Helga Botermann: Wie aus Galliern Römer wurden. Leben im Römischen Reich. Stuttgart: J.G. Cotta’sche Buchhandlung 2005. 472 S. und Bildnachweis, 139 Abb. Euro 29,50. ISBN 3-608-94048-0.

Mit der steten Zunahme des Wissens über die materielle Befundsituation im Römischen Reich ist auch die Beschäftigung mit dem wichtigen Phänomen der Romanisierung – als Begleiterscheinung bzw. Ergebnis römischer Eroberung – zu einem beliebten Thema der neueren Forschung geworden. Dabei hat gerade die Gallia Narbonensis, Roms früheste Eroberung im gallischen Raum, seit längerem nachdrückliches Interesse erweckt, das schon in der Antike mit der Aussage des älteren Plinius, es handle sich bei dieser Provinz „eher um Italien denn eine Provinz“ (Italia verius quam provincia, Naturalis historia 3,31), seinen ersten Höhepunkt erreicht hatte. Seitdem hat vor allem die französische Forschung selbst immer wieder einzelne Aspekte der südgallischen Romanisierung unter den Stichworten „occupation du sol“ und „acculturation“ weiter entwickelt, sich aber an eine Gesamtdarstellung des Themas noch nicht gewagt. Dem ist mit Helga Botermann (künftig B.) nunmehr eine deutsche Kennerin der Materie zuvorgekommen, die in ihrer Arbeit dank intensiver Studien der aktuellen Quellen- und Literaturlage wesentliche Aspekte verlässlich behandelt und dabei auf dem nachweislich schmalen Grat zwischen wissenschaftlicher Studie und Reiseführer recht souverän wandelt.

In ihrem Bestreben, die Eigen- und Einzigartigkeit der südgallischen Romanisierung aufzuzeigen, liefert B. eine weitgehend schlüssige Analyse des Gesamtphänomens in diachroner und synchroner Betrachtungsweise, indem sie eine Vielzahl von Quellen (oft auch in längeren Passagen) sprechen lässt und dadurch den Anspruch erhebt, „die Betrachter der Dokumente zum Staunen zu führen“ (9). Die so Angesprochenen merken in der Tat an vielen Stellen des Buches, dass das erwünschte Staunen von einer tiefgreifenden Bewunderung der Autorin für die (oft selbst nachdrücklich erlebten) zivilisatorischen Errungenschaften Südgalliens in der Antike überlagert ist. Dieser eher subjektive Charakter verleiht dem Buch jedoch wider Erwarten meist charakteristische Stärke, wenngleich die eine oder andere „Ich“-Form – und somit die Gefahr des Abgleitens in Anekdotisches – durchaus hätte vermieden werden können.

B. stellt die südgallische Zivilisation der vorrömischen und römischen Zeit in insgesamt 10 größeren Kapiteln dar, die von ihrem inhaltlichen und methodischen Anspruch her quantitativ und qualitativ durchaus variieren, in ihrer Grundaussage aber in der Regel überzeugend sind. In Kapitel 1 (11-46) stellt B. das südliche Gallien als Musterbeispiel gallischer Romanisierung gegenüber dem restlichen Gallien deutlich heraus (deshalb auch der Hinweis auf eine eher periphere Beschäftigung mit Lugdunum als späterem Hauptort der Tres Galliae) und gibt eine grobe, idealtypisch richtige Übersicht über geografische Spielarten antiker Romanisierung jenseits Galliens, von denen sich der südgallische Drang zur „Selbstromanisierung in allen Lebensbereichen“ (10) deutlich unterschieden habe.

Kapitel 2 (47-82) stellt auf Basis einer kritischen Betrachtung des Begriffs „Hellenisierung“ richtig dar, dass die einstige phokäische Kolonie Massalia samt ihren zahlreichen Handelsdependancen am Mittelmeer und rhôneaufwärts seit 600 v. Chr. zwar wesentliche Impulse für eine schrittweise Abkehr der einheimischen Bevölkerung(en) von Traditionellem, aus mediterraner Sicht gar „Barbarischem“ geliefert hat, man insgesamt aber eher mit einem „dialektischen Ineinandergreifen von griechischen Anschüben und eigenständiger gallischer Entwicklung“ (73f.) zu rechnen hat. Letztere müsste dabei weitgehend auf jene „soif celtique“ (58) zurückzuführen sein, die von der französischen Forschung neuerdings stark betont wird und seinerzeit von aristokratischen Eliten bewusst vorangetrieben worden ist.

