Balbina Bäbler, Heinz-Günther Nesselrath (Hrsgg.), Die Welt des Sokrates von Konstantinopel. Studien zu Politik, Religion und Kultur im späten 4. und frühen 5. Jh. n.Chr. zu Ehren von Christoph Schäublin. München- Leipzig: Saur 2001. X, 219 S. DM 148,--  (Euro 78,--) ISBN 3-598-73003-9

 

Das vorliegende Buch verdankt seine Entstehung einmal der über sechsjährigen Arbeit einer Forschergruppe der Universität Bern, die u.a. eine zweisprachige griechisch–deutsche Ausgabe des Sokrates vorbereitet hat, zum anderen soll der Klassische Philologe Christoph Schäublin zum 60. Geburtstag geehrt werden. In 11 Beiträgen werden in einer anregenden und m.E. sehr gelungenen Art und Weise verschiedene Aspekte der Person, des Werkes und der Umwelt des Sokrates beleuchtet.

 

Joachim Szidat, Friede in Kirche und Staat: Zum politischen Ideal des Kirchenhistorikers Sokrates (S. 1–14): Sokrates leidet an seiner Zeit, die von ständiger Unruhe, von Zank und bürgerkriegsähnlichen Zuständen innerhalb der Kirche geprägt ist. Sein Werk schließt mit der Bemerkung an seinen Auftraggeber Theodoros, er hätte keinen Stoff gehabt, wenn alles ruhig und friedlich geblieben wäre; denn Historie lebt von Unruhe und Krieg. Ist eine solche Bemerkung topisch zu verstehen, oder meint es Sokrates ernst mit seiner Friedenssehnsucht? Für Ruhe und Frieden kennt er etwa doppelt so viele Belege wie z.B. Sozomenos. Szidat untersucht den Wortgebrauch des Sokrates im kirchlichen und staatlichen Bereich. Beide Bereiche gehören zwar nicht unmittelbar zusammen, haben aber in der Person des Kaisers ihre Verklammerung. Folglich werden die Herrschenden nach ihrem Anteil an friedensstiftenden Maßnahmen beurteilt: Theodosius I. und II. ernten Lob, Tadel gibt es für Julian (3,12,7; 5, pr. 10) und Valens (4,2,5; 11,6; 32,1). Während im Staatlichen die Hauptursache für Unruhen die Usurpationen sind, spielen bei den führenden Kirchenmännern Streitsucht und Ehrgeiz eine Rolle. Insgesamt ist Sokrates’ Sicht östlich geprägt, die eines Großstädters aus Konstantinopel: So wird der Sturz des Gainas ausführlich beschrieben, aber der des Stilicho überhaupt nicht erwähnt. Der Außenpolitik gilt kaum die Aufmerksamkeit. Aufgabe des guten Kaisers ist vielmehr der innere Friede, den es herbeizuführen und zu bewahren gilt und um den man beten muss. Wirklich eintreten wird er allerdings kaum (so dass, so möchte man ergänzen, dem Historiker auch nie der Stoff ausgehen wird).

 

