Alessandro Cristofori
/ Carla Salvaterra / Ulrich Schmitzer (Hgg.): La rete di Arachne Arachnes Netz.
Beiträge zu Antike, EDV und Internet im Rahmen des Projekts "Telemachos"
Contributi su nuove tecnologie, didattica ed antichità classica nellambito del
progetto "Telemaco", Stuttgart: Steiner, 2000 (Palingenesia 71). 281 S. DM 88,00. ISBN 3-515-07821-5.
Der
vorliegende Sammelband, der aus dem in Bologna und Erlangen betriebenen und von der
Europäischen Union geförderten Telemaco/Telemachos-Projekt (TELEdidattica e
Multimedialità per le Antichità Classiche ed Orientali bzw. TELEdidaktik und
Multimediaverwendung auf dem Gebiet des Klassischen Altertums, des frühen Christentums,
des Alten Orients und der Spätantike) hervorgegangen ist, unternimmt einen ersten
Versuch, gemeinsame europäische Formen für die Auseinandersetzung mit der Antike und
ihrem Erbe sowie Möglichkeiten zu deren Umsetzung in Forschung und Lehre zu finden. Die
Internationalität des behandelten Mediums spiegelt sich auch in den 16 Beiträgen in
fünf verschiedenen Sprachen (Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch)
wider, in denen sich 19 Autoren aus sechs verschiedenen europäischen Staaten sowie einer
aus den USA aus unterschiedlichen Perspektiven der Frage des Einsatzes moderner
elektronischer Medien in der Didaktik der alten Sprachen, den Altertumswissenschaften und
einigen Nachbardisziplinen nähern. Kritisch werden die Möglichkeiten, die Internet,
E-Mail, Lernprogramme, Datenbanken und interaktive CD-ROMs bieten, untersucht.
Neben sehr
speziellen Artikeln, die konkrete Projekte und Erfahrungen aus Forschung und Unterricht
vorstellen, finden sich auch Grundsatzreferate international anerkannter Forscher, die die
große Bandbreite der aktuellen Bemühungen auf diesem Gebiet deutlich machen. Der Leser
erhält wertvolle Einblicke in die Situation der Altphilologie und des altsprachlichen
Unterrichts in verschiedenen europäischen Ländern und deren Haltung zum Einsatz moderner
Medien.
In
sachlicher Form und auch nicht ohne die nötige Kritik werden in einigen Beiträgen die
Vorteile der Integration des Computers in den Latein- und Griechischunterricht aufgezeigt:
Michael Alperowitz berichtet in seinem Artikel "Midas and the Golden Touch" (S.
13-30) von einem Projekt, das die Entwicklung multimedialer Unterrichtsmaterialien zu
Ovids Midasgeschichte zum Ziel hatte. Durch eine Visualisierung der
Interpretationsansätze und eine Dynamisierung des lateinischen Textes durch die
Einbindung von Bild- und Tonmedien sowie on- und offline zu benutzenden Links wurden die
Aussagen und Facetten des Textes auf einer interaktiven CD-ROM für die Schüler sichtbar
und begreifbar gemacht. Chantal Bertagna setzt sich in ihrem Aufsatz (S. 31-38) mit dem
Einsatz der neuen Technologien im altsprachlichen Unterricht in Frankreich auseinander.
Den Einsatz multimedialer und interaktiver Techniken im Lateinunterricht aus italienischer
Perspektive beleuchtet Licia Landi (S. 47-56) anhand zweier Projekte, die sich beide in
unterschiedlicher Form mit Catull auseinandersetzten. Wie Alperowitz betont auch Landi den
Umstand, daß dadurch den Schülern der selbständige und kritische Zugang zu den antiken
Texten erleichtert wird, was sich auch positiv auf deren Motivation auswirkt. Eine
kritische Skizze des altsprachlichen Unterrichts in Großbritannien und des didaktischen
Einsatzes von elektronischen Medien zeichnet Julian Morgan in seinem Beitrag
"Computanda Britannica" (S. 101-108). Er stellt einerseits die Schwierigkeiten
dar, vor denen britische Latein- und GriechischlehrerInnen aufgrund der spezifischen
Charakteristika des englischen Schulsystems stehen, und berichtet andererseits von den
Initiativen und Bemühungen, die neuen Medien verstärkt in den Unterricht der alten
Sprachen einzubinden. Daniela Pellacani lotet in ihrem auf Feldforschungen basierenden
Artikel (S. 119-145) die Einsatzmöglichkeiten des Computers im Lateinunterricht aus.
Luigi Salvioni stellt in seinem Beitrag (S. 185-203) eine Reihe von Programmen vor, die im
altsprachlichen Unterricht (Elementar- wie auch Lektüreunterricht) zum Einsatz gebracht
werden können und setzt sich mit der Frage auseinander, welche neuen Möglichkeiten sich
dadurch für die Didaktik eröffnen.