Von einer solch allmählichen Akkulturation bzw. Gewöhnung der keltischen Welt Südgalliens an Neues, Modernes profitierte mittelfristig auch die römische Eroberung, beschrieben in Kapitel 3 (83-118). Diese war nachhaltigen Sicherheitsinteressen in Richtung der bestehenden spanischen Provinzen (und somit auch dem Schutz des alten Bündnispartners Massalia) geschuldet und sollte in den Jahrzehnten nach 125 v. Chr. meist „abgestufte Formen einer zunächst eher indirekten Einflussnahme“ (91) entwickeln. Wenn auch ein entsprechender formaler Rahmen (vereinzelte Kolonien, erste Kataster und Straßen, Steuererhebung usw.) von Rom gesetzt wurde, kann entgegen weit reichenden Aussagen antiker Autoren wie Cicero oder Plinius (s. oben) für diese frühe Zeit eben nicht von einer tiefgreifenden Romanisierung Südgalliens bzw. einer grundsätzlichen Veränderung aller Lebensverhältnisse der dort Ansässigen gesprochen werden; allein die Kontinuität zahlreicher Höhensiedlungen (seit Caesar oppida genannt) samt ihren teilweise ganz unrömischen Kulturtraditionen spricht hier eine inzwischen eindeutige Sprache. Zu Recht betont B. daher, dass erst Caesars und Octavians Wirken in Gallien nach der Mitte des 1. Jhs. v. Chr. einschneidende Weiterentwicklungen der Provinzatmosphäre mit sich bringen sollte (104ff.).

So beschreibt Kapitel 4 (119-153) eindrücklich, dass erst eine umfassendere Welle der Urbanisierung und Kolonisierung das materielle Bild Südgalliens entscheidend veränderte, wobei die Römer – wie in den meisten Reichsgebieten – klug darauf achteten, logistisch notwendigen „Freiraum für Selbstverwaltung“ (124) auf lokaler Ebene zu gewähren und nur „ganz behutsam und nur so weit nötig in die gewachsenen Strukturen“ (129) einzugreifen. Ob dabei Caesar oder Augustus die maßgeblichen Initiativen setzten, wird in der Forschung immer wieder (und so auch von B. (vgl. 131)) diskutiert, ist angesichts der Quellenlage jedoch nicht eindeutig zu klären und für die Betrachtung der längerfristigen Entwicklung einer sog. „gallorömischen“ Zivilisation auch eher nebensächlich. Ähnlich verhält es sich mit der Rolle der Kataster von Orange, die in ihrer fundamentalen Bedeutung richtig eingeschätzt werden, deren Darlegung (138-147) quantitativ jedoch stärker hätte komprimiert werden können.

Kapitel 5 (154-198) ist nach eigenem Bekennen der Autorin ein zentrales Kapitel, in dem der Leser in sehr allgemeinem, recht kleinschrittigem und bisweilen dozierendem Grundtenor „eine vielleicht etwas zu schulmeisterliche Einführung in die Epigraphik“ (32), allgemein wie speziell für Südgallien, erhält. Obwohl die Darstellung dadurch weitgehend auf der Ebene eines Handbuches bleibt, liefert sie doch zahlreiche, wenngleich oft unverbundene Beispiele für die spezifische Eigenart des südgallischen Inschriftenwesens, in dem die Kontinuität keltischer Bestandteile (etwa bei der Namensgebung oder der kultischen Interpretatio Romana) augenscheinlich ist. Dass dies ein klarer Hinweis darauf ist, dass man auch in Zeiten nachhaltigerer Romanisierung nicht ausschließlich von massiver italischer Einwanderung ausgehen sollte, betont B. jedoch zu Recht (168). Sehr stark inschriftlich ausgelegt ist auch Kapitel 6 (199-226), das sich mit der Präsenz des Kaisers bzw. dessen Verehrung in der Provinz beschäftigt. Auch hier bleibt die Aussage sehr allgemein und eher unverbunden (erst Grundsätzliches, dann eine relativ unvermittelte Beschäftigung mit Arles, Narbonne und Vienne als wichtigsten urbanen Fundorten). Ergebnis des Kapitels ist die auch für andere Gebiete des Imperiums typische Feststellung einer „Vielfalt der verwendeten Formen“ (226), wobei die grundsätzliche Ablehnung der Existenz sog. Augustea in den genannten Städten nicht unbedingt die Erkenntnisse der neuesten Forschung vor Ort (v.a. von P. Gros) widerspiegelt. Dass nun aber auch verstärkt private Weihungen (für die ältere Forschung undenkbar) in den Blickpunkt des Betrachters geraten, ist im Gegenzug jedoch wiederum Verdienst der Darstellung.