Heinz-Günther Nesselrath, Kaiserlicher Held und Christenfeind: Julian Apostata im Urteil des späten 4. und des 5. Jh. n. Chr. (S. 15–43): Wieso stellt z. Z. des Sokrates das Phänomen ‚Julian’ nach wie vor ein Faszinosum dar? Der Grund liegt in zwei gegensätzlichen Kaiserbildern, die nach Julians Tod verbreitet wurden und denen sich jeweils Heiden und Christen mehr oder weniger anschlossen. Nur selten gibt es abgewogenere Urteile, und dazu gehört nun allerdings das des Sokrates. Die beiden bestimmenden Julianbilder stammen von dem heidnischen Redner Libanius (bes. or. 1 und 24 sowie dem Epitaphios) und Gregor von Nazianz (or. 4 und 5). Beide haben den Kaiser persönlich gekannt. Nesselrath untersucht nun die Julianbilder der Folgezeit: Johannes Chrysostomos, Eunap von Sardes, Eutrop, Hieronymus, Orosius, Rufinus, Ammian und Zosimos. Seit der postumen Herausgabe von Contra Galilaeos beginnt mit Hieronymus die christliche Auseinandersetzung, die besonders von Theodor von Mopsuestia und Kyrill von Alexandria weitergetrieben wird. In diesem Zusammenhang nimmt nun Sokrates eine Sonderstellung ein. Er, selbst ein Schüler heidnischer Lehrer, ist gut informiert über Jugend und Ausbildung des Kaisers und über sein literarisches Werk. Sein Urteil über Julian, er sei oft weder Philosoph noch Kaiser gewesen, nimmt ihn in beider Hinsicht ernst. Sokrates verfällt nirgends in Schwarz-Weiß-Malerei, auch nicht bei der Erörterung der Todesursache, im Gegenatz zu Sozomenos und Theodoret, die mehr im Sinne eines Gregor von Nazianz nur den „Christenverfolger“ sehen, der am Lebensende bei Theodoret mit einem „Du hast gesiegt, Galiläer“ abtritt.

 

Thomas Hidber, Eine Geschichte von Aufruhr und Streit: Sokrates’ Kirchengeschichte und die Tradition der Zeitgeschichtsschreibung (S. 44–59): S. versteht sich zwar als Fortsetzer des Euseb, hat aber eine andere Vorstellung vom Genos „Kirchengeschichte“. Seine Themen, Aufruhr, Konflikte, Kriege, knüpfen an die profane Geschichtsschreibung an, insbesondere an die „Zeitgeschichte“. Diese ist seit Thukydides bei ihrer Materialbeschaffung gekennzeichnet durch Autopsie und Befragung von Augenzeugen, gepaart mit persönlicher Unbefangenheit und Unvoreingenommenheit. Diesem Anspruch wird Sokrates voll gerecht: Autopsie z.B. 5,24,9, Augenzeugen in 5,16,9.13; 5,19,10; 7,6,6 und 7,17,3. Eigene Unbefangenheit äußert sich 1,1,2; 1,10,5; 1,16,4. In 2,1,2-4 muss die Geschichte, bisher allzu sehr von Rufin abhängig, nach Kenntnis der Schriften des Athanasius umgeschrieben werden. Während die meisten großen Historiker der Antike Gegenwartsdarstellungen aus einsichtigen Gründen eher scheuen, führt Sokrates seine Kirchengeschichte bis weit in die Zeit des Theodosios II hinein. Die beiden Enkomien auf den Kaiser (7,22-24 und 42-44) orientieren sich weniger an herkömmlichen Herrschertugenden als an religiösen Kriterien. Ansonsten bleibt der Kaiser ausgeklammert. Das Grundübel, die Streitsucht der führenden Kirchenmänner, ist immer dasselbe, und insofern kann man aus der Geschichte lernen, bei deren Darstellung die große Zahl an kriegerischen Vokabeln auffällt. Hinweis darauf, dass Sokrates aber doch eine „Kirchengeschichte“ schreiben wollte, ist der Verzicht auf fiktive Reden.

 