Die
vorgestellten Projekte aus dem schulischen Bereich bieten wertvolle Erfahrungsberichte und
didaktische Anregungen für Lehrer der alten Sprachen. Neben den in diesem
Zusammenhang immer wieder genannten Vorzügen wie dem Aufbrechen von Fächergrenzen und
somit der Förderung interdisziplinären Arbeitens sowie der Bereicherung des Unterrichts
und der Steigerung der Motivation der Schüler durch den EDV-Einsatz im Latein- und
Griechischunterricht erscheint mir vor allem der Aspekt von großer Relevanz, den Chantal
Bertagna in ihrem Beitrag über den Einsatz der neuen Medien im altsprachlichen Unterricht
herausstreicht (S. 37f.): Das Internet mit seiner Vielzahl an internationalen Websites
über die Antike macht es für den Lehrer viel leichter, den Schülern die Bedeutung der
Antike als gemeinsames kulturelles Erbe Europas und einigendes Band begreiflich zu machen,
als das mit den herkömmlichen Unterrichtsmethoden bisher möglich war. Alle Beiträge,
die sich mit diesen didaktischen Fragen befassen, betonen das Nebeneinander von
traditionellem Unterricht und dem gezielten und professionellen Einsatz elektronischer
Medien, die eine große Bereicherung darstellen.
In den
universitären Bereich führt der Beitrag von Paolo Mastandrea, Luca Mondin, Luigi
Tessarolo und Federico Boschetti (S. 69-80), der Initiativen der Universität Venedig
hinsichtlich des Einsatzes elektronischer Medien in der klassischen Philologie vorstellt.
Ähnliche Unternehmungen an der Universität Leuven werden daran anschließend von Alain
Meurant, Jacques Poucet und Jean Schumacher (S. 81-100) präsentiert. Ein Curriculum für
die Einführung von Studenten der Altertumswissenschaften in den Umgang mit der EDV und
ihre Einsatzgebiete (Textverarbeitung, Recherche, Datenbanken) sowie allgemeine
Reflexionen über den sinnvollen und zielgerichteten Einsatz des Computers in der
Auseinandersetzung mit der klassischen Antike präsentiert Camillo Neri (S. 109-117). Den
Einsatz des Internet in altertumswissenschaftlicher Forschung und Lehre an spanischen
Universitäten beleuchtet der Artikel von Pilar Rivero (S. 147-165).
Eine
Ergänzung des europäischen Blickwinkels durch die amerikanische Perspektive bietet Rob
Latousek in seinem Beitrag "The Globalization of Classical Computing" (S.
57-68). Er unterstreicht einerseits die normierende und vereinheitlichende Kraft des
Internet und andererseits die Parallelität der Herausforderungen, vor denen
Altertumswissenschafter auf beiden Seiten des Atlantiks stehen, und betont die große
Bedeutung, die der Zusammenarbeit in diesem Bereich über Sprach- und Staatsgrenzen hinweg
zukommt.
Einen Blick
auf den Umgang der Mediävistik mit dem Medium Internet bietet der Beitrag
"Geschichte und Netz: Das Mittelalter" von Stuart Jenks (S. 39-45). Neben einem
kurzen Streifzug durch die verschiedenen elektronischen Hilfsmittel für Mediävisten
(Datenbanken und E-Texte), die dem Forscher Literaturrecherche und Bibliographieren enorm
erleichtern, sowie der Erörterung des Nutzens elektronischer Kommunikationsmittel für
den wissenschaftlichen Diskurs setzt sich Jenks auch mit der Idee eines kollaborativen
Indizierungssystems auseinander, das seiner Ansicht nach in einer Art von
"interaktiver Beschlagwortung" der Internetressourcen durch die Webuser bestehen
sollte, um so ein gezielteres Auffinden von Websites zu ermöglichen, als dies bislang
über die herkömmlichen Suchmaschinen möglich ist. Ein derartiger Ansatz ist m. E.
jedoch (wenn überhaupt) nur dann sinnvoll, wenn der User nicht ganz nach eigenem
Gutdünken Schlagworte vergeben kann, sondern nur aus einem vorgegebenen und möglichst an
den Normen bibliothekarischer Beschlagwortung (Schlagwortnormdatei) orientierten Thesaurus
(z.B. in Form von Pull-down-Menüs). Denn ansonsten wäre binnen kürzester Zeit das
Schlagwortchaos im Netz perfekt und der von Jenks postulierte Ansatz wiederum ad absurdum
geführt. Außerdem erscheint es mir angesichts immer besser und schneller arbeitender
Suchmaschinen, die bei richtig formulierter Suchanfrage dem Webuser in Sekundenschnelle
eine brauchbare Treffermenge liefern, sehr fraglich, ob derartige Überlegungen überhaupt
noch nötig sind.
