Klaus Bringmann: Kaiser Julian. Der letzte heidnische Herrscher. Darmstadt: Primus Verlag 2004. 251 S. 24 Abb. Euro 29,90. ISBN 3-89678-516-8.


Es ist gewiß nicht leicht, erneut ein Buch über Julian zu schreiben, hat doch kein Kaiser in seinen Selbstzeugnissen mehr von sich preisgegeben und keiner bei Mit- und Nachwelt bis zum heutigen Tag so gegensätzliche Reaktionen ausgelöst wie dieser nur knapp drei Jahre regierende letzte Vertreter der konstantinischen Dynastie. Darauf verweist der Verf., der emeritierte Frankfurter Althistoriker Klaus Bringmann (B.), bereits in den ersten Zeilen seines Vorworts. So bleibt allein der Ausweg, nicht ein Psychogramm zu entwickeln, sondern der Versuch, ein Bild der Persönlichkeit dieses Kaisers in Verbindung mit der Geschichte seines Zeitalters zu entwerfen. Konkret meint B. damit, wie er in der Einleitung ausführt, drei Herausforderungen, denen sich Julian zu stellen hatte, die Sicherung der Reichsgrenzen, den Erhalt des inneren und äußeren Friedens und die Lösung der religiösen Frage. Zu letzterem sei schon hier ein erheblicher Zweifel angemeldet, ob sich damals ein solches Problem noch wirklich ernsthaft stellte. Erschwerend für ein derartiges Vorhaben sind die durchwegs einseitigen pro- bzw. antijulianischen Quellen, ein Punkt, den der Verf. ebenfalls gleich zu Beginn deutlich anspricht. Damit erhebt sich das Problem, ob es überhaupt möglich ist, dieser auch in der Roman- und Dramenliteratur der Jahrhunderte so faszinierend gezeichneten, aber auch verzeichneten Gestalt gerecht zu werden. Der Autor glaubt dieses Ziel am ehesten dadurch zu erreichen, dass er fast auf jeder Seite eine Quelle sprechen lässt, die er nicht nur geschickt in seine Darstellung einfügt, sondern zumeist als sachliche Bestätigung seiner eigenen Ansicht verwendet. Die dadurch erreichte Anschaulichkeit ist ohne Zweifel ein großer Vorzug dieses Buches.

Das erste Kapitel über Kindheit und Jugend reicht bis zu den Studienjahren Julians in Kleinasien und Athen und widmet sich vornehmlich der empfindsamen Seele des Jünglings, der sich durch die traumatischen Kindheitserlebnisse und eine langen Abgeschiedenheit auf dem Landgut Macellum sowie aufgrund eines intensiven Studiums neuplatonischer Literatur und der späteren Bekanntschaft mit dem Theurgen Maximus schon früh von der christlichen Lehre abgewandt und einem aufgeklärten Heidentum angeschlossen habe.

Das zweite Kapitel über die Mitregentschaft in Gallien, das gleichermaßen die Tätigkeit als Feldherr und die Ziviladministration umfasst, vermittelt durch die wiederholte Einbeziehung von Julians Panegyrici auf Constantius und die Kaisergemahlin Eusebia verständnisvolle Einblicke in die geschickten Loyalitätsbekundungen, die aber auch manche wenn auch vorsichtig geäußerte selbständige Gedanken enthalten. Das zunächst nur als Notlösung gedachte kaiserliche Experiment einer Heranziehung des Neffen für die Regentschaft (angesichts der Galluskatastrophe) bildet auch im Folgenden den Grundtenor der Darstellung, wo trotz zunehmender Selbständigkeit Julians mit dem erstaunlichen Erfolg von Straßburg die Fernlenkung durch Constantius immer wieder betont wird. Fraglich bleibt in diesem Zusammenhang, ob der seit dem Tode des Constans immer stärker bedrängte Kaiser die Alemannen und Franken zu einem Überschreiten des Rheins und einem Angriff auf Gallien (gegen den Usurpator Magnentius) persönlich angestachelt hat, da die Nachricht im wesentlichen auf die gehässige Darstellung Julians im Brief an die Athener zurückgeht, während der gewiß ebenfalls nicht constantiusfreundliche Ammian davon nur gerüchteweise gehört hat, aber einen Beweis nicht finden konnte. Die wiederholten Rheinüberschreitungen Julians werden von Ammian in ihrer Bedeutung wohl ebenfalls überschätzt. Dies gilt weiterhin für die von diesem Autor so groß herausgestellten Verdienste des jungen Caesar als eines Retters der Zivilbevölkerung, bes. durch eine angeblich ebenso kluge wie humane Steuerpolitik; denn es wäre an die detaillierten, freilich manchmal allzu kritischen Untersuchungen von E. Pack zu erinnern, der das meiste davon als eine von Julian geschickt in Szene gesetzte Profilierungskampagne zur Gewinnung der Bevölkerung erklärte, was angesichts der zunehmenden Verfeindung mit den Vertrauensleuten des Constantius, allen voran des Praefectus praetorio Florentius und des Heermeisters Lupicinus, doch recht einsichtig klingt. Außerdem sollte man nicht vergessen, dass Ammian seine Schilderung von Julians Gallienpolitik selbst als „einer Lobrede ähnlich“ (16, 1, 3) bezeichnet. Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte, da andererseits die klare Sicht und der gute Wille Julians bei diesen Maßnahmen nicht bestritten werden kann.

