Christian Marek: Pontus et Bithynia. Die Römischen Provinzen im Norden Kleinasiens. Mainz: Philipp von Zabern 2003 (Orbis provinciarum). VI, 199 S., 235 Farb-, 73 Schwarzweißabb., 1 Strichzeichnung. Euro 41. ISBN 3-8053-2925-3.


Es war sicher ein Glücksfall, daß der Verlag für diesen Band der Reihe „Orbis provinciarum“ den Zürcher Altertumswissenschaftler Christian Marek gewinnen konnte. Ist er doch sicher einer der besten Kennner dieses Teils der Nordtürkei und bietet durch seine intime Kenntnis, die er sich auf über 20 Forschungsreisen erworben hat, die Gewähr für kompetente Information auf dem neuesten Stand der Forschungen, der auch durch eine beeindruckende Fülle von Literaturhinweisen dokumentiert ist. Außerdem vermittelt der Band nicht zuletzt durch seine zahlreichen vorzüglichen Landschaftsaufnahmen einen Eindruck von einem Landesteil, der nicht zu den bevorzugten Reisezielen der Türkei gehört. Ein derartiger systematischer Überblick über die antiken Relikte dieses Gebiets ist auch insofern ein Desiderat, als gegenüber der reichen schriftlichen Überlieferung gerade aus dcer Kaiserzeit, die seit jeher das Interesse der Forschung fand, die Erschließung der antiken Relikte noch in den Anfangen steckt. „Eine Provinzalrömische Archäologie für Pontus et Bithynia existiert eigentlich nicht“ (Vorwort S. 3).

Eingeleitet wird der Band (4-29) mit vorzüglichen Bilddokumenten (alle vom Autor) und ausgewählten antiken Texten; hervorgehoben sei die Polemik Tertullians am Anfang seiner Schrift Adversus Marcionem, die sich in die zur Topik gewordenen Pontos-Beschreibungen von Herodot bis Strabon1 und Ovids Klagebriefe aus Tomis einreiht. Dagegen versucht der Autor, „der historischen Wirklichkeit in dieser Region während ... der römischen Kaiserzeit näherzukommen“ (5). Das macht das Buch gerade auch für die kaiserzeitliche Literaturwissenschaft wichtig.

Von Pompeius in den Jahren 64/63 eingerichtet, erstreckte sich die Provin vom Marmarameer bis jenseits von Amisos (Samsun) und umfaßte große Teile des anatolischen Binnenlandes (8; Karte II; die Karten III –IV zeigen die weitere Entwicklung bis Vespasian). Im Abschnitt „Landschaft und geographische Grenzen“ (8-11) wird der Raum genauer beschrieben.2 Es folgt ein Überblick über die in der Region erhaltenen oder auch byzantinisch überbauten Denkmäler, unter denen die Felsgräber eine besondere Stellung einnehmen, ebenso wie unter den Kleinfunden die Münzen und besonders die Inschriften. Der Überblick wird abgeschlossen durch eine Auflistung der wichtigsten Forschungsreisen in dieses Gebiet sowie der antiken literarischen Quellen, vor allem vertreten durch die Geschichtsschreiber, Geographen (besonders Strabon aus Amaseia) und natürlich auch die Briefe des Plinius.

Im chronologischen Ablauf werden im nächsten Kapitel „vorrömische Verhältnisse und die Einrichtung der Provinz“ besprochen (30-43). Eine besondere Rolle spielen naturgemäß dabei die griechische Kolonisation mit den Kontakten ins Landesinnere, wie sie in Felsengräbern sichtbar werden, die persische Eroberung, das Pontische Reich, die Ansiedlung der Kelten (Galater) und die Kriege mit Mithradates, an deren Ende Pompeius das Gebiet der zukünftigen Provinz durch Verwaltungsmaßnahmen, Städtegründungen oder Übertragung an Vasallen als Doppelprovinz neu ordnete.

Die Verwaltungsorganisation Kleinasiens, wie sie unter Augustus und in der frühen Kaiserzeit vollzogen wurde, hatte Auswirkungen bis in Spätantike. Ihr ist das Kapitel „Das Provinzsystem und die Regierung in der Kaiserzeit“ (44-62) gewidmet.3 Die bislang bekannten Provinzgouverneure sind genannt und in einer bis 400 n. Chr. reichenden Liste übersichtlich zusammengefaßt und durch umfangreiche prosopographische Literaturangaben vorzüglich dokumentiert; das gilt auch für den Abschnitt „Reichsadministration und Provinzaufsicht“ im gleichen Kapitel (52-62). An ihn schließt sich der aktuelle Befund über das Straßenwesen in dieser Provinz an, dessen Relikte in den letzten Jahren intensiv erforscht wurden. Sie reichen bis in die Zeit Justinians. Beschlossen wird das Kapitel mit den Nachrichten über die Präsenz des römischen Militärs.

