Bruno Bleckmann: Sozomenos Sozomenos. Historia Ecclesiastica. Kirchengeschichte. Vier Teilbãnde. Griechisch-Deutsch. Übersetzt und eingeleitet von G. C. Hansen. Turnhout: Brepols Publishers 2004 (Fontes Christiani 73, 1-4). Bd. 1.: ISBN 2-503-52126-6 Euro 35,42; Bd. 2 ISBN 2-503-52128-2 Euro 35,42; Bd. 3: ISBN 2-503-52128-2 Euro 32,62; Bd. 4: ISBN 2-503-52138-X Euro 30,75.

Das Erscheinen einer vollstãndigen Übersetzung des Kirchenhistorikers Sozomenos ist für jeden Spezialisten der Spãtantike deshalb willkommen, weil sie den Überblick über ein Werk erleichtert, das in vielfacher Hinsicht Interesse für sich beanspruchen kann, sowohl, was seinen Quellenwert für die profane und kirchliche Geschichte betrifft, als auch aufgrund der Tatsache, daß die Kirchengeschichte des Sozomenos (trotz der Tatsache, daß das Geschichtswerk letztlich ein Torso geblieben ist) eines der wenigen vollstãndig erhaltenen Beispiele für die spãtantike Kirchengeschichtsschreibung darstellt. Daß die Übersetzung sprachlich in hööchstem Maße zuverlãssig und in jeder Hinsicht von überragender Qualitãt ist, kann angesichts des jahrzehntelangen Umgangs von G. C. Hansen mit den Kirchenhistorikern des fünften Jahrhunderts und gerade auch mit Sozomenos kaum verwundern. Der Übersetzung geht eine nüchtern gehaltene hochinformative Einleitung voraus, die die bisher noch nicht geschriebene Sozomenos-Monographie auf lange Zeit ersetzen dürfte. Hansen charakterisiert dort zunãchst die Person des Autors und die auffãlligen Besonderheiten seines Werks. Hermeias Salamanes Sozomenos (die drei Namensbestandteile werden von Hansen detailliert erklãrt) stammte aus der Gegend von Gaza (aus Bethelea, ein Teil der Familie vielleicht aus Maiuma). Der Provinziale war ab 425 als Rechtanwalt in Konstantinopel tãtig. Die Gründe, die den hochgebildeten Sozomenos bewogen, als Laie (im Unterschied zu Sokrates ohne halboffiziellen Arbeitsauftrag) seine Kirchengeschichte zu verfassen, werden von H. sehr nachvollziehbar offen gelegt. Sozomenos kam aus einer Gegend, in der das Heidentum noch sehr stark war und in der der stãndige Konflikt mit den Christen auf der Tagesordnung stand. Diese Erfahrung erklãrt, warum er einen besonderen Blick für den Gegenstand seiner Kirchengeschichte hatte, nãmlich den „von Gott selbst bewirkte(n) und als Wunder aufgefaßte(n) Übergang der Reichsbevölkerung zum christlichen Glauben” (H., S. 24). Aufgrund seiner Biographie, die ihn aus der Provinz nach Konstantinopel geführt hatte und die ihn anscheinend auch in andere Teile der Mittelmeerwelt (bis nach Rom) hatte gelangen lassen, glaubte er der richtige zu sein, um diese dramatische Verãnderung zu beschreiben. Unmittelbarer Auslöser für die historiographische Betãtigung des Sozomenos war, so lãßt sich den Ausführungen von H. weiter entnehmen, dabei die Empfindung, daß der unmittelbare Vorgãnger Sokrates, der in hohem Maße benutzt, aber nirgends namentlich zitiert wurde, der großen historiographischen Aufforderung nicht genügte.

Sozomenos gehört damit vielleicht zu der Kategorie der antiken Gestalten, die durch die Dramatik des Weltgeschehens, von der sie selbst erfaßt wurden, eine Berufung zum Historiker fühlten, und könnte - natürlich cum grano salis - in eine Reihe mit Thukydides oder Polybios gestellt werden. Das Zeugnis des Sozomenos sollte jedenfalls eine nachdrück­liche Warnung vor der Annahme sein, die Verdrãngung des Heidentums sei hundert Jahre nach der konstantinischen Wende von den Zeitgenossen als ein völlig selbstverstãndliches Geschehen hingenommen worden.

Hansen beschreibt im folgenden in sehr einsichtiger Form die Arbeitsweise des Sozomenos, der seine Quellen teils kürzte, teils durch Ekphrasis und Einarbeitung neuen Materials erweiterte (S. 35 f. am Beispiel der von Sokrates übernommenen Spyridon-Episode). Deutlich wird an diesen Ausführungen, wie sehr ganz allgemein die Forschung zu Arbeitsweisen der griechisch-römischen Historiographie ihre Materialbasis erweitern und vom (bisher kaum vorgenommenen) Zugriff auf die vollstãndig erhaltenen Kirchenhistoriker des fünften Jahrhunderts profitieren könnte. Das gilt in besonders hohem Maße für Sozomenos, der der profangeschichtlichen Bildungstradition stãrker verpflichtet war als die anderen Kirchenhistoriker, Philostorg vielleicht ausgenommen. Typisch für diese stãrkere Bindung an die Konventionen profangeschichtlicher Kirchengeschichtsschreibung ist etwa der von H. beobachtete Befund, daß im Vergleich zu Sokrates ein sehr viel geringerer Teil der Originaldokumente im Wortlaut, ein anderer Teil dagegen nur im (stilistisch weniger aus dem Kontext fallenden) Referat wiedergegeben wird. Diese Eigenart war im übrigen bei Philostorg noch deutlicher ausgebildet, der offenkundig – so weit man dies aus dem Photios-Exzerpt schließen kann – allenfalls ein oder zwei Sãtze eines Originaldokuments zitiert hat, sonst aber mit Hinweisen auf den Inhalt arbeitete.