Therese Fuhrer, Rufins Historia Ecclesiastica: „Geschichte“ und Geschichten von Kämpfen und Siegen der Orthodoxie (S. 60–70): Dieser Beitrag, der von allen am wenigsten mit Sokrates zu tun hat (obwohl sich Anknüpfungspunkte finden, die aber nicht wirklich genutzt werden, z.B. 5,25), versucht, eine Lanze für die Eigenständigkeit des Rufin zu brechen. Dabei setzt sich die Verfasserin besonders mit Françoise Thélamon (1981) und Concetta Molè Ventura (1992) auseinander. Rufins Intention ist es, ein Heilmittel gegen die Goten Alarichs zu schaffen, erzählt am Sieg der Rechtgläubigkeit über Eugenius. Eine Analyse der Quellen zur Schlacht am Frigidus, unter denen auch Sokrates (kurz) genannt ist, kann die Besonderheit des Rufin deutlich machen. Denn obwohl Rufin die älteste Darstellung ist, hat sie auf die Folgezeit, etwa auf Augustin, nicht gewirkt. Der Kaiser wird als eine Art „Pazifist“ geschildert, der seine Waffen wegwirft und im Gebet niederkniet. So stellt sich Rufins Kirchengeschichte als eine Sammlung von Wundergeschichten mit historischen Einlagen dar (gegen Thélamon und Ventura).

 

Bernhard Neuschäfer, Zur Bewertung des Origenes bei Sokrates (S. 71–5): Es ist kein Geheimnis, dass Origenes bei Sokrates einen Ehrenplatz innehat, den er gegen seine „Verleumder“ (Methodios von Olympos, Eustathios von Antiochia, Apolinaris von Laodikaia und Theophilos von Alexandria) verteidigt, ohne dass der Kirchenhistoriker hier allerdings in eine inhaltliche Argumentation eintritt (6,13,1–6). Daraus ergibt sich die Frage, inwieweit Sokrates die Schriften des Origenes kannte und wie eigenständig seine Auseinandersetzung mit ihm ist. Ein Problem liegt darin, dass sich die von Sokrates benutzten Origenesstellen nicht mehr erhalten haben und man auf Plausibilitäten angewiesen ist. Untersucht werden vor allem 5,22,48; 3,23,1–61; 4,2,2–6 und 3,7,7–8. Es zeigt sich in allen Fällen, dass Sokrates den Origenes und seine Methode sehr gut kannte. Das Schriftverständnis, auf den ersten Blick Geschichten für schlichte Gemüter, erschließt sich dem tiefer Eindringenden gerade durch Einstreuung von Anstößigem und Unmöglichem. Das gilt gegenüber Heiden, aber auch gegenüber Häretikern, wo sich Auffassungen finden, die bereits Origenes längst widerlegt hatte, so etwa bei Georgios von Kappadokien, bei Apollinaris von Laodikaia und bei Nestorius. Es geht um eine hermeneutisch fundierte Schriftauslegung in Verbindung mit Logik und Dialektik. Abzulehnen sind die Extreme, so die pure Eristik eines Aëtios, aber auch die reine Gläubigkeit ohne Bildung, wie z. B. bei gewissen Anachoreten. Hier war Origenes für Sokrates ein Ideal. Ist er damit dem Origenes gerecht geworden? Die Reduzierung auf „orthodox“ bei einem Kirchenlehrer, der immer eine Gradwanderung zwischen Orthodoxie und Häresie gemacht hat, ist sicher eine gewisse Verkürzung. Aber bezüglich der Auslegungsbedürftigkeit der Hl. Schrift und der auslegungsfähigen Grundlagen für einen Dialog mit Heiden und abweichenden Theologen trifft Sokrates die Intention des Origenes voll, sah sich dieser doch selbst in dieser Rolle.

 

