Sabine Ladstätter: Die materielle Kultur der Spätantike in den Ostalpen. Eine Fallstudie am Beispiel der westlichen Doppelkirchenanlage auf dem Hemmaberg. Wien: Österreichische Akademie der Wissenschaften 2000 (Mitteilungen der Prähistorischen Kommission 35). 320 S., 8 Pläne ATS 694,- ISBN 3-7001-2899-1.
Für jeden mit der
Spätantike Befaßten gehört der Hemmaberg zu den
wichtigsten Fundplätzen des Ostalpenraumes. Und die Debatten
über die Interpretation der Kirchenbefunde werden noch länger
nicht abgeschlossen sein. Mit der Publikation von L. liegt eine
wertvolle Arbeit über einen Teil des Fundmateriales, aus dem
Bereich der westlichen Doppelkirchenanlage, vor. Das Buch beginnt mit
Forschungsgeschichte und -stand zur Spätantike Binnennoricums,
insbesondere des Hemmaberges (16 - 27), und einem historischen
Überblick über die Zeitspanne des beginnenden 4. Jh. bis
zum späten 8. Jh., der bairischen Mission, unter Einbezug von
schriftlichen Primär- und Sekundärquellen, im Wesentlichen
(Binnen)Noricum betreffend (28 - 40). Hier ventiliert die Verf. die
möglichen Standorte frühester Kirchen in norischen
Municipien schon in der ersten Hälfte des 4. Jh. trotz
unzureichender Forschungslage. Sie erwähnt das offensichtliche
Fehlen eines christlichen Kultbaues in Flavia Solva (32 f.), was zur
Zeit für die ganze heutige Steiermark gilt, auch wenn die Rez.
spekulative Überlegungen für den Frauenberg bei Leibnitz
noch nicht aufgeben möchte. Die durch Flugbilder bezeugte Kirche
mit Querannex von Virunum zählt L. nach der Bauform zu den
frühesten Südnoricums (33). Sie entspricht nach Meinung der
Rez. u. a. der ersten Bauphase der Kirche auf dem Duel. Die Verf. hält für
das beginnende 5. Jh. das zentrale Gebiet Binnennoricums für
frei von Fremdeinflüssen, wie sie auch die Höhensiedlungen
nach dem Fundmaterial als rein romanisch betrachtet (34). Die
Resultate der Aufarbeitung des Fundmaterials des Gräberfeldes
vom Frauenberg bei Leibnitz, einer spätantiken Höhensiedlung
im Ostrand Binnennoricums, lassen Zweifel an derartigen generellen
Aussagen zu. In dem historischen Abschnitt
wird das Gerüst für die darin einzuhängende
archäologische Auswertung des Fundmaterials errichtet. Etwa der
Nachweis alamannischer Migranten zu Beginn des 6. Jh. (37) nach
einigen wenigen Fibelfunden (verschiedener Armbrust- und Bügelfibeln,
174 f.).
Hierauf folgt die
stratigraphische und architektonische Beschreibung der westlichen
Doppelkirchenanlage (41 - 63), angelegt - wie die östliche - im
frühen 6. Jh. Angeführt werden die aufwendigen
Materialumschichtungen zur Planierung des Hang-Terrains für die
gleichzeitig errichteten Sakralbauten - erstaunlich, daß das
weniger abfallende Gelände nördlich davon als Platzanlage
unverbaut blieb - und den Bereich zwischen ihnen, deren
Vorgängerbauten und teilweise Nutzung nach der Zerstörung
bis in das Frühmittelalter. Ihre unterschiedliche Ausstattung,
die südliche (= vierte) Kirche ist mit Priesterbank und
Reliquienloculus, die nördliche (= fünfte) mit einer
piscina
versehen, scheint die Bezeichnung Doppelkirchenanlage, trotz leicht
verschwenkter Orientierung der fünften Kirche und größeren
räumlichen Abstandes zwischen beiden Bauten, zu rechtfertigen.
Nach der Erläuterung des
architektonischen Befundes wird auf "ausgewählte
Fundgattungen" (64) eingegangen: Die Fundmünzen (64 - 83)
wurden in einem Diagramm (Abb. 40) denen weiterer (etwa)
gleichzeitiger Höhensiedlungen des Ostalpenraumes
gegenübergestellt, wie auch ein Vergleich der Prägestätten
(Abb. 43 - 45). Ein Diagramm der Verlustrate liegt vor (Abb. 42).
Münzen des 1. und 2. Jh. sind vergleichsweise selten. Im dritten
Viertel des 4. Jh. steigt die Zahl der Münzen sprunghaft an, im
letzen Viertel des 4. Jh. nimmt sie stark ab, die Münzreihe
endet im ersten Viertel des 5. Jh. Eine Münze des (späteren)
5. Jh. und eine Münze des 6. Jh. sind Unikate. Der Meinung der
Verf., das vermehrte Auftreten von Antoninianen bezeuge keineswegs
eine massive Siedlungstätigkeit auf Bergen in der zweiten Hälfte
des 3. Jh. (83 f.), wie auch der Münzdatierung ohne eingehende
Beachtung ihrer Fundlage und des gesamten Fundmaterials nur großes
Mißtrauen entgegengebracht werden müsse (82), kann nur
beigestimmt werden. Aus dem planierten Bereich zwischen der vierten
und fünften Kirche stammen aus umgelagertem Material einer
Schmiedewerkstatt des 'fortgeschrittenen' 5. Jh., darunter metallene
Altstücke, Münzen des 3. Jh. und des 2. Viertel des 4. Jh.,
die zum Einschmelzen bestimmt waren (66 f.) ein Befund, der mit dem
eines metallverarbeitenden Betriebes auf dem Frauenberg zumindest des
beginnenden 5. Jh. vergleichbar ist.
