Ittai Gradel: Emperor 'Worship and Roman Religion

Ittai Gradel: Emperor Worship and Roman Religion. Oxford: Oxford University Press 2002 (erweiterter Neudruck 2004). 398 S., Abb. ISBN 0-19-815275-2.


Was an dem aus einer, beträchtlich erweiterten, Oxforder Dissertation hervorgegangenen Buch zunächst auffällt, ist sein Titel. Während die altertumswissenschaftliche Forschung stets vom „Kaiserkult“ – im angelsächsischen Raum entsprechend vom „Imperial cult“ – spricht, vermeidet Gradel den Begriff konsequent und benutzt statt dessen den neutraleren Ausdruck „Emperor worship“ – „Kaiserverehrung“. Wer das Buch aufmerksam liest, erfährt schnell warum: Die den Kaisern dargebrachten kultischen Ehrungen sind dem Verfasser nicht Ausdruck eines quasi-institutionalisierten, theologisch kohärenten Systems der „Kanonisierung“ verblichener Herrscher, sondern, wie er (S. 369) prägnant formuliert, „a social contract, mutually binding for both parties.“ Mit anderen Worten: Wer dem Kaiser Opfer darbrachte, hatte Teil an einem der, für die römische Mentalität so charakteristischen, reziproken Nahverhältnisse – do ut des.

Gleich in seiner Einleitung (Kapitel 1) konfrontiert Gradel mit seinem Verständnis von römischer Religion, das weitreichende Implikationen hat und in mehr als einer Hinsicht von etablierten Auffassungen abweicht. Zwar scheint er, wenigstens mit Blick auf die deutschsprachige Forschung, mit seiner Forderung, bei der Untersuchung paganer Religionen die „christliche“ Perspektive zu überwinden, teilweise offene Türen einzurennen. Wie erst allmählich in Juden- und Christentum eine autonome politische aus der religiösen Sphäre emporwuchs, während eben in den alten Hochkulturen beide eine untrennbare Einheit bildeten, hat immer wieder Jan Assmann gezeigt,1 und auf die „Selbstverständlichkeit“ von Religion gerade auch im antiken Rom hat unlängst Jörg Rüpke2 (Rüpke 2001, 11-18) mit großer Eindringlichkeit hingewiesen.

Neu ist also nicht Gradels Insistieren auf der fundamentalen Andersartigkeit römischer Religion, neu sind die Schlußfolgerungen, die er daraus zieht: Göttlichkeit ist ihm keine absolute Kategorie, sondern eine Größe, die sich nach der Differenz in Status, Rang und Prestige bemißt. In Gradels Worten: „The man-god divide in the pagan context could also be taken to reflect a distinction in status between the respective beings, rather than a distinction between their respective natures or ‚species‘.“ (S. 26). Göttlich konnten deshalb schon, „Before the Caesars“ (Kapitel 2), herausragende Einzelpersonen für die breite Masse, Herren für ihre Sklaven sein. Die Ritualhandlung par excellence, das Opfer, war der beide Seiten verbindende Kommunikationsakt.3

Die zweite Schlußfolgerung, die Gradel aus der Andersartigkeit römischer Religion zieht, ist kaum minder wichtig als sein Modell der „relativen Divinität“: Die Römer kannten kein kohärentes theologisches System, schon gar keine Dogmen im christlichen Sinn. Gewisse Rahmenwerke boten die philosophischen Schulen, doch existierten sie weitgehend in einer Parallelwelt, einer ausgesprochen elitären zudem, zu den Kulten. Mangels gemeinsamer theologischer Basis koexistierte im religiösen Raum eine vexierbildhafte Vielheit von Kulten, neben dem kanonischen römischen „Staatskult“ eine Unzahl lokaler, privater und korporativer Kulte.