Im dritten Kapitel über die Usurpation wird die Erhebung in Paris ebenso wie bereits in der früheren Forschung als bewußt geplante Inszenierung gedeutet, obwohl Ammian und Julian selbst das Ereignis als spontane Reaktion des Heeres glaubhaft machen wollen. Gerne hätte man freilich gewusst, ob nach Ansicht von B. der Plan nicht schon vor längerer Zeit gefasst wurde. Großen Wert legt der Verf. hierbei wie auch später immer wieder auf das Vertrauen des Usurpators auf den Götterwillen und den Einfluß führender Christengegner wie z.B. des Vertrauten Oreibasios, da schon damals der Plan zu erkennen gewesen sei, die konstantinische Wende, d.h. die Verbindung von Kaisertum und Christentum, rückgängig zu machen und die Verehrung der alten Götter wiederherzustellen.

Eben dieses Anliegen steht im Mittelpunkt des vierten und längsten Kapitels über die Alleinherrschaft, beginnend mit dem Regierungsprogramm von Konstantinopel, wo es um das allgemeine Toleranzedikt und die dadurch ermöglichte Rückkehr der von Constantius verbannten Bischöfe geht, ferner um das Restitutionsedikt, das so viele Probleme nach sich zog, und schließlich um das Tribunal von Chalkedon geht, woran Julian in den Augen von B. kaum eine Schuld zuzusprechen ist. Recht ausführlich bieten sich dem Leser die Ausführungen über Julian als Philosoph und Theologe dar, werden hier doch anschaulich der Inhalt der Julianschriften „Caesares“, „Gegen den Kyniker Heraklios“, „Gegen die ungebildeten Kyniker“ und „Über die große Göttermutter“ vorgestellt. Zu Recht wird gerade bei der letzten Schrift angemerkt, dass diese philosophisch inspirierte Theologie nur für wenige Eingeweihte verständlich gewesen sei, - man könnte hinzufügen, als eine der Grundlagen für eine sogenannte Heidenkirche somit unbrauchbar war. Nach einem kurzen Blick auf das bekannte Rhetoren- und Unterrichtsedikt, das nicht einmal der Heide Ammian gutheißen mochte, mit dem erläuternden Schreiben Julians, wo B. mehrfach das Wort von der heidnischen Gesinnungsschule gebraucht und auch eine sensible, heimtückische Verfolgung erkennt, empfindet der Leser die Ausführungen über Julian als Hoherpriester einer heidnischen Staatskirche doch etwas erstaunlich. Natürlich spielen hierbei der “Hymnos auf den König Helios“, dessen neuplatonisches, bes. von Jamblich entlehntes Gedankengut wiederum eingehend besprochen wird, sowie die „Enzykliken“ an Arsakios und Theodoros, die Oberpriester von Galatien und Asien, mit den bis ins einzelne gehenden, bes. die christliche Philanthropia nachahmenden Vorschriften eine zentrale Rolle. Aber es scheint doch, dass der Begriff Kirche für das aus unzähligen Einzelkulten bestehende Heidentum etwas zu hoch gegriffen ist; denn es gab dort weder eine einheitliche Gründergestalt noch fest umrissene Glaubens- bzw. Heilslehren und vergleichbare Organisationsformen und konnte es auch gar nicht geben. Zahlreiche Einzelmaßnahmen und vor allem das ebenfalls von B. eingehend interpretierte Pamphlet „Gegen die Galiläer“ (soweit es rekonstruierbar ist) zeigen doch, dass der Haß gegen das Christentum und speziell gegen Konstantin mit seiner Hinneigung zur neuen Lehre das ausschlaggebende Motiv Julians bei seinen Aktionen gewesen ist. Ebenso erfolglos war der junge, sich immer hektischer gebärdende Herrscher in Antiochia, mochte es sich um seine weiteren kirchenfeindlichen Entscheidungen (einschließlich der Satire „Misopogon“) oder sein ungeschicktes Eingreifen in die Wirtschaftsmisere der Stadt mit dem bekannten Höchstpreisedikt handeln, wodurch er immer unbeliebter wurde. Die gesetzlichen Verfügungen etwa zugunsten der Kurien in den Städten und manche andere Konstitutionen, denen B. einen erfreulich breiten Raum einräumt, verraten wie einst in Gallien zunächst einen guten Willen und eine offenkundige Hilfsbereitschaft, sind aber im wesentlichen situationsbedingt zu erklären und ebensowenig einem weitsichtigen Konzept entsprungen, wie dies zumeist auch bei den früheren Kaisern zu beobachten ist. Bei dem abschließenden Feldzug gegen den Perserkönig Schapur kann auch B. keine Welteroberungspläne erkennen (obwohl die Alexanderimitatio nicht nur bei dem Kirchenhistoriker Sokrates, sondern auch bei Libanios und wohl auch bei Julian selbst greifbar wird), sondern eher einen Vergeltungskrieg zur Demonstration der römischen Waffen, um die Ostgrenze auf lange Sicht zu sichern. Wie realitätsblind der Kaiser auch hier war, zeigt der Verf. im einzelnen am Beispiel der zahlreichen Warnungen führender Mitarbeiter, die von Julian allesamt in den Wind geschlagen wurden. Hinzufügen könnte in diesem Zusammenhang noch das im Gegensatz dazu vorsichtig zurückhaltende, aber im Ganzen doch erfolgreiche Agieren des Constantius, das einer weit klügeren Überlegung entsprang. Nach der detaillierten Schilderung des Feldzugsverlaufs endet dieses Kapitel mit einer Durchsicht der einzelnen Belege über den tödlichen Lanzenwurf, woran sich bekanntlich schon die Legendenbildung ablesen lässt.