Die zahlreichen Städte der Provinz rechtfertigen ein eigenes Kapitel „Städtewesen“ (63-103), beginnend mit den Provinziallandtagen und dem dort zuerst (seit 29 v. Chr.) manifesten Kaiserkult, einer der frühesten Bezeugungen überhaupt. Durchführung und Personal des Kultes werden ausführlich besprochen. Eine Konkurrenzsituation ist zwischen den alten griechischen Kolonialstädten und den Gemeinden im Landesinneren festzustellen und hat sich bis in byzantinische Zeit erhalten. Auch aus unterschiedlichen historischen Beziehungen zu Rom ergaben sich Statusunterschiede (69). Da das ganze Land in Stadtterritorien unterteilt war, ist die innere Organisation und der Ausbau der Städte von besonderer Bedeutung. Inschriftlich sind die verschiedensten Untereinheiten bezeugt, von denen v. a. die Phylen eingehender diskutiert werden, ferner die städtischen Ämter (besonders der Stadtrat) und Leistungen. Von einem bedeutenden Wohlstand zeugen die Reste städtisc<her Bauten, wie sie schon in den Pliniusbriefen nachzuweisen sind oder wie sie Dion von Prusa in mehreren Reden erwähnt; hatte er doch die Cura operum in seiner Heimatstadt inne (91). Noch in der Spätantike werden die Bauten der bithynischen Städte rühmend erwähnt (ibid.); Nikomedeia als Residenzstadt erlebte bis zum Erdebeben von 358 eine besondere Blüte. Wie auch sonst im griechischen Teil des Imperium Romanum spielten Agone (und in der hohen Kaiserzeit Gladiatorenkämpfe) in den besprochenen Provinzen eine hervorragende Rolle als städtische und überregionale Veranstaltungen (95-100, mit interessanter Detaildiskussion zu den sog. iselastici). Und da es sich bei den Akteuren um weit umherreisende Unterhaltungskünstler handelt, so führt dieses Kapitel mehrfach über den engeren Bereich der Provinzen hinaus. Der religöse Kontext des Götter- oder Kaiserkults, der bei diesen Spielen von Bedeutung war, war auch in der Kaiserzeit nicht vergessen, sodaß sich folgerichtig das Kapitel „Religion“ anschließt.

Die Vielzahl der bezeugten Gottheiten erlaubt für dieses Thema nur eine überblickende Darstellung, ebenso für das in Kleinasien und damit auch in Bithynien und Pontus besonders frühe Auftreten des Christentums. Nach einem Überblick über die Funde und Belege zum Thema „Götter und Tempel“ wird der durch Luzkian bekannt gewordene „Lügenprophet“ Alexander von Abonuteichos näher beleuchtet (111-117) sowie der Beginn der Christianisierung, für den die bekannten Christenbriefe des jüngeren Plinius ein unschätzbares Zeugnis bieten. Die Darstellung erstreckt sich bis in die Spätantike.

