David Rohrbacher: The Historians of Late Antiquity. London/New York: Routledge 2002. VIII, 324 S. ISBN 0-415-20458-5 (hardback); 0-415-20459-3 (paperback).

 

Eine einführende Darstellung der spätantiken Geschichtsschreibung und ihrer Vertreter ist seit langem ein Desiderat. Zwar mangelt es nicht an Spezialstudien zu einzelnen Historikern, zwar liegen mittlerweile auch erste Arbeiten zu spezifisch spätantiken historiographischen Genera (Kirchengeschichtsschreibung, Chronistik) vor, doch fehlt noch immer eine Überblicksdarstellung, die auch denjenigen, die mit der Materie nicht vertraut sind, einen Zugang zu diesem wichtigen Feld antiker Literatur ermöglicht und dabei auch die zahlreichen nur fragmentarisch erhaltenen Geschichtsschreiber einem breiterem Publikum nahezubringen vermag. Rohrbacher (R.) will mit seinem „much-needed introductory work“ (I) diese Lücke schließen. Sein Buch richtet sich offenbar vorrangig an amerikanische Studierende. Es geht dem Verfasser weniger darum, eigene Forschungsleistungen zu präsentieren, sondern sein Ziel besteht darin, die für ihn wichtigsten Vertreter spätantiker Historiographie sowie ihre spezifischen Charakteristika vorzustellen. Zentrale Forschungsprobleme werden dabei zwar dargestellt, jedoch zumeist nicht weiterführend behandelt. R.s Buch stellt somit in erster Linie einen Überblick über die aktuelle Forschungslage dar. Daß dabei deutschsprachige Arbeiten, selbst ganz zentrale, gar nicht oder nur marginal berücksichtigt worden sind, mag dem intendierten englischsprachigen Publikum geschuldet sein, führt jedoch vielfach zu bedauerlichen Lücken, die insbesondere den Bereich der Kirchengeschichtsschreibung des 5. Jh. betreffen (dazu s.u.).

Der Titel „The Historians of Late Antiquity“ suggeriert größtmögliche Vollständigkeit; umso überraschter ist man bei einem ersten Blick in das Buch: R. beschränkt sich ganz auf das 4./5. Jh., „treating only what seems still to be the core of the late antiquity, the forth and fifth centuries in the Roman empire“ (1). Es ist hier nicht der Ort, um über Periodisierungsfragen zu streiten, doch scheint mir diese enge Eingrenzung des Themas kaum geläufigen Epochenmodellen zu entsprechen. Zu fragen wäre überdies, ob allein der von R. zunächst kurz skizzierte politische Rahmen des 4./5. Jh. (2-7), der in einigen Bereichen sicherlich eine spezifische Kohärenz aufweist, als Argument für eine Beschränkung auf diesen Zeitraum auch in der Historiographie genügen kann. Sollte man nicht auch auf die Geschichtsschreiber selbst blicken und prüfen, wie weit die Kontinuitäten bei ihnen gehen (was m.E. eine Ausdehnung des zu behandelnden Zeitraums auf die Phase vom 3. bis zum frühen 7. Jh. zur Folge gehabt hätte)?