Im Epilog erfährt die Einschätzung des Feldzugs, den Julian als „defensiver Imperialist“ unternommen habe (nach dem Vorbild von Lucius Verus, Septimius Severus und Carus) eine gewisse Korrektur; denn nunmehr ist völlig zu Recht von einem klaren Verschulden und der großen Gefahr die Rede, in die Julian von Anfang an durch seine beispiellose Unüberlegtheit das Reich gebracht habe. Als ebenso realitätsblind ist allerdings auch der Versuch einer Reaktivierung des Heidentums aus dem Geist des Neuplatonismus einzustufen, dem von B. bei längerer Lebenszeit Julians sowie bei mehr Klugheit und Stetigkeit eine gewisse Chance des Gelingens zuerkannt wird. Aber gerade der Vergleich des Verf. mit der Gegenreformation in Deutschland lässt daran erhebliche Zweifel aufkommen, denn war nicht z. B. das Restitutionsedikt Ferdinands II. vom Jahr 1629 mit dem Zurückgreifen auf längst überholte Zustände (bis 1552) ebenso undurchführbar wie Julians Forderung an die Christen, längst gewonnene Besitztümer zurückzugeben? Mit Opportunisten und Karrieristen, wie B. meint, wäre die Begründung einer Heidenkirche sicherlich nicht möglich gewesen, noch weniger mit einer weithin unverständlichen neuplatonische Theologie, die zudem merkwürdige theurgische Praktiken einbezog. Ein allseits blutleer gewordenes Heidentum (siehe z.B. Antiochia) hatte gegenüber dem aufstrebenden Christentum keine wirkliche Chance, das gewiß durch seine langwierigen Glaubenskämpfe (woran das einfache Volk aber kaum Anteil nahm) und mitunter einem abstoßenden Fanatismus wahrhaftig keine Anreize bot, jedoch mit einem durch eine Erlösergestalt beglaubigten Heilsversprechen und vor allem durch ein bisher nicht gekanntes karitatives Wirken bei der Masse der Bevölkerung seine Anhänger gewann.

Das Buch schließt mit drei Beilagen (zu einer Münzprägung und Inschriften), einer Zeittafel (mit Angaben von 303 bis 363), Hinweisen zu Quellen und wissenschaftlicher Literatur sowie einem Personen- und Ortsverzeichnis.

Insgesamt ein sorgfältig durchgeführtes, außerordentlich informatives Buch, das dem Anspruch der Reihe, ein individuelles Portrait zu zeichnen, vollauf gerecht wird. Dieses Verdienst gilt uneingeschränkt, auch wenn der Rezensent in manchen Punkten eine kritischere Haltung einnimmt.


Richard Klein, Wendelstein
RiKle@gmx.net


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