Gérard Degeorge: Palmyra. Einführung von Paul
Veyne. Übertragen aus dem Französischen von Eva Ambros. München: Hirmer Verlag 2002. 279 S.,
167 Abb. 79,90 Euro. ISBN 3-7774-9340-6.
Im vergangenen Jahr kam die
Untersuchung Udo Hartmanns über das palmyrenische Teilreich heraus (vgl. Plekos 3/2001).
Gleichzeitig erschien in Paris (Imprimerie nationale Èditions) Gérard Degeorges reich
bebildertes Werk Palmyre métropole caravanière, das nunmehr auf deutsch vorliegt.
Nach der Einführung von
Paul Veyne (S. 917) und eigenen einleitenden Worten (Tochter der Wüste,
S. 1821) gibt der Verfasser S. 2249 eine kurze Stadthistorie (Im
Räderwerk der Geschichte), die S. 5063 durch handelsgeschichtliche
Ausführungen (Handel und Karawanen) ergänzt wird. Die drei folgenden
Kapitel, die den wesentlichen Inhalt des Buches ausmachen, haben archäologischen
Charakter: S. 64107 werden Stadtentwicklung und Profanbauten behandelt,
S. 108177 Heiligtümer und Götter. Dabei werden im einzelnen die Tempel
des Bel (S. 123154), des Nabu (S. 154165) der Allat (S. 165170) und des
Baalschamin (S. 170177) besprochen. Im Kapitel Die Gräber (S.
178217) beschäftigt sich der Verfasser von S. 199 an mit Mumifizierung und
Totenkult. Ein Kapitel über Die Etappen der Wiederentdeckung (S.
218243) dem eine Karte des vorderen Orients in römischer Zeit (S. 244f.) und ein
Plan von Palmyra (S. 246f.) angehängt sind, schliesst den Textteil ab. Es folgt ein als
Anhang bezeichneter schwarz-weiss-Bildteil (S. 249257), der im
wesentlichen die aus der fortlaufenden Darstellung verbannten Grundrisse und
Rekonstruktionen nachliefert. S. 259271 findet man die Anmerkungen, S. 273278
die Bibliographie, in die auch die griechisch-römischen und arabischen Quellen nach den
Namen ihrer Verfasser eingeordnet sind. Ein Register enthält das Werk nicht.
Die Hauptintention des Buches liegt in
der archäologisch-kunstgeschichtlichen Interpretation der palmyrenischen
Ausgrabungsstätte. Dabei hat der Autor nicht nur den Text verfasst, sondern auch einen
Grossteil der meist farbigen Abbildungen selbst aufgenommen. Man könnte darüber
streiten, ob es notwendig und sinnvoll ist, im Rahmen eines derartigen Werkes auch die
politische Geschichte des Ortes zu behandeln, zumal mit dem Verfasser der Einführung ein
(laut Klappentext) renommierter Althistoriker gewonnen wurde. Gleichwohl hat
sich Degeorge verpflichtet gefühlt, die Grundzüge der politischen und
wirtschaftsgeschichtlichen Entwicklung selbst nachzuzeichnen. Hierbei sind ihm einige
Irrtümer unterlaufen, über die nicht einfach hinweggegangen werden kann.
Bedenklich erscheint insbesondere, dass
der Autor dort, wo es um exakte Sachinformationen geht, nicht selten schwimmt.
So liest man S. 27, der Hauptzweck der 66 v. Chr. eingebrachten lex Manilia sei der
Krieg gegen die Parther gewesen, obwohl erst Crassus den ersten militärischen
Zusammenstoss zwischen Römern und Parthern verschuldet hat (54 v. Chr., vgl. DNP 9 s.v.