Doch auch innerhalb des von R. gewählten Zeitraumes bleiben Fragen offen. Der Autor nennt nämlich keine Kriterien für die Auswahl der von ihm vorgestellten Historiker. Er behandelt zunächst Ammian (14-41), dann die Breviarien-Verfasser Aurelius Victor (42-48), Eutropius (49-56) und Festus (57-63), danach die griechischen ‘Klassizisten’ des 5. Jh. Eunapios (64-72), Olympiodor (73-81) und Priskos (82-92), den Eusebios-Übersetzer bzw. -Fortsetzer Rufin (93-107), die kirchenhistorische ‘Trias’ Sokrates (108-116), Sozomenos (117-125) und Theodoret (126-134) und schließlich Orosius (135-149). Der Auswahl liegt eine vom Autor in der Einleitung präsentierte Einteilung spätantiker Historiographie zugrunde, wonach zu unterscheiden sei zwischen den sog. ‘Klassizisten’, den Breviarien, der Kirchengeschichtsschreibung und der apologetischen Geschichtsschreibung (11f.). Während die separate Behandlung der Breviarien angesichts einer Reihe von Eigentümlichkeiten dieser Werke sinnvoll erscheint, vermag die Trennung zwischen Kirchengeschichte (Rufin, Sokrates, Sozomenos und Theodoret) und apologetischer Historiographie (Orosius) nicht zu überzeugen. Christliche Geschichtsschreibung ist immer auch apologetisch – man denke nur an die Kirchengeschichte des Eusebios, die ihre apologetische Grundtendenz nicht verleugnen kann[1] –, und auch die in einem imperium christianum verfaßten Kirchengeschichten des 5. Jh. haben apologetische Tendenzen, geht es doch hier jeweils um die Propagierung und Verteidigung dessen, was als ‘orthodox’ zugrundegelegt wird. Am meisten erstaunt jedoch das Fehlen des Eusebios in der Reihe der von R. behandelten Autoren. Als princeps inventor der Kirchengeschichte (s. Euseb. HE 1,1,5) und auch der Chronistik (die in R.s Einteilung spätantiker historiographischer Gattungen bedauerlicherweise fehlt) wäre er sicherlich ein eigenes Kapitel wert gewesen. Sinnvoll wäre es zudem auch gewesen, Zosimos mit in die Reihe der zu besprechenden Autoren aufzunehmen. Zwar steht Zosimos bereits an der Schwelle zum 6. Jh., doch hätte R. seine zeitliche Eingrenzung auf das 4./5. Jh. in diesem Fall flexibler handhaben müssen. Innerhalb der paganen Historiographie der Spätantike stellt Zosimos einen bedeutenden Vertreter dar. Daß neben Sokrates, Sozomenos und Theodoret nicht auch Philostorgios behandelt wurde, mag auf dessen ‘häretische’ Grundhaltung zurückzuführen zu sein. Umso interessanter wäre dieser Autor jedoch im Kontrast zur ‘orthodoxen’ Historiographie gewesen.[2] Und wenn man Festus eines eigenen Kapitels für würdig erachtet, hätte man dann nicht auch auf Malchos eingehen können?

Bereits in der Einleitung macht sich R.s weitgehender Verzicht auf die Berücksichtigung deutschsprachiger Forschung bemerkbar, wenn z.B. im Kontext der diokletianischen Christenverfolgung noch immer von mehreren Edikten gesprochen wird (7). Mit diesem, durch die Suggestiv-Darstellung der Ereignisse bei Laktanz und Eusebios hervorgerufenen Mißverständnis hat K.-H. Schwarte bereits vor einigen Jahren aufgeräumt.[3] Daß das Toleranzedikt des ehemaligen Christenverfolgers Galerius auf eine „change of heart“ zurückzuführen sei, wie R. annimmt (7), ist zu bezweifeln. Galerius’ Unbehagen gegenüber den Christen ist auch in diesem Dokument noch allgegenwärtig, und der Ton ihnen gegenüber ist mit demjenigen im sog. ‘Mailänder Edikt’ nicht vergleichbar.

R. behandelt bei jedem Autor zunächst biographische Aspekte, dann das Werk (Entstehungs- bzw. Publikationszeit, Umfang, besondere Charakterisika, Quellen, Stil, wichtige Textpassagen) und nennt schließlich die originalsprachige Edition mit einer englischen Übersetzung. Wichtige Forschungsthesen werden eingehend erörtert. Die Darstellung beginnt mit Ammian, dem R. auch im zweiten Teil seines Buches, dem ein systematischer Zugriff auf die spätantike Historiographie zurgundeliegt (150-288), großen Raum gibt. Behandelt werden Fragen nach der Entstehung des Werkes (mit Zurückweisung der These, Ammian habe ursprünglich zwei Werke, eines von Nerva bis Konstantin reichend sowie ein weiteres bis zur Schlacht bei Adrianopel 378, verfaßt, vgl. 22), nach der Interpretation der biographischen Endnotiz (Amm. 31,16,9: miles quondam et Graecus), die R. zu recht nicht allzu sehr pressen will (24f.), nach Ammians insgesamt moderatem, wenn auch verhalten kritischen Umgang mit dem Christentum (31), seinem Stil (36ff.) und seinen Quellen (38ff.). R.s hohe Meinung zu diesem Autor spiegelt sich in seinem Fazit: „Nevertheless, the Res Gestae remains the essential source for the reconstruction of the history of the later fourth century, and stands out among late antique histories as one of the enduring creations of antiquity“ (41).

