Manfred Clauss: Kaiser und Gott. Herrscherkult im römischen Reich, Stuttgart und Leipzig: Saur 1999, 597 S. DM 168. ISBN 3-598-77444-3
Manfred Clauss (C.) untersucht in seiner großangelegten
Monographie den römischen Kaiserkult in chronologischer und systematischer Perspektive.
Er stellt die epigraphischen, literarischen und archäologischen Quellen zu der Thematik
sehr viel ausführlicher dar, als in früheren Studien geschehen, sieht aber in einer
umfassenden Präsentation des Materials keineswegs sein Hauptanliegen. Seine Intention ist
es vielmehr, zu einem neuen Verständnis des römischen Kaiserkultes zu verhelfen. Die
zentrale These seines Werkes faßt er kurz und prononciert bereits im Einleitungssatz
zusammen: Der römische Kaiser war Gottheit. Er
war dies von Anfang an, seit Caesar und Augustus, er war es zu Lebzeiten, er war es auch
im Westen des Reiches, in Italien, in Rom (17).
Den Schwerpunkt seiner Untersuchung legt C. auf die Erforschung
des Kaiser- bzw. Herrscherkultes - er verwendet die Begriffe synonym - im Westen des
Reiches. Diese Eingrenzung begründet er, wie der einleitende Satz bereits ahnen läßt,
weniger mit konzeptionellen Überlegungen, beispielsweise mit möglichen Unterschieden
zwischen den Reichsteilen, als vielmehr mit Rücksicht auf die Forschungslage.[1]
Die Konzentration auf den Westen spiegelt sich allerdings vornehmlich in der Auswahl der
Quellen wider. Seine inhaltlichen Aussagen erstrecken sich dagegen häufig auch auf den
Osten.
In einer dezidierten Auseinandersetzung mit den bislang
vorliegenden Studien zum Kaiserkult im Westen macht er zahlreiche konzeptionelle wie
methodische Probleme aus: So konstatiert er, daß viele Gelehrte sich mit der Thematik
deshalb schwer täten, weil sie sich mehr oder weniger bewußt von christlichen
Gottesvorstellungen leiten ließen. Im besonderen die Tatsache, daß der lebende Kaiser
zugleich als Mensch wie als Gott verstanden werden könne, aber sei aus
christlich-theologischer Perspektive nicht leicht faßbar. Dieser Umstand führt nach C.
dazu, daß vor allem die religiöse Bedeutung des Kaiserkultes speziell im Westen vielfach
unterschätzt und das Phänomen einseitig unter politischen Gesichtspunkten interpretiert
werde. Eine weitere Schwierigkeit in der bisherigen Forschung sieht C. darin, daß die
Beschäftigung mit den Differenzen zwischen Ost und West den Forschungsdiskurs sehr stark
prägt. Ganz besonders die These, daß der Kaiserkult sich trefflich in den Kontext der
griechischen Kultur einfüge, etwa in die Konzeption des Gottmenschentums oder die
Tradition der hellenistischen Monarchie, daß er der Mentalität der Römer aber fremd
sei, hat nach C. eine ungenügende Beachtung des Phänomens im Westen nach sich gezogen.
All diese Probleme im Umgang mit dem Kaiserkult in Italien und
den westlichen Provinzen möchte C. mit seiner Interpretation ausräumen. Er zeigt auf,
daß der Kult in seinen vielfältigen Ausprägungen auch in diesen Regionen während des
gesamten Prinzipats eine starke Verbreitung aufweist. Dieser Tatsache stehen gemäß
seinem Verständnis keine kulturellen Hemmnisse entgegen. Zur Begründung verweist C. auf
den Umstand, daß griechisch-hellenistische Vorstellungen vom politischen Gottmenschentum
bereits seit der Zeit des Scipio Africanus in Rom verbreitet und vor allem in der plebs schnell auf große Zustimmung gestoßen sind.
Ebensowenig sieht C. entscheidende politische Hinderungsgründe
für die Ausbreitung des Kaiserkultes im Westen, nicht einmal für die Ära des Augustus.
Nach seiner Auffassung ist der princeps zu
keiner Zeit lediglich primus inter pares,
sondern hebt sich in allen Phasen deutlich von den anderen Mitgliedern der
Senatsaristokratie ab. Dieses hat nach C. ganz wesentlich mit seiner wie seines Vaters
kultischer Verehrung zu tun: Die eigene Verehrung verleiht ihm ein Charisma, das keinem
seiner Standesgenossen zugeschrieben wird, die Konse-kration und Divinisierung seines
Vorgängers verschafft seiner Dynastie überdies eine religiöse Legitimation. Trotz
mancher kritischer Aussagen in den literarischen Zeugnissen sieht C. selbst in der
Führungsschicht keine grundlegenden Bedenken gegen die kultische Verehrung des Kaisers.
Zudem gibt er zu bedenken, daß der Kaiser nicht allein auf die Akzeptanz des ordo senatorius angewiesen ist. Vor allem die
Zustimmung der hauptstädtischen Bevölkerung und der Angehörigen des Heeres ist
ebenfalls von entscheidender Bedeutung. Diese beiden Gruppen aber stehen dem Kaiserkult
bereits in frühen Phasen sehr positiv gegenüber.
