Friedhelm Hoffmann, Ägypten: Kultur und Lebenswelt in griechisch-römischer Zeit — Eine Darstellung nach den demotischen Quellen, Berlin 2000 (Studienbücher Geschichte und Kultur der Alten Welt), 355 Seiten, 19 Abbildungen, 3 Karten, 2 Schemata.

Friedhelm Hoffmann hat sich mit diesem Band der dankenswerten, aber nicht ganz einfachen Aufgabe gestellt, einen Überblick über das sehr heterogene und zum Teil noch wenig erschlossene demotische Textmaterial aus griechisch-römischer Zeit zu vermitteln. Sein Ziel ist es, die daraus ablesbare "Kultur und Lebenswelt" der Ägypter verständlich zu machen. Dabei wendet er sich nicht nur an Demotisten, sondern vor allem auch an Kollegen aus anderen Fächern, Studenten und interessierte Laien. Trotzdem verzichtet er nicht auf eine ausreichende Fundierung der eigener Thesen und Übersetzungsvorschläge und verweist nachdrücklich darauf, daß seine Überlegungen lediglich als "Momentaufnahme" des derzeitigen Forschungsstandes aufzufassen sind.

In einer ausführlichen mehrteiligen Einleitung werden zunächst die verschiedenen altägyptischen Schriften (Hieroglyphisch, Hieratisch, Kursivhieratisch, Demotisch und Koptisch) vorgestellt und die zugehörigen ägyptischen und griechischen Termini besprochen. Ein anschließender Überblick veranschaulicht die Entwicklung der demotischen Schrift vom 7. Jh. v. bis ins 5. Jh. n. Chr. sowie ihr sich wandelndes Verhältnis zur demotischen Umgangssprache. Ein weiterer Abschnitt ist den Schreibmaterialien gewidmet, speziell der Verwendung von altägyptischer Schreibbinsen und römischer Schreibfedern auf Papyrus und anderen Schriftträgern. Die letzten beiden Abschnitte der Einleitung beschäftigen sich mit der Entzifferung des Demotischen, der Geschichte der Fachrichtung Demotistik, dem Schriftsystem und seiner Transkription.

Der Hauptteil des Bandes stellt die vom Autor weitgehend neu übersetzten und kommentierten Quellen vor. Diese wurden nach pragmatischen Gesichtspunkten zusammengestellt, die einerseits Textgattungen, andererseits inhaltliche Aspekte berücksichtigen. Die relevanten Fragestellungen und Aussagen jeder Kategorie werden im Einzelnen besprochen und durch Beispiele verdeutlicht. Folgende Themen spielen dabei eine Rolle:

Schulwesen

Behandelt werden die Art und Dauer der Ausbildung durch einen, selten mehrere Lehrmeister, sowie mögliche Spezialisierungen; dabei demonstrieren Beispiele aus der Geschichte vom begabten Schüler Siosiris aus römischer Zeit Aspekte des Ausbildungsverlaufs. Im Anschluß demonstrieren mehrere Beispiele die Vielfalt möglicher Schultexte mit Übungen zur alphabetischer Reihenfolge, zu Schreibvarianten, Wortfeldern, Konjugationen und syntaktischen Gefügen sowie zur Verwendung von Glossen.

Verwaltung

Eingangs wird auf die ungeheure Menge von Verwaltungstexten verwiesen, sowie auf die verschiedenen Möglichkeiten zur Wiederverwendung nicht mehr benötigter Akten durch Neubeschriftung oder Weiterverarbeitung des Materials (z.B. für Mumienkartonnagen). Zwar war in ptolemäischer Zeit die oberste Finanzbehörde griechischsprachig, die unteren Verwaltungsebenen, die sich vor allem mit der Steuereintreibung bei den Untertanen beschäftigten, verwendeten dagegen das Demotische. Grundlage für das Besteuerungssystem waren Zensuslisten, welche die Personenzahl und den Besitz der einzelnen Haushalte verzeichneten und die auf der Basis von Selbstdeklarationen zusammengestellt wurden. Die vorgestellten Beispiele beinhalten eine solche Zensusliste, einen Text, der die Zuständigkeit bestimmter Personen für die Steuereintreibung festschreibt, und eine Steuerquittung.

