Maureen
Carroll: Römer, Kelten und Germanen. Leben in den germanischen
Provinzen Roms (aus dem Englischen von Tanja Ohlsen). Stuttgart: Theiss Verlag 2003. 214 S., 8 Farbtafeln und zahlreiche Abb. Euro 29,90, SFR 52,20. ISBN 3-8062-1762-9.
Wissenschaftliche
und populärwissenschaftliche Publikationen über die
nordwestlichen Gebiete des Römischen Reiches sind in großer
Zahl vorhanden, meistens handelt es sich jedoch um Berichte über
einzelne Gebäude, Städte, Regionen oder Bereiche innerhalb
moderner Landes- oder Staatsgrenzen“ (S. 7). In Abgrenzung dazu
bietet Maureen Carroll eine umfassende Einführung in die
Materie, die sich an „interessierte Leser mit unterschiedlichem
Wissenshintergrund“ richtet. Und dies, so lässt sich als
Ergebnis der Lektüre bereits einleitend bilanzieren, ist der
Autorin auch gelungen. Mit ihrem Buch legt Carroll eine klar
strukturierte und gut lesbare Geschichte der „Römer,
Kelten und Germanen“ an Rhein und Mosel für die Zeit von
der römischen Landnahme unter Caesar bis zum Beginn des
Frühmittelalters vor.1
In der kurzen Einleitung (S. 9-15) steckt die Autorin zunächst die thematischen und räumlichen Grenzen ihres Buches ab und führt recht knapp in die Materie ein. Lesenswert ist hierbei der Passus (S. 11-14), in dem Carroll den Deutschen den Spiegel im Umgang mit antiker Geschichte auf deutschem Boden vorhält und auf einige Beaumots in der Bewertung derselben hinweist. Hier hätte man gerne mehr gelesen. Etwas zu kurz geraten sind ferner ihre einleitenden Ausführungen zur Frage, was Kelten, Germanen und Römer eigentlich sind.2 Dies wiegt umso schwerer, als der Titel des Buches gerade in diesem Punkt mehr Informationen erwarten lässt. Was Carroll dem Leser tatsächlich präsentiert, ist jedoch mehr eine Geschichte der römischen Epoche an Rhein, Maas und Mosel, denn eine Abhandlung über Römer, Kelten und Germanen.3 Auch überschreitet sie des Öfteren den im Untertitel abgesteckten Untersuchungsraum, indem sie häufiger auf die Treverer bzw. generell auf die Verhältnisse in der Belgica zu sprechen kommt. Diese Grenzüberschreitung geschieht jedoch stets zum Nutzen für den Leser.4
Vor dem Hintergrund des Buchtitels etwas ungewöhnlich setzt Carroll im Hauptteil schließlich mit dem Kapitel „Land und Leute“ (S. 17-29) unvermittelt im Jahr 85 mit der Einrichtung der Provinzen Germania inferior und superior unter Domitian ein, um sich sogleich der dortigen Geographie und den Ethnien zuzuwenden. Im zweiten Kapitel „Eroberung und Grenzen“ (S. 31-49) beginnt dann ein chronologischer Abriss mit den römischen Eroberungen unter Caesar bis zum Rhein, der thematisch konsequent zunächst bis zur Varuskatastrophe führt. Zum Abschnitt „Straßen und die Armee“ (S. 38-41) sei angemerkt, dass die Straßenbauarbeiten des Agrippa klar in die Zeit seiner zweiten gallischen Statthalterschaft zu datieren sind. Hierfür sprechen nicht zuletzt die dendrochronologischen Daten der hierzu gehörigen Moselbrücke bei Trier (18/17 v. Chr.). Leider verzichtet Carroll in diesem Zusammenhang auf die Strabontextstelle 4,6,11 p. 208, die den Umfang der Straßenbautätigkeiten unter Agrippa in Gallien beschreibt.