Kapitel 7 (227-275) widmet sich mit dem antiken Nîmes (samt Umland) ausführlich einer der tatsächlich wichtigsten Kolonien des römischen Südgallien. Augenscheinlich an der Entwicklung des traditionellen Ortes ist „der Eindruck einer kontinuierlichen Entwicklung ohne jegliche Brüche, die man auf massive ethnische Verschiebungen zurückführen müsste“ (229). In der Tat ist der nachhaltige Drang zu Urbanisierung und Monumentalisierung nicht ausschließlich als direktes römisches Verdienst anzusehen, sondern bezeugt wohl die intensive Auseinandersetzung einheimischer Potentaten mit als fortschrittlich, für den persönlichen Machterhalt zweckdienlich erachteten Neuerungen im nun römisch dominierten Umfeld. In dieser Richtung könnte man so vielleicht auch die Eigenart von Anlagen wie der Tour Magne (eines riesigen Wachturms als Teil einer äußerst langen Stadtmauer) oder des architektonisch ungewöhnlichen Kultareals samt funktionell unklaren Gebäudekomplexen (v.a. sog. Diana-Tempel“) interpretieren. Störend wirkt hier die Beschreibung der städtischen Verwaltung von Nîmes, die trotz der richtigen Einordnung der bekannten „Krokodilmünzen“ als Symbol für die intensive Ausdehnung von Handel und Handwerk (235f.) sehr allgemein bleibt und sich in Text und Bild mehrerer Anleihen aus anderen Städten (so v.a. aus Arles, 268 u. 274) bedient. Auch ist nicht ganz verständlich, warum – entgegen dem sonst üblichen Ausgreifen auf sich bietende Gelegenheiten – gerade der berühmte Pont du Gard, ein monumentales Aquädukt der Extraklasse, nur im Bild (240) und ohne argumentative Einbindung in die Ausführungen über die Relevanz der Wasserversorgung für römisches Städtewesen erscheint.

In Kapitel 8 (276-338) wird der Versuch unternommen, ein Gesamtbild der gallorömischen Gesellschaft in Südgallien zu skizzieren, obgleich dies nach eigener, früherer Aussage angesichts fehlender Quellen bestenfalls „fragmentarisch“ (29) bleiben muss. Unbestreitbar hat die einheimische Zivilisation durch die Romanisierung langfristige, grundlegende Veränderungen erfahren, die jedoch in den wichtigsten Bereichen (Wirtschaft und Gesellschaft) nicht vorschnell zu pauschalieren sind. Richtig ist der Hinweis auf die Ergebnisse der neuesten französischen Forschung, die – entgegen traditioneller Fixierung auf Höhen-Oppida – die Rolle der jetzt v.a. seit dem 3. Jh. v. Chr. nachweisbaren Ebenensiedlungen im einheimischen ökonomischen Prozess und dann im Rahmen einer römischen Konzentration auf vorindustrielle Produktion (Stichwort „Villenwirtschaft“ mit Töpferwerkstätten) herausstellt (281ff.). Auch zeigt der nachweisliche Drang der neuen Munizipalaristokratie(n) nach äußeren Formen der Selbstdarstellung (am bekanntesten die Domitii im Umland von Aix-en-Provence) die spezifische Eigenart der südgallischen Romanisierung, in deren Rahmen die Betroffenen nach einer ersten Welle der Gewalt rasch zu Formen umgänglichen Miteinanders gekommen sein müssen. Dass B. in diesem Zusammenhang auf gute argumentative Möglichkeiten verzichtet, die mit einer ausführlichen Analyse der beiden Monumente von Glanum (die sog. „Les Antiques“) geboten wären (hier nur mit Bild und Kommentar, 291), verwundert angesichts der Intensität der neueren südfranzösischen Forschung zu diesem Thema (P. Gros und andere) letztlich aber doch.

