Maeve C. OBrien: Apuleius Debt to Plato in the Metamorphoses. Lewiston, N.Y. u.a.: Mellen 2003 (Studies in classics 21). 139 p. ISBN 0-7734-7012-3.
Apuleius Debt to
Plato bietet für den an Apuleius interessierten Leser eine spannende Lektüre. Auch
wenn der Titel dies vermuten lassen könnte OBrien untersucht nicht
Apuleius Imitatio des platonischen Oeuvre auf der Basis rein sprachlicher Zitate
oder Anklänge. Vielmehr fragt OBrien bei der Erörterung einer aus Apuleius
philosophischen Werken abgeleiteten Rhetoriktheorie (two levels of discourse,
3) zunächst nach deren inhaltlichen Grundlagen in der platonischen Philosophie, wendet
diese Theorie daraufhin auf die Metamorphosen an und kann drittens eine Vielzahl
inhaltlicher Bezüge zwischen dem Roman und Platons Philosophie in ihrer Relevanz für die
Interpretation der Metamorphosen
herausstellen. Dies gelingt OBrien in einer Weise, die den Philosophen, Redner und
Romancier Apuleius widerspruchsfrei als einen
Autor zeigt (2, 25, 91) und die Einheit des Romans (gerade angesichts der oft empfundenen
'Kluft' zwischen den Büchern I bis X und Buch XI) sowie die Verträglichkeit bzw.
Verflechtung von Philosophie und Humor im Roman klar erweist (78).
Im ersten der vier Kapitel wird ein
Konzept des philosophischen Diskurses entwickelt. Rhetorik und Philosophie
stehen für Apuleius nach OBriens Interpretation ausgewählter Passagen der Florida und der Apologia grundsätzlich auf derselben Stufe (3). In
Verbindung mit Apuleius philosophischen Werken ergibt sich das System eines
Superior Discourse and Inferior Discourse (8ff.); während ersterer direkt
verbunden ist mit der Erkenntnis des Guten bzw. der einzelnen bona, ist letzterer nur ein Abglanz des ersten auf
irrationaler, halbwahrer Ebene (13), der gern dazu überreden möchte, was er zu
lehren nicht imstande ist (De Platone [=
DP] 231).[1]
Die systematische Ableitung dieses Diskurssystems erreicht argumentativ nicht immer
dasselbe überzeugende Niveau, das für die übrigen Kapitel des Buches charakteristisch
ist. Grund dafür ist nicht so sehr, dass die eigene Verwendung des Begriffs
discourse (auch gegenüber modernen Theorien) nicht noch einmal vorab
definiert wird, sondern dass zwischen Rhetorik und Dialektik nicht immer ausreichend
differenziert wird. So scheint mir z.B. Rhetorik für Platon nicht nur vollendendes
Beiwerk zur Dialektik zu sein ([Plato] still holds that a higher rhetoric
complements dialectic, 8), sondern umgekehrt direkt aus dem dialektischen Wissen zu
fließen: wenn er nicht hinreichend Philosophie betreibt, wird er [Phaidros] auch
niemals hinreichend fähig sein, über irgendetwas zu sprechen (Phaidros 261a, ebenso 276a). Von Platon her
ließe sich die abschließend für Apuleius explizierte Schlussfolgerung von OBrien
gerade bestätigen: proper speech is the result of the study of philosophy
(86). Die Rede von einem mehr oder weniger entstellten Platonismus im Sinne
Beaujeus (8) erscheint im Blick auf Apuleius zumindest hier unangebracht, denn auch für
Apuleius tritt die Rhetorik nicht von außen komplementierend zur Dialektik hinzu.
