Richard Klein: Raymond van Dam,
Families and Friends
Raymond van Dam:
Families and Friends in Late Roman Cappadocia.
Philadelphia. University of Pennsylvania Press 2003. VIII, 254 S. $ 45. ISBN 0-8122-3712-9
Es ist schon auffällig, daß ein Althistoriker, auch wenn er so
renommiert ist wie van Dam, in einem Abstand von zwei Jahren drei
Bücher über eine zwar zeitlich wie geographisch gleiche Thematik,
jedoch mit jeweils anderem Aspekt schreiben kann. Stolz verweist der
Verf. denn auch mehrfach auf seine Bücher Kingdom of Snow. Roman Rule
and Greek Culture, 2002, und Becoming Christian. The Conversion of Roman
Cappadocia, 2003. Immer geht es ihm dabei um die Auskünfte der drei
großen Bischofsgestalten, Basilius von Caesarea und seines jüngeren
Bruders Gregor von Nyssa (über den es allerdings weniger zu berichten
gibt), sowie um deren Freund Gregor von Nazianz, die führenden
Familien in der lange Zeit als entlegen und unwirtlich gehaltenen
kleinasiatischen Provinz entstammten. Bekanntlich konnte man dort selbst
im vierten nachchristlichen Jahrhundert noch nicht einmal richtig
Griechisch sprechen. Da die drei Bischöfe in reichhaltiges
literarisches Werk, vor allem einen regen Briefwechsel, hinterlassen
haben, und wir von Gregor von Nazianz zudem ein umfassendes
Gedichtcorpus von fast 20000 Versen besitzen, ist reiches Material
für derartig ausführliche Studien vorhanden. Was das vorliegende
dritte Buch angeht, so ist es das Bestreben des Autors, einen Beitrag
für die Sozial- und Kulturgeschichte zu leisten., wie er einleitend
sagt, bzw. eine Lücke zu füllen, wie man im Epilog lesen kann, da
Patristiker vorwiegend über Theologie, Askese, Spiritualität und
kirchliche Fragen schreiben, während familiäre Bindungen und
Freundschaften vernachlässigt werden - womit er ohne Zweifel recht hat.
Natürlich kann es nicht ausbleiben, dass bei der Betrachtung dieser
drei herausragenden Gestalten, mit denen übrigens männlicherseits
die Familien ausstarben, sich manche Überschneidungen mit den
vorangehenden Büchern ergeben. Außerdem ist eine gewisse
Weitschweifigkeit mit vielen Wiederholungen ein besonderes Merkmal des
hier vorliegenden Buches. Hervorzuheben freilich ist, dass die
zahlreichen wörtlichen Zitate ein belebendes Element darstellen,
wofür auf mehr als 30 Seiten die entsprechenden Belege samt den
nötigen Literaturhinweisen geboten werden.
Das erste Kapitel "Väter und Söhne" stellt zunächst in
aller Breite das jeweilige Verhältnis der beiden Freunde Basilius und
Gregor von Nazianz zu ihren Vätern dar, von denen der eine es ablehnt,
zu Hause zu bleiben und den väterlichen Beruf eines Lehrers zu
ergreifen, sondern nach seiner Rückkehr von seinem Studium in Athen
sich zunächst für eine asketische Lebensführung entscheidet und
dann mit einem ambitionierten Vorgehen den einflussreichen Bischofssitz
in der Provinzhauptstadt erreicht, wo er allerdings eine
außerordentlich segensreiche Wirksamkeit entfaltete ( z. B. Gründung
der Armensiedlung Basileias vor den Toren der Stadt Caesarea). Nachdem
er sich früh vom Elternhaus in Neocaesarea gelöst hatte, hatte er
allerdings das Glück, etwa in Eustathius von Sebaste oder Eusebius von
Samosata einflussreiche Gönner zu finden, die seine Persönlichkeit
entscheidend prägten. Freilich konnte er das väterliche Erbe nicht
verleugnen, was sich in seinen Schriften etwa durch eine gewisse