Über die Kapitel „Verwaltung und Verstädterung“ (S. 51-77), „Höfe und Dörfer“ (S. 79-104)5 und „Wirtschaft und Handel“ (S. 105-127) führt Carroll den Leser sicher durch Themen und Zeit hin zu dem für die germanischen Provinzen wichtigen Faktor Militär im Abschnitt „Soldaten und Zivilisten“ (S. 129-141). Sehr hilfreich und informativ sind dabei die zahlreichen Pläne, Zeichnungen und Abbildungen, die den Text flankieren. Das anschließende Kapitel „Ethnische und kulturelle Identität“ (S. 144- 157) hätte man sich etwas weiter vorne gewünscht. Hier stützt sich Carroll so stark wie in keinem anderen Abschnitt des Buches auf schriftliche, sprich römische Quellen. Wie problematisch dies sein kann, belegt das Beispiel der häufiger thematisierten Treverer, bei denen sich schon die antiken Autoren offensichtlich unsicher waren, ob diese eher Germanen oder Kelten seien.6 Hier wäre es interessant gewesen, schriftliche und archäologische Quellen gegenüberzustellen.
Schließlich wendet sich die Autorin auf den Seiten 159-170 im Kapitel „Kulturelle Beziehungen an der Reichsgrenze: Fallstudie Köln“ ihrem bevorzugten Untersuchungsgegenstand zu. Dass sie als langjährige Mitarbeiterin der Bodendenkmalpflege in Köln eine profunde Kennerin der dortigen Gegebenheiten ist, spürt man überdeutlich. Jedoch leidet das Buch bisweilen etwas unter der Dominanz der Rheinmetropole, deren Thematisierung sich wie ein roter Faden durch das Werk zieht. Ohne hier inhaltlich ins Detail gehen zu wollen, sind einige Aussagen Carrolls im Kölnexkurs durch die mittlerweile vorgelegte neue Kölner Stadtgeschichte von Werner Eck (weitere Angaben s.u.) etwas zu modifizieren, treffen aber im Kern nach wie vor die Sache.
Den Abschluss bildet schließlich das Kapitel „Bedrohungen und Reaktionen in der späten Kaiserzeit“ (S. 171-192), das sich der Zeit von 235 bis zum Beginn des Frühmittelalters zuwendet. Leider wird diese Epoche des Übergangs im Vergleich etwa zum Zeitabschnitt zwischen Caesar und Domitian bei Carroll nur recht kurz behandelt.7 Kritisch ist in dem Zusammenhang die Aussage (S. 173) zu werten, dass „erst Diokletian ernsthafte Reformversuche unternahm, um dem angeschlagenen Imperium wieder auf die Beine zu helfen.“ Vielmehr lassen sich dessen Aktionen als Abschluss einer Reihe bereits vorher eingeleiteter Reformversuche charakterisieren, die er nicht zuletzt durch weitere Erneuerungen zu einem guten Ende führte.
Zahlreiche Passagen des Buches thematisieren im Kern den Aspekt der Romanisierung, ein Schlagwort, das man jedoch im Text durchgängig vermisst.8 Vieles von dem, was Carroll im Spannungsfeld zwischen Römern, Germanen und Kelten beschreibt, hätte man gut mit diesem Terminus belegen können und wohl auch müssen. So hätte sich am Beispiel des Kölner Grabsteins der Bella (Galsterer Nr. 310) aus dem frühen ersten Jahrhundert (ca. 20/30 n. Chr.) vom Stamm der Remer exemplarisch zeigen lassen, wie Romanisierung praktisch funktionierte (Übernahme römische Grabsitten, Verwendung der lateinischen Sprache, Herkunft der ersten „Kölner“, kleine Fehler in der Verwendung des Lateinischen). Jedoch findet man diesen Grabstein bei Carroll als Beispiel für frühe Bildhauerproduktion im Kapitel „Wirtschaft und Handel“ auf S. 114f. Hier hat die Autorin ein schönes Quellenzeugnis m. E. „unter Wert“ an der falschen Stelle positioniert.
