Bowersock: Martyrdom

G. W. Bowersock: Martyrdom and Rome. A concise examination of the historical context of the earliest Christian martyrs in the Roman empire. Cambridge: Cambridge University Press 2002. £10.50. ISBN 0-521-53049-0.



Die bereits 1995 erschienene Untersuchung von Bowersock (B.)  liegt nun in der wesentlich preiswerteren Paperback-Ausgabe vor.  Grundlage der Studie ist ein Vortrag, den der Autor bei einem Kolloquium zu Problemen der Alten Geschichte in Belfast gehalten hat. In vier Kapiteln versucht Bowersock, seine Hauptthese zu untermauern, wonach das Phänomen der Märtyrer zuerst im Imperium Romanum auftauchte und daher unauflösbar mit dessen Gesellschaft und Kultur verbunden gewesen sei.

Im ersten Kapitel „The making of martyrdom“ (1-21) stellt B. Untersuchungen zu den literarischen Wurzeln der Idee des freiwilligen Martyriums an.  Die in diesem Zusammenhang wichtige Episode von Eleazar und der Mutter mit ihren sieben Söhnen  aus dem 2. bzw. 4.  Makkabäerbuch nennt auch B.  Die beiden Erzählungen werden in der 1. Hälfte des ersten Jh. v.Chr. angesetzt, die erweiterte Fassung des 4. Makkabäerbuches sogar in der Zeit des Clemens Alexandrinus (spätes 2. Jh. n.Chr.).  Im folgenden bemüht sich Bowersock um den Nachweis, daß das Konzept des christlichen Martyriums ungefähr zwischen den Jahren 50 und 150 n.Chr. entwickelt worden sei. Seine These belegt er mit der Märtyrerakte des Polykarp (um 150 n.Chr.), da hier erstmals die Begriffe „Märtyrer“ und „Martyrium“ im eigentlichen Sinne -  d.h. im Kontext eines staatlichen Hinrichtungsaktes – nachzuweisen seien. Ferner verweist B. auf das NT, in dem nur zwei Passagen als Belege für die Idee des christlichen Märtyrertodes heranzuziehen seien: Apok. 2,13 (Antipas) und Apg. 7,56-58 (Stephanus). Auch Zeugnisse stoischer Philosophen des 2. Jh. n. Chr. (z.B. Epictetus) zeigten, daß das christliche Martyrium in dem genannten Zeitrahmen die charakteristische Ausprägung erhalten habe. B. schließt das Kapitel mit einem Blick auf den Enthusiasmus islamischer Märtyrer.

Im Mittelpunkt des zweiten Kapitels „The written record“ (23-39) stehen die Märtyrerakten der vorkonstantinischen Zeit, jene eigentümliche Mischung aus Fiktion und historischen Gegebenheiten. Im folgenden werden die wichtigsten Kategorien der Märtyrerakten vorgestellt: persönliche Aufzeichnungen, Berichte von Augenzeugen und Verhörprotokolle der staatlichen Stellen, welche z.T. hervorragende Einblicke in die römische Bürokratie bieten. B. sieht sich folglich in seiner Ansicht bestätigt, daß das christliche Martyrium im Kontext des römischen Staates gesehen werden muß.

Im dritten Kapitel „The civic role of martyrs“ (41-57) werden die Martyrien in bezug auf das städtische Leben in Kleinasien behandelt.  Das frühchristliche Martyrium wurde durch die  heidnischen Lebensbedingungen der griechisch-römischen Städte in starkem Maße beeinflußt. Ohne Berücksichtigung wichtiger städtischer Elemente wie des Kaiserkultes oder der Verhöre durch lokale und provinziale Beamte seien die frühen Martyrien nicht zu verstehen. Nach B. könnte dies auch der Grund dafür sein, daß die Märtyrer zuerst im kleinasiatischen Raum und nicht an den Entstehungsorten des Christentums aufkamen. B. betont die große Außenwirkung des Martyriums. Der christliche Märtyrer wollte nicht nur sein Leben als Opfer für die christliche Religion darbringen, sondern vielmehr auch die pagane Umwelt durch sein standhaftes Auftreten überzeugen. Nur in der städtischen Öffentlichkeit – vornehmlich im Amphitheater und auf der Agora größerer Städte - konnte dieses Ziel erreicht werden.  Der Vollzug der Todesstrafe geriet daher oft zu einem Spektakel: Christen wurden verbrannt, wilden Tieren vorgeworfen oder ans Kreuz geschlagen. In der Spätantike kam es zu einem Bedeutungswandel. An die Stelle der frühen Märtyrer, die mit ihrem Tod ein beeindruckendes Glaubenszeugnis in der städtischen Öffentlichkeit ablegten, traten nun heilige Männer in selbstgewählter Isolation oder Asketen.