Zunächst aber läuft OBriens
Argumentation für Apuleius auf eine andere Schlussfolgerung hinaus, wenn sie für
Apuleius Erkenntnis (discipline of contemplating the good) und Rhetorik
(philosophical discourse, 9) gleichsetzt und diese Feststellung an späterer
Stelle als fundamentalen Unterschied zu Platon wertet (35). Möglicherweise besteht die
Ursache für diese Gleichsetzung in einer zu starken Parallelisierung platonischen und
ciceronianischen Gedankenguts. Denn während Cicero eine für sich selbst und unabhängig
bestehende perfectae eloquentiae species
postuliert (so auch gemäß OBrien: claims, 9), die man mit dem Geist (animo) sieht (orat. 9-10), spricht Apuleius m.E. davon, dass
die höchste Rhetorik zwar mit der geistigen Schau der bona verbunden, jedoch nicht selbst eines dieser
rein intelligiblen bona bzw. eine für sich
selbst bestehende species unter anderen ist,
sondern sich aus deren Schau ableitet. Nur in dieser Weise lässt sich innerhalb der
apuleianischen Argumentation die höhere Form der Rhetorik im Sinne eines superior
discourse als schauende der intelligiblen Gutheiten (contemplatrix bonorum, DP 231) verstehen, da eine Erkenntnis und
Rhetorik identifizierende Interpretation[2] bestimmte
begriffliche Differenzierungen des Apuleius ausblendet, wie es mir bei OBriens
Darstellung der Fall zu sein scheint. Dieses Problem wird leider dadurch verdeckt, dass
gerade bei den betreffenden Passagen (DP
194, 200) neben der Übersetzung nicht das lateinische Original mit angegeben worden ist
(11, 12), wie O'Brien es in den späteren Kapiteln vornimmt. Diese Problematik sei noch
etwas detaillierter erläutert.
Zunächst untermauert OBrien (11)
ihre Diskurstheorie überzeugend dadurch, dass nach Apuleius (DP 194) die intellegendi substantia, also das Wesen der Intellekterkenntnis (substance
of true perception, 11), auf der feststehenden Kraft (constanti nititur robore, DP 194) der unvergänglichen intelligiblen
Erkenntnis beruht und ein Diskurs auf dieser Ebene dementsprechend voll von solch
unerschütterlicher rationaler Erkenntnis ist (ratione
stabili ... plena, ibid.), wohingegen die rationale Erkenntnis und die Worte (rationes quoque et verba, ibid.) über die
zweite Substanz, d.h. die Welt des Werdens und Vergehens (DP 193), nur ein schattenhaftes Abbild der
intelligiblen Welt (umbra et imago est superioris,
DP 194)
und unbeständig sind[3] daraus erklärt sich
m.E. hier auch der Plural rationes als Zeichen
des Unbeständigen im Gegensatz zu der einen ratio
stabilis. Die erkenntnistheoretisch bedeutsame doppelte Begrifflichkeit in
Apuleius Gebrauch von ratio[4] gibt OBrien mit steady reasoning
bzw. reasoning wieder (11).
Kurz darauf vermischt OBrien
allerdings Erkenntnistheorie und Rhetorik zu einer Sache, und zwar mit der von nun an
immer verwendeten Übersetzung von ratio durch
account (12).[5] Im Sinne Ciceros (s.o.)
mag dies zutreffen (9), aber kaum vor dem Hintergrund des apuleianischen Textbefunds (DP 200): Apuleius differenziert konsequent
zwischen rationaler Erkenntnis (ratio) und deren
auf ihr basierenden (rhetorischen) Erklärung (interpretatio).
Diese Differenzierung ist auch notwendig für OBriens eigene Schlussfolgerung in
ihrer Apuleiusinterpretation: proper speech is the result of the study of
philosophy (86).
