Karl Leo Noethlichs: Johannes Hahn, Gewalt und religiöser Konflikt

Johannes Hahn: Gewalt und religiöser Konflikt. Studien zu den Auseinandersetzungen zwischen Christen, Heiden und Juden im Osten des Römischen Reiches (von Konstantin bis Theodosius II.). Berlin: Akademie Verlag 2004 (Klio-Beih., N.F. 8), 348 S. Euro 69,80. ISBN 3-05-003760-1.


Gewaltsamer Aufruhr sind Formen von Bürgerkrieg. Gründe für solche Gewaltausbrüche in der Spätantike sind nach A.H.M. Jones1 religiös bedingt oder hängen mit Versorgungskrisen oder mit körperlichen Auseinandersetzungen der Zirkusparteien zusammen. Die moderne Anthropologie fasst diese Gründe differenzierter in Gier, Hass, Angst, Machttrieb und Religion bzw. Ideologie,2 betont dabei aber gleichzeitig, dass nur das letzte Kriterium der Religion den Menschen eigen sei; die anderen Gründe scheint es auch im Tierreich zu geben. Dies ist eine rein akademische Einteilung. In der Realität kommen immer nur Mischformen vor, so auch in der Spätantike.
Die religiösen Gewaltmotive und ihre Gründe auf dem Hintergrund der vielfältigen außerreligiösen Einflüsse sind das Thema der vorliegenden Untersuchung. Die Fragestellung ist nicht neu, aber in dieser konsequenten Form bisher noch nicht durchgeführt worden.
Hervorgegangen ist das Buch aus einer Heidelberger Habilitationsschrift vom Jahre 1993, die dann in der Folgezeit, insbesondere im Rahmen eines Forschungprojektes in Münster, vertieft wurde. So kann H(ahn) auf vielfache, besonders auch eigene Vorarbeiten zurückgreifen, wie ein Blick auf die recht umfangreiche Bibliographie (S. 295-332) zeigt.
Welches waren die Gründe für religiösen Aufruhr in der Spätantike, wenn nicht die Religion selbst? H. gelingt es, das Geflecht verschiedener Bedingungen und Einflüsse, insbesondere allgemein gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und machtorientierter Art, durchschaubarer zu machen, die weit wichtiger waren als religiös-theologische Differenzen zu Häretikern, Heiden und Juden selbst. Die Fragestellung beinhaltet somit zugleich die Frage nach dem Stellenwert der Gewalt im Ausbreitungsprozess des Christentums in der Spätantike überhaupt, von der bisher meist nur bei Bischofswahlen oder Konzilien die Rede war. Wie hoch sind diese Gewaltanwendungen insgesamt zu veranschlagen?
Zur Beantwortung wählt H. vier Beispiele aus: Alexandria, Antiochia, Gaza und Panopolis und behauptet, diese vier Fallbeispiele könnten aus geographischen, quellenmäßigen und sachlichen Gründen „Repräsentativität für das Gesamtmaterial“ beanspruchen (13). Dabei stützt er sich auf eine Äußerung Kaegis auf derselben Seite (Anm. 13), der die Informationen über die großen Städte Alexandria, Antiochia, Athen und Konstantinopel dem Schweigen der großen ländlichen Gebiete gegenüber stellt. Das soll vermutlich heißen, dass es keine wirklich repräsentativen Untersuchungen für die Spätantike geben kann!? Damit bleiben die Ergebnisse von vornherein punktuell.