Ein
Ärgernis stellt im Hinblick auf den potentiellen Adressatenkreis
das Literaturverzeichnis dar. Speziell im Abschnitt „Primärquellen“
ist eine Anzahl störender Fehler festzustellen. Mal werden hier
die Übersetzer antiker Autoren genannt, mal fehlen ihre Namen
oder sind schlicht falsch: So wird Otto Veh, als Übersetzer des
Cassius Dio und Diodor, konsequent O. Weh geschrieben9
und aus Walter Wuhrmann, dem zweite Übersetzer der Plutarchviten
neben Konrat Ziegler, wird Weckmann. Warum des Weiteren bei der
Naturgeschichte des Plinius die alte Übertragung von 1881/2
zitiert wird10,
jedoch die wunderbare neue zweisprachige und kommentierte
Tusculum-Ausgabe (1973ff.) ungenannt bleibt, ist ein Rätsel.
Ebenso unverständlich ist, dass bei Strabon auf die Arbeiten von
Wolfgang Aly verwiesen wird, die trotz ihres wissenschaftlichen
Wertes keine Übersetzung des augusteischen Geographen
beinhaltet.11
Hier hat jüngst Stefan Radt eine vorzügliche Ausgabe
vorgelegt, die mittlerweile im dritten Band bis Buch XIII gelangt ist
und somit den gallisch-germanischen Raum vollständig bedient.12
Bei einem Blick in die englische Ausgabe wird deutlich, dass der
Theiss-Verlag das Literaturverzeichnis gerade in der Rubrik
Übersetzungen für den deutschen Markt modifiziert und
zugleich eine beachtliche Anzahl unnötiger Fehler produziert
hat.13
Mit etwas Schmunzeln findet man zudem sowohl in der englischen wie in
der deutschen Ausgabe die Edition (!) der römischen
Steininschriften aus Köln von Brigitte und Hartmut Galsterer
nicht in der Rubrik „Primärquellen“, sondern unter
„zusammenfassende Darstellungen“.14
Zu Lasten der Autorin geht jedoch die Gliederung der Bibliographie,
die bedauerlicherweise nicht zu den einzelnen Kapiteln im Buch passt,
sondern einer eigenen thematischen Ordnung folgt. So vermisst man
nicht zuletzt einen gesonderten Abschnitt zum römischen Köln,
das als Fallbeispiel expliziert angeführt wird und auch
insgesamt prägend auf diese Abhandlung gewirkt hat.
Auch
wenn Carroll einleitend zu Recht bemerkt (S. 8), dass das
Literaturverzeichnis nicht erschöpfend sein kann, so sei an
dieser Stelle für die deutsche Ausgabe noch einiges
nachgetragen. Theiss hätte bei seiner „Überarbeitung“
der Bibliographie durchaus mal einen Blick auf die Neuerscheinungen
werfen können. Als Ergänzung zum Abschnitt
„zusammenfassende Darstellung“ muss jetzt auf zwei
neueren Sammelbände hingewiesen werden: Thomas Grünewald
(Hrsg.), Germania inferior. Besiedlung, Gesellschaft und Wirtschaft
an der Grenze der römisch-germanischen Welt, Berlin & New
York 2001; Thomas Grünewald & Sandra Seibel (Hrsg.),
Kontinuität und Diskontinuität. Germania inferior am Beginn
und am Ende der römischen Herrschaft, Berlin & New York
2003. Ferner wäre noch zu ergänzen H. Galsterer, Gemeinden
und Städte in Gallien und am Rhein. In: G. Precht / N. Zieling
(Hrsg.), Genese, Struktur und Entwicklung römischer Städte
im 1. Jh. n. Chr. in Nieder- und Obergermanien, Mainz 2001, 1-9.
Jüngst hinzugekommen ist das in jeder Hinsicht opulente Werk von
Werner Eck, Köln in römischer Zeit. Geschichte einer Stadt
im Rahmen des Imperium Romanum, Köln 2004. Im
Bibliographieabschnitt „Grenzen“ ist noch das
Standardwerk von Dietwulf Baatz, Der römische Limes.
