Ted Kaizer: The
Religious Life of Palmyra. A Study of the Social Patterns of Worship in the Roman Period
(Oriens et Occidens, Bd. 4), Stuttgart, Franz Steiner Verlag 2002. 307 S., 7 Tafeln. Euro 64.--. ISBN
3-515-08027-9,
Es gibt Bücher, die
auf virtuose Weise unerhört komplexe Sachverhalte fruchtbar auf einen einfachen Nenner
bringen und ihren Lesern schwere Kost mundgerecht servieren. Es gibt andere, die, weniger
erfreulich, den Hang ihrer Verfasser zur furchtbaren Vereinfachung erkennen lassen und
wieder andere, die auch einfachste Tatbestände so verunklaren, daß selbst Leser, denen
es nicht an gutem Willen und Sachkenntnis fehlt, alsbald den Überblick verlieren.
Ted Kaizers (K.)
Monographie über das religiöse Leben der antiken syrischen Oasenstadt Palmyra ist nichts
von alledem. Seine Oxforder Dissertation fällt in die rare Kategorie von Büchern, deren
Verdienst es gerade ist, die Komplexität ihres Gegenstands eindringlich in Erinnerung zu
rufen sowie auf die Begrenztheit unseres Wissens und, mehr noch, unserer Quellen
aufmerksam zu machen. Wo andere leichtfüßig Modelle auf Bergen von
Sekundärliteratur aufgebaut haben, geht K. rücksichtslos ad fontes, konfrontiert den
Leser mit (historisch, philologisch und archäologisch kenntnisreich kommentierten)
Inschriften und den Relikten der reichen materiellen Überlieferung Palmyras. Gegen allzu
voreilige Schlußfolgerungen setzt K., in guter Oxforder Tradition, stets ein gerüttelt
Maß gesunder Skepsis.
K. s Buch ist das
zweitjüngste in einer ganzen Reihe von Monographien, die sich Aspekten von Geschichte,
Kultur und Religion des antiken Palmyra sowie seiner Bewohner widmen (Dirven 1999,
Hartmann 2001, Yon 2003). Ihnen allen ist gemein, daß die Verfasser eifrig gegen
etablierte, in Prozessen wissenschaftlicher Eigendynamik verfestigte Forschungsmeinungen
anschreiben. Das plötzliche Interesse für Palmyra kommt nicht von ungefähr: In der seit
Fergus Millars fundamentalem Werk (Millar 1993) aufgeflammten Debatte um die kulturelle
Prägung Vorderasiens in römischer Zeit kommt der Wüstenmetropole mit ihrer materiell
reichen Überlieferung ohne Frage eine Schlüsselbedeutung zu.
K. s Thema ist die
palmyrenische Religion in all ihren Facetten, von den Heiligtümern mit ihren
epigraphischen und materiellen Hinterlassenschaften (Kapitel II) über die Ausdrucksformen
religiösen Lebens (Kapitel III) bis hin zu den Akteuren (Kapitel IV). Die Aussagen zu
denen er gelangt, reichen indes wie der Untertitel des Buches zutreffend suggeriert
weit über den engeren Bereich des Religiösen hinaus. Sie sind schon deshalb von
nachgerade universeller Tragweite, weil wie K. immer wieder zu recht hervorhebt
eine gesonderte Sphäre des Religiösen im sozialen System Palmyras, wie jeder
prämodernen Gesellschaft, schlicht nicht existierte. Religion, Alltag, Wirtschaft,
Politik, Recht und soziale Beziehungen waren, das zeigt das Buch mustergültig, in einem
für uns kaum zu entwirrenden Geflecht verbunden. Verstehen können wir
deshalb viele der Vorgänge und Strukturen in Palmyra nicht, wir müssen es, mit K., beim
Erklären belassen.
Allmähliche
Intensivierung römischer Herrschaft im Vorderen Orient (S. 36-41), Hervortreten markanter
lokaler Besonderheiten im römischen Nahen Osten (S. 19 f.) und das Fehlen jeglicher
Indizien für einen clash between indigenous Near Eastern culture and
the empire with its Greco-Roman elite culture (S. 16) das sind die im Kern
von Millar (1993) übernommenen grundlegenden Prämissen von K. s Arbeit. Unter ihren
Auspizien entfaltete sich das, was K. das religiöse Leben Palmyras nennt. Es
macht zugleich das spezifisch Palmyrenische in einem Kosmos lokaler kultischer und
kultureller Prägungen, von Hatra über Edessa, Dura-Europos, Hierapolis bis in die
syrische Dekapolis aus. Wiederholt verweist K. auf das syro-mesopotamische Umfeld
Palmyras, um die kulturelle Zugehörigkeit Palmyras zu diesem Raum, aber auch seine
eminenten Besonderheiten deutlich zu machen.