Alexandria (S. 15-120): Als Großstadt mit vielleicht etwa 200.000 Einwohnern war Alexandria in jeder Hinsicht etwas Besonderes. Hier versagten die sozialen Ausgleichsmittel einer kleinen Polis, hier breiteten sich Unruhe und Gereiztheit, bes. zwischen Griechen und Juden, aus. Die einheimischen Verwaltungsstrukturen wurden insbesondere ab dem 4. Jh. n. Chr. mehr und mehr abgebaut. Es gab kaum einheimische Senatoren, aber eine wachsende Anzahl römischer Amtsträger, und somit kaum lokale Identifikationsmuster. In dieses Vakuum stößt dann der christliche Bischof. Bezüglich der religiösen Landschaft haben wir es mit einer Vielzahl von Richtungen zu tun. In den fünf Bezirken der Stadt soll es 2478 Tempel gegeben haben mit Spezialbeamten für die Steuereinziehung auf den Tempelgütern. Aus dem Götterpantheon ragten Sarapis (mit dem Sarapeion auf einer künstlichen Akropolis) und Isis, die unter vielen Beinamen verehrt wurde, heraus. Eine nicht unwichtige Rolle spielten auch die Vorstädte Kanopos und Menuthis, die sich zunehmender Beliebtheit bis ins 4. Jh. erfreuten. Hier wirkte der heidnische Philosoph Antonius und die Frage ist, ob dessen Wirken Ursache oder Folge der fehlenden Christianisierung auf dem Lande angesichts einer Entfernung von mehreren Stunden war. Insgesamt war das Heidentum (vgl. H.s Definition S. 11f.) kein besonderes Kriterium, gesellschaftliche Gruppen in Alexandria abzugrenzen, sondern hier differenzierte sich die Gesellschaft nach Teilhabe an griechischer Bildung und Kultur.
Wenn auch über den Aufstieg des Christentums bis zum 4. Jh. wenig bekannt ist, spielte es jedenfalls ab 312 eine große Rolle. Vorher kennen wir den Bischof Demetrios (ca. 190-231) mit seiner Katechetenschule, die einen engen Kontakt der christlichen Gemeinde mit dem Umfeld gewährleistete. Weniges nur erfahren wir aus der Zeit der Verfolgungen, dagegen ab ca. 304 über das Melitianische Schisma, bei dem es erstmals zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kam. Ausgangspunkt war die Behandlung der „lapsi“ sowie die unkanonische Ordination des Melitos v. Lykopolis. In dem folgenden Konflikt, der besonders durch Athanasius angeheizt wurde, ging es in erster Linie um den Machterhalt der Kirche von Alexandria über die drei diokletianischen und die beiden libyschen Provinzen sowie über die Pentapolis. Bei der Bischofsnachfolge fällt auf, dass es keine Synoden dafür gab und oft besondere Vertraute des Bischofs bzw. Verwandte seine Nachfolge antraten. Die Rolle des Bischofs war also eminent politisch, der Bischof damit auch der wichtigste Vertreter der Stadt gegenüber der römischen Zentrale. Kirchliche Einmischung in staatliche Belange lässt sich auf dem Gebiet der Armenfürsorge erkennen. Wirtschaftlich hatte die Kirche ein Monopol auf Salpeter, Papyrus, Schilfrohr und Salz und darüber hinaus auf das Bestattungswesen.
Das Mönchtum hatte seine Wohnsitze außerhalb der Stadt, ließ sich aber vom alexandrinischen Bischof, insbesondere Athanasius, ohne weiteres nutzen und auch in der Stadt einsetzen.
Ein besonderes Kapitel ist den Auseinandersetzungen zwischen Arius, Athanasius und dessen „Nachfolgern“ Gregor und Georg gewidmet (48-77), die im Einzelnen hier nicht behandelt werden müssen. Hervorzuheben ist lediglich, dass in diesen Auseinandersetzungen, bei denen der Staat zugunsten der „Arianer“ Partei ergriff und Georg sich als Handlanger der scharfen Antiheidenpolitik des Constantius entpuppte, Athanasius auch von den Heiden unterstützt wurde.
Unter Peter und Timotheos, den Nachfolgern des Athanasius, blühte die Gemeinde neu auf. Unter Theophilos (385-412) sehen wir das Ende des Heidentums und die Zerstörung des Sarapeions, nachdem zuvor die Mission des Cynegius für Unruhe gesorgt hatte. H. datiert diese Zerstörung auf Anfang 392, weil Cod. Theod. 16,10,11 vom 16.6.391 noch die Zugänglichkeit der Tempel beinhaltet. Bei den Einzelheiten wird der Darstellung des Sokrates und Eunap mit Recht der Vorzug vor Rufin gegeben, der daraus eine Wundergeschichte macht. Vorangegangen war wohl eine heidnische Revolte, angezettelt insbesondere von mehreren „Hochschullehrern“ und deren „Schülern“, auf die Theophilos reagierte. Falls bei dieser Zerstörung, der ähnliche in der Stadt selbst folgten, Mönche eingesetzt wurden, war es der erste Einsatz von schlagkräftigen Asketen in der Religionspolitik (S. 94).
Mit Theophilos lässt sich ein gewandeltes Selbstverständnis der Christen feststellen. Das gute Verhältnis zu den Heiden unter Athanasius wich einem steigenden christlichen Selbstbewusstsein. Die Hochschullehrer zogen weg nach Konstantinopel!
Allerdings waren die christlichen Missionserfolge auf dem Lande, z.B. in Kanopos und Menuthis, nicht so spektakulär. Hier wurde erst unter Kyrill (412-444) mit der angeblichen Auffindung der Reliquien der Lokalmärtyrer Kyros und Johannes ein Durchbruch erreicht. Kyrill, der Neffe und Nachfolger des Theophilos, von dem Sokrates (h.e. 7,7,4) schrieb, er habe auch alle weltliche Entscheidungsgewalt an sich gerissen, begann eine scharfe Verfolgung der Juden und Novatianer ohne jegliche gesetzliche Grundlage. Zudem geriet er in Konflikt mit dem praefectus augustalis Orestes. In seine Amtszeit fällt die Ermordung der heidnischen Philosophin Hypatia durch den alexandrinischen Mob unter Führung des Klerikers Peter, für die sich keine religiösen Gründe ausfindig machen lassen. Alle christlichen Quellen geben dem Kyrill die Schuld oder Mitschuld, obwohl die Masse des Volkes oft durchaus nicht auf der Seite des Kyrill stand. Der wahre Grund der Ermordung war möglicherweise, dass Hypathia nicht nur mit Orestes zusammen arbeitete, sondern eine einflussreiche Frau innerhalb der Opposition gegen Kyrill insgesamt war.

