Frank Kolb: Herrscherideologie in der Spätantike. Berlin: Akademie Verlag 2001 (Studienbücher Geschichte und Kultur der Alten Welt). 274 S. 48 Abb. DM 39,-- ISBN 3-05-003434-7

 

Die Herrscherideologie in der Spätantike ist nicht nur ein Thema, das für eine ganze Reihe von Einzeldisziplinen der Altertumswissenschaft relevant ist, sondern von dem aus auch die Linien zurück in den Hellenismus und nach vorne in das byzantinische und lateinische Mittelalter zu ziehen sind. „Herrscherideologie“ wird dabei verstanden „als ein System von Ideen, Wertvorstellungen, Insignien und Zeremonien, welche die Existenz und das Handeln des Kaisers als Lenkers des Imperium Romanum legitimieren und damit zugleich den Zusammenhalt des Reiches gewährleisten sollten“ (22). In der Spätantike sieht Kolb „den Höhepunkt einer viel­hundert­jährigen Entwicklung“ (139). Eine neue Gesamtdarstellung darf daher der Aufmerksamkeit nicht nur der Althistoriker, Epigraphiker und Numismatiker, sondern auch der Archäologen und Philologen sicher sein.

 

Im Gegensatz zu anderen Darstellungen, die entweder besonders die Voraussetzungen (Alföldi) oder die Weiterwirkung (Treitinger) betont haben oder die ein eher statisches Bild zeichnen (Mause), betont Kolb die Entwicklung von Diokletian bis in die Zeit Iustinians und vermittelt so einen Eindruck von der Dynamik und von Experimenten in der Darstellung und Selbstdarstellung der Herrscher, die zu einer aufregenden Lektüre wird und die Studierende nicht nur der Alten Geschichte — und für solche ist die Reihe ja gedacht — sehr wohl für das Studium der Spätantike zu motivieren vermag.

 

Wie in der Reihe üblich, ist der Text nach Darstellung und Materialien geteilt. Die Darstellung gliedert sich in die Epoche der Tetrarchie, die Zeit Konstantins und die nachkosntantinische Entwicklung. Sie stützt sich in gleicher Weise auf archäologische und numismatische Denkmäler wie auf die Zeugnisse der Panegyriker und Historiker, während andere Autoren nur gelegentlich heran­gezogen werden. In der Darstellung der Tetrarchie gilt das besondere Augenmerk zunächst der Kaiserwahl und der Vorstellung vom göttlichen Ursprung der kaiserlichen Gewalt, dem Verhältnis der Augusti und Caesares untereinander sowie dem höfischen Zeremoniell. In der seit Alföldi lebhaft geführten Diskussion, ausgehend von Ammianus 15,5,18, nach den Ursprüngen des seit Diokletian etablierten Rituals der Adoration, vertritt Kolb die Auffassung, Diokletian habe, wie auch bei der Herrscherproklamation (27), „vorhandene Entwicklungen zusammengefaßt und formalisiert und so erst ein wirkliches Zeremoniell geschaffen“ (40). Dabei wird, mit Alföldi, richtig gesehen, daß die „sakrale Überhöhung des römischen Princeps“ ihre Wurzeln in der späten Republik bzw. in hellenistischen Traditionen hat (36). Gleichwohl werden diese Wurzeln in der weiteren Darstellung nur sporadisch erwähnt, auch dort, wo sie etwa in Begriffen wie pius besonders traditionell sind. Die in diesem Zusammenhang vorgetragene Polemik gegen Clauss (36 Anm. 43) bleibt in ihrer Kürze gerade auch für den Studierenden nicht nachvollziehbar, wie überhaupt in der Diskussion anderer Forschungsmeinungen ein gewisser Rigorismus zu beobachten ist (z. B. 97 gegen Papst). In Hinblick auf die vor Diokletian epidemischen Usurpationen vertritt Kolb die These, daß durch die Etablierung der domus divina und damit der „Herrschaft von Gottessöhnen“ Usurpation zu einem Sakrileg wurde (37), mithin die sakrale Überhöhung des Kaisertums der Machtsicherung gedient habe. Da jedoch auch in der Folgezeit Usurpationen nicht ausblieben, wird mit dieser „theologischen“ Erklärung die realpolitische Situation offensichtlich nicht hinreichend erfaßt, während die tatsächliche Präsenz von vier in der domus divina verbundenen Herrschern in der Tat eine Machtgarantie bedeutete. Im Zusammenhang mit dem Hofzeremoniell wird auch die Palastarchitektur besprochen, wobei die tetrarchische Residenz von Gamzigrad wohl erstmalig einem größeren Leserkreis bekanntgemacht werden dürfte. Wichtig für die Ubiquität der Herrscher war neben der realen Präsenz die Präsentation im Herrscherbild (46ff.), wobei die besonders wirksame der Münzdarstellungen allerdings erst 109ff. für die nachkonstantinische Zeit thematisiert wird. Unter den Herrscherinsignien ist der Globus gerade unter dem Aspekt des Weiterwirkens bestimmter Elemente im Mittelalter von besonderem Interesse. Leider wird diese Linie auch im Zusammenhang der nachkonstantinischen Zeit (115f.) nicht weiter verfolgt, während dagegen für die Kaiserkrönung wenigstens die Entwicklung in byzantinischer Zeit angedeutet wird (101f.).