Dass Apuleius hier tatsächlich in
erster Linie von zwei verschiedenen Erkenntnisweisen spricht, zeigt sein differenzierter
Gebrauch des Begriffs ratio[6]: Während er allgemein zwei Arten von ratio unterscheidet, spricht Apuleius im
eigentümlichen Sinn nur der intelligiblen Welt ratio
zu und sieht deren Existenz (in dem Sinne, dass diese Welt erkennbar, intellegibilis ist) von eben dieser rationalen
Erkenntnis bezeugt (ratione probatur esse). Daraus wird m.E. deutlich,
dass Apuleius ratio hier (und auch drei Zeilen
zuvor) erkenntnistheoretisch versteht. Im Blick auf die sichtbare Welt verwendet Apuleius
das Wort ratio dagegen nur im uneigentlichen
Sinne ratio ist hier vielmehr eine suspicio. Dieser Doppelaspekt der ratio bzw. dianoia
findet sich in dieser Explikation auch sonst im Platonismus und wird von Apuleius
bestätigt.[7] Apuleius legt also in DP 200 nicht nur eine bestimmte Theorie von
grundsätzlich zwei verschiedenen Diskursarten (two kinds of language, 12)
vor, sondern zunächst vor allem eine erkenntnistheoretische Differenzierung, die
grundlegend ist für die rhetorische und ihr sachlich vorausliegt.
Je nach dem, ob man Apuleius
Gebrauch von ratio erkenntnistheoretisch oder
rhetorisch interpretiert, ergeben sich darüber hinaus Fragen nach dem Verhältnis von
Rhetorik und Erkenntnis: Kann Gott in seinem unglaublichen und unaussprechlichen Übermaß
an maiestas wegen (due to, 14)
oder von der Armut menschlicher Sprache (penuria
sermonis humani, De Deo Socratis [=DDS] 124) nicht erfasst werden? Für letztere
Interpretationsmöglichkeit und gegen OBrien scheint zu sprechen, dass Apuleius
einerseits davor zurückschreckt, den höchsten Gott zu beschreiben (cur ego nunc dicere exordiar ...?), weil auch
Platon dessen Unbeschreiblichkeit betont (Timaios 28c, OBrien 17), andererseits aber zu wissen
scheint, welchen Gott er meint. D.h. doch: die Dürftigkeit des menschlichen Diskurses
schließt höchste intelligible Erkenntnis für Apuleius nicht grundsätzlich aus.
Natürlich ließe sich mit OBrien einwenden, philosophischer Diskurs
meine nichts anderes als intelligible Erkenntnis (9). Dann aber wäre zumindest die
Begründung, Platon, obwohl mit göttlicher Redekunst (heavenly eloquence, 15,
ebenso 45) begabt, habe Apuleius zufolge kein vollkommenes Wissen [sc. über Götter]
empfangen können aufgrund der inhärenten Schwachheit des Diskurses, der in der
sublunaren Welt nun einmal benutzt werden muss (15), wenig überzeugend, da höchste
intelligible Erkenntnis auch nach OBriens eigener Interpretation gemäß Apuleius
natürlich nicht in einem niederen, sublunaren Diskurs vermittelt werden kann, sondern
wenn überhaupt in einem superior discourse vermittelt werden müsste.
Insofern aber auch dies gemäß Apuleius wie Platon schwierig ist, bleibt hier (als
Deutungsvariante des Diskursmodells von OBrien) auch die Ineinssetzung von höchster
Erkenntnis und Rhetorik, wie sie schon Gorgias bei Platon behauptet (Gorgias 456a), in dem Begriff des
philosophischen Diskurses nicht unproblematisch, da Erkenntnis und rhetorische Vermittlung
von Erkenntnis nicht nur jeweils auf verschiedenen Ebenen stattfinden können, sondern
auch grundsätzlich von Apuleius nicht miteinander identifiziert werden: Apuleius sagt
zwar, dass eine Vermittlung höchster Erkenntnis in einer entsprechenden Rhetorik versucht
werden muss, nicht aber, dass die Möglichkeit einer solchen Erkenntnis von der
rhetorischen Erfassbarkeit abhängt, da das plötzliche wenn auch sehr seltene
Aufblitzen einer Gotteserkenntnis (intellectum
dei intermicare, DDS 124) nicht
auszuschließen ist. Man wird es Apuleius kaum selbst anlasten können, wenn man sagt:
Apuleius own definition of discourse is let us say, disingenuous. This
is because Apuleius definition of discourse reflects a sophists attempt to
elevate discourse to the status of philosophy (16). Geht OBriens Schlussfolgerung,
nur weil Apuleius Rhetorik (discourse) mit Dialektik verbinde, würde er
beinahe behaupten, dass Diskurs Dialektik ist (17, ebenso 21, 35),
möglicherweise genau einen Schritt weiter als Apuleius selbst?