Antiochia (121-189): Im Gegensatz zu Alexandria lässt sich Gewaltanwendung in Antiochia erst nach Chalkedon (451) nachweisen. Vorher ging es offenbar friedlicher zu. Die sog. „Statuenrevolte“ vom Jahr 387 gegen Steuererhöhungen hatte rein wirtschaftlichen Charakter und wurde von sämtlichen gesellschaftlichen Schichten getragen. Die Stadt hatte öfters unter Hungersnöten und Versorgungsengpässen zu leiden. Religiös waren alle Gruppen recht stark vertreten. Die Stadt selbst war mit ihrem Hafen Seleukeia Piereia Stützpunkt gegen die Perser, Sitz des Statthalters von Syrien, des comes orientis und zeitweise des magister militum per Orientem, dazu kaiserliches Haupt- und Winterquartier. Der hl. Bezirk Daphne war für das Heidentum ein wichtiger Ort. Es wurde neben Griechisch auch Syrisch und Aramäisch gesprochen, es gab viele Zugereiste. Der einheimische Dekurionenstand unterlag einer gewissen Entmachtung, die aber durch Honoratioren aus ehemaligen Statthaltern, Kommandeuren oder Hofbeamten ersetzt wurde. Es existierte hier also kein Machtvakuum, das der christliche Bischof hätte ausfüllen können.
Das Heidentum scheint schon unter Julian keine besondere Rolle mehr gespielt zu haben. Die Quellen nennen zwar noch viele Tempel, aber es erscheint fraglich, inwieweit dort noch Gottesdienst abgehalten wurde. Vielleicht haben wir es zur Zeit Julians bereits mit einer überwiegend christianisierten Führungsschicht zu tun. Religiöse Spaltungen gab es wohl am ehesten innerhalt der Kurialen und Honoratioren selbst, wofür die Familie des Libanios ein Beispiel wäre.
Bemerkenswert ist der überdurchschnittlich hohe Anteil an Juden seit Gründung der Stadt 300 v. Chr., wofür auch die Predigten des Johannes Chrysostomos 386/7 ein Beweis sind. Hier entstand die „Heidenmission“ der Christen, hier wirkten die Bischöfe Ignatius und Paul v. Samosata. Für das 4. Jh. sind die Zeugnisse allerdings sehr dürftig. Insgesamt gab es hier wenig Kirchenbauten; der Großteil der Christen besuchte ohnehin nicht den Gottesdienst (Chrysost. hom. 11,6 in Eph. = PG 62,88). Der politische Einfluss Antiochias nahm aber ab zugunsten neuer Machtzentren wie Konstantinopel, Apameia (um 413 als Zentrale der neuen Provinz Syria Secunda), Jerusalem und Zypern. Im Vergleich zur Bedeutung der Stadt hatte der christliche Bischof eine bescheidene Stellung.
Das Mönchtum scheint sich unabhängig von Ägypten entwickelt zu haben. Es gab nie ein Kloster in der Stadt, nur außerhalb auf dem „Mons Silpius“. Asketisch-mönchisches Leben wurde offenbar als den städtischen Wertvorstellungen entgegengesetzt empfunden; die wenigen Gelegenheiten, bei denen Mönche in der Stadt auftraten (Julian Sabas, Aphraates, Makedonios) waren Ausnahmesituationen. Die Mönche konnten deshalb auch nicht vom Ortsbischof instrumentalisiert werden wie in Alexandria.
325/30 (?) kam es nach Absetzung des Eusthatios durch eine antiochenische Synode zum sog. „antiochenischen Schisma“, der einzigen blutigen Auseinandersetzung ohne kaiserliches Dazutun. Dabei sind die Einzelheiten ganz unklar, die Quellenlage (Euseb. V. Const. 3,59,2f.) schlecht, weil parteiisch. Konstantin reagiert mit der Entsendung des comes Strategius Musonianus, seinem Vertrauten in Glaubensfragen, der aber kein Militär bei sich hat.
Unter Gallus wurden die Gebeine des Märtyrerbischofs Babylas nach Daphne gebracht, wodurch die dortige Orakelstätte verstummt sein soll. Julian, der sich ab dem 18. Juli 362 sieben Monate in Antiochia aufhielt, versuchte vergeblich, seine neue Religion dort durchzusetzen, ein Misserfolg auch unter Heiden, was auch daran gelegen haben mag, dass die Bevölkerung unter einer Hungersnot zu leiden hatte, während der Kaiser tausende von Stieren als Opfergaben schlachten ließ. Des Kaisers Klage über das Desinteresse der Honoratioren am Apollonfest kostete ihn die letzten Anhänger. Ansonsten gibt es mehrere Versionen über das Ende des Orakelbetriebes in Daphne und Julians Versuche einer Reorganisation (168-173).
Als schließlich am 22. Oktober 362 im Apollontempel ein Feuer ausbrach, beschuldigte Julian die Christen der Brandstiftung. Er ließ die „Große Kirche“ schließen und konfiszierte die hl. Geräte, wohl als Ersatz für den abgebrannten Apollontempel. Die ausführenden Beamten erlitten aber den „Tod der Christenverfolger“ (Philostorg. 7,10; Theodor. h.e. 3,12; Joh. Chrys. De Bab. 92). Es gab aber keine Christenverfolgung. Julians Rede im Anschluss an die gerichtliche Untersuchung zeigt deutliche Anzeichen von Resignation (Misopog. 361 B-C). Unter Julian hat es auch keinerlei christliche Martyrien gegeben (173-177).
Unter Jovian brannte das Trajaneum. Dort ließ der Kaiser die Bibliothek Julians vernichten, was zu Protesten der Bevölkerung führte, worauf Jovian fliehen musste. Dann ist die Rede von der „Übernahme“ der jüdischen Makkabäergräber im Bezirk Kerateion durch die Christen. Juden wie Christen verehrten die Makkabäer in gleicher Weise, weshalb diese „Übernahme“ wohl kaum mit Gewalt geschehen sein kann. Die Quellen behaupten ursprünglich auch keinen Zusammenhang zwischen den Gräbern und einer jüdischen Synagoge. Erst die Christen errichten über diesen Gräbern eine Kirche. Die christliche Übernahme war wohl faktisch durch die Mehrheit der christlichen Pilger gegeben; Kirche und Synagoge existierten noch friedlich nebeneinander.
Die Folgezeit weiß nur noch wenig über Antiochia: Valens setzte sich mit gewaltsamen Aktionen für den Arianismus ein, aber die Quellenlage ist dürftig. Themistios soll in einer Rede für ein Ende der Verfolgungen eingetreten sein, berichten Sokrates (h.e. 4,32,3ff.) und Sozomenos (h.e. 6,36,6ff.) mit Bezug auf die zweifelhafte 12. Rede des Themistios. Als Reaktion auf die Maßnahmen des Kaisers zugunsten der Juden (Ritualmordvorwurf in Imnestar) kann Symeon Stylites Theodosius II. wieder umstimmen. Unter Zenon geht die Synagoge des Asabinus bei Straßenschlachten der Zirkusparteien in Flammen auf.
Es zeigt sich insgesamt, dass mit dem Erlöschen der Quellen Ende 397 (Libanios, Chrysostomos) unsere Kenntnis von Antiochia fast aufhört. Das Ende des Heidentums scheint mehr durch die religiöse Indifferenz der Honoratioren eingetreten zu sein als durch Gewaltmaßnahmen.