In römischer Zeit änderte sich die Situation gravierend, und die gesamte Finanzverwaltung wurde nun zentral von Alexandria aus geleitet. An die Stelle der Zensuslisten traten nun regelmäßige Volkszählungen, und es wurden Geburts- und Todesanzeigen eingeführt. Bewirkt werden sollte eine bessere Steuerdisziplin und eine effektivere Ausbeutung des Landes für Rom, die sich in zahlreichen neuen Steuern niederschlug. Im Gegensatz zu den Römern und Griechen unterlagen die Ägypter einer Kopfsteuer, die auch in Form körperlicher Arbeit abgeleistet werden konnte. Durch die zunehmende Verdrängung ägyptischer Beamter aus der Verwaltung änderte sich nun aber auch die Verwendung der Verwaltungssprache auf unterer Ebene, und Demotisch wurde weitgehend durch Griechisch ersetzt. Die angeführten Beispiele zeigen eine Todesanzeige und eine Arbeitsdienstverpflichtung.

Briefe

Unterschieden wird zwischen Briefen mit privaten, behördlichen und literarischen Inhalten, wobei für jede Kategorie ein Beispiel erscheint. Private Briefe sind höchst unterschiedlichen Intentionen unterworfen, das Schreiben selbst besitzt häufig nur bestätigenden Charakter, wird als bekannt vorausgesetzt, und der Inhalt nur sehr vage angedeutet. Somit besteht der größte Teil solcher Briefe meist aus Höflichkeitsformeln und Schutzwünschen. Briefe von Behörden fallen dagegen recht knapp aus und konzentrieren sich auf kurz formulierte, sachorientierte Anweisungen. Briefe an Behörden besitzen eine feste Form und verzichten auf besondere Höflichkeitsbekundungen. Charakteristisch ist, daß schon aus dem Briefkopf hervorgeht, von wem der Brief stammt, an wen er sich richtet und was der Beweggrund für das Schreiben ist. Bei literarischen Briefen schließlich ist die eigentliche Briefform von untergeordneter Bedeutung, da sie nur als Rahmen für die eigentliche Erzählung dient, wie das gewählte Beispiel eines Pseudobriefes, der die Tierfabel von der Schwalbe und dem Meer enthält, zeigt.

Rechtswesen

Das Rechtswesen der griechisch-römischen Zeit war äußerst kompliziert. Es lassen sich in der Ptolemäerzeit allein drei nebeneinander existierenden Rechtssysteme verifizieren: das traditionelle ägyptische Recht, das griechische Stadtrecht und das Verordnungssystem der ptolemäischen Könige; dazu trat in römischer Zeit noch das römische Reichs- und Provinzialrecht. Die letzten demotische Rechtsurkunden stammen aus dem 2. Jh. n. Chr., da später auch in diesem Bereich das Demotische durch Griechisch verdrängt wurde. Als Beispiele werden die zum Teil erhaltene demotische Zivilprozeßordnung aus den 80iger Jahren des 2. Jh. v. Chr. und die Gesetzes- und Vorschriftensammlung des Codex von Hermopolis aus dem 3. Jh. v. Chr. herangezogen. In den erhaltenen Teilen des Codex geht es um Verpachtung und Geldverleih, Unterhaltsregelungen, Besitzstands- und Baugenehmigungsregelungen für Häuser. Die indirekten Quellen, d.h. die Urkunden selbst, besitzen einen formelhaften Aufbau, der aber nach lokalen Traditionen leicht variieren kann. Am Beispiel einer demotischen Verkaufsurkunde werden die einzelnen Abschnitte des Formulars verdeutlicht, wie die Datierungsprotokolle, die Schilderung der Angelegenheit auf der Basis einseitiger Erklärungen, Garantieverweise, Eid und Namensvermerk des Schriftführers. Eine anschließende kurze Zusammenschau der Inhalte von Schreiber- und Zeugenurkunden verdeutlicht die Breite des Spektrum.

Die Form von Prozeßprotokollen wird anhand eines ausführlichen Beispiels aus dem 11. Jahr Ptolemaios‘ VI. vorgestellt. Hierbei geht es um eine Besitzstreitigkeit, und es fällt auf, daß der Text eine ausführliche Urteilsbegründung enthält.

Weitere Beispiele enthalten Tempeleide, Kultvereinssatzungen, Abmachungen zwischen Priestern und Verpflichtungserklärungen.

Wissenschaft

Die hier zusammengetragenen Beispiele vermitteln einen guten Überblick über die Vielfalt wissenschaftlicher Disziplinen, über Methodik, Arbeitsorganisation und Wissensvermittlung. Vor allem die altägyptischen Wurzeln werden betont. Mögliche vorderasiatische und hellenistische Einflüsse sind zwar zu vermuten, werden wegen des großen Traditionsbewußtseins der ägyptischen Wissenschaftler aber nicht vermerkt. Die angeführten Beispiele stammen aus den Bereichen