Mag seine Ableitung diskussionswürdig
erscheinen das Modell der zwei Diskurse bildet in den folgenden Kapiteln die Basis
für die von OBrien herausgestellten wichtigen Bezüge der Metamorphosen zu Platons Dialogen; letztere dienen dabei als
intertextueller Kommentar.
Lucius the anti-Socrates in
Thessaly (27f.), das zweite Kapitel knüpft an Platons Kriton (53d) an: Wird Platons Sokrates davor
gewarnt, vor seinem Tod nach Thessalien zu fliehen, weil er dort möglicherweise zum
Gespött werden und sein Schema verlieren
könnte, schickt Apuleius seinen Lucius genau dorthin (met. 1), lässt ihn zu solchem Gespött werden (das
Risus-Fest, met. 3) und seine Form verlieren (29). Die
eingebettete Geschichte des Aristomenes lässt sogar einen geisterblassen Sokrates (met. 1,6)
in Thessalien auftreten und Opfer von Zauberei werden; Menon äußert in Platons
gleichnamigem Dialog (80b) die Befürchtung, Sokrates könne andernorts als Zauberer
abgeführt werden Menon stammt aus Thessalien und weiß daher, wovon er spricht
(31). Nicht zufällig wählt der Platoniker Apuleius Thessalien als Ort unerklärlichster
Ereignisse, denn hier ist nichts das, was es scheint (met. 2,1)
Thessalien ist nicht nur der unterhaltsame Ort für abstruse Geschichten, sondern
auch im philosophischen Sinne Symbol für die Veränderungen der wahrnehmbaren Welt und
ihre Schattenhaftigkeit (32, 34).
Die offensichtlichen und (im positiven
Sinne) einfachen Entsprechungen sind es, die OBriens Argumentationen ihre
Überzeugungskraft verleihen und ohne dass es hier bereits ausgesprochen wäre
die angebliche Unvereinbarkeit von vordergründigem Entertainment und
hintergründiger Philosophie als unbegründetes Vorurteil bloßstellen. Ist es womöglich
vielmehr so, dass sich der Unterhaltungswert der Metamorphosen
um einiges steigert, wenn man ihren Autor auch als Platoniker ernst nimmt, dem es nicht
nur darum geht, sich selbst darzustellen,[8] sondern
der als orator eines sublunaren Diskurses (35,
36) Lucius zunächst als komisches Abbild all dessen darstellt, wovor sich der Sokrates
seines philosophischen Vorbildes Platon als weiser und wahrer Held (38) fern
hält?
Nimmt man mit OBrien die Prämisse ernst, dass die intelligible Welt für die Platoniker also auch für Apuleius die höhere Form der Realität darstellt, dann wird im elften Buch die Unwirklichkeit Thessaliens verlassen und in Rom die Wirklichkeit erreicht, Lucius kommuniziert mit der Göttin Isis, nähert sich einer Ebene intelligiblen Seins an (39, ebenso 88). Lucius erkennt selbst die Dürftigkeit seiner Sprache; OBrien hebt hervor, dass der Diskurs mit Isis daher nur in Lucius' Innerem stattfinden kann und sich im Schweigen aus dem sublunaren Diskurs enthebt (39). Dem Diskurs zwischen Isis und Lucius entspricht auf der Basis von DDS der Diskurs zwischen Sokrates und seinem Daimonion (40). Sokrates Reden kommen seinen Zuhörern zunächst häufig lächerlich vor, da er über Esel u.a. spricht, während man, wenn man sie öffnet und in ihr Inneres eindringt, erkennt, dass diese Worte als einzige voller Sinn sind (Symposion 221e; 42). OBriens Bezug zu Apuleius Roman unterstreicht die Einheit des ernsten elften Buches mit den vorausgehenden unterhaltsamen zehn Büchern. In diesen verwandelt der Autor Apuleius innerhalb eines niederen Diskurses die Formen von Menschen wie die Thessalischen Hexen in seinen Geschichten allerdings wird der philosophische Leser dies zu durchschauen wissen (45).