Archäologische Ausflüge zwischen Rhein und Donau, Berlin
20004 nachzutragen; im Abschnitt „Religion“
Friederike Naumann-Steckner, Tod am Rhein. Begräbnisse im frühen
Köln, Köln 1997; Marion Witteyer & Peter Fasold
(Hrsg.), Des Lichtes beraubt. Totenehrung in der römischen
Gräberstraße von Mainz-Weisenau, Wiesbaden 1995. Will
man zu einer abschließenden Bewertung kommen, so ist das Buch
trotz der hier geäußerten Einwände als Einführung
zu empfehlen. Persönliche Vorlieben bleiben natürlich nicht
aus. Carroll schöpft als Archäologin primär aus den
archäologischen Quellen, denen sie schriftliche Quellen zur
Seite stellt. In diesem Spannungsfeld kommen jedoch historische
Interpretationen bisweilen etwas zu kurz.
1
War bereits die englischsprachige Originalausgabe (Romans, Celts &
Germans. The German Provinces of Rome, 2001) gut lesbar, so darf für
den deutschen Text die Leistung der Übersetzerin Tanja Ohlsen
nicht vergessen werden. 2
Wenig glücklich erscheint mir in diesem Kontext die Verwendung
des Begriffs „Nation“, den der deutsche Text auch an
anderer Stelle des Buches verwendet. 3
Wie heikel die Begrifflichkeiten sind, merkt Carroll selber an: „Die
großen Gemeinschaften der Kelten/Gallier und Germanen sind
wohl eher politische und ideologische Konstrukte der
ethnographischen Überlieferung der Römer“ (S. 10). 4
Symptomatisch ist in diesem Kontext Carrolls einleitende und bereits
zitierte Bemerkung (S. 7) über Publikationen zu den
„nordwestlichen Gebieten des Römischen Reiches“,
denn es sind vor allem diese nordwestlichen Gebiete des Römischen
Reiches, angereichert durch Exkurse ins Obergermanische, die im Buch
behandelt werden. 5
Im Abschnitt „Straßendörfer und Poststationen“
(S. 102) wäre neben den erwähnten Itinerarien noch auf die
Tabula Peutingeriana hinzuweisen. 6
Vgl. Caes. Gall. 2,4; Tac. Germ. 28,4; Strab. 4,3,4 p. 194. 7
So wäre eine etwas ausführlichere Behandlung des
Gallischen Sonderreiches wünschenswert gewesen. Folglich fehlen
in der Bibliographie auch die beiden Standardwerke zu diesen Thema:
F. J. Drinkwater, The Gallic Empire, Stuttgart 1987; I. König,
Die gallischen Usurpatoren von Postumus bis Tetricus, München
1981. 8
Nach Ausweis des Registers kommt im gesamten Buch der Begriff
Romanisierung nicht vor. 9
Ergänzend sei noch angemerkt, dass Gerhard Wirth als
Mitübersetzer des Diodor gar nicht genannt wird. 10
Hierbei ist wiederum der Übersetzername falsch, der nicht
Wittgenstein, sondern Wittstein lautet. 11
Deutsche Übersetzungen lagen bislang von Chr. G. Groskurd,
Berlin & Stettin 1831-34 (ND Hildesheim u.a. 1988) und
von A. Forbiger, Stuttgart 1856-60 vor. Jedoch fehlen diese
Literaturangaben. 12
Strabons Geographie, herausgegeben und übersetzt von Stefan
Radt, Bd. 1: Buch I-IV, Göttingen 2002, Bd. 2: Buch V-VIII,
Göttingen 2003, Bd. 3: Buch IX-XIII, Göttingen 2004. Zur
Konzeption des zehnbändigen Werkes: S. Radt, Eine neue
Strabonausgabe, Mnemosyne 44, 1991, 305-326. 13
Die englische Ausgabe bietet durchgängig nur die betreffenden
antiken Autoren mit ihren Werken. 14
Ferner vermisst man unter den „Primärquellen“:
Winfried Schmitz, Die spätantiken und frühmittelalterlichen
Grabinschriften in Köln (4.-7. Jahrhundert n. Chr.), Kölner
Jahrb. 28, 1995, 643-776; Römische Steindenkmäler - Mainz
in römischer Zeit. Katalog zur Sammlung in der Steinhalle,
hrsg. v. Wolfgang Selzer unter Mitarbeit von Karl-Viktor Decker u.
Anibal Do Paço, Mainz 1988.
Michael Rathmann, Bonn
michael.rathmann@uni-bonn.de
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