter dem Namen Colonia Claudia Ara Agrippinensium (CCAA) im Jahr 50 n. Chr. unter Claudius und auf Betreiben seiner mächtigen (15 n. Chr. in Köln geborenen) Frau Agrippina, die Krisenjahre 68 – 70, als in den Wirren des Vierkaiserjahres aufständische Germanen und Hilfstruppen die widerstrebende Stadt auf ihre Seite zu zogen, und die Blütezeit unter den Flaviern bis zum Aufstieg des Trajan (98 n.Chr.).

Anschließend wird der Untertitel des Werkes mit Leben gefüllt: ‚im Rahmen des Imperium Romanum’. Jede Stadt des Reiches war ja ebenso in die Verwaltungs- und Rechtsgeschichte eingebunden wie in die durch die innen- und außenpolitischen Zäsuren periodisierte Politikgeschichte. Dies wird von Eck ganz konsequent umgesetzt (nur so kann er überhaupt eine kontinuierliche Stadtgeschichte schreiben), wie schon der – keineswegs rein chronologische – Aufbau des Buches zeigt. Die dem Gang der Ereignissen folgenden Kapitel (2 – 7, 14 – 17 und 19) rahmen einen großen Mittelteil (8 – 13, S. 242 - 510), der den generellen Strukturen gewidmet ist (der Administration, der Bevölkerung, der städtischen Elite, der Urbanistik, der Wirtschaft sowie den paganen Religionen in Köln), und ein Kapitel (18) über das frühe Christentum. Die Zäsur am Ende von Kapitel 7 ist das Jahr 98 n.Chr., als Trajan in Köln vom Tode Nervas und damit von der eigenen Kaiserwürde erfuhr, wobei die Stadt am Rhein in gewisser Weise zum Zentrum der Macht wurde, wenn auch nur für ein paar Monate; Kapitel 17 endet mit dem Jahr 355, als der fränkische Heermeister Silvanus sich in der CCAA gegen Constantius II. zum Kaiser ausrufen ließ. Diese zweite Kölner ‚Erhebung’ fand jedoch schnell ein blutiges Ende, was dann im Rückblick wie eine Menetekel der ersten Eroberung Köln durch die Franken (im selben Jahr) aussieht.

Ecks Rekonstruktion der Tötung des Silvanus (S. 625-627 und 815f.) überzeugt übrigens ausnahmsweise nicht. Unsere einzige Quelle ist der Bericht des Ammianus Marcellinus: caesis custodibus regia penetrata Silvanum extractum aedicula, quo exanimatus confugerat, ad conventiculum ritus Christiani tendentem densis gladiorum ictibus trucidarunt. (15,5,31). Eck glaubt nun, die Stelle müsse so verstanden werden, daß die Häscher den Palast (also das Praetorium) leer gefunden hätten, weil Silvanus schon auf dem Weg zu einem christlichen Gottesdienst gewesen sei. Dabei von den Häschern überrascht, sei er in ein kleines Haus geflohen, jedoch entdeckt und getötet worden. Die nahe liegende (und deshalb vorzuziehende) Interpretation dieser Passage ist jedoch die, daß Silvanus im Palast getötet wurde, nachdem er aus einem Raum, in dem er versucht hatte, sich zu verstecken, herausgezogen worden war. Ein vergebliches Durchsuchen des Palastes, dann eine Verfolgung in den Straßen Kölns, dann ein Aufspüren auf dem Weg - all das müßte ja ergänzt werden, paßt aber nicht in diese durch das Perfekt-Partizip (regia penetrata) und das Prädikat (trucidarunt) umrissene dichte zeitliche Abfolge.