Aurelius Victor wird als der ambitionierteste Breviarien-Autor dargestellt. R. zeigt, wie dieser Historiker das ihm in der Enmannschen Kaisergeschichte zugrundeliegende Faktenmaterial einer stilistischen Überarbeitung und vor allem einer moralischen Wertung unterzog (45), er betont die traditionalistische Haltung des Autors und vermutet, daß sein schwieriger Stil potentielle Leser eher abgeschreckt und an das Breviarium Eutrops weiterverwiesen habe (47). Um einen Irrtum handelt es sich bei der Verlegung von Sirmium nach Norditalien (42). Weniger hoch seien gegenüber Aurelius Victor die Breviarien Eutrops und Festus’ einzuschätzen. Während bei Eutrop immerhin noch eine senatsfreundliche, civilitas betonende Grundtendenz festzumachen sei (55f.), handele es sich bei Festus’ Werk lediglich um eine propagandistische Vorbereitung von Valens’ Perserfeldzug (60).

Im Zusammenhang der Behandlung des Eunapios stellt R. fest, man könne Photios recht geben mit dem Urteil, daß Zosimos lediglich Eunapios kopiert habe (65f.). R. folgt hier dem verbreiteten Negativurteil, wonach es sich beim Werk des Zosimos lediglich um einen zumeist unkritischen Extrakt aus Eunapios und Olympiodor gehandelt habe. Diese Urteile verkennen jedoch die wichtige Tatsache, daß Zosimos zwar sein Faktenmaterial relativ quellennah ausgearbeitet, dabei aber einer ganz individuellen Wertung unterzogen hat. Die für die Wende zum 6. Jh. beeindruckende und singuläre Erkenntnis, daß der Untergang des Imperium Romanum bereits ein historisches Faktum sei (und die damit verbundene konsequente Absage an eine Romidee) geht allein auf Zosimos zurück (vgl. Zos. 1,57,1; 2,7,2).[4] R. erörtert im folgenden die Frage nach der ersten Auflage des Geschichtswerks Eunaps (die Photios zufolge noch schärfere Attacken gegen die Christen enthielt, vgl. 66) sowie seine in Auseinandersetzung mit Dexippos entwickelten Vorbehalte gegen allzu exakte und aufwendige Herstellung von Chronologien (Eunap. fr. 1 Blockley). Daß es sich hierbei auch um Kritik an christlicher Geschichtsschreibung handeln könnte (wo Fragen der Chronologie stets eine besondere Bedeutung zukommt), wird von R. nicht in Erwägung gezogen.

Gelungen ist die Einführung in das Geschichtswerk Olympiodors, den R. als „one of the great historians of late antiquity“ ansieht (81).

Das Kapitel über Rufin führt ein in wichtige Aspekte der theologischen Kontroversen des 4. Jh. (Origenismusstreit). R. widmet der Darstellung des Konflikts zwischen Rufinus und Hieronymus breiten Raum und würdigt Rufinus als einen bedeutenden Vermittler griechischer Literatur im lateinischen Westen, weist aber auch darauf hin, daß es sich bei Rufins Origenes- und Eusebios-Übersetzungen eher um Paraphrasen handelt, in die vielfach eigene Wertungen Rufins miteingeflossen sind. In der Frage, ob die Fortsetzung der Kirchengeschichte des Eusebios durch Rufin wirklich auf letzteren zurückgeht oder nicht nicht nur eine Übersetzung des Gelasios von Kaisareia darstellt, schließt sich R. der These an, wonach Rufin eigenständig gearbeitet und Gelasios nur vereinzelt benutzt habe (100f.). Daß das Problem freilich weiterhin zu diskutieren bleibt, geht aus neueren Publikationen, die R. noch nicht gekannt haben kann, hervor.[5]

Die Kapitel über die drei Kirchenhistoriker Sokrates, Sozomenos und Theodoret bleiben hinter dem neuesten Stand der Forschung zurück. Insbesondere in der Frage nach der Haltung der drei Historiker zu aktuellen politischen Fragen und zu den Kaisern macht sich das Fehlen der zentralen  Monographie von H. Leppin in R.s Überlegungen bemerkbar.[6] Das Werk des Sokrates hätte durch Heranziehung des Sokrates-Buches von M. Wallraff schärfere Konturen erhalten.[7] Zur kaiserlichen Frömmigkeit, einem zentralen Aspekt im Werk der drei Historiker (so auch R., vgl. 115), existieren zwei grundlegende Arbeiten von St. Diefenbach (deren jüngere R. allerdings noch nicht kennen konnte).[8] Der griechische Theodoret-Text sollte nicht in der Ausgabe von L. Parmentier, sondern in der von G. Chr. Hansen durchgesehenen 3. Auflage dieser älteren Edition benutzt werden.[9]

Mit dem Kapitel über Orosius, dessen Werk für R. besonders wegen seiner spezifisch negativen Darstellung der römischen Republik bemerkenswert ist, endet der erste, biographisch angelegte Teil des Buches. Der zweite Teil behandelt systematische Aspekte unter den Stichwörtern „Historiography“ (150-162), „Government“ (163-178), „The Roman Past“ (179-187), „Religion“ (188-206), „Barbarians“ (207-236) sowie zwei ausgewählte Kaiser im Spiegel der Historiographie: „The Emperor Julian (The Apostate)“ (237-273) und „The Emperor Theodosius I (The Great)“ (274-288).