Gaza (191-222): Die Besonderheit Palästinas und damit auch Gazas hängt mit einer Vielzahl dort lebender Ethnien zusammen, mit den besonderen Auswirkungen der Konstantinischen Religionspolitik im Hl. Land sowie den zunehmenden Pilgerströmen, die ab Mitte des 4. Jh. einen wirtschaftlichen Aufschwung schufen. Mit seinem Hafen Maiuma lag Gaza öfters im Streit. Unter Konstantin nutzte Maiuma die Gelegenheit, trat komplett zum Christentum über und erhielt dafür vom Kaiser die kommunale Selbständigkeit unter dem neuen Namen „Constantia“. Interessant ist, dass Maiuma unter Julian seine Selbständigkeit zwar wieder verlor, aber seinen eigenen Bischof behielt (Sozom. h.e. 5,3). Damals wurden drei christliche Brüder ermordet, die allerdings vorher ein heidnisches Heiligtum geplündert hatten. Außerdem zeigen die Maßnahmen gegen den Mönch Hilarion, dass solche christlichen Eiferer keine Ausnahme waren.
Über diesen Hilarion sind wir vorwiegend durch die Vita des Hieronymus unterrichtet. Er wohnte zwischen Gaza und Maiuma und konnte sich eine von Gaza unabhängige Machtbasis schaffen. Er trat durch spektakuläre Aktionen hervor: So verschaffte er einem christlichen Wagenlenker durch ein Zaubermittel den Sieg, aber insgesamt waren seine Missionserfolge eher gering.
Das zentrale heidnische Heiligtum Gazas war der Marnas-Tempel, dessen Kult durch Hadrian i.J. 130 durch Schaffung besonderer Wettspiele neu belebt worden war. Diese Wettkämpfe waren der geeignete Ort zur Selbstdarstellung für die Honoratioren der Stadt. Ihre Ablehnung stellte traditionelle Identitätsmuster in Frage, ebenso die Rekrutierung der Mönche des Hilarion aus der bäuerlichen Schicht. Daher wurde sein Kloster unter Julian zerstört.
Der ab 395 amtierende neue Bischof Porphyrios war ortsfremd und hatte es als Mönch in Ägypten und am Jordan bis zum Staurophylax in Jerusalem gebracht. Seine Ernennung bedeutete ein politisches Programm für eine Stadt, die bei seinem Amtsantritt nur 280 Christen gehabt haben soll. Von einem „Regenwunder“ zu Anfang seiner Amtszeit abgesehen erfahren wir wenig über die seelsorgerische Tätigkeit des Porphyrios, viel mehr über seine wirtschaftlichen Aktivitäten und den Versuch, den sozial minderberechtigten Christen unter die Arme zu greifen, die sich allerdings auch mehrere Verstöße gegen heidnische Kultstätten hatten zuschulden kommen lassen. Christenverfolgungen im eigentlichen Sinn gab es wohl nicht.
Zur Einholung eines Sondererlasses, der ihn zur Zerstörung des Marneions berechtigte, reiste Porphyrios selbst an den Hof von Konstantinopel, nachdem die mit der Zerstörung beauftragten Beamten bestochen worden waren. Mit der Zerstörung des Marneions 402 brach die politische und soziale Kontrolle der Heiden in Gaza zusammen. Porphyrios ließ an der Stelle eine riesige „Eudoxia“-Kirche bauen (in der Hoffnung, dass sie sich im Laufe der Zeit mit Gläubigen füllen werde) und feierte ein mehrtägiges Fest, an dem angeblich über 1000 Mönche, Nonnen und Kleriker verköstigt wurden. Reaktionen von heidnischer Seite sind nicht bekannt, aber aufschlussreich ist, dass das Militär in Gaza blieb und es keine stabilen Verhältnisse gab, wie der Streit um Landbesitz 407 zeigt, in dessen Verlauf Porphyrios sich verstecken musste, oder auch die spätere Situation unter Illos 484/8.