Die Ergänzung ad conventiculum ritus Christiani tendentem hat somit wohl doch einen speziellen Sinn. Da das ganze Geschehen im Palast spielte und zuvor vom Einbruch der Angreifer, dem Töten der Wachen die Rede ist, gibt es – angesichts der Bedeutungsbreite von tendere – theoretisch zwei Möglichkeiten: Silvanus wollte gerade (zufällig) in eine Kirche, als die Häscher in den Palast einbrachen etc. Sprachlich ist das möglich. Aber warum hätte Ammian dieses Detail erwähnen sollen? Es bringt gegenüber dem extractum aedicula, quo exanimatus confugerat keinerlei Erkenntnisgewinn, wenn nicht den, daß Silvanus ein frommer Christ war: aber der Augenblick seiner Ermordung ist nicht der richtige Zeitpunkt, um Aussage über Silvanus’ Gewohnheiten zu machen, die nichts zu diesen dramatischen Ereignissen beigetragen haben. Viel näher liegt (und daher vorzuziehen ist) die zweite Möglichkeit: Silvanus wollte, als er den Einbruch der Mörder bemerkte, eine Kirche – wohl die des Bischofs – erreichen, um dort Asyl zu finden; aber es war zu spät. So konnte er nur noch in Panik ein schnelles Versteck im Palast (eine nicht näher bestimmbare aedicula) suchen, in dem er aber aufgespürt wurde. Daß der Autor Silvanus’ gar nicht umgesetzten Plan, in einer Kirche Schutz zu suchen (der nicht unbedingt für sein christliches Bekenntnis spricht), erwähnt, liegt an seiner antichristlichen Botschaft, die schon in der distanzierten Terminologie (conventiculum ritus Christiani) erkennbar wird: ‚Die Hoffnung auf das christliche Kirchen-Asyl ist oft trügerisch’ (vgl. auch Amm. 26,3,3 und 27,3,13).

Aber zurück zur Strukturgeschichte Kölns (Kap. 8-13), die fast so etwas wie eine Geschichte der Provinz Germania Inferior ist, der Eck und seine Schüler in den vergangenen Jahrzehnten ja einen Gutteil ihrer Forschungen gewidmet haben. Immer wieder bezieht er auch archäologischen Untersuchungen ein, sodaß die Darstellung streckenweise zu einer Summe unserer Kenntnisse des niedergermanischen Raumes wird. Dabei beschränkt der Autor sich nie auf die positivistische Stoffsammlung, sondern verbindet sie mehrmals mit methodischen Überlegung über die jeweiligen Bedingungen historischer Erkenntnis (besonders lesenswert die Seiten über das Wißbare in der antiken Ökonomie: 436 – 439). Notwendigerweise ist die Verbindung zu Köln in diesen Kapiteln zuweilen lose oder von Extrapolationen bestimmt; muß doch öfter von Verhältnissen in anderen Provinzen rückgeschlossen werden. Dies geschieht jedoch immer in klar erkennbaren Argumentationen, deren Vermutungscharakter gegebenenfalls offengelegt wird. Mit Kapitel 19 (‚Die Stadt erlischt’) setzt dann die Niedergangsgeschichte ein, beginnend mit der fränkischen Eroberung im November 355 und endend im Dunkel des fünften Jahrhunderts.

Das mit Genuß zu lesende Buch ist klar und flüssig geschrieben, keineswegs nur an Altertumswissenschaftler gerichtet, reich illustriert und erschlossen durch instruktive Tabellen sowie durch verschiedene Anhänge (etwa Listen der Kölner Statthalter und aller anderen auf Kölner Territorium bezeugten Personen, die nicht von dort stammen); auch ein Glossar nebst Personen, Orts- und Sachindizes fehlen nicht.

Die Archäologie des römischen Köln (befördert im Zentrum durch den U-Bahn-Bau, im Umland durch den Braunkohleabbau) hält sicher noch viele Überraschungen bereit, dieses bewundernswert souveräne Werk wird aber eine Stadtgeschichte bleiben, die Maßstäbe setzt.

Konrad Vössing, Bonn
voessing@uni-bonn.de


PDF-Version ¦ ¦ Inhalt Plekos 8,2006 HTML ¦ ¦ Inhalt Plekos 8,2006 PDF ¦ ¦ Startseite Plekos