Diese handbuchartigen Kapitel sind für Studierende besonders gut zur Einführung geeignet. Die einzelnen Historiker werden nun, mitunter vielleicht allzu schematisch, nach ihrem Umgang mit zentralen Aspekten aus den genannten Bereichen untersucht, wobei wichtige Charakteristika einzelner Geschichtsschreiber sowie der einzelnen historiographischen Genera schärfer konturiert werden. Prägnante Zusammenfassungen erleichtern den ersten Zugang zu diesen Kapiteln. Aufgrund des Materialreichtums dieses, zweifellos stärksten Teiles des Buches hätte sich eine kleinschrittigere Gliederung im Inhaltsverzeichnis angeboten, wo man die einzelnen Stichwörter, unter denen die Historiker nunmehr behandelt werden, hätte nennen können. Dies hätte den Benutzern viel lästiges Blättern erspart.

Das Standardwerk zur spätantiken Historiographie liegt mit R.s Einführung noch nicht vor. Aber der Verfasser hat einen wichtigen Schritt bei der fälligen Aufarbeitung der Forschung getan.

 

Mischa Meier, Bielefeld

mmeier8@Geschichte.uni-bielefeld.de



[1] Vgl. D. Timpe: Was ist Kirchengeschichte? Zum Gattungscharakter der Historia Ecclesiastica des Eusebius, in: W. Dahlheim/W. Schuller/J. von Ungern-Sternberg (Hrsgg.): Festschrift Robert Werner zu seinem 65. Geburtstag dargebracht von Freunden, Kollegen und Schülern. Konstanz 1989, 171-204; ders.: Römische Geschichte und Heilsgeschichte. Berlin/New York 2001.

[2] Zu Philostorgios siehe jetzt auch H. Leppin: Heretical Historiography: Philostorgius. StudPatr 34, 2001, 111-124.

[3] Schwarte hat mittels einer subtilen Textanalyse zeigen können, daß nur ein einziges Edikt gegen die Christen erlassen worden ist, vgl. K.-H. Schwarte: Diokletians Christengesetz, in: R. Günther/St. Rebenich (Hrsgg.): E fontibus haurire. Festschrift H. Chantraine. Paderborn u.a. 1994, 203-240.

[4] Vgl. W. Goffart: Zosimus, The First Historian of Rome’s Fall. AHR 76, 1971, 412-441.

[5] Vgl. G. Chr. Hansen (Ed.): Anonyme Kirchengeschichte (Gelasius Cyzicenus, CPG 6034). Berlin/New York 2002, bes. XLIff.; P. van Nuffelen: Gélase de Césarée. Un compilatuer du cinquième siècle. ByzZ 95, 2002, 621-639.

[6]  H. Leppin: Von Constantin dem Großen zu Theodosius II. Das christliche Kaisertum bei den Kirchenhistorikern Socrates, Sozomenus und Theodoret. Göttingen 1996. Vgl. darüber hinaus F. Winkelmann: Heiden und Christen in den Werken der oströmischen Historiker des 5. Jahrhunderts, in: J. van Oort/D. Wyrwa (Hrsgg.): Heiden und Christen im 5. Jahrhundert. Leuven 1998, 123-159.

[7] M. Wallraff: Der Kirchenhistoriker Sokrates. Untersuchungen zu Geschichtsdarstellung, Methode und Person. Göttingen 1997. Zu Sokrates vgl. auch B. Bäbler/H.-G. Nesselrath (Hrsgg.): Die Welt des Sokrates von Konstantinopel. München/Leipzig 2001.

[8] St. Diefenbach: Frömmigkeit und Kaiserakzeptanz im frühen Byzanz. Saeculum 47, 1996, 35-66; ders.: Zwischen Liturgie und civilitas. Konstantinopel im 5. Jahrhundert und die Etablierung eines städtischen Kaisertums, in: R. Warland (Hrsg.): Bildlichkeit und Bildort von Liturgie. Wiesbaden 2002, 21-47.

[9] ) Theodoret, Kirchengeschichte, hrsg. von L. Parmentier. Dritte, durchgesehene Auflage von G. Chr. Hansen. Berlin 1998 (GCS N.F. 5).