Hartmut Leppin: Theodosius der Große. Auf dem Weg zum christlichen Imperium. Darmstadt: Primus 2003 (Gestalten der Antike). 277 S. Euro 29,90. ISBN 3-89678-471-4.
In der neuen Reihe Gestalten der Antike, die nach den
Worten ihres Herausgebers M. Clauss eine Auswahl derjenigen Personen
umfassen soll, von denen sich aufgrund der Quellenlage ein
individuelles Portrait entwerfen lässt, erhält das
vorliegende Buch gewissermaßen eine Leitfunktion. Es steht
nämlich am Anfang jener Biographien, die über Fachkreise
hinaus ein spannend, klar und informativ geschriebenes Bild der
jeweiligen Titelfigur bieten sollen. Schon gleich zu Beginn sei
gesagt, daß dies im vorliegenden Fall dem Verfasser vollauf
gelungen ist. Warum allerdings z. B. Sulla, Augustus, Konstantin und
Justinian schon wieder eine neue Behandlung erfahren sollen, da doch
Biographien über diese Herrscher erst jüngst erschienen
sind, ist nicht recht ersichtlich. Ob sich dahinter nicht spezielle
Verlagsinteressen verbergen?
Nach einer kurzen Einführung im ersten Kapitel, wo über
Grenzsicherung, Reichsverwaltung, Kaisertum, Christenpolitik u. a. in
diesem Reich der Vielfalt gesprochen wird, und nach
einem ebenso kurzen zweiten Kapitel, in welchem die Jugend
eines Militärs behandelt wird - es geht hier um die
ersten Einsätze des Theodosius in Britannien, an der Rheingrenze
und in Afrika sowie um die nicht völlig zu erklärende
Hinrichtung des Vaters in Karthago im J. 376 - verbreitet sich
der Verf. nunmehr ausführlicher im dritten Kapitel über die
ersten Regierungsjahre des im Osten fremden Kaisers (379 -
382). Bereits bei der Behandlung der Schlacht von Adrianopel (378)
mit dem Tod des Kaisers Valens, der die Ernennung des Theodosius zur
Folge hatte, zeigt sich, wodurch das Buch seine besondere
Anschaulichkeit und Frische erhält: Es sind die eingestreuten
längeren und kürzeren Quellenbelege, in diesem Fall ist es
der breite Schlachtenbericht des Kirchenhistorikers Theodoret (hist.
eccl. 5, 5 f.), die aber nicht nur aufgenommen (stets deutsch!),
sondern auch auf ihre Zuverlässigkeit überprüft oder
häufig im Vergleich mit anderen Zeugnissen für die eigene
Entscheidung herangezogen werden (S. 41: Man muß
Theodoret auseinandernehmen!). Im Mittelpunkt dieses
Abschnitts steht des weiteren der bekannte Gotenvertrag von 382, in
welchem erstmals ein ganzer Stamm als foederati in großem
Maßstab steuerfreies Siedlungsland auf römischem
Reichsboden erhielt, wo das fremde Volk jetzt nach eigenen Gesetzen
lebte. Mit Recht warnt L. davor, dieses Ereignis als entscheidenden
Schritt zur Auflösung des Imperiums anzusehen, da es zum einen
schon Präzedenzfälle, wenn auch in geringerem Umfang,
gegeben habe, zum andern weil jegliche juristische Systematisierung
fehlte und aufgrund der Befriedung und besonders durch die
Heeresfolge Rom erhebliche Vorteile daraus gezogen hat. Schließlich
herrschte seitdem auf dem östlichen Balkan neun Jahre weitgehend
Ruhe. Gewiß wurde der Vertrag von dem kaiserlichen Lobredner
Themistius in günstigem Licht dargestellt, aber ob man daraus
und den nicht immer erfolgreichen, aber im Grunde doch zweitrangigen
kriegerischen Aktionen Kaisers in dieser frühen Zeit (z. B.
gegen die Sarmaten) eine grundlegende militärische Schwäche
ableiten kann, erscheint doch sehr fraglich. Im Folgenden behandelt
der Verf. die Gewinnung des Ostens, zunächst das Werben um die
Eliten und das Volk in der östlichen Hauptstadt, sodann den
unaufhaltsamen Siegeszug des nicänischen Bekenntnisses und
seiner führenden Vertreter, woran der Kaiser bekanntlich führend
beteiligt war. Auch wenn L. die persönliche Frömmigkeit des
Herrschers nicht unterschätzt, so glaubt er doch an der
Feststellung nicht vorbeizukommen, dass alle Handlungen des
Kaisers sich aus taktischen Motiven erklären lassen (S.