„Leben in der Provinz – soziale, kulturelle und wirtschaftliche Verhältnisse“ ist das letzte große Kapitel überschrieben, gegliedert nach „Gesellschaft“, „Kultur“ und „Wirtschaft, Handel, Handwerk“. Der Abschnitt „Bevölkerung, ethnische Gruppen, Landestraditionen“ zeigt die Schwierigkeit, zu exakten Angaben über die Bevölkerungszahl zu kommen. Zu genaueren Ergebnissen für die ethnische Zuordnung führen die überlieferten Personennamen, aber auch da bleibt manches im Ungewissen. Im Zusammenhang mit der Untersuchung der Grabinschriften legt der Autor erstmalig eine Altersstatistik für dieses Gebiet vor (128f.). Fernerhin werden die Aussagen der Grabsteine über Lebensumstände und Todesursachen zusammengestellt, Katastrophen aller Art scheinen auf. Über den Glauben hinsichtlich des Schicksals nach dem Tode geben die Grabsteine beredtes Zeugnis. Ebenso sind ihnen Informationen über „Familienleben, Frauen, Kinder, Zöglinge, Sklaven“ sowie über die Mittel- und Oberschicht zu entnehmen (137-146), nicht zuletzt auch aus den Namensformen. Gerade für die Auffassung von der Rolle der Frau führt Marek zahlreiche inschriftliche Beispiel an. Hervorragende Vertreter der Oberschicht sind eine Reihe von Senatoren, die es bis zum ordentlichen Konsulat gebracht haben (145 f.). Die Inschriften geben fernerhin Zeugnis über die Verbreitung des Lateinischen in der vom Griechischen beherrschten Bildungswelt des Ostens sowie von einem gewissen Bildungsbedürfnis. Die von Reinhold Merkelbach und Josef Stauber herausgegebenen Bände der Steinepigramme aus dem griechischen Osten sind dazu ein unentbehrliches Hilfsmittel. Ein Überblick über die berühmtesten Persönlichkeiten aus Philosophie, Wissenschaft, Dichtung, Rhetorik und Jurisprudenz, die aus der Provinz stammten, schließt sich an; es ist eine beeindruckende Liste. Insbesondere die Rhetorik und ihre berühmten Vertreter wie Dion Chrysostomos werden in diesem Zusammenhang bis in die Zeit der Spätantike gewürdigt. „Wirtschaft, Handel und Handwerk“ ist der letzte Abschnitt dieses Kapitels überschrieben. Die eher sporadischen Quellen lassen nach Aussage des Autors noch keine systematische Analyse zu, da die landeskundliche Forschung erst am Anfang steht (160). Wie für andere Informationen über die Region ist Strabon auch für die Landwirtschaft und Bodenprodukte eine Hauptquelle. Marmor aus Bithynien wird im ganzen Imperium verarbeitet. Ein Überblick über den Handel, und das heißt in erster Linie Seehandel und über die Geldwirtschaft mit ihren lokalen Emissionen, beschließt das Kapitel.

Im Schlußkapitel „Pontus et Bithynia – das Besondere und das Allgemeine“ versucht der Autor Bilanz zu ziehen. Er versteht die Geschichte der Provinz wie auch der anderen Kleinasiens als eine Fortsetzunge des Hellenismus bis ins 3. Jh. n. Chr. (179), der allerdings nach und nach in das Imperium eingebettet wird, er betont die Rolle für Handel und Verkehr, die langen Friedenszeiten bis zum Goteneinfall in der Mitte des 3. Jh., die Kaiserbesuche bis zur Wahl von Nikomedeia als Kaiserresidenz.4

Zehn Karten, eine Zeittafel, ein (sehr eklektisches) Glossar und ein guter Index beschließen den Band, der in der gewohnten Weise des Verlags opulent bebildert ist. Er hat sicher Vorbildcharakter für die Reihe „Orbis provinciarum“.

Joachim Gruber, Erlangen
joachim.gruber@nefkom.net


1 Die griechischen Werktitel sind, wie auch die inschriftlich überlieferten Termini, stets in lateinischer Umschrift gegeben. Umso mehr begrüßt der Philologe einen originalsprachlichen „Irrläufer“ wie S. 75 d=h=moi. Besonders unschön sind die lateinischen Schreibweisen syntaktischer Einheiten wie z.B. S. 87, S. 144 f. („Meter tes poleos“). Vielleicht läßt sich diese wenig befriedigende Verfahrensweise in zukünftigen Bänden mit Hilfe eines deutlich erweiterten Glossars lösen, das für die griechischen Termini auch die originale Schreibweise bietet. Im vorliegenden Band sind Kriterien für die Erstellung des Glossars nicht erkennbar; so fehlen z.B. alle S. 133f. erwähnten Termini der Grabbauten.

2 Warum allerdings das Titelbild den Kreuzpaß im Kaukasus darstellt, der nun keineswegs zu dem besprochenen Gebiet gehört, bleibt unverständlich.

3 Leider zeigt die einschlägige Karte IV nur die Veränderungen bis Vespasian und das im Vergleich mit dem Text auf S. 45 unvollständig; die S. 46 geschilderten Veränderungen bis in die Spätantike sind kartographisch nicht dokumentiert..

4 Leider erfährt der Leser nicht, wie der Autor die weitere Entwicklung der Provinz bis in die Gegenwart hinein beurteilt, gerade im Verhältnis zu anderen östlichen Provinzen des ehemaligen Imperium Romanum. Vermitteln doch die dankenswerterweise beigegebenen Aufnahmen von alltäglichen Eindrücken öfters die Vorstellung, die Provinz sei auf dem Stand der Spätantike stehengeblieben (Abb.3, 24a, 224, 247-251). Interessant wäre auch eine Antwort auf die Frage, wie heute mit dem reichen Erbe, das hier so eindrucksvoll dokumentiert ist, umgegangen wird, in der Erhaltung der Denkmäler, in der Arbeit der Museen (anhangsweise wäre ein Überblick über die öffentlichen Sammlungen erwünscht) oder in der Unterstützung durch die Behörden.


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