Christoph Euken, Philosophie und Dialektik in der Kirchengeschichte des Sokrates (S. 96–110): „Philosophie“ bedeutet bei Sokrates nicht christlich-asketische Lebensweise, wie etwa bei Eusebios oder Sozomenos, sondern rational-theoretische Bildung. Zwar ist Philosophie nicht ohne sittliche Festigkeit möglich, aber entscheidend ist doch die Erkenntnisleistung, weshalb denn Origenes als Vertreter der „wahren Philosophie“ gilt (4,27,4). Mit ihr erlernt man die „logische Technik“, um den Feinden der christlichen Wahrheit entgegentreten zu können. In den Zusammenhang mit Philosophie sollte auch die Dialektik gehören. Verliert sie diesen Zusammenhang, wird Dialektik zur reinen Eristik. Sokrates demonstriert dies an einigen Fällen: etwa bei Areios, oder bei Aëtios, Eunomios und Theophronios. Nur an einer Stelle der christlichen Bibel kommt das Wort „Philosophie“ vor, in der Warnung des Kolosserbriefes (2,8), sich nicht durch „Philosophie“ und leere Täuschung seinen Glauben nehmen lassen. Sokrates übersetzt „Philosophie“ hier mit „dialektischer Kunst“, zitiert dann aber 3,16,21 wörtlich. Das deutet an, dass die Verwerfung der Philosophie kein generelles Verdikt ist, sondern eine Gefahr, gegen die man sich mit der Philosophie selbst wappnen muss. Die geschichtswirksame Bedeutung der Dialektik zeigt sich im Religionsgespräch von 383 (5,10): Nachdem rein dialektisch nichts zu erreichen war, habe Sisinnios auf die Lehrer vor der Spaltung verwiesen, auf die man sich einigen könne. Aber auch dies scheitert an der Dialektik, so dass sich der Kaiser schließlich von jeder Partei ein schriftliches Glaubensbekenntnis geben lässt. Die Dialektik, die alles in Unruhe stürzte, ist nun allerdings selbst verwirrt und zerstreut und zeigt das „Bild der Selbstzerstörung der zerstörenden Ursache“ (109).

 

Thomas Gelzer, Zum Hintergrund der hohen Schätzung der paganen Bildung bei Sokrates von Konstatinopel (S. 111–124): Zahlreich sind die Stellen, an denen Sokrates auf die Bedeutung der heidnischen Bildung zu sprechen kommt. In 3,16 gibt es gar einen eigenen, von H.-G. Nesselrath 1999 neu behandelten Exkurs zum Verhältnis der Christen zur heidnisch-klassischen Literatur. Geschickt nutzt Sokrates den Zusammenhang mit dem Schulgesetz Julians (3,12,5–7), um das Thema zu erörtern. Unter den besonderen Trägern heidnischer Bildung vor seiner Zeit nennt er besonders Origenes, Basileios, Gregor von Nazianz, Gregor von Nyssa, Gregorius Thaumaturgos, Didymos den Blinden und Johannes Chrysostomos. Ab dem sechsten Buch, dem Beginn der Zeitgeschichte, kann Sokrates auf eigene Erfahrungen und auf Zeitzeugen zurückgreifen, etwa auf Sisinnios, Paulos, Attikos und Anthemios, aber auch auf den Kaiser selbst und die Kaiserin Eudokia. Dies alles geschieht in einem relativ einfachen Stil, der bewirken soll, dass auch einfachere Leute sein Werk lesen können und sollen. Die Gründung einer Hochschule in Konstantinopel 425 (hier vermisst man H. Schlange-Schöningen, Kaisertum und Bildungswesen im spätantiken Konstantinopel, Stuttgart 1995) führt zu der Frage, ob Sokrates eventuell hier studiert hat, wofür es aber keine Anzeichen gibt. Die Funktion der heidnischen Bildung läßt sich demnach so beschreiben: Sie dient der Abwehr heidnischer Götterlehren, der Verteidigung der Orthodoxie gegen Häresie, der philosophischen Begründung kirchlicher Dogmen und hat dazu eine allgemeine ethische, pädagogische und im weiteren Sinne politische Bedeutung.