grammatikalisch- stilistische Pedanterie äußert, so dass er auch als
Vater seiner Gläubigen immer etwas von einem Lehrer behalten hat. Ganz
anders dagegen der weichere und anhänglichere Gregor von Nazianz, der
sich nach Abschluß seiner Studien trotz des mehrfachen Rückzugs in
eine asketische Einsamkeit, z. B. an den Wallfahrsort Seleukia in
Kilikien zum Grab der hl. Thekla, immer wieder zur Unterstützung des
Vaters, der Bischof war, zurückkehrte, bis er schließlich selbst der
geistliche Oberhirte in seiner Vaterstadt wurde. Außerdem glaubte er
sich später zur Fürsorge für seine große Familie verpflichtet,
wie dies in seinem Testament deutlich wird (worüber der Verfasser
leider gar nicht spricht). Diese Sorge schloß auch "den vergessenen
Bruder" ein, den Arzt Caesarius, der es zu einer angesehenen Stellung am
Hof des Heidenkaisers Julian brachte (worüber die Familie gar nicht
glücklich war), während sich Basilius wenig um seine Brüder, den
Jäger Naucratius, Gregor von Nyssa und Peter kümmerte, die beide
Bischöfe wurden. Aufschlussreich sind die abschließenden Bemerkungen
zu diesem Abschnitt "Der Vater bleibt immer der Vater", wonach die
persönlichen Erfahrungen der Brüder bzw. Freunde einen Widerhall in
ihren theologischen Ansichten über die Trinität, insbesondere über
das Verhältnis von Vater und Sohn, gefunden hätten.
Das zweite Kapitel "Mütter und Töchter" zeigt das enge
Verhältnis Gregors zu seiner Mutter Nonna (die Familie hatte 9 Kinder)
und seiner Schwester Gorgonia, die wegen ihrer Heirat bald die Familie
verließ und nach Iconium übersiedelte. Beider Tugenden hebt Gregor
etwas stereotyp immer wieder hervor. Wie eng diese Familienbande waren,
zeigt sich nicht zum wenigsten in der Sorge für Nicobulos, den Sohn
seiner Nichte Alypiana, der entgegen dem Willen seines Vaters eine
höhere Schule besuchen wollte und dabei von seinem Onkel tatkräftig
unterstützt wurde. Auch die zahlreichen Epitaphiengedichte für
verschiedenen Familienmitglieder legen von der familiären
Verbundenheit ein beredtes Zeugnis ab. Nüchterner scheint es dagegen
in der ebenfalls kinderreichen Familie des Basilius zugegangen zu sein,
erfahren wir doch, dass sich hier die Mutter Emmelia nach dem Tod ihres
Gatten - MäÜhen heirateten meist erheblich ältere Männer und
wurden daher oft frühzeitig Witwen - um die Verwaltung des
Familienbesitzes kümmerte, während die älteste Tochter Macrina,
die nach dem Tode ihres Verlobten sich für ein jungfräuliches,
asketisch-philosophisches Leben entschied, jedoch im Hause verblieb und
sich um die Erziehung der jüngeren Geschwister kümmerte. Sehr
ansprechend sind die Ausführungen über diese hochgebildete
Schwester, welche der jüngere Bruder Gregor (von Nyssa) kurz vor ihrem
Tod nicht nur zur verständnisvollen Gesprächspartnerin seiner
gelehrten Abhandlung über die Seele und die Auferstehung machte (nach
dem Vorbild des platonischen Phaidon), sondern auch in einer
ergreifenden Biographie verherrlichte. Noch immer sah man jedoch in der
weiblichen Jungfräulichkeit eine Ausnahmestellung und gewissermaßen
einen Verzicht auf die Bestimmung des weiblichen Geschlechts, während ein
Mann verschiedene Möglichkeiten besaß, sich selbst zu verwirklichen,
darunter eben auch die ehelose Stellung eines Bischofs. Für beide
Familien bedeutete eine solche Wahl allerdings ein soziales Erlöschen
und die Kirche konnte sich als Erbin betrachten.
