Dionysios Ch. Stathakopoulos: Famine and Pestilence in the Late Roman and Early Byzantine Empire. A Systematic Survey of Subsistence Crises and Epidemics. Aldershot: Ashgate 2004. 430 S. £ 49,50. ISBN 0-7564-3921-8.
Ch. Stathakopoulos (S.) legt mit diesem aus einer Dissertation an der
Universität Wien hervorgegangenen Band erstmals eine
vollständige Analyse krisenhafter Ereignisse wie endemischer und
epidemischer Erkrankungen und Hungersnöte im
Spätrömisch-Byzantinischen Reich vor. Ein neuer Ansatz ist
die systematische Verbindung zwischen beiden Phänomenen.
Der
Untersuchungszeitraum umfaßt die Jahre 284 bis 750; der
Untersuchungsraum erstreckt sich auf Italien, Asia Minor, Syrien,
Palästina, Ägypten und Nordafrika; da ein Teil dieses
römischen und byzantinischen Reichsgebiets im Laufe der Jahre
unter fremde Oberherrschaft geriet, werden auch arabische Quellen in
die Analyse einbezogen. Leider wird die Vita Severini des
Eugippius nicht ausgewertet, da S. Noricum nicht zum
Spätrömisch-Byzantinischen Reich zählt.
Die Arbeit zeichnet sich durch Durchdringung der Literatur und Nutzung
der neuesten Erkenntnisse unterschiedlichster Wissensgebiete
(Archäologie, Biochemie, Genetik, Geologie, Geschichte,
Hydrologie, Klimaforschung, Medizin, Ökologie, Philologie) aus.
Mit diesem interdisziplinären Ansatz bringt S. Zeugnisse der
antiken Literatur und zum Vergleich herangezogene neue medizinische
Erkenntnisse zu einer souveränen Gesamtschau, wobei auch die
Fülle gelungener Einzelbeobachtungen überzeugt. Bei der
Analyse der Erzählmotive wird mit Gewinn ein methodischer Ansatz
aus der Volkskunde auf die antiken Quellen angewendet.
Der
Band teilt sich etwa hälftig in die Analyse und einen Katalog
von 222 krisenhaften Ereignissen zwischen 304/5 und 748/50, der
gleichzeitig Rückgrat und Bezugsrahmen der Analyse ist. Die
Katalogeinträge sind jeweils nach Zeit, Ort, Art des Ereignisses
gegliedert und regen mit Angabe der Quellenstellen und
Literaturhinweisen zur Weiterarbeit an. Leider werden die Quellen
lediglich referiert; eine Auseinandersetzung mit der Literatur
erfolgt hier nicht.
Nach
einem ersten statistischen Zugriff (Frequenz und geographische
Verteilung der Ereignisse) auf die Datenbasis wendet sich S. zunächst
den Versorgungskrisen zu, die nach Ursache (Auftreten von
Trockenheit, Kälte, starkem Regen, Ausbleiben von für die
Schiffahrt notwendigen Winden, Auftreten von Schädlingen, aber
auch kriegerische Ereignisse, Spekulation und Preisedikte), Ort,
Dauer und Verbreitung untersucht werden.
Die sozialen Folgen und
die Versuche der Menschen, dieser Herausforderungen Herr zu werden,
werden ausführlich dargestellt. S. stellt fest, daß
Nachweise für die Wohltätigkeit städtischer Eliten
nach dem Ende des 4. Jh. sehr selten werden; Belege für die
Hilfeleistung durch Klöster und Heilige müßten
aufgrund des hagiographischen Charakters der Quellen mit größerer
Vorsicht behandelt werden. Auch die Unterstützung des Kaisers
sei für die Betroffenen zu einem bedeutenden Faktor geworden;
eine interessante Feststellung, die eingehender hätte behandelt
werden können. Anschließend analysiert S. die durch
Krankheiten wie z.B. Pocken, Ruhr, Typhus, Malaria bedingten Krisen.
Breiten
Raum nimmt sodann die Epidemiologie der Pest ein. S. datiert den
ersten Ausbruch der Pest im Byzantinischen Reich in Pelusium auf
Mitte Juli 541 und gelangt in einer schlüssigen Quellenanalyse
zu einer neuen Chronologie der verschiedenen Pestwellen, die auch in
ihren Auswirkungen ausführlich beleuchtet werden. S. glaubt,
zwischen 541 und 750 insgesamt 18 Ausbrüche der Pest feststellen
und insgesamt einen Trend zur Endemisierung der Seuche nachweisen zu
können. Die Bevölkerungsverluste in Konstantinopel während
der ersten Pestwelle schätzt S. auf etwa 20%.
Abschließend
erörtert S. die langfristigen demographischen Auswirkungen der
durch Versorgungsmängel und Krankheiten bedingten Krisen, die
durch die nach den krisenhaften Ereignissen regelmäßig
auftretenden Hungersnöte noch verschärft wurden. Nach S.
waren alle diese Ereignisse für die Menschen der Antike halbwegs
beherrschbar; die Pest jedoch mit ihren einschneidenden Folgen erwies
sich als neuer Faktor, der tiefgreifende Spuren hinterließ. Auf
ein Bevölkerungswachstum im 4./5. Jh. , das die vorhandenen
Nahrungsmittelvorräte zwar zu stark belastet und zu ständiger
Nahrungsmittelknappheit mit gelegentlichen Hungersnöten geführt
habe, sei durch die Pest ein tiefer demographischer Einbruch von
40-50% gefolgt.
Allerdings
müßte in weiteren, regional begrenzten, Studien
untersucht werden, ob sich wirklich angesichts vielfältiger
naturräumlicher Bedingungen im Byzantinischen Reich allgemeine
Aussagen über Häufigkeit und Verlauf von Versorgungskrisen
und epidemischen Erkrankungen mit ihren demographischen Folgen in
jedem Fall bestätigen.
Den
Band schließen zwei Anhänge (Maße und Währungen
sowie Getreidepreise in Zeiten einer Hungersnot), die Bibliographie
und ein ausführliches Register ab.
Michael Hesse, Witten
sallustius-crispus@gmx.de