 

Alfred Stückelberger, Zum wissenschaftlichen Bildungshorizont der späten Kaiserzeit (S. 125–139): Dieser thematisch übergreifende Beitrag versucht, dem gängigen Klischee einer ab dem 3. Jh. n.Chr. beginnenden Dekadenz entgegen zu wirken. Als Beispiele ab dem 4. Jh. dienen Spezialautoren aus den Bereichen Mathematik/Astronomie und Geographie: Pappos von Alexandria, Theon von Alexandria und seine Tochter Hypatia, Serenos von Antiochia, Johannes Philoponos und Proklos Diadochos, ein Zeitgenosse des Sokrates. Auf römischer Seite wird auf gebildete Staatsbeamte, Juristen und Bischöfe verwiesen, so die „Enzyklopädisten“ Augustinus, Martianus Capella, Boethius, Cassiodor und Isidor von Sevilla. Geographische Bildung zeigt Ammian mit seinen Exkursen über die Pontische Küstenbeschreibung (22,8,1–48) und Persien (23,6,1–88). Gelehrte Stücke finden sich bei Philippus von Side und bei Sokrates selbst. Zu nennen wären auch Vegetius, das Itinerarium Burdigalense, die Tabula Peutingeriana, die Weltkarte an der Säulenhalle von Autun (Eumenes, Paneg. Lat. 5 [9] 20f), die Heraklesuhr des Prokop von Gaza und der sog. „Leidener Arat“ mit den auf einer Bronzetafel eingravierten Sternzeichen. Insgesamt stellt sich also die Spätantike so schlecht und ungebildet nicht dar.

 

Werner Schubert, Musik in der christlichen Spätantike im Spiegel der Ekklesiastike Historia des Sokrates von Konstantinopel (S. 140–158): Zwei Quellen sind es, aus denen die byzantinische Musik gespeist wird: Der jüdische Synagogengottesdienst und die hellenistische Spätantike. Daneben gab es außerkultische Einflüsse sowie eine theologisch reflektierte Musiktheorie vom 4. Jh. v.Chr. an (Platon, Pythagoras). Es bestand ein enger Zusammenhang zwischen Wort und Melodie, woran das Christentum anknüpft, beginnend mit Pap. Oxy. 15,1786 V (dem ältesten erhaltenen christlichen Lied) und Kol. 3,16f. Dabei bleibt vieles offen, z.B. die Bedeutung der „Antiphon“, die mit Ignatios von Antiochien und dem Chor der singenden Engel (nach dem Vorbild Jes. 6,2f.) beginnt. Ambrosius setzt den antiphonalen Gesang als Kampfmittel gegen die singenden Arianer ein (Aug. conf. 9,7,15). Für Sokrates spielen Musik und Gesang an mehreren Stellen eine Rolle: 2,11,2-5; 3,18,14; 5,22,49; 6,8; 7,22,4 und 7,46,1–3. Beide dienen der Erbauung; sie sind gruppensolidarisierend und polemisch. Ein Blick auf die Rolle des Kirchengesanges bis heute zeigt, dass er immer auch als Kampfmittel verstanden werden kann. Insofern ist die Welt des Sokrates gar nicht so weit von unserer entfernt.

 