74). Aber abgesehen davon, dass im Osten damals die Partei der
Nicäner noch nicht so stark war, dass es von vornherein ratsam
erschien, sich vor allem für diese einzusetzen, sollte man seine
nicänisch geprägte spanische Herkunft und den starken
Einfluß seiner ebenfalls in diesem Sinn eingestellten Gattin
Flaccilla nicht unterschätzen, von der Taufe durch den Bischof
Acholius ganz zu schweigen. So erklären sich m. E. das Edikt
Cunctos populos (vom 28. 2. 380), gewissermaßen
das Grundatzprogramm der theodosischen Kirchenpolitik, das doch wohl
als Manifest für sämtliche Reichsuntertanen gedacht war -
verbindlich für alle Reichsbewohner , so A. M.
Ritter (in gleicher Weise auch A. Lippold u. a.) - wie auch der
souveräne Umgang mit den häretischen Bekenntnissen im J.
383, über die er wie einst Konstantin d. Gr. als Herrscher von
Gottes Gnaden durch sein besonderes Nahverhältnis zu Gott
persönlich entschied. Bemerkenswert ist hier dennoch ein
gewisses Schwanken des Autors, ob Theodosius sich in seiner
Kirchenpolitik von seiner persönlichen Glaubenshaltung leiten
ließ oder doch taktische Gründe den Ausschlag gaben, z. B.
durch Überbieten von Gratians Toleranzpolitik (vgl. z. B. S. 68
anläßlich der Taufe: Vielleicht war Th. so
überzeugt vom nicänischen Glauben, dass er bereit war,
dafür taktische Überlegungen hintanzustellen …).
Zuzustimmen ist allerdings, wenn er zum einen meint, daß dem
Kaiser manches Geschacher und manche Streitereien um Bischofssitze
zuwider waren und er darüber hinaus manche Feinheiten der
Theologie gar nicht verstand wie einst auch Konstantin (Greg. Naz.
vit. s. 1282 f. kann man allerdings auch anders interpretieren), und
noch wichtiger, daß ihm als weltlichem Herrscher an einer
existenziellen Bedrohung der noch immer starken häretischen
Gemeinden gar nicht gelegen sein konnte (daher auch kein
Glaubenszwang), sondern weit mehr an einer moderaten, integrativen
Kirchenpolitik, hinzuzufügen wäre allerdings, im Sinne
einer langsamen Bekehrung (wie auch der Heiden).
Bei der Schilderung der Jahre 383 - 388 im vierten Kapitel, überschrieben mit Die Sicherung des Erreichten, spielt selbstverständlich der Erfolg gegen den westlichen Usurpator Maximus eine wesentliche Rolle, dessen Häscher den legitimen Augustus Gratian in Lyon niedermachten, den er aber trotzdem infolge mangelnder Rüstung eine Weile gewähren ließ (war das wirklich Schwäche?). Nach entsprechenden Rüstungsvorbereitungen konnte er ihn jedoch, persönlich gestärkt durch die vorangehende Einsetzung persönlicher Vertrauter im Osten, eine gezielte Münzpropaganda und den Zuspruch des Asketen Johannes, in einem wohlüberlegten Feldzug ohne große Mühe bezwingen. Auch hier sind also Zweifel angebracht, ob Theodosius der Erfolg im wesentlichen zugefallen ist und er mehr durch Fortüne als eigene Klugheit sich durchgesetzt hat. Hervorzuheben ist, wie der Autor hier geschickt die stets ergehenden Gesetze (z. B. gegen die Eunomianer, Regelung der Reichsverwaltung usw.), die Münzprägung und vor allem das bekannte, in Spanien gefundene Missorium (heute in der königlichen Akademie in Madrid) an Hand einer guten Abbildung anschaulich in seine Darstellung einbezieht.
