Étienne Sargologos: Florilège Sacro-Profane du Pseudo-Maxime. Introduction, texte critique, notes et tables. Hermoupolis (Syros): Typokykladiké A.E. 2001. 748 S.

Unter dem falschen Namen Maximus Confessor hat die byzantinische Tradition uns drei verschiedene Versionen von demselben sacro-profanen Florilegium erhalten; es ist eines der bekanntesten und wichtigsten der Antike, in 71 Kapitel unterteilt (jedes einzelne Kapitel behandelt ein bestimmtes Thema: peri\ a)reth=j kai\ kaki/aj, peri\ fronh/sewj, peri\ dikaiosu/nhj, usw.). Es hat kürzlich eine vortreffliche Ausgabe durch Sibylle Ihm[1] gefunden: Die Gelehrte hat sich in ihrer verdienstvollen editorischen Arbeit bemüht, den Originaltext des Pseudo-Maximus („Ur-Max“) zum ersten Mal zu rekonstruieren, und gleichzeitig liefert sie die kritische Edition der drei existierenden Rezensionen, bezeichnet als MaxI oder brevior, MaxII oder aucta, MaxU (Umstellung), eine Art verkürzte Version von MaxII mit einer Transposition der Kapitel, welche dort kopiert wurden (1-35, 43-71, 36-42). Für den Text von MaxU und MaxII mußte man bisher auf die schwer zugänglichen Arbeiten von V. Semenov[2] und von M. Phillips[3] zurückgreifen.  Für  MaxI war die einzige Ausgabe immer noch jene von François Combefis (Paris 1675).

Gleichzeitig mit der Edition von Ihm, ohne daß einer der beiden Wissenschaftler voneinander und von der jeweiligen Forschungsarbeit gewußt hätte, erscheint das stattliche Buch von Pater Sargologos, das, selbst wenn es das Ergebnis einer über zehnjährigen lobenswerten Forschungsarbeit ist, nur die kritische Edition von MaxI bietet (S. 107-695). Der durch allgemeine Betrachtungen nicht unwichtige Band ist an entlegener Stelle im Verlag Typokikladiké A. E. erschienen; das wird ohne Zweifel dazu führen, daß sein Werk völlig unbeachtet bleiben wird.[4]

Zu Sargologos Verdiensten, welche seine Edition von derjenigen von S. Ihm unterscheiden, zählen ohne Zweifel die Prolegomena zur handschriftlichen Überlieferung (S. 57-95), dazu die wichtige historische und theoretische Studie (S. 23-53) über den Inhalt des Florilegiums, und einige interessante Beobachtungen zur Sprache des anonymen Autors (S. 97-100). Diese sind nicht nur nützlich, um die Entwicklungen der byzantinischen Sprache in Bezug auf die Normen der klassischen Sprache zu erfassen, sondern besonders auch um die editorischen Entscheidungen des Forschers zu untermauern. Wenn auch das Florilegium des Pseudo-Maximus tatsächlich fast immer allen Regeln der Morphologie und der griechischen Syntax treu folgt, treten bisweilen doch Normabweichungen auf, besonders was den Gebrauch des Konjunktivs mit o(/tan, a)/n, e)a/n, ka)/n, i(/na, pri/n betrifft, der in manchen Fällen durch den Indikativ ersetzt wird (siehe z.B. 6, 1, 2 und 25; 8, 8; 9, 53; 13, 3; 10, 8; 14, 8, 18 und 25; 40, 9; 56, 6), und Indikativ Futur wird oft mit dem Aorist des Konjunktivs verwechselt (siehe, z.B., 2, 4; 8, 37; 25, 15; 48, 6; 53, 9 und 10).

Im übrigen weist das Buch gegenüber der Edition von Frau Ihm erhebliche Defizite auf. Zunächst ist darauf aufmerksam zu machen, daß der Forscher vorzugsweise nicht die Beziehung zwischen den drei Abfassungen der Loci untersucht, sondern sich ausschließlich darauf beschränkt, die handschriftliche Überlieferung von MaxI zu studieren. Im Verhältnis zur Edition von Frau Ihm, die nur die wichtigsten Manuskripte von MaxI in Betracht zieht, päsentiert sich die recensio von Sargologos ausführlicher. Dennoch muß man bemerken, daß der Paris. gr. 296 (XI Jh.) ausgelassen wird, so wie einige jüngere Hanschriften, wie der Monac. Bibl. Univ. 552 (a. 1467), der Marc. App. II. 171 (XV.-XVI. Jh.), der Ferrar. Bibl. Ariostea II. 117 (XIV. Jh.) und der Vind. Phil. gr. 267 (XVI. Jh.). Zahlreich sind außerdem die nicht erwähnten Zeugen für MaxU und  MaxII.[5] Wenn dann die Untersuchung der handschriftlichen Überlieferung  den Herausgeber richtigerweise zu dem Schluß kommen läßt, daß „la présence d’un long extrait d’Isocrate sur la formation humaine qui différencie les manuscrits entre eux“ (S. 57), so erlaubt das, zwei große Gruppierungen zu isolieren.[6] Das Stemma auf S. 101 gibt den Eindruck einer Überlieferung in gut sieben getrennten Zweigen.

Aber eine Edition der Loci communes des Pseudo-Maximus hätte keinen Sinn, würde sich der Herausgeber nicht der schwierigen Aufgabe unterziehen, die äußerst zahlreichen heidnischen und christlichen Quellen zu ermitteln, aus denen die Ansichten entnommen sind.