Sehr ausführlich beschäftigt sich der Verfasser im dritten
Kapitel mit dem Thema Freundschaft, zunächst mit den Quellen,
insbesondere mit den Briefen, aus deren unterschiedlichem Charakter bei
Basilius und Gregor bereits deren andersgeartete Einschätzung ihrer
Freundschaft abgelesen werden kann. Sie war oft großen Belastungen
ausgesetzt war, obwohl sie in Athen beim gemeinsamen Studium als echte
Herzensgemeinschaft entstanden war, gewissermaßen als eine Seele in
zwei Körpern. Die oft zurückhaltende, bisweilen sogar frostig
verletzende Art des ehrgeizigen Kirchenpolitikers Basilius, wie sie sich
auch gegenüber anderen Briefpartnern wie dem Studienfreund Hellenius,
dem einflussreichen Beamten Sophronius, dem Asketen Eustathius, sowie
den Bischöfen Meletius von Antiochien und Amphilochius von Iconium,
dem Vetter Gregors, zeigte (z. B. in den drei kanonischen Briefen),
wird hier erneut kontrastiert mit der offenen Art des vor allem an der
klassischen Literatur interessierten Gregor, womit er bei Basilius wenig
angekommen sei. Auffälligerweise fehlt hier ein Blick auf Gregor von
Nyssa, von dem bekanntlich ebenfalls ein Briefcorpus mit
unterschiedlichen Adressaten überliefert ist. Auch ist nicht recht
einzusehen, warum immer wieder behauptet wird, dass Basilius in seiner
distanzierten Art wenig Interesse an der heidnischen Bildungstradition
gehabt habe, besitzen wir doch von ihm in seiner Schrift "An die Jugend"
ein geradezu leidenschafliches Plädoyer für die griechische Paideia,
das über Jahrhunderte weitergewirkt hat (vgl. R. Klein: Die Bedeutung
von Basilius' Schrift "Ad adolescentes" für den Erhalt der heidnisch -
griechischen Literatur, in: Roma versa per aevum. Ausgewählte
Schriften zur heidnischen und christlichen Spätantike, hrsg. v. R. v.
Haehling und K. Scherberich, Spudasmata 74, Hildesheim 1999, 617 - 637).
Minutiös zeichnet der Verfasser im Folgenden die Belastung dieser
Freundschaft und ihren zeitweisen Bruch, bes. durch die von Basilius
vorgenommene selbstherrliche Ernennung Gregors zum Bischof in dem
entlegenen, unwirtlichen Sasima, der er sich bekanntlich durch die
Flucht entzog. Eine große Rolle spielen weiterhin die andersgearteten Interessen, hier Athen, dort Jerusalem, und die abschließende
Klage des untröstlichen Gregor über eine verlorene Liebe.
Mit Spannung wendet sich der Leser schließlich dem Epilog zu,
der einem vierten kappadokischen Vater gewidmet ist. Man denkt
zunächst an Amphilochius, der ebenfalls durch eigene Schriften
hervortrat, z. B. über den Hl. Geist, aber nicht als originaler Denker
anerkannt wird, weiterhin an den gleichfalls gelehrten Eunomius von
Kyzikos, der jedoch von Basilius und seinem jüngeren Bruder Gregor als
Ketzer gebrandmarkt wird. Genannt wird hier sogar Julian, ein
Studienfreund in Athen, von dem Gregor von Nazianz ein beeindruckendes
Charakterbild hinterlassen hat, der aber als Heide einem
unnachsichtigen Verdikt verfällt. Umso erstaunlicher ist es, dass als
vierte Gestalt Macrina genannt wird, ein Muster an asketischer
Spiritualität, vorbildlich durch ihre Vertrautheit mit der klassischen
Philosophie und christlicher Gelehrsamkeit. "To become the fourth
Cappadocian, Macrina has had to be imagined as a theologian in her own
right, a potential Cappadician Father rather than a possible Cappadocian
Mother. Wahrhaftig ein Urteil, das man gerne übernimmt.
Was vorliegt, ist insgesamt ein Buch, das manches an
Kenntnissen voraussetzt, aber den Leser für die Mühe, die er bei der
Lektüre aufzuwenden hat, reichlich entschädigt durch eine Reihe
wertvoller Einblicke in das Leben zweier führender Familien, wie man
sie selten in der Altertumswissenschaft geboten bekommt.
Richard Klein, Wendelstein
RiKle@gmx.net
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