Im fünften Kapitel über Theodosius im Westen (388 - 391) steht neben den Erfahrungen in der alten Hauptstadt am Tiber mit der dort noch immer starken heidnischen Fraktion (Symmachus, Flavianus usw.) vor allem das Zusammentreffen mit dem selbstbewußten Mailänder Oberhirten Ambrosius im Mittelpunkt, einmal aufgrund der Affäre um die Synagoge in Callinicum (388) und weiter anläßlich der Auseinandersetzung um das Blutbad von Thessalonike (390). Beide Fälle werden unter stetem Rückgriff auf die wichigsten Quellen, bes. die einschlägigen Ambrosiusbriefe, ebenso eingehend wie behutsam interpretiert. Dabei überrascht, daß der Verf. im ersten Fall, wo es um die provokative Forderung des Ambrosius ging, von der Bestrafung eines Bischofs abzusehen, der für die Zerstörung eines jüdischen Gotteshauses am Euphrat verantwortlich war, nicht wie üblich von Erpressung, Glaubenszwang, Niederlage des Kaisers u ä. spricht, sondern das Nachgeben des Kaisers beinahe als Gnadenakt gegenüber der Gewissensnot des Mailänder Oberhirten interpretiert. Vielleicht sollte man hier auch nicht vergessen, daß Callinicum ein Grenzort zu Persien war, wo der Sassanidenkönig Schapur II. nicht ohne Mithilfe der Juden eine grausame Christenverfolgung begonnen hatte. Bei der Beurteilung des Blutbefehls von Thessalonike, der mehr als 7000 Bewohnern das Leben gekostet haben soll, und des anschließenden Bußakts von Mailand lässt sich L. ebensowenig von der späteren dramatischen Ausgestaltung der Ereignisse bereits in den antiken Quellen und mehr noch von manchen modernen Interpreten beeinflussen. Er bleibt vielmehr auf der Linie von W. Ensslin, der bereits das Geschehen (wahrscheinlich am Weihnachtstag des Jahres 390) in der Bischofskirche von Mailand als Sieg der Bußgewalt über den reuigen Sünder interpretiert hatte. Es ging demnach weder um die Verteidigung der Kirchenfreiheit noch um einen bischöflichen Machtanspruch, außerdem war es beiden Seiten gelungen, wie es bei L. zutreffend heißt, ihr Gesicht zu wahren. Hier hätte man vielleicht noch auf die klugen Bemerkungen des kürzlich verstorbenen Mainzer Althistorikers H. Bellen über den Vergleich des büßenden Kaisers, vom Bischof als rex Christianissimus tituliert, mit dem König David aus dem Alten Testament zurückgreifen können (Zur Christianisierung der römischen Kaiserideologie von Constantin bis Theodosius, Festschr. H. Chantraine, hrsgg. von R. Günther und St. Rebenich, Paderborn 1994, 15 ff.).
Das sechste Kapitel über die Jahre 391 bis 394 beschäftigt sich zunächst unter dem Stichwort Kampf um den wahren Glauben mit den Tempelzerstörungen im Osten, deren Höhepunkt der Entscheidungskampf zwischen Christen und Heiden um das Serapeion von Alexandria war, wo L. einerseits ein vorsichtiges Taktieren des Theodosius erkennt, andererseits doch recht deutlich das Experimentierfeld bischöflicher Macht brandmarkt, bes. bei dem Ortsbischof Theophilus. Weiterhin geht es auf diesen Seiten um die scharfen Gesetze gegen die Vertreter des alten Götterglaubens im Reich von 391 und 392, erlassen in Rom und Ägypten, die wegen der chronologischen Anordnung des Buches naturgemäß von der übrigen antiheidnischen Gesetzgebung etwas isoliert stehen, in deren Zusammenhang sie gehören. Schließlich wird die werdende Hauptstadt Konstantinopel in den Blick genommen, wo neben einem aussagekräftigem Stadtplan recht übersichtlich die Darstellungen auf dem Theodosius-Obelisken behandelt werden, mit betonter Zurückhaltung der Zuordnung von Personen und Beschränkung auf die Grundaussage: Dauerhaftigkeit der Herrschaft - Eintracht mit Valentinian II. - Sieghaftigkeit - Fehlen christlicher Elemente, weiterhin das Theodosius - Forum (mit einer Rekonstruktionsskizze), von dem heute kaum mehr etwas erhalten ist. Aus dem weitgehenden Fehlen von Kirchen und Klöstern aus dieser Zeit wird zu Recht gefolgert, daß es nicht die Absicht des Theodosius gewesen sei, eine rein christliche Stadt zu schaffen, der baulichen Ausgestaltung jedoch sehr wohl aber der Anspruch zugrunde liege, ein zweites Rom zu begründen.