Die Kapitel 9 (339-381) und 10 (382-416) geben abschließend einen groben Überblick über die Entwicklung des christlich gewordenen Südgallien in spätantiker und frühmittelalterlicher Zeit. Demzufolge war die spezifische Entwicklung nicht anders als in vielen anderen Gebieten des Römischen Reiches, das spätestens im 3. Jh. n. Chr. mit zunehmenden germanischen Einbrüchen konfrontiert war; hier erfährt man in Hinsicht auf die Forschungssituation eigentlich nicht viel Neues. Vom Ansatz der Kapitel ist darüber hinaus auffällig, dass B. viel stärker als vorher auf den oft rhetorischen Aussagen antiker Autoren (z.B. Salvian von Marseille oder Sidonius Apollinaris) aufbaut, die Beschäftigung mit dem materiellen Bestand (v.a. Archäologie oder Epigraphik, v.a. zu Veränderungen in den Stadtbildern) somit weitgehend in den Hintergrund tritt.1 Fast hat man den Eindruck, als hätte die Autorin der bis dahin vorbildhafte Mut zur (zugegeben mühsamen) Zusammenschau aller Quellenarten am Ende ein wenig verlassen. Wie sonst erklärt es sich, dass etwa weite Teile des Kapitels 9 (352-367) das Gladiatorenwesen thematisieren, welches in den Quellen zwar überaus reichlich belegt ist, ansonsten aber nicht den Schwerpunkt des provinzialen Alltags ausgemacht haben dürfte. Auch vermisst man anstelle des konkreten Epilogs letzten Endes eine inhaltliche Zusammenfassung, welche die spezifische Romanisierung Südgalliens vielleicht auch in den Gesamtzusammenhang des Imperium Romanum solide hätte einbetten können.

Insgesamt darf die hier und da geäußerte Kritik nicht darüber hinwegtäuschen, dass B. mit ihrer Darstellung einen wesentlichen Beitrag zur Präsentation der südgallischen Provinz für ein breiteres (deutsches) Publikum geleistet hat, der über die üblichen schematischen Ansichten von Romanisierung und Südgallien deutlich hinausgeht. Dazu trägt bei, dass sie ihrem eigenen Anspruch, „ein lesbares Buch zu schreiben“ (31), meist mit Bravour gerecht geworden ist. Man identifiziert sich somit gerne mit dem von ihr geschaffenen Bild einer blühenden, nicht durchgehend von außen aufoktroyierten Kulturlandschaft, die nicht erst mit den Römern, aber eben gerade durch sie die entscheidende qualitative Entwicklung zu der römischen provincia schlechthin (daher ja auch der heutige Name „Provence“) erfahren hat. In der Tat wird deutlich, dass v.a. die ersten Jahrzehnte nach der Eroberung durch Rom eine oft recht behutsame Annäherung zweier Kulturen mit sich brachten, die ihrerseits im Vorfeld unterschiedlich intensiven Kontakt mit griechischer Zivilisation gehabt hatten. Dies schuf dann in mittelfristiger Perspektive die typische Mischung von moderner Veränderung und Fortbestand einheimischer Traditionen, die mit dem Begriff der „gallorömischen“ Zivilisation nicht in jeder Hinsicht treffend wiedergegeben ist.

Das Buch zeugt nicht nur von erheblichem Detailwissen dank persönlicher Erfahrung, sondern auch von intelligenter Beschäftigung mit den Quellen, die zugegebenermaßen nicht in allen Bereichen gleich ausgewogen auf uns gekommen sind. Dadurch erklärt sich wohl auch der methodische Unterschied zwischen einem ersten, eher dynamischen Teil, der sehr stark wichtige lokale Befunde Südgalliens deutet, und einem zweiten, eher systematischen Teil, der des öfteren mit Analogien und Vergleichen aus anderen Provinzen (hier wieder stärker mit Blick auf die Tres Galliae) auskommen muss. Das heißt aber nicht, dass man hieraus nicht auch immer wieder Erkenntnisgewinn ziehen könnte. So stellt sich eigentlich nicht die Frage, ob diese Darstellung eher Reiseführer, Handbuch oder wissenschaftliche Erörterung sein möchte – von allem ist in meist ausreichender Form geboten, so dass man das Buch je nach Interesse weitgehend befriedigt aus der Hand legen wird. Insofern sind Ausflüge in Persönliches, Anekdotisches oder auch Pauschales letztendlich verzeihlich. Die Zukunft wird zeigen, ob, wie bzw. wann die Forschung vor Ort (mit Schwerpunkt auf lokaler und regionaler Bodenforschung) über diese Erkenntnisse deutlich hinaus kommen wird.

Bert Freyberger, Augsburg
Bert.Freyberger@phil.uni-augsburg.de

1 Anders die Darstellung von P.-A. Février u. M. Fixot in der „Histoire de la France urbaine“, Bd. 1, 1980, 399-562.


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