Einen
ausgezeichneten Überblick über elektronische Ressourcen in der Papyrologie bietet der
Beitrag von Kai Ruffing (S. 167-183). Er stellt neben einigen guten
"Einstiegsseiten" in die Papyrologie sowie elektronisch zugänglichen
bibliographischen Hilfsmitteln auch eine Reihe von papyrologischen Datenbanken sowie deren
Funktionsweise und Einsatzmöglichkeiten in Forschung und Lehre vor.
Carla
Salvaterra setzt sich in ihrem sehr instruktiven Artikel "Bytes loquuntur?"
(S. 202-232) eingehend mit den Auswirkungen auseinander, die die rasante Entwicklung der
neuen Medien auf die Altertumswissenschaften haben und stellt Reflexionen über die daraus
erwachsenden neuen Herausforderungen und Möglichkeiten des Faches an.
Ulrich
Schmitzer liefert in seinem humorvoll geschriebenen Beitrag (S. 233-263) einen umfassenden
Überblick über die altertumswissenschaftlichen Internet-Ressourcen im deutschsprachigen
Raum, der die ganze Bandbreite des Angebots aufzeigt und dieses einer kritischen Bewertung
unterzieht. Dabei zeigt er nicht nur treffsicher vorhandene Defizite auf, sondern stellt
auch zukunftsweisende Überlegungen hinsichtlich des Einsatzes der neuen elektronischen
Medien an. Völlig zu Recht postuliert er, daß der mittlerweile fast selbstverständliche
Einsatz dieser Technologien im altsprachlichen Unterricht auch für die universitäre
Ausbildung der Lehramtsstudenten Konsequenzen haben muß, und fordert daher die
Einführung verpflichtender Einführungsveranstaltungen für angehende LehrerInnen. Nicht
genügend unterstreichen kann ich sein Statement, daß nur diejenigen, die aktiv an der
Entwicklung der neuen Medien mitarbeiten, auch dazu beitragen können, daß diese in die
richtige Richtung führt.
Im letzten
Beitrag des Bandes setzt sich schließlich Debora Stenta (S. 265-281) mit Einfluß und
Rolle von Videospielen hinsichtlich der Rezeption antiker Geschichte auseinander und
spricht damit einen weiteren Teilbereich des Themas "Antike und moderne Medien"
an, dessen Bedeutung gerade aufgrund starken Popularisierung der Antike durch dieses
Medium nicht unterschätzt werden darf.
Dieser
Sammelband, der bewußt keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt oder gar ein Handbuch
für den Bereich Altertumswissenschaften und Internet sein möchte, zeigt verschiedene
Wege in die virtuelle Welt der modernen elektronischen Medien auf, die bisher von
Altertumswissenschaftern sowie Latein- und Griechischlehrern verschiedener Nationalitäten
beschritten wurden, und gibt Einblick in die dabei gemachten Erfahrungen. Dabei wird dem
Leser in beeindruckender Weise vor Augen geführt, daß das alte Vorurteil, Vertreter
dieser Disziplinen wären weltfremd und technikfeindlich, keine Gültigkeit mehr besitzt
und europaweit eine sehr intensive Auseinandersetzung der Altertumswissenschaften mit den
modernen elektronischen Medien stattfindet, die den internationalen Vergleich mit anderen
Disziplinen nicht scheuen muß. Schwellen- und Berührungsängste hinsichtlich der neuen
Medien sind offenbar auch bei den Altphilologen stark im Sinken begriffen, ein wirklich
erfreuliches und ermutigendes Signal für die Zukunft unseres Faches, das die neuen
Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) nicht als Selbstzweck, sondern als
Mittel zum Zweck entdeckt hat und sich nicht mehr scheut, sich deren Vorteile für die
Vermittlung der Antike zunutze zu machen, ohne deshalb altbewährte wissenschaftliche und
didaktische Methoden des Faches in Frage zu stellen.
Zusammenfassung:
Der vorliegende Band beleuchtet schlaglichtartig ausgewählte Bereiche des Einsatzes
elektronischer Medien in den Altertumswissenschaften und einigen Nachbardisziplinen. Die
Auswahl der Beiträge ist sowohl hinsichtlich ihrer geographischen Streuung als auch
hinsichtlich ihrer fachlichen Bandbreite insgesamt als sehr gelungen zu betrachten. Wer
sich also über den aktuellen Stand verschiedener internationaler IKT-Projekte im Bereich
der Altertumswissenschaften und des altsprachlichen Unterrichts und die
Einsatzmöglichkeiten moderner Medien in unserer Disziplin informieren oder Anregungen
für eigene Projekte finden möchte, wird diesen Band sicher mit großem Gewinn lesen.