Schließlich betont C. nachdrücklich, daß der Kaiserkult im
Westen nicht ausschließlich unter politischen Gesichtspunkten als ein Instrument zur
Sicherung der Herrschaft zu verstehen ist, sondern zugleich eine religiöse Konnotation
aufweist. Eine klare Trennung zwischen beiden Ebenen scheint ihm überdies nicht
praktikabel. So weist er zu Recht darauf hin, daß es sich in den meisten Fällen nicht
entscheiden läßt, ob ein Bürger aus religiösem Bedürfnis oder aus politischer
Loyalität am Kaiserkult teilnimmt.
Die
zentrale Bedeutung des Kaiserkultes sieht C. in der Integration aller Bürger des Imperium
Romanum. Für viele wird das Reich vor allem im Kaiserkult als Bezugspunkt faßbar. Auch
diese primär politische Funktion ist nicht ohne religiöse Momente denkbar:
Gemeinsamkeiten der Reichsbewohner in der kultischen Praxis sowie verbreitete Erwartungen
an den Kaiser als soter und euergetes, die er aufgrund seiner göttlichen
Qualitäten in besonderem Maße erfüllen kann, stellen eine wesentliche Grundlage dafür
dar.
Schlußendlich
nimmt C. auch das Verhältnis zwischen Kaiserkult und Christentum in den Blick.
Grundsätzlich teilt er mit vielen Forschern die Auffassung, daß die Assimilation des
Christentums im Römischen Reich bereits in der Prinzipatszeit schneller voranschreitet
und von vielen Christen bei weitem weniger als Problem reflektiert wird, als es so manche
Aussage besonders einiger lateinischer Kirchenväter vermuten läßt. Auch C. streicht
heraus, daß viele Christen an paganen Praktiken festhalten, ohne darin einen Widerspruch
zu ihrem Christsein zu sehen. Zum römischen Staat haben die meisten überdies
mittlerweile ein positives Verhältnis entwickelt. Manche Christen scheuen im zweiten und
dritten Jahrhundert auch nicht die Konfrontation mit dem Kaiserkult, indem sie sich trotz
der Warnungen einiger Bischöfe entscheiden, zivile Ämter zu übernehmen oder ins Heer
einzutreten. C. referiert dazu die verschiedenen Möglichkeiten, sich als Christ mit dem
Kaiserkult zu arrangieren.
Mit
der Konstantinischen Wende schließlich kommt es nach C. zu keinem radikalen
Bruch mit den bisherigen Formen der Kaiserverehrung. Er verweist auf die zahlreichen
Beispiele paganer Kulte und nennt die Relikte des Kaiserkultes: Rechtmäßige Kaiser
werden weiterhin divinisiert, die Konsekration des verstorbenen Kaisers dient noch immer
der Legitimation des Nachfolgers. Kaiser werden auch künftig gelegentlich als divi bezeichnet. Zeugnisse für provinziale
Kaiserkulte mit entsprechendem Priestertum macht C. sogar bis ins fünfte Jahrhundert
hinein aus. Etwa am Beispiel der Zusammenhänge zwischen Apotheose und Himmelfahrt geht er
auch kurz darauf ein, wie heidnische Elemente unter christlichem Einfluß umgestaltet und
neu gedeutet werden können. Zu dieser Thematik könnte man sich allerdings noch etwas
weitergehende Ausführungen wünschen, die ihren Schwerpukt nicht so sehr auf den Aspekt
des Fortlebens paganer Traditionen an sich legen, sondern stärker die Synkretismen
christlicher und heidnischer Elemente herausstellen und interpretieren.
Die
Untersuchung scheint mir aus verschiedenen Gründen wichtig und nützlich: Sie beleuchtet,
auf welch vielfältige Weise der römische Kaiserkult mit seinem politischen, sozialen und
kulturellen Kontext im Römischen Reich verknüpft ist. Sie bietet zahlreiche informative
Detailinterpretationen sowie einen außerordentlich guten Überblick über das
Quellenmaterial. In methodischer Hinsicht warnt sie, sich allzu schnell von
grundsätzlichen konzeptionellen Überlegungen und Systematisierungsbestrebungen leiten zu
lassen, durch die man sich den Blick auf wichtige Fakten verstellen kann. C. gelangt zu
seinen Ergebnissen gerade aufgrund der Tatsache, daß er sich von derartigen Konzepten
distanziert und damit eine größere Sensibilität für die Vielschichtigkeit und Vielfalt
des Untersuchungsgegenstandes zu entwickeln vermag als mancher andere. Auch wer C. nicht
in allen Punkten uneingeschränkt folgen möchte etwa in seinen Überlegungen zur
Relation von Ost und West oder zum Verhältnis von Kaiserkult und Christentum ,
findet in seinem Werk in jedem Fall zahlreiche höchst interessante Anregungen zum
Weiterdenken.
Zusammenfassung:
C. hat eine umfassende Studie über den römischen Kaiserkult im Westen des Reiches
vorgelegt, die in vieler Hinsicht auch für den Osten aufschlußreich ist. Er bietet einen
vorzüglichen Überblick über das Quellenmaterial vor allem für den Westen. Auch unter
methodischen und inhaltlichen Gesichtspunkten ist das Werk sehr anregend.
Karen
Piepenbrink, Mannheim [1]
Nach den Studien von Price, die sich mit dem Kaiserkult im Osten beschäftigen [S. Price,
Gods and Emperors: The Greek Language of the Roman Imperial Cult, in: JHS 104 (1984) 79-95
sowie ders., Rituals and Power. The Roman Imperial Cult in Asia Minor, Cambridge 1984]
hält er die Untersuchung des Westens für ein größeres Desiderat.
karen.piepenbrink@phil.uni-mannheim.de
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