 

Für die konstantinische Zeit wird zunächst die bemerkenswerte Tatsache hervorgehoben, daß in einer Augustus- und Alexandernachfolge die äußere Schönheit des Herrschers in den Darstellungen herausgearbeitet wird (61) und Konstantin anfänglich die Nähe zu Sol-Apollon sucht (63ff.). Überzeugend ist im Vergleich mit Paneg. 12,25,4 die Deutung der Inschrift auf dem Konstantins-Bogen: Der instinctus divinitatis ist die Konstantin selbst innewohnende göttliche Wirkkraft (65). Den Neuerungen Konstantins bei Titulatur und Insignien ist ein eigenes Kapitel gewidmet, wobei auch der „Exprimentiercharakter der konstantinischen Herrschaftssymbolik“ (77) gerade bei der Frage der Kopfbedeckung hervorgehoben wird. Zukunftsweisend ist auch die Einführung des Thronsessels (79ff.). Die Neugründung Konstantinopels wird als „Akt herrscherlicher Selbstdarstellung“ verstanden, die Anlage „ist auf das Zeremoniell öffentlicher Auftritte des Kaisers vor dem Volk ausgerichtet“ (81). Weiterentwickelt wurde ebenfalls das neuartige Herrscherporträt, zunächst durch Licinius, während Konstantin bis 324 sich als novus Augustus, danach als novus Alexander darstellen ließ (84f.). Schließlich ist er es aber, „der den typos hieros, die ‚Ikone‘ des spätantiken und mittelalterlichen Herrscherbildes, geschaffen hat“ (110).

 

Für die nachkonstantinische Zeit ist Kolbs Beobachtung von Bedeutung, daß sich das Eindringen genuin christlicher Elemente in das Proklamationsritual ebenso wie in das äußere Erscheinungsbild des Herrschers und in das kaiserliche Zeremoniell relativ langsam vollzog (91). Die Zeremonie der Kaiserkrönung bahnt sich an durch Kirchenbesuch und Aufsetzen der Krone durch den Patriarchen nach dem Besuch, bis schließlich die geistliche Krönung „die Verbindung des Kaisers mit Gott absegnet“ (101). Wichtige Erkenntnisse für die Interpretation der Texte wie der Münzen und Denkmäler der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts bietet das Kapitel über „Kaiserkollegien und ihre Hierarchisierung“ (102–109). Bei der Besprechung der Zeit des Theodosius und der Theodosius-Söhne vermißt man gerade als Philologe die Auswertung Claudians, aus dessen Panegyriken sich wertvolle Aufschlüsse über die Erwartungshaltung der zeitgenössischen Zuhörer und Leser gewinnen ließe, auch wenn Kolb einleitend eine Untersuchung über „das Hofzeremoniell in seinem Wechselspiel mit einer sich etablierenden und wandelnden Hofgesellschaft“ ausgeschlossen hat (23).  Auch für die wiederholt angesprochene Alexander-Nachfolge bietet Claudian wertvolle Aussagen. Im übrigen bedarf der ganze Komplex der spätantiken Alexander-Imitatio dringend einer eindringlichen und umfassenden Darstellung.

 

Der Material-Teil ist bestimmt durch archäologische und numismatische, weniger durch epigraphische und literarische Zeugnisse. In den teilweise sehr ausführlichen und eindringlichen Interpretationen auch weniger bekannter Denkmäler wie des Palastes von Gamzigrad oder des Kultheiligtums von Luxor werden jedoch lediglich die Schlüsselbegriffe auch in der lateinischen oder griechischen Form vorgeführt. Eine konsequent zweisprachige Darbietung der Texte hätte nur wenig mehr Platz beansprucht (überschlägig maximal sieben Seiten), und es würde nicht der Eindruck entstehen, das Studium der Alten Geschichte ließe sich sprachlich wie in der Medizin künftig mit einem Terminologiekurs bewältigen. Außerdem wären die Übersetzungen sofort nachprüfbar. Wegen der Kleinheit einiger Abbildungen ist die Interpretation nicht immer nachzuvollziehen; das gilt besonders für die Tetrarchengruppe von San Marco (M 3a). Einige handwerkliche Defizite wie Lücken im Abkürzungsverzeichnis und Register und Ungenauigkeiten bei den Literaturangaben lassen sich bei einer wünschenswerten Neuauflage unschwer beheben.

 

Zusammenfassung: Frank Kolb hat ein Studienbuch vorgelegt, das wegen seiner umfassenden und materialreichen Darstellung wie auch durch die Interpretation der Denkmäler einen höchst informativen und anregenden Beitrag zur Begegnung mit einem zentralen Thema der Spätantike bietet. Als Desiderat bleibt eine stärkere Berücksichtigung der Literatur des vierten und fünften Jahrhunderts und eine deutlichere Verknüpfung mit dem Frühmittelalter, damit die von den Herausgebern im Vorwort postulierte Zielsetzung einer Ausrichtung der Reihe unter dem Aspekt der Wirkung der Antike auf Europa auch eingelöst wird.

 

Joachim Gruber, Erlangen-München