Schenute von Atripe und das Heidentum im Nomos von Panopolis (223-269): Es mag sein, dass Schenute in der bisherigen Forschung nicht genügend berücksichtigt wurde. Wenn aber H. behauptet, „Schenutes Tätigkeit als Tempelstürmer, Zerstörer von Götterbildern und Heidenbekämpfer“ sei „selbst in einschlägigen Lexikonartikeln unbeachtet geblieben“ (224, Anm. 11f.), hätte ihn eine etwas sorgfältigere Lektüre des Artikels „Heidenverfolgung“ vor solchen Falschbehauptungen bewahrt.3 Richtig ist, dass Schenute in keiner griechischen oder lateinischen Quelle, sondern nur in Koptischen Zeugnissen genannt wird (Vita Besas, Briefe des Schenute), in die sich H. auch eingearbeitet hat.
Das Kloster des Schenute, das in der Nähe der Pachomios-Klöster lag, aber keine Konkurrenz zu diesen darstellte, wurde nach einer besonderen Klosterregel geführt. Es ging dabei weniger um spirituelle Werte, sondern in erster Linie um absoluten Gehorsam. Bei Verstößen gegen die Klosterregel gab es schwere Strafen, dazu viel körperliche Arbeit, so dass sich angestaute Aggressivität der fast ausschließlich aus einfachen Kopten bestehenden Mönche nach außen Luft machen musste. Der ökonomisch gut geführte Klosterkomplex ließ die Zahl der Mönche und Nonnen Ende des 4. Jh. schnell auf Tausende anwachsen, unter denen sich sicherlich eine Menge steuer- und landflüchtiger Bauern Oberägyptens befanden. Hier im Kloster fanden sie Schutz vor Ausbeutung und beteiligten sich aktiv an Aktionen gegen Grundbesitzer, heidnische Bilder und öffentliche pagane Heiligtümer.
In Panopolis spielte das Heidentum Anfang des 4. Jh. noch eine immense Rolle. Es gab hier weltberühmte Dichter und Literaten (Kyros, Pamprepios, Horapollon d.Ä. und d.J.) und wissenschaftliche Beziehungen zum Musaion in Alexandria. Das Heidentum war fester Bestandteil der Oberschicht im 4. und 5. Jh.
Daneben sind auch Christen sicher ab Diokletian bezeugt, die aber offenbar fast alle aus dem griechischen Bevölkerungsteil stammten und, anders als z.B. in Gaza, friedlich und gleichberechtigt nebeneinander lebten.
Zwischen dem Ortsbischof und Schenute gab es wenig Kontakte, so wie auch Schenute nie für Christen innerhalb der Stadt eintrat. Man darf ihm ein gespanntes Verhältnis zur offiziellen Kirchenorganisation unterstellen. Das bedeutet, dass seine Angriffe auf das Heidentum in Form von Bilder- und Tempelzerstörungen in Panopolis und auf dem Lande nicht mit kirchlicher Unterstützung geschahen.
Zu den weltlichen Behörden war sein Verhältnis ambivalent, teils gespannt, teils freundschaftlich. Er wurde öfters wegen Störung der öffentlichen Ordnung angezeigt, aber nie verurteilt, manchmal auch von Beamten gedeckt. Seine Theologie enthielt nichts von Barmherzigkeit, sondern Jesus galt ihm als Rächer im Kampf gegen Satan und Dämonen, weshalb er auch staatliche Maßnahmen gegen Heiden befürwortete.
Ein Zeichen für diese Triumphalgeste des siegreichen Christentums über die Heiden mag man darin sehen, dass in der großen Klosterkirche Schenutes so viele Spolien verbaut waren wie sonst nirgends. Wichtig dabei ist, dass Schenutes antiheidnische Aktionen nicht punktuell waren, sondern eingebettet in ein soziales Millieu. Ein ausbalanciertes soziales und religiöses Gefüge wurde durch ihn und seine Anhänger aus dem Gleichgewicht gebracht. Dabei vermischten sich religiöse und wirtschaftlich-soziale Gründe.