Im vierten Kapitel „Martyrdom and suicide“ (59-74) betrachtet B. die Martyrien unter dem Aspekt des Selbstmordes. Das Thema des freiwilligen Märtyrertodes sorgt innerhalb der frühchristlichen Autorenschaft für eine rege Diskussion. Während der Karthager Tertullian den Märtyrertod in Bezug auf stoische Vorbilder (Cato d. J. oder Seneca) bejaht, spricht sich die überwiegende Mehrheit der Schriftsteller gegen das selbst provozierte Lebensende aus. In diesem Kontext beschäftigt sich B. ausführlich mit der Position des Alexandriners Clemens, der in starkem Maße von platonischer Philosophie beeinflußt war. Nach Clemens bedeute das Martyrium nicht zwangsläufig den Tod, sondern könne vielmehr als Bekenntnis des Glaubens aufgefaßt werden. B. kommt bei seinen Untersuchungen zu dem Ergebnis, daß durch den Ausschluß des Selbstmordes  aus der christlichen  Märtyrerideologie – dies wurde in der Spätantike besonders von Augustin fortgesetzt – das Martyrium seinen spezifisch militanten, römischen Charakter verlor.

Der Untersuchung folgen vier Appendices (75-98):
Die Bezeichnung „Protomartyr“ (Appendix 1) wurde erst in der nachkonstantinischen Zeit gebräuchlich (z.B. für Stephanus). Sprachliche Parallelen zwischen „Ignatius and IV Maccabees“ (Appendix 2) weisen auf einen gemeinsamen Ursprung im kaiserzeitlichen Kleinasien hin. Die bekannten Martyrien des Polykarp und des Pionius fanden am „Great Sabbath“ (Appendix 3) statt. Dieser in der Forschung kontrovers diskutierte Begriff ist weniger mit dem Sonntag als vielmehr mit Ostern in Verbindung zu setzen. Der von Euseb in seiner Kirchengeschichte (5,1) überlieferte Brief der christlichen Gemeinden nach Lyon, wo zahlreiche Christen den Märtyrertod starben, beinhaltet die Verbindung von Asien und Phrygien („Asia, Aphrodisias, and the Lyon Martyrium“; Appendix 3). Was auf den ersten Blick als Reflex der tetrarchischen bzw. eusebianischen Zeit anmutet, entpuppt sich bei näherer Überprüfung als antoninianisch. In dem Zeitraum 165 bis 180 n.Chr. wurden die inneren Teile der Provinz „Asia“, also Karien, Lydien und Phrygien, dergestalt reorganisiert, daß sie entsprechend ihres traditionellen ethnischen Charakters eine eigenständige Identität und Verwaltung erhielten.
Eine Auswahlbibliographie (99-102) sowie ein Index (103-106) bilden den Abschluß der Untersuchung.

B. hat auf 80 Seiten wesentliche Aspekte der frühchristlichen Martyrien in leicht verständlicher Weise zusammengefaßt. Dabei schärft er besonders den Blick für die sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen des Imperium Romanum, innerhalb derer sich die Märtyreridee herausbildete. Das frühchristliche Martyrium war überwiegend ein städtisches Phänomen. Hier suchten und fanden die Märtyrer eine publikumswirksame Bühne für die Demonstration ihrer christlichen Glaubenshaltung.

Abschließend ist trotz des guten Gesamteindrucks auf einige negative Kritikpunkte einzugehen. So betont B. an vielen Stellen (1, 4, 25, 29 u.a.) seiner Untersuchung, daß die Christen wegen der Verweigerung des Kaiseropfers zum Tode verurteilt worden seien. Zu Recht hat A. R. Birley in seiner Untersuchung zu den „freiwilligen Märtyrern“ darauf hingewiesen, daß es eher üblich gewesen sei, das Götter-Opfer von ihnen zu verlangen.
Wenn man die entsprechenden Quellenzeugnisse durchmustert, so wird tatsächlich deutlich, daß der Kaiserkult in diesem Zusammenhang eher eine Ausnahme darstellte.2
Zweifelhaft ist B.’s  grundsätzliche Ablehnung des jüdischen Einflusses auf die christliche Märtyreridee. Sicherlich kann man ihm Recht geben, wenn er betont, im 2. und 4. Makkabäerbuch sei die Verherrlichung der jüdischen Märtyrer von christlichen Tendenzen beeinflußt. Doch läßt sich z.B.  der Hinweis eines Flavius Josephus, wonach alle Juden gleich von Geburt an die heiligen Schriften schätzen und freiwillig auch für sie sterben (Ap. 1), doch eindeutig als Bereitschaft interpretieren, für die Religion den Tod zu suchen.3
Ferner ist zu monieren, daß nicht die Gelegenheit wahrgenommen wurde, die Bibliographie auf den neuesten Forschungsstand zu bringen.4

Joachim Lehnen, Duisburg-Essen
lehnen@uni-duisburg.de



1 A.R. Birley: Die „freiwilligen Märtyrer“. Zum Problem der Selbst-Auslieferer, in: R. von Haehling (Hrsg.): Rom und das himmlische Jerusalem. Die frühen Christen zwischen Anpassung und Ablehnung. Darmstadt 2000, 103.

2 Siehe auch F. Millar: The imperial cult and the persecutions, in: W. den Boer (Hrsg.): Le culte des souverains dans l’Empire romain. Entretiens Hardt XIX, Genf 1972, 145-175.

3 Vgl. Birley, 104-105 mit weiteren Stellen.

4 Anzufügen sei z.B. W. Ameling: Märtyrer und Märtyrerakten. Stuttgart 2002.


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