The Magician and The Day of
Laughter, das
dritte Kapitel, beobachtet anhand von met. 3 die trügerischen Halbwahrheiten (verisimilia) im sublunaren Diskurs etwa
wenn Lucius sich im Gerichts-Theater als Einzelkämpfer gegen die vermeintlichen drei
Räuber darstellt, die Anklage ihn jedoch als Mitglied einer Bande sieht, Lucius sich
zuvor (met. 2,32) allerdings selbst als in Begleitung
befindend darstellte (49). Die Problematik zwischen Fiktion und Wahrheit im niederen
Diskurs wird im Roman von Aristomenes auf den Punkt gebracht (68): Wem werde ich den
Anschein erwecken, etwas Wahrheitsähnliches zu sagen, wo ich doch die Wahrheit ans Licht
bringe? (met. 1,14)
OBrien vergleicht einerseits die
zu magischen Wirkungen fähige Rede der Aspasia von Milet in Platons Menexenos (235b) mit der Hexe Pamphile, wie sie
in met. 2,5 in Byrrhenas Worten dargestellt wird (56); auch der erste Satz des Prologs (sermone isto Milesio) bekommt in diesem Kontext
zusätzliches Gewicht (59). Dem Vergleich auf der Ebene des sublunaren Diskurses entspicht
auf der des höheren Diskurses der Vergleich von Diotimas Rede im Symposion mit der Isisrede in met. 11
(69). Dass OBrien die Parallelisierung dieser Vergleiche im Kontext der
Unterschiedlichkeit der verschiedenen Diskursebenen vornimmt (anders als die Hexen will
Isis Lucius nicht täuschen, 69), scheint mir überzeugender zu sein als eine Einebnung
der Unterschiede zwischen den Hexen und Isis (vgl. Keulen).[9] Die Plötzlichkeit von Lucius Isiserkenntnis (met. 11,1)
und der damit verbundenen unvorbereiteten Wendung des Romans findet gemäß
OBrien (71) eine plausible Erklärung darin, dass auch Diotima die Schau der ewigen
Schönheit als etwas Plötzliches beschreibt (exaiphnês,
Symposion 210e). Die Unterschiede, z.B. zwischen Platons
unkörperlicher Idee Schönheit und Isis körperlicher Erscheinung bei
Apuleius, werden keinesfalls verwischt (72); OBrien erklärt dies aus der Natur des
abbildhaften Diskurses des Romans (effigies) im
Verhältnis zum wahren Urbild (species).
Insofern mag es sich zwar bei Lucius Initiation nicht um eine wirkliche
Mysterienweihe handeln (73), man vermisst bei OBrien allerdings den Bezug zum Ende
des Romans: Lucius stammelnde Höchstprädikate (Wlosok)[10] angesichts der Erscheinung des Osiris.
Lucius, den Erzähler des Buches, das er selbst ist bzw. wird (libros me futurum, met. 2,12), betrachtet OBrien als magician writer (57f.). Dies wäre vielleicht noch detaillierter im Kontext von Winklers[11] Unterscheidung zwischen auctor und actor zu sehen, denn dem Erzähler und fiktionalen Zauberer Lucius steht gemäß OBrien der fiktionale Erzähler und eigentliche Zauberer Apuleius gegenüber (59), ferner ist dieselbe Differenzierung auch für den eingeschobenen Vergleich mit dem zweiten Buch der Aeneis (Sinon Lucius) relevant (64). Überzeugend ist die Interpretation, dass die erste Metamorphose im Roman in der Verwandlung des fiktionalen Erzählers in Lucius besteht (61); erstaunlich ist umgekehrt, dass OBrien sich mit allem Nachdruck gegen eine entsprechende Rückverwandlung in Buch XI ausspricht (45).