Das siebte Kapitel Wieder im Westen ist schließlich der zweiten Usurpation unter Arbogast und Eugenius, deren erfolgreicher Niederwerfung und dem Tod des Kaisers gewidmet. Nicht ganz nachzuvollziehen ist hier die Vermutung, daß beim (gewaltsamen) Tod des westlichen Augustus Valentinian durch den Aufrührer Arbogast trotz gespielter Trauer bei Theodosius ein Gefühl der Erleichterung mitgeschwungen habe. Ebenso kommt hier erneut die Grundthese des Verf. zum Vorschein, daß der einige Zeit zögernde Kaiser in der Schlacht am Frigidus doch nur Fortüne gehabt habe, da er doch im Grund ein schlechter Feldherr gewesen sei. Die lange und sorgfältige Vorbereitung des Feldzuges spricht doch eine andere Sprache, das plötzliche Auftreten des Fallwindes während der Schlacht sollte man doch mehr dem Hochspielen in der christlichen Überlieferung (über den gottgeliebten und daher erfolgreichen Herrscher) zuschreiben. Wurden die Goten in diesem erbitterten Ringen wirklich um es im Landser - Jargon auszudrücken, verheizt? War es nicht selbstverständlich, daß die besten Truppen den entscheidenden Kampf ausfechten mußten wie in anderen Schlachten dieser Zeit auch? Sicherlich zutreffend ist dagegen die betonte Hervorkehrung der anschließenden Milde, von L. integrativer Herrscherstil genannt, welche der Sieger in gleicher Weise gegen den vorher wiederum verdächtig lavierenden Bischof Ambrosius wie auch gegen die restlichen Heiden in Rom bewies, wofür Prudentius in seinem zwei Bücher umfassenden Hexameter-Gedicht Contra Symmachum berichtet (I 408 ff.). Aus diesem Werk hätten sich auch noch andere Passagen über die Gewißheit der Christen anführen lassen, daß nunmehr das langersehnte, bereits unter Konstantin sichtbar werdende christliche Friedensreich Roms über alle Völker Wirklichkeit geworden sei (Aufnahme vergilischer Anklänge!). Dies vor allem dort, wo der Verfasser das bekannte dilexi in der Leichenrede des Ambrosius anführt. Mit einigen informativen Bemerkungen über die Reichsteilung von 395, die bekanntlich von den Zeitgenossen als solche gar nicht empfunden wurde, und die Ereignisse bis zum Sturz der allmächtigen Minister Rufinus im Osten (noch 395) und Stilicho im Westen (406) schließt der darstellende Teil.
Wie erwartet folgt am Ende ein zusammenfassendes achtes Kapitel mit dem Titel Theodosius der Große, in welchem ein kurzer Abriß vorangestellt ist über die wenigen weitgehend negativen heidnischen Quellen (bes. Zosimus) und die meist panegyrischen christlichen Zeugnisse sowie über einige ausgewählte Urteile in der modernen Literatur (Seeck, Ensslin, Lippold). Von diesen grenzt sich der Verf. dadurch ab, dass er bekennt, er habe das Bild eines Kaisers entwerfen wollen, der sich um die Integration des Reiches bemühte und eher reagierte als daß er gestaltete: Machtsicherung, versöhnliche Grundhaltung, Friedfertigkeit und Milde, Verzicht auf pompöse Siegesbekundungen und militärische Schwäche ließen sich als wesentliche Charakteristika fassen. Immerhin habe er, aufs Ganze gesehen, die äußere Stellung des Reiches bewahrt. Mehr hätten auch die militärisch tüchtigen Vorgänger wie Konstantin und Valentinian I. nicht vollbracht. So nimmt es nicht wunder, dass L. lediglich der christlichen Tradition folgt, wenn er das Prädikat der Große übernimmt, weil es sich eben in der Geschichtsschreibung seit dem Konzil von Chalkedon eingebürgert habe, weniger indes aus eigener Überzeugung. Als groß im Sinne von J. Burckhardt könne dieser Kaiser nicht gelten. Aber ob nicht, so ließe sich dagegen fragen, die Erhaltung der Reichseinheit, die äußere Sicherung des Imperiums in einer fast ausweglosen Situation und der tatkräftige Abschluß eines lange andauernden Glaubensstreites doch Beweise von Kraft und Größe sind? Mit bloßer Fortüne oder Dusel war das sicher ebensowenig zu erreichen wie mit bloßem Taktieren in Glaubensfragen.
Neben einer Fülle von Anmerkungen mit der jeweils neuesten
Literatur, die in dem Buch verarbeitet wurde, einem sehr nützlichen
Glossar, einem Literatur- und Abbildungsverzeichnis sowie einem
Register (in Auswahl) schließt das Buch. Druckversehen gibt es
nur wenige (S. 62: eine weiter Rede; S. 67: außerhalb der
klerikalen Milieus, S. 215: zu keinen offenen Verrat: S. 222: Kam der
Knabe Honorius 394 wirklich, von seiner Mutter begleitet,
nach Mailand?
Richard Klein, Wendelstein
RiKle@gmx.net