Parther- und Perserkriege). Dass die Geschichte des Partherreiches nicht zu den
Spezialgebieten des Verfassers gehört, ist auch sonst erkennbar: Im 19. Jh. wurde
diskutiert, ob die Entscheidungsschlacht zwischen dem Parther Artabanos und dem
sasanidischen Reichsgründer Ardaschir 224 oder 227 n. Chr. stattgefunden hat. Diese
Debatte ist längst zugunsten des früheren Termins abgeschlossen (vgl. K. Schippmann,
Grundzüge der Geschichte des sasanidischen Reiches, 1990, S. 15 mit Anm. 23). Die
Autorität Alfred von Gutschmids, der sich für 227 entschieden hatte, hat allerdings dazu
geführt, dass auch der spätere Termin noch hin und wieder vertreten wird so von
Degeorge, S. 33 und 61ff., sinngemäss auch S. 54, wo 226 erscheint. Es kann kaum
verwundern, dass ein Autor, der sich hinsichtlich der Chronologie nicht auf dem neuesten
Stand befindet, auch bei der Zählweise der betroffenen Könige veraltete
Forschungmeinungen wiedergibt: Der als letzter Parther geltende Artabanos wird
stets (S. 33, 63) Artaban V. genannt (zu seiner Nummerierung als
IV. vgl. DNP 2 s.v. Artabanos 8). Unrichtig ist endlich die Information, die
langjährige parthische und sasanidische Hauptstadt Ktesiphon sei von den Parthern
gegründet worden. Falls Degeorge hier Amm. Marc. 23,6,23 im Auge hatte, der die Erbauung
der Stadt dem Partherkönig Vardanes (reg. ca. 3945 n. Chr.) zuschreibt, sei auf
Pol. 5,45 verwiesen, wo Ktesiphon für 221 v. Chr. als bestehend belegt ist, was zumindest
eine ursprüngliche Gründung durch die Parther ausschliesst.
Die Skizze der Ereignisse während der
Reichskrise des 3. Jhs. ist in Einzelheiten ungenau: So wird S. 63 das Todesjahr des
Kaisers Philippus Arabs mit 248 angegeben und behauptet, er habe in eben
diesem Jahr die Tausendjahrfeier Roms begangen. Tatsächlich fällt das Jubiläum in den
April 248, der Untergang des Philippus erst in den Herbst 249 (D. Kienast, Römische
Kaisertabelle, 1990, S. 197). Zumindest schief erscheint auch der kurze Hinweis auf den
Sonderherrscher Tetricus. Degeorge (S. 44) nennt ihn einen Statthalter von Aquitanien, der
abgefallen war. Dabei ist es dem Autor offenbar entgangen, dass Tetricus seit 271
(gallischer) Kaiser war, der ausserdem durch seinen freiwilligen Übertritt zu Aurelian
die (Wieder-) Vereinigung des gallischen Reichsteiles mit dem Imperium möglich machte und
damit das Gegenteil eines Separatisten gewesen ist (die Einzelheiten bei
Kienast S. 244f.). Einige weitere Beobachtungen zeigen, dass der Verfasser durchaus mit
der literarischen Überlieferung, aber wohl weniger mit der quellenkritischen Forschung
vertraut ist. So wird S. 40 kurz die Behauptung der Zenobia gestreift, sie stamme von
Kleopatra ab. Hiergegen hat Hartmann (S. 23f. u.ö.) nachgewiesen, dass nicht nur von
einer tatsächlichen Abstammung der Palmyrenerin von der Ptolemäerin keine Rede sein
kann, sondern dass selbst die Information, Zenobia habe derartiges behauptet, zu den
fiktiven Nachrichten der Historia Augusta gehört. Über die Unglaubwürdigkeit der
Historia Augusta ist sich Degeorge durchaus im klaren, scheint aber den
Schwindelautor Trebellius Pollio als solchen für real zu halten (S. 36 und
42). Wenig anfangen kann ein Leser sicher mit der Information S. 37, dass das Meer vor der
kleinasiatischen Küste zur Zeit der Zenobia von skythischen Piraten befreit
werden musste. Hier ist der Verfasser anscheinend gar nicht auf den Gedanken gekommen,
dass seine Vorlage eine archaisierende Bezeichnung für ein heerfahrendes germanisches
Volk verwendete (wohl die Goten, vgl. E. Kettenhofens TAVO-Karte B V 11). Wenn
schliesslich ein so wenig bekannter byzantinischer Kaiser wie Konstans II. überhaupt
erwähnt wird (S. 97), sollten auch die Daten stimmen: Sein Regierungsantritt war 641,
nicht 642.
Zu den wenigen prominenten Palmyrenern
ausserhalb des Herrscherhauses gehört Iulius Aurelius Septimius Vorodes (vgl. DNP 11 s.v.