Cupid:
Desire and disorder in Cupid and Psyche, das letzte Kapitel, rückt eine
allegorische Deutung der Geschichte ins Blickfeld: die sich auf Abwegen befindende Seele
wird vom Bösen durch die Liebe befreit (77). OBrien ersetzt den Gott Cupido nicht
durch ein Abstraktum, sondern weist auf der Basis von DDS 145 darauf hin, dass Götter nach
Apuleius Auffassung in der Literatur als daimones
(also auch körperlich) dargestellt werden (77), so dass man das Verhältnis von Psyche zu
Cupido wie das von Sokrates zu seinem Daimonion beschreiben kann (81). Dass Apuleius (DP 216) die platonische Auffassung von der
Dreiteilung der Seele teilt, nutzt OBrien für ihre Interpretation: Psyche kommt der
Zwischenstatus zwischen Wissen (Cupido) und der Unwissenheit ihrer namenlosen Schwestern
zu (81), d.h. die Schwestern entsprechen dem untersten Seelenteil (epithymia), Psyche dem mittleren (thymos) und Cupido dem höchsten Seelenteil (ratio bzw. sogar nous), da er Psyche den Zugang zum göttlichen
Wissen eröffnet (82).
Sowohl Cupido als auch die Schwestern
wollen Psyche überreden (85): Cupidos Pfeile symbolisieren dabei nicht nur den höheren
Diskurs, sondern auch gemäß OBrien in erster Linie die Schärfe des rationalen
Denkens (87), während die Schwestern den niederen Diskurs als Abbild der eigentlichen
Wirklichkeit verkörpern, dessen sich auch der Autor bedienen muss (89). Psyches Aufnahme
in das olympische Reich sowie Lucius' Rettung durch Isis können daher nur Abbilder einer
echten Initiation sein (89) bedingt durch die Erzählung, d.h. durch die
Notwendigkeit des sublunaren Diskurses, auf die auch des Esels Wunsch nach einem Griffel (met. 6,25) aufmerksam macht (88). Trotzdem geht
OBrien davon aus, dass Lucius im elften Buch eine höhere Form der Wirklichkeit
erreicht (88); auf die damit verbundene Freude deutet die bei der Vereinigung von Cupido
und Psyche, d.h. des höchsten mit dem mittleren Seelenteils, entstehende voluptas (met. 6,24) als Abbild hin (90).
Nach einer allgemeinen Zusammenfassung
findet sich am Ende des Buches als Appendix ein Schema zur Verdeutlichung des im ersten
Kapitel Gesagten und ein äußerst knapp gehaltenes Stichwort- und Stellenregister. Dessen
Erweiterung sowie die Umstellung der Endnoten in Fußnoten würden eine leichtere Lektüre
ermöglichen. OBriens Schlussfolgerungen wiederholen sich in den einzelnen Kapiteln
dies ist allerdings nicht störend.
OBrien hat ihre Untersuchung
selbst als Antwort auf die Frage nach der Einheit der Metamorphosen konzipiert (91) und leistet nicht nur in dieser
Hinsicht einen hervorragenden Beitrag, sondern zeigt auf überzeugende Weise, dass
Apuleius als Romanautor und als Philosoph ernst
zu nehmen ist und seine Werke von dieser Prämisse aus im Zusammenhang miteinander
interpretiert werden sollten. Apuleius amüsanter Umgang mit der platonischen
Philosophie steht dabei nicht im Widerspruch zu seinen eigenen ernsten
Überzeugungen (92). OBrien führt in exemplarischer Weise vor, wie ertragreich und
spannend Literaturwissenschaft gerade im Zusammhang mit philosophischen Erörterungen sein
kann.