Wer Gradels weiterem Gedankengang folgen möchte, muß sich auf sein Modell einlassen. Es führt weg von der immer wieder gestellten Frage, ob die Römer an die Göttlichkeit ihrer Kaiser „glaubten“,4 (vgl. Clauss 1999), und hin zur Verortung der Kaiserverehrung im gesellschaftlichen System des römischen Kaiserreichs – und in mentalen Strukturen, die historisch viel weiter zurückreichen, bis in die Republik. Gradels kleinschrittiges und doch nie die großen Fragen aus dem Blick verlierendes Vorgehen illustriert am besten seine souveräne Behandlung des archäologischen Materials. Den sogenannten „Fries der Vicomagistri“ entlarvt er als Darstellung der Opferprozession zu Ehren der Divinisierung Livias und Umwidmung des Heiligtums des Divus Augustus für das Gründerpaar des Prinzipats (S. 165-186). Daß das Relief nichts mit dem Compitalenkult zu tun hat, sondern vielmehr ein Markstein in der Entwicklung der Kaiserverehrung ist, weist Gradel mit seiner subtilen Analyse gerade scheinbarer Nebensächlichkeiten, wie Geschlecht und Reihenfolge der Opfertiere, nach.

Zu einem Finale furioso gerät Gradel sein Schlußkapitel („,Heavenly Honours Decreed by the Senate‘: From Emperor to Divus“, Kapitel 12), in dem er, über diverse Exkurse, zu dem Grundthema „relativer Divinität“ zurückkehrt. Verblüffend einfach erklärt er, wie Caesars Vergöttlichung zu Lebzeiten zu einem Präzedenzfall wurde, nach dem herrscherlicher Divinität unweigerlich Leichengeruch anhaftete. Hier – und nicht in kaiserlicher Selbstbescheidung – liegt, wie Gradel überzeugend darlegt, der Grund dafür, daß alle principes seit Augustus die Verehrung im Staatskult vor ihrem Tod so sorgsam vermieden. Ohnehin fristeten sie postum als Divi im Staatspantheon ein wenig glamouröses Schattendasein. Folgerichtig kam es, in einer ritualversessenen Gesellschaft kaum überraschend, auch weniger auf den Status als auf die Verleihung desselben an: Schon bald nach Augustus wurde die Divinisierung zum Instrument moralischer Paradigmenbildung. Nun ließen sich per Senatsbeschluß „gute“ Kaiser von „schlechten“ absondern, welche die damnatio memoriae auf den Müllhaufen des kollektiven Gedächtnisses beförderte.

Früher oder später mußte dieses System aus den Fugen geraten, entbehrte es doch jeglichen Mechanismus, der den Trägern der Macht legitimatorischen Halt geben konnte. Zusätzliche Probleme schuf die mit den Jahrhunderten ins Inflatorische anschwellende Zahl der Divi. Erste Friktionen zeigten sich, als mit Commodus und später Caracalla zwei Kaiser postum göttlichen Status errangen, die wenigstens die Historiographen beim besten Willen nicht zu „guten“ Kaisern adeln mochten. Der Thraker Maximinus entzog den Divi das Gnadenbrot, ihre „himmlischen Ehren“. Vollends den Todesstoß gab dem System der Kaiserverehrung der nach mehreren Anläufen endlich erfolgreiche Versuch Konstantins, mit dem Christentum eine „ethische“, das Kaisertum legitimatorisch stützende Religion als Staatskult zu etablieren. Gradel sieht im ganzen 3. und beginnenden 4. Jh. „konservative“ und „revolutionäre“ Kreise am Werk, die in einem säkularen Konflikt um die religiöse Grundierung der Monarchie rangen.

Während diese letzte Hypothese, weitreichend wie sie ist, sicherlich noch der Ausarbeitung und Unterfütterung durch Material bedarf, ist Gradel mit seiner erweiterten, jetzt auch als wohlfeile Taschenbuchausgabe (2004) erhältlichen Dissertation ein kleines Kunststück gelungen: Souverän die Balance zwischen Herausforderung des Etablierten und solider, faktenreicher Argumentation wahrend, ist das Buch abgeklärt und provokant zugleich. Allemal ist es, kurzweilig bis launig-trocken geschrieben, ein ungeheuer instruktives Lesevergnügen.

1 Politik zwischen Ritual und Dogma. Saeculum 35, 1984, 97-114; Politische Theologie zwischen Ägypten und Israel. München 1992; Herrschaft und Heil. Politische Theologie in Altägypten, Israel und Europa. München 2000.

2 Die Religion der Römer. Eine Einführung. München 2001, 11-18.

3 Ähnlich bereits Rüpke (wie Anm. 2), 146-148.

4 Vgl. M. Clauss: Kaiser und Gott. Herrscherkult im römischen Reich. München/Leipzig 1999. - Rez: Karen Piepenbrink, Plekos 3, 2001.

Michael Sommer
sommermichael@yahoo.com


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