Hierauf folgt der große
Fund-Komplex der keramischen Produkte: "Kaiserzeitliche
Sigillaten" (84 f.); "Spätantike Afrikanische
Sigillaten" und deren Imitationen (85 - 99); "Late Roman C
Ware" (99 ff.); "Nordafrikanische Lampen und Imitationen",
deren Einordnung und Vergleich mit dem Münzspektrum (101 - 117),
Laufzeitdiagrammen und Verbreitungskarten (Abb. 52 - 59);
"Spätrömische glasierte Ware" (117 - 130). Die
Verf. verweist unter Kapitel 6.5. "Spätantike Grobkeramik"
(130 - 159) zu Recht auf fehlendes monographisch zu publizierendes
Fundmaterial mancher in Österreich gelegener binnennorischer
spätantiker Höhensiedlungen. Nach dem Vergleich mit
Gefäßkeramik anderer Fundorte (Invillino, Lavant, Duel,
Kappele mit unterschiedlicher Typologisierung des Materials durch die
Bearbeiter und dessen regionale Eigenheiten) erstellte L. eine
autarke Formaltypologie. Diese wenig voreingenommene Vorgangsweise,
besonders bei modern gegrabener, daher stratifizierter und
chronologisch einordenbarer Keramik ist äußerst
begrüßenswert. Die großteils aus lokaler Herstellung
lokal gewonnener Tone stammende Keramik, grundsätzlich
eingeteilt in Töpfe und Schüsseln mit Varianten und Deckel,
wird in eine scheibengefertigte Ware des 5. Jh., deren Formen sich
bis in das 6. Jh. weiterentwickeln können, und freihändig
gefertigte Keramik der zweiten Hälfte des 6. Jh., die nicht mehr
im Töpferofen gebrannt wurde, gegliedert. Diese auffallende
Veränderung in der Herstellungstechnik geht nach L. mit einer
wirtschaftlichen Verschlechterung einher. Wenn auch eine Typologie
anhand von Zeichnungen vom Betrachter her nicht immer bedingungslos
nachvollzogen werden kann, soll sie Anregung zu einem intensiven
Kolloqium unter Kollegen bieten, nicht aber in einer Rezension
kritisiert werden. Die gelegentlich nicht ganz einsichtigen
Datierungen der Grobkeramik scheinen sich nach Meinung der Rez.
letztlich auf den zeitlichen Ansatz der Kirchenbauten zu beziehen.
Diese Keramikgattung zeigt jedenfalls in Gestalt und Dekor, wie in
Bodenmarken enge Parallelen zu dem der Rez. vertrauten Dueler
Material.
Die slawische Keramik (159 -
164), bestehend aus Töpfen, gehört der Nachnutzungsphase
der beiden westlichen Kirchen an. Sie ist freihändig gefertigt.
Ein Keramiktyp schließt formal und dekorativ an das 6. Jh. an,
der andere gehört den Töpfen des Prager Typus an. Auch der
Wall auf dem Hemmaberg ist frühmittelalterlich, was von größter
Bedeutung für die Geschichte der spätantiken
Höhensiedlungen in Kärnten ist; ähnliches wurde von
der Rez. bereits für den Duel vermutet. Die Amphoren (164 - 169) sind
die letzten Vertreter der Gefäßkeramik. Die Fibeln (169 - 179)
stammen vorwiegend aus den Planierstraten für die beiden Kirchen
und den Bereich zwischen ihnen. Sie gehörten der umgelagerten
Schicht der Schmiedewerkstatt an, woraus sich eine Anzahl an
kaiserzeitlichen Fibeln als Altstücke erklären läßt.
Eine Hahnenfibel mit zugehörigem Model wurde lokal erzeugt. Die
Fibeln umfassen einen Zeitraum vom 1. Jh. n. Chr. bis zum früheren
6. Jh.
Unter 6.9. werden Funde aus
Glas angeführt (179 - 185). Neben spätantiken, aber
auch früheren Glasgefäßen fanden sich Lampen aus Glas
und Fensterglas, die zur Ausstattung der Kirchen gehörten.
Gesondert in einer Mappe sind dem Buch acht Planbeilagen beigegeben. Sie zeigen eine steingerechte Aufnahme der westlichen Doppelkirchenanlage, Aufnahmen von fünf Schnitten durch die vierte Kirche und von zwei Schnitten durch die fünfte Kirche.
Diese akribische, detailreiche und weitgespannte Publikation stellt einen überaus wichtigen Beitrag zur Spätantike-Forschung dar. Alle, die damit beschäftigt sind, werden sich mit ihr auseinandersetzen müssen.
Ulla Steinklauber, Graz