Da sich innerhalb der Apuleiusforschung
bei schwer entscheidbaren Interpretationsfragen wie z.B. der nach der Identität des
Prologsprechers in den Metamorphosen ein
gewisses Abstimmungsverhalten beobachten lässt (zugunsten von Lucius[12]), wird die vorliegende Arbeit vielleicht auch dahingehend für
Spannung sorgen, ob die Apuleiusinterpreten, die die Metamorphosen ausschließlich als
Unterhaltungsroman betrachten und den philosophischen Gehalt des Romans für überbewertet
bzw. nur zu Apuleius eigener Selbstdarstellung dienlich erachten,[13] gewissermaßen die Mehrheit verteidigen werden oder
nicht. [1] persuasum velit quod docere non valeat. [2]
Die Erkenntnis bzw. Schau der intelligiblen Welt wird mehrfach mit dem philosophischen
Diskurs gleichgesetzt bzw. parallelisiert, dieser perfekte Diskurs im Sinne
Ciceros als eloquentia verstanden (OBrien
9, 12). Dadurch kommt es der Sache nach
zur Gleichsetzung von Dialektik und Rhetorik: The 'discipline of contemplating good'
is obviously the discourse 'full of steady reasoning and credibility' or the 'eternal and
constant account'
(15). [3]
So auch OBrien an späterer Stelle (86). [4]
Hinc et duplicem rationem interpretationemque dicit [sc. Plato] (DP 200). [5] [...] there is a twofold account and
exposition (12) (lat. Text s. vorhergehende Anm.). An späterer Stelle setzt
OBrien diese ihre Übersetzung selbst in Anführungsstriche: 'account' (35). [6]
Hinc et duplicem rationem interpretationemque dicit; namque illa visibilis fortuita et
non ita perseveranti suspicione colligitur, at haec intellegibilis vera, perenni et
constanti ratione probatur esse (200). Das Wort vera bleibt bei OBrien
(12 und 35) jeweils unübersetzt. [7]
Zur Doppel- bzw. Mittelstellung der Ratio im Platonismus vgl. jetzt: Gyburg Radke: Die
Theorie der Zahl im Platonismus. Ein systematisches Lehrbuch. Tübingen, Basel 2003,
506-512. [8]
The problem of a self-promoting sophistic intellectual in writing fictional
narrative is that of how to keep the spotlight on himself when not talking about
himself (S.J. Harrison: Apuleius. A Latin Sophist. Oxford, New York 2000, 232). [9]
Addiction to superstition (Meroe, Isis) can be seen as one of the paradigms of false
rhetoric (or 'fiction') in the met. [...] (W. Keulen: Apuleius Madaurensis.
Metamorphoses Book I, 1-20. Introduction, Text, Commentary. Groningen 2003, 48) [10] Antonie Wlosok: Zur Einheit
der Metamorphosen des Apuleius. Philologus 113, 1969; 81 [= Dies.: Res humanae - res
divinae. Kleine Schriften, hrsg. von Eberhard Heck und Ernst A. Schmidt. Heidelberg 1990,
197f.]. [11] John J. Winkler: Auctor and Actor. A narratological reading of
Apuleius's Golden Ass. Oxford 1985 (Ndr.1991). [12] 'This House believes
that the speaker of the Prologue is Lucius' (A Companion to the Prologue of
Apuleius' Metamorphoses. Edited by Ahuvia Kahane and Andrew Laird. Oxford 2001;
Introduction 5). [13] There are also prominent echoes of Platonic
dialogues. ... these mostly convey literary learning and entertainment, and their
ideological content has commonly been overvalued (Harrison, 2002: 224); ...
such religious knowledge and implied special status was particularly attractive to
sophists, providing an additional means for the self-promotion and self-glamorization
characteristic of sophistic life (ibid., 243). In der jüngsten Forschung spricht
sich z.B. Keulen (2003: 48) eindeutig für den entertainment-Charakter des Romans aus.
Friedemann Drews, Rostock
friedemann.drews@stud.uni-rostock.de