Im ersten Kapitel
(Palmyrene society and Palmyrene religion) zieht K. mit Verve gegen
Gemeinplätze der bisherigen Palmyra-Forschung zu Felde: Er verweist auf unser profundes
Nichtwissen mit Blick auf die Urbanisierung Palmyras (S. 41-43) und speziell die Vorgänge
im hellenistischen Syrien (S. 50, vgl. auch Millar 1987). Autoritative Aussagen über
kulturelle Kontinuität und Diskontinuität zwischen vorhellenistischer und römischer
Zeit zu treffen, grenzt unter diesen Bedingungen in der Tat an Kaffeesatzleserei.
Eingehend widmet sich K. auch dem Problem der tribalen Organisation der palmyrenischen
Gesellschaft und den Bezügen zwischen Stämmen und Religion. Zwischen den
Extrempositionen findet er, die Urwüchsigkeit der palmyrenischen Stämme im Prinzip
anerkennend, die inschriftlich wiederholt genannten 4 Stämme aber zu einem
Konstrukt nach hellenistischem Vorbild erklärend, zu einer mittleren Linie. Seinem
Plädoyer für ein weniger starres, vom Nomadismus abstrahierendes Konzept tribaler
Gesellschaften (S. 54) mag man sich, gerade auch in Kenntnis der altorientalischen
Verhältnisse, aber auch der Strukturen etwa in Hatra (Sommer 2003, Sommer 2003a), nur
allzu gern anschließen.
Mit guten Argumenten
weist K. übertriebene Systematisierungsbemühungen der Forschung zurück: Weder lassen
sich die erkennbaren Inkohärenzen im palmyrenischen Pantheon ohne weiteres auf die
Bevölkerung durchziehende ethnisch-kulturelle Grabenlinien (Araber vs. nicht-Araber)
zurückführen (S. 56-60), noch sind die erkennbaren Bindungen einzelner Stämme an
bestimmte Heiligtümer per se Indizien für ein dem zentralen Bel-Kult
entgegengesetztes Stratum tribaler Kultausübung, schon gar nicht auf
Basis der 4 Stämme (S. 60-66). Die Probleme, Heiligtümer überhaupt mit
einzelnen Gottheiten in Verbindung zu bringen, verweisen, ebenso wie die Fülle
stilistischer Darstellungsebenen für ein und dieselbe Gottheit und die scheinbare
Beliebigkeit, mit der interpretationes Graecae und Romanae vorgenommen wurden, einmal mehr
auf das misleading picture of a clear-cut organisation of the divine world.
(S. 159). Die ganze Vielschichtigkeit enthüllt K. s eingehender Survey der religiösen
Topographie Palmyras.
Der vermeintlichen
Bipolarität palmyrenischer Kultausübung (civic vs. tribal) setzt
K. denn auch konsequent ein komplexeres Modell entgegen, mit unzähligen Ebenen
religiöser Praxis, nach ihrem Wirkungsradius etwa: individual,
familial, tribal, societal und civic (S.
161). Sie alle fanden in den Rhythmen des religiösen Lebens in der Oasenstadt
ihren Ausdruck. Religiöse Normen, Feste, Prozessionen, Opferhandlungen liefern, ihrer
Heterogenität zum Trotz, keine Anhaltspunkte für sich im Kultischen spiegelnde
antagonistische Kollektiv-Identitäten in Palmyra. Für K. überwiegen unter dem Strich,
bei aller gebotenen Vorsicht, die verbindenden, die bürgerschaftliche Identität der
Palmyrener unterstreichenden Elemente (S. 210 f.).
Das Schlußkapitel
über die Akteure des Religiösen Lebens, kollektive wie individuelle, betont einmal mehr
die Schwierigkeiten jeglicher Systematisierung. Soviel wir über kultische
Speisegemeinschaften, Priestergruppen, Euergeten und Begräbnisvereine auch wissen
nie lassen sich die Grenzen zwischen partikularen religiösen Aktivitäten von
subgroups of society (S. 259) und der Bürgerschaft als ganzer mit
hinreichender Zuverlässigkeit ziehen.