Nach einer Inhaltsübersicht (in 4.) stellt H. die einzelnen nachweisbaren Quellen des Kirchenhistorikers, wie Sokrates, Rufinus und Gelasios, Euseb, Athanasius etc., vor. Für den Althistoriker sind vermutlich die (unabhãngig von Sokrates vorgenommenen) Übernahmen aus der sonst verlorengegangenen kirchenrechtlichen Sammlung des Sabinos und die seitenlangen Passagen aus dem Profanhistoriker Olympiodor von besonderer Bedeutung. Darlegungen zur Sprache und zum Stil des Autors sowie zum historischen Wert runden die Einleitung ab.

Die qualitãtsvolle Übersetzung liest sich jederzeit angenehm und flüssig.

Trotz intensiver und geradezu verzweifelter Bemühungen, Kritikpunkte in Übersetzung und Kommentar zu entdecken, ist die Ausbeute erwartungsgemãß extrem mager geblieben. Nur um den Beweis anzutreten, daß hier sorgfãltig geprüft und gelesen worden ist, füge ich einige (aus althistorischer Sicht zu korrigierenden) Dinge von untergeordneter Bedingung an:

1,7,4 übersetzt Hansen: „Als Licinius sich nãmlich bereits anschickte, alle unter ihm stehenden Kirchen zu verfolgen, brach in Bithynien der letzte Krieg aus, den er und Konstantin gegeneinander führten.” Der Krieg von 324 brach wegen Streitigkeiten um die Verteidigung der Donaugrenze aus. Licinius wurde in Adrianopel geschlagen, setzte dann nach Kleinasien über, wo Konstantin ihn in Chrysopolis schlug und in Nikomedeia gefangennahm. „Der in Bithynien geschlagene Krieg” entspricht etwa dem bellum Chalcedonense (Chron. Min. 1 p. 232 Mommsen). Es muß also heißen: „brach der in Bithynien geschlagene Krieg aus, den er und Konstantin als letzten gegeneinander führten.”

6,6,4: Hansen übersetzt immer wieder die Wendung oi( pro\j du/sin Gala/tai, durch die Sozomenos die Gallier von den asiatischen Galatern unterscheiden möchte, mit „das zum Westreich gehörenden Gallien”. M. E. würde es genügen, hier einfach vom „Westen” (so übrigens in 7,4,1) zu sprechen, da „Westreich”, also etwas wie imperium occidentale, hier eine uns zwar wohlvertraute, aber wohl zu konkrete Nuance ins Spiel bringt.

7,9,3 bietet H. die Übersetzung: „denn die Hauptstadt hatte bereits nicht nur diese Bezeichnung und verfügte in gleicher Weise über einen Senat, politische Organisationsformen (ta/gmasin dh/mwn) und Beamte, sondern auch Privatprozesse wurden nach den Gepflogenheiten der italischen Stadt Rom durchgeführt, und Rechte und Ehren waren in jeder Hinsicht für beide Stãdte die gleichen.” Sozomenos spricht nicht von der italischen Stadt Rom, sondern vom Recht der Römer in Italien, womit das ius Italicum gemeint ist, vgl. G. Dagron, Naissance d‘une capitale. Constantinople et ses institutions de 330 à 451, Paris 1984², 63. „Politische Organisationsformen” für ta/gmasin dh/mwn ist nicht prãzise genug. Es geht um die (paramilitãrisch formierten) Demen, die Zirkusparteien, vgl. hierzu Dagron, 353-364.

9,11,3: „Constantinus (…) gewann die Soldaten in den gallischen Provinzen und in Aquitania für sich”. Dazu gibt H., S. 1088, Anm. 1077 den Kommentar: „Die gallische Diözese umfaßte die Provinzen Germania, Belgica, Lugdunensis, Viennensis, als nördlich der Loire und östlich der Rhône. Das südwestliche Gallien bildete eine eigene Diözese (unter anderem Aquitania, Novempopulana, Narbonensis).” Hier hãtte vielleicht ein Hinweis darauf erfolgen können, daß im Sprachgebrauch spãtantiker Quellen, wie A. Chastagnol, Le diocèse civil d‘Aquitaine au Bas-Empire, in: ders., La Gaule romaine et le droit latin, Paris 1995, 249 nachgewiesen hat, Aquitania schlicht mit der südgallischen Diözese Septem provinciae identisch ist. Die Viennensis gehört nicht zur nordgallischen Diözese. Gemeint ist also in 9,11,3: „Constantinus (..) gewann die Soldaten in der nordgallischen Diözese Galliae und in der südgallischen Diözese Aquitania für sich.”

9,13,4: „Gerontius verteidigte sich mit einem alanischen Verwandten und wenigen Sklaven vom Obergeschoß aus.” Da Gerontius Römer war, hatte er wohl kaum einen alanischen Verwandten. e)pith/deioj ist gleichbedeutend mit familiaris, vgl. 9,13,5, wo einfach vom „Alanen” gesprochen wird. Die in nibelungenhafter Treue erfolgende Verteidigung eines bodrohten Kaisers durch einen engen Gefolgsmann barbarischer Herkunft ist in der spãtantiken Historiographie auch für Constans festgehalten worden (Laniogaisus, vgl. Amm. 15,5,16: quem dum militaret candidatus solum affuisse morituro Constanti supra rettulimus.

Bruno Bleckmann, Düsseldorf
bleckmann@phil-fak.uni-duesseldorf.de


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