Was ergibt sich nun aus diesen Fallbeispielen?
H. versucht dies abschließend in seiner Zusammenfassung (271-294) zu sagen, und man kann seine Ergebnisse weitgehend unterstreichen: Der Prozess der Christianisierung hat sich als ein lokales Problem erwiesen, das nicht einheitlich verlief. Verallgemeinerungen lassen sich insofern machen, als bei mehr „abgeschlossenen“ Gesellschaften größere Konflikte auftauchten, bei mehr „dynamischen“ die Entwicklung friedlicher verlief, aber diese Kategorien erweisen sich doch letztlich als irgendwienicht wirklich greifbar und unpräzise. Es bleibt das Problem der christlichen Quellen, die diese Entwicklung einseitig schildern und sich für das 4. Jh. in der Rolle der Unterdrückten sehen. Die zentrale Figur wird hier der Ortsbischof, der mithilfe der weltlichen Behörden oder mithilfe der Kirchenorganisation (bes. der Mönche) christianisiert. Die Rolle des Volkes, theoretisch an der Bischofswahl beteiligt, tritt in den Quellen weitgehend zurück. Dass sich die innerchristlichen Gruppenbildungen nach den jeweiligen Führern und weniger nach den theologischen Unterschieden richteten, ist ein bekanntes Phänomen, das schon bei Paulus auftaucht.
Weniger verständlich ist mir die Behauptung, die christlichen Quellen hätten „nicht selten“ den Einsatz des Staates (als Zentrale oder Provinz) unterschlagen (285), sich aber de facto abgesichert. Nach meinem Empfinden wollen die christlichen Quellen dem Leser gerade deutlich vor Augen führen und nicht verschweigen, dass antiheidnische Maßnahmen in der Regel die staatliche Rückendeckung hatten, und die von H. im Folgenden angeführten Beispiele zeigen das m.E. ganz deutlich. Nicht neu ist auch der Widerspruch zwischen Gesetzeslage und Praxis, die Frage nach Spezialerlassen für bestimmte Orte und Situationen, die öftere Umgehung des Dienstweges sowie das zentrale Problem der Wirksamkeit der spätantiken Religionsgesetze. Für diese letzte Frage hilft das Buch eigentlich nicht weiter.