 In diesem Sinne sollten die drei Indices ein sicheres Hilfsmittel repräsentieren: ein biblisches (S. 699-702), ein patristisches (S. 703-707), sowie ein heidnisches Zitatverzeichnis (S. 708-717), dem sich ein Verzeichnis der Persönlichkeiten und Orte (S. 718-737) und eines der wichtigsten griechischen Ausdrücke (S. 739-744) anschließen. Es muß aber gesagt werden, daß die Hinweise nicht immer genau sind. In zahlreichen Fällen kümmert sich Sargologos nicht einmal darum, die Quelle des Locus zu identifizieren. Um nur einige von den zahlreichen Beispielen  zu nennen  (der reduzierte Platz einer Rezension gestattet nicht auf ihren Inhalt einzugehen): die dem Prokopios von Gaza in 41, 28 zugeschriebene Ansicht ist ohne jeglichen Verweis. Außerdem ist sie in das Verzeichnis der antiken Autoren geraten, während sie in dem der Namen wiedergegeben ist, wo außerdem fälschlicherweise Prokopios die Ansicht von  13, 18 zugeschrieben werden, nach  Stobaios (3, 3, 61), würde dessen Urheberschaft hingegen Sokrates zustehen. Im Namensverzeichnis sind für Favorin gut 16 Wiederholungen angezeigt, wo in Wirklichkeit nur fünf dem Philosophen aus Arles ausdrücklich zugeschrieben sind, dessen Geburtsdatum dann entgegen jeglicher Erwartung in das Jahr 150 v.Chr. gesetzt ist. Die Ansicht von 18, 36, üblicherweise auf Epikur (fr. 488 Usener) bezogen, wird jedoch im Bodl. Barocci 143 (f. 57v) Favorin zugeschrieben. Aber das wichtige englische Florilegium wird von Sargologos überhaupt nicht in Betracht gezogen.

Verblüffend ist schließlich die Verwendung von antiquierten Ausgaben sowohl für heidnische als auch für christliche Autoren. Die Fragmente der griechischen Tragiker, z.B., sind noch immer nach der Sammlung von Nauck (Leipzig 18392) zitiert, während jene der Komiker nach der Ausgabe von Edmonds (Leiden 1957-1961) zitiert werden; für die Fragmente von Aristoteles wird auf  die Nummerierung von Rose (Leipzig 1887) verwiesen, für Chorikios von Gaza auf die völlig überholte Ausgabe von Boissonade (Paris 1846). Diogenes Laertios ist nach der zweiten Ausgabe von Long (Oxford 1964) zitiert; Dion Chrysostomos wird  sowohl nach der Ausgabe von Arnim (Berlin 1893-1896) als auch der von de Budé (Leipzig 1916-1919) und der von Cohoon/Crosby (Cambridge, Mass. – London 1931-1951) zitiert, wie auch nach der von Dindorf (Leipzig 1857). Für Menander werden nebeneinander und ohne Begründung die verschiedenen Ausgaben von Edmonds,  von Meineke (Berlin 1839-1857),  von Kock (Leipzig 1880-1888),   von Körte (Leipzig 1859) und von Jäkel (Leipzig 1964) verwendet. Außerdem ist leider  die Ausgabe nicht frei von Druckfehlern und Versehen.

Abschließend scheint mir, dass die Ausgabe von Sargologos, trotz der sichtlichen und bemerkenswerten Anstrengungen in der Sammlung des Materials und der nennenswerten Ergebnisse in Aufstellung und Beschreibung der Handschriften, nicht dazu bestimmt ist, einen großen Erfolg beim philologischen Publikum zu erzielen.

Amato, Freiburg (Schweiz)
Eugenio.Amato@unifr.ch


[1] S. Ihm: Ps.-Maximus Confessor. Erste kritische Edition einer Redaktion des sacro-profanen Florilegiums. Loci communes nebst einer vollständigen Kollation einer zweiten Redaktion und weiterem Material, Stuttgart 2001. Ich erlaube mir, auf meine in Vorbereitung stehende Publikation der Rezension in Arctos 37, 2003 zu verweisen.

[2] Drevnjaja russkaja pcela po pergamennonó spisku, St. Petersburg 1893 (= D. Tschizewskij: Melissa. Ein byzantinisches Florilegium griechisch und altrussisch. Nachdruck der Ausgabe von V. Semenov mit einer Einführung und neuen Registern, München 1968).

[3] Loci communes of Maximus the Confessor: Vaticanus Graecus 739, PhD. Saint Louis University 1977.

[4] Die Kopie, die ich besitze, wurde mir freundlicherweise von Prof. Manolis Papathomopoulos geschenkt, ich danke ihm für seine außergewöhnliche Hilfsbereitschaft.

[5] Für MaxU erinnere ich an die folgenden zwei: London, Brit. Mus. Add. 36.753 (a. 1198) und  Paris. gr. 1169, für MaxII an die folgenden fünf: Athos, Laura, 1403 K 116 (Jh. XVI); Cahirens. Patr. Bibl. Alex. 185 (Jh. XIV); Hannov. IV 546 (a. 1311); Laur. Plut. 58.31 (ca. 1200); Mutin. Bibl. Est. 83 (Jh. XIII).

[6] Zum selben Schluss gelangt S. Ihm, S. XCIX.


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