Balbina Bäbler, Der Blick über die Reichsgrenzen: Sokrates und die Bekehrung Georgiens (S. 159–181): Georgien gehört zu den ältesten christlichen Ländern. Die Bekehrung Georgiens bei Sokrates 1,20 durch eine mulier captiva geht auf Rufin zurück, dem sie der comes domesticorum Bakurios erzählt hat. Nach Meinung von Françoise Thélamon handelt es sich dabei aber nicht um eine Kriegsgefangene, sondern um eine einheimische Schamanin, eine „kadag“. Thélamon stützt sich hier auf Forschungen von G. Charachidzé, der das Material für das 18. und 19. Jh. gesammelt hat. Das Verhalten dieser Frau zeigt nun keinerlei „Besessenheit“, was Frau Thélamon aber dem Rufin zuschreibt, der diesen Wesenszug der Schamanin unterdrückt habe. Neben der Problematik, Ergebnisse des 18. und 19. Jh. auf die Antike zu übertragen, haben wir genügend Kenntnisse der georgischen Religion vom persischen Zoroastrismus über den Ahura-Mazda Kult bis zu Griechen und Römern, wo der archäologische Befund das klassische Pantheon zeigt. Wieso sollte eine Heidin die Christianisierung vornehmen, woher wusste sie überhaupt vom Christentum? In der Überlieferung erweist sich die Christianisierung als vom Königshaus ausgehend. Somit wird man an der „Gefangenen“ festzuhalten haben. Interessant und geradezu spannend ist die weitere Legendenbildung um die georgische Christianisierung: Während bis zum 10. Jh. georgische und armenische Quellen behaupten, Georgien sei von Iberien aus christianisiert worden (durch Gregor den Erleuchteten oder gar Andreas, den Bruder des Petrus), ist es ab 973 wieder die Kriegsgefangene, die jetzt „Nino“ heißt. Dabei spielen der Bruch mit Armenien und ein gesteigertes Selbstbewußtsein sowie vermutlich auch eine bessere Stellung der Frau durch das Christentum eine Rolle. In Konkurrenz zu Iberien und dem hl. Andreas wird nun auch Nino zum weiblichen Apostel und von ihrem Onkel, dem Patriarchen in Jerusalem geweiht. Sie hat eine Christuserscheinung, die zu ihr in quasi „feministischer“ Theologie spricht. Im Zusammenhang der vielen Beziehungen zwischen Byzanz und Georgien und den Klostergründungen in Jerusalem werden die Legenden um die Christianisierung Georgiens dann im 10. Jh. zusammengefasst. Ein Ausblick bis heute schließt den interessanten Beitrag ab, der zeigt, das Georgien ein Land des westlichen Kulturkreises war und ist.

 

Martin George, Sokrates und die Mönche in der Wüste (S. 182–197): Im Gegensatz zu Sozomenos und Theodoret findet sich bei Sokrates nicht allzu viel über Mönche. Dennoch sind sie ihm wichtig, bildet der Mönch doch ein Vorbild für die Verbindung von Bildung und Philosophieren durch die Tat. Dieser „wahre“ Mönch setzt sich von anderen ab; der wahre Mönch ist der Mönch in der Wüste. Dabei ist aber weder die Wüstenidylle eines Hieronymus gemeint, noch der Platz der Dämonen, wie sich die Wüste z. B. für Antonius bei Athanasios darstellt. Drei Quellen sind es, aus denen Sokrates schöpft: 1. Euagrios Pontikos, 2. Palladios’ Historia Lausiaca (wenn auch in einer anderen Fassung als der heutigen), und 3. Apophthegmata aus anderen Sammlungen (z. B. 4,23,18. 22–24. 26–29. 73–76). Bezeichnend ist dabei die Darstellungsart des Sokrates, nämlich das, was er weglässt: So z. B. die Frage nach der wahren Gotteserkenntnis. Es kommt ihm nur auf das Ethos der Mönche an. Ferner verzichtet er auf sämtliche Versuchungen der „Fleischeslust“. Maßvolle Ausgeglichenheit steht vielmehr im Vordergrund und ein Bildungsideal, das über das griechisch-römische hinausgeht. Theologische Definitionen werden vermieden, das nicht Fassbare bleibt unausgesprochen und wird durch Nächstenliebe ersetzt. So könnte das Ideal des Mönchtums in der Wüste geeignet sein, künftige Spaltungen zu verhindern, und damit eine Kirchengeschichtsschreibung überflüssig machen. Damit kehrt die Untersuchung wieder zum Ausgangspunkt zurück.

 

Zusammenfassend liegt ein durchaus gelungenes Buch zu Sokrates vor. Der Wunsch der Hg., etwas Nützliches „für die Erhellung eines wichtigen Bereichs der spätantiken Kultur“ geleistet zu haben, dürfte in Erfüllung gegangen sein. Störend bleibt allenfalls der Preis von 148 DM (78 Euro)!

 

Karl Leo Noethlichs, Aachen