Insgesamt liegt ein sehr anregendes Werk vor, das auch gut redigiert ist. Es gibt nur ganz wenige Druckfehler.4 Die Untersuchung enthält zwar keine spektakulär neuen Erkenntnisse, aber anhand der vier ausgewählten Beispiele wird konsequent versucht, alle (soweit noch greifbar) relevanten Aspekte der gewaltsamen und angeblich religiösen Auseinandersetzungen des 4./5. Jh. zu berücksichtigen und entsprechend zu werten, so dass sich in der Gesamtheit ein durchaus anderes und von der bisherigen Forschung zu unterscheidendes Bild ergibt. Es zeigt sich, dass den rein religiösen Gründen in allen Fällen eine zweit- oder drittrangige oder gar keine Bedeutung zukommt. Hier stimmt der Rez. voll zu. Etwas vorsichtiger wäre ich mit der Schlussthese, dass die gewaltsamen (angeblich) religiösen Konflikte (gemeint sind hier nur die zwischen Christen und Heiden bis zum Beginn des 5. Jh.) die Ausnahme waren und nicht überbetont werden sollten. Genügt hier der Hinweis, dass die christliche Überlieferung wohl nur die spektakulären Aktionen aufgenommen hat, und das ein hauptsächlich archäologisch nachweisbares Nebeneinander verschiedener religiöser Gruppen immer ein friedliches war? Hier wäre, gerade angesichts der nur punktuellen oder überhaupt fehlenden Überlieferung, m.E. ein „non liquet“ eher angebracht. Die Vermutung spricht wohl für H.s These, aber wir ‚wissen‘ es eigentlich nicht.

Karl-Leo Noethlichs, Aachen
noethlichs@rwth-aachen.de


1 The Later Roman Empire. Oxford 1964, 694.

2 Z.B. v. Stietencron in: v. Stietencron / Rüpke (Hrsg.): Töten im Krieg. Freiburg/München 1995, 27-34.

3 Vgl. Noethlichs, RAC 13, Sp. 1180.

4 Im Übrigen verbirgt sich hinter F. Thelamon eine Frau, Françoise: S. 85 mit Anm. 342.


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