Septimius II 10; Hartmann, Index s.v. Vorodes). Degeorge behauptet S. 199, er sei am Hof
des Odainat ein- und ausgegangen und habe enge Beziehungen zu den Sasaniden-Herrschern
unterhalten. So ausgedrückt, ist dies teils ungenau, teils falsch: Vorodes hatte nicht
nur gesellschaftliche Kontakte zur palmyrenischen Herrscherfamilie, sondern war, wie die
von ihm innegehabten Ämter zeigen, ein wichtiger Funktionär in der palmyrenischen
Hierarchie, der mit Odainat eng zusammengearbeitet haben wird. Seine angeblichen Kontakte
zum Perserreich dagegen beruhen auf Mutmassungen. Sie werden zum einen von der iranischen
Herkunft seines Namens gespeist, zum anderen von der Tatsache, dass ein Vorôd in der
Inschrift Schapurs I. an der Ka´ba-ye Zardot (griech. Fassung, Z. 67) erscheint.
Hier hat wiederum Hartmann das Richtige gesehen: Vorodes (Orodes) ist sicher ein
iranischer, vor allen Dingen aber ein häufiger Name, dessen Auftauchen im
römisch-persischen Grenzgebiet zu keinen übertriebenen Schlüssen verleiten sollte. Eben
diese Verbreitung des Namens macht es auch eher unwahrscheinlich, dass es sich bei dem
palmyrenischen Amtsträger, der drei römische Gentilnomina angenommen hatte, und dem
Anhänger Sapors I. um dieselbe Person gehandelt haben könnte. Vollends verwirrt
erscheint, was Degeorge in Anm. 175 zu S. 199 (Text S. 267) zur Fundstelle von Schapurs
Inschrift bemerkt. Nach seiner Kenntnis soll die Trilingue in eine Felswand in
Naqsch-i Rustam ... eingraviert sein. Der Hinweis auf Naqsch-i Rustam ist schon
richtig, nur befindet sich die Inschrift keineswegs an der Felswand, die vier
Achaimenidengräber und darunter die bekannten Sasaniden-Reliefs enthält. Vielmehr ist
sie auf drei Seiten eines turmartigen Gebäudes ungeklärter Funktion verteilt, das der
Felswand gegenüber steht. Dies ist die Ka´ba-ye Zardot.
Zu einer Beurteilung der
archäologischen Ausführungen des Verfassers fühlt sich der Rezensent als Althistoriker
nicht berufen. Interessant ist allerdings, welch hohes Mass an Beachtung Degeorge, dem die
Ereignisgeschichte des Partherreiches eher fernliegt, der wenig bekannten
parthischen Kunst zuwendet. Gleich am Anfang des archäologischen Teils (S.
66, 69) schildert der Autor kurz die Entstehung dieser Kunstrichtung und zeigt, dass
Palmyra stark von ihr geprägt war. Im einzelnen erfährt man z. B. noch, dass der
Figurenschmuck des Bel-Tempels der parthischen Kunst verpflichtet ist (S. 141), wie die
palmyrenische Plastik überhaupt ausschliesslich auf parthischen Traditionen beruht (S.
180).
Es gibt noch einen weiteren Punkt, in
dem der archäologische Befund das von den literarischen Quellen gezeichnete Bild nicht
nur abzurunden, sondern sogar entscheidend zu korrigieren vermag. Die Rede ist von der
Tatsache, dass der Bericht der literarischen Quellen über die römische Belagerung
Palmyras (Zos. 1,54,255,1; SHA Aurelian. 2628) fiktiv ist. Dies ist (mit
Ausnahme Hartmanns, S. 377f.) von den modernen Historikern bisher wenig zur Kenntnis
genommen worden. Degeorge dagegen weist bereits S. 41 die Zosimos-Nachricht mit dem
Hinweis auf die mangelnde Verteidigungsfähigkeit der Stadt zurück. Dass die zur Zeit des
Odainat und der Zenobia bestehende Befestigung vor den Überfällen der Beduinen (nicht
vor der Belagerung einer regulären Armee) schützen sollte, kommt dann S. 106 noch einmal
zur Sprache (vgl. den Plan der Abfolge der Befestigungen Palmyras, S. 250 b)). Ebenso kann
S. 44 der Bericht des Zosimos über eine von Aurelian veranlasste völlige Zerstörung der
Stadt durch den archäologischen Befund widerlegt werden.
Die hohe Qualität der Photographien
machen das Lesen und besonders das Ansehen des Palmyra-Bandes zu einer reinen Freude.
Dr. Martin Schottky, Angerweg 3, 91362
Pretzfeld