K. hat seinen Lesern
kein griffiges Fazit zu bieten. Am Ende bleibt eher dasbeunruhigende Bild einer modernen
Systematisierungsversuchen weitgehend unzugänglichen, inkonsistenten und daher in ihrer
Komplexität kaum zu reduzierenden Welt religiöser Gestalten, Überzeugungen und Normen.
K. hat, mit den sicher gehandhabten klassischen Instrumenten historischer Quellenkritik,
tragende Pfeiler unseres Bildes nicht nur der Religion Palmyras, sondern seiner
Gesellschaft insgesamt, zum Einsturz gebracht.
Indes: Bei aller
Quellennähe und berechtigten Skepsis, bei aller stupenden Detailtreue und Komplexität
auch K. präsentiert seinen Lesern nichts anderes als ein Modell mittlerer
Reichweite, basierend auf Prämissen, die plausibel und nachvollziehbar sein mögen, ohne
doch zwingend zu sein. Von der tribalen Organisation der palmyrenischen Gesellschaft etwa
ließe sich, mit den von K. benutzten Quellen, leicht auch ein anderes Bild zeichnen; die
4 Stämme können, müssen aber nicht artifizielles Konstrukt sein. Wirklich
starke Argumente gegen die Stämme als elementare Bezugspunkte kollektiver Identität(en)
von anhaltender Bedeutung jedenfalls vermag auch K. nicht ins Feld zu führen.
K. s Methode, die
Quellen für sich sprechen zu lassen, hat denn auch ihre eigene, ihr inhärente
Problematik. Inschriften, Architektur und Bilder sind, genau wie literarische Texte, nicht
das, als was sie sich vorderhand geben, sind keine Evidenz, sondern ihrerseits
Ausdruck und Produkt häufig diffuser Überzeugungen, Weltdeutungsmuster, Wertbegriffe.
Die Religion Palmyras ist nicht nur Ausdruck sozialer Realitäten, sondern ohne Frage auch
intentional geformtes Konstrukt und als solches die Antwort auf drängend sich stellende
Probleme. Nicht erst Gelehrte unserer Tage versuchten sich an ihrer Systematisierung.
Gerade die vermeintlich auf bürgerschaftliche Kohäsion verweisenden Elemente von Kult
und Pantheon können, so gesehen, durchaus gewollte Brücken sein, um die allenthalben
klaffenden innergesellschaftliche Gräben zu überwinden.
Milde Kritik im Detail schmälert nicht im geringsten den kolossalen Wert der von K. vorgelegten Arbeit, die weit über alles hinausgeht, was bisher zur palmyrenischen Religion und ihrem Sitz im sozialen Leben geschrieben wurde. Wer künftig über Religion nicht nur in Palmyra, sondern im gesamten römischen Vorderasien arbeitet, wird an ihr nicht vorbeikommen. K. s Fragen, gerade jene, die er offenläßt, bohren und provozieren. Zum Nachdenken regen sie allemal an. Wenn der Verfasser ein Trojanisches Pferd ist, dann in einer scientific community, die Modellbildung nur als lart pour lart betreibt und im übrigen damit beschäftigt ist, selbstverliebt Nabelschau zu halten. Überall sonst wird das Buch die breite Rezeption finden, die es ohne Frage verdient.
Zitierte Literatur:
Dirven 1999 =
L. Dirven: The Palmyrenes of Dura-Europos. A Study of Religious Interaction in Roman
Syria, Leiden 1999.
Hartmann 2001
= U. Hartmann: Das palmyrenische Teilreich (= Oriens et Occidens, Bd. 2), Stuttgart 2001 (Rezension in Plekos)
Millar 1987 =
F. Millar: The Problem of Hellenistic Syria, in: A. Kuhrt/S. Sherwin-White: Hellenism in
the East. The Interaction of Greek and non-Greek Civilizations from Syria to Central Asia
after Alexander, Berkeley/Los Angeles 1987, 110-133.
Millar 1993 = F. Millar: The Roman Near East. 31 BC AD
337, Cambridge, Ma. 1993.
Sommer 2003 =
M. Sommer: Hatra. Geschichte und Kultur einer Karawanenstadt im römisch-parthischen
Mesopotamien, Mainz 2003.
Sommer 2003a =
M. Sommer: Hatra. Imperiale und regionale Herrschaft an der Steppengrenze, Klio 85 (2003),
erscheint in Kürze.
Yon 2003 =
J.-B. Yon: Les notables de Palmyre, Ier s. av. J.-C. IIIe s. apr. J.-C. Études
dhistoire sociale, Beyrouth 2003.
Michael
Sommer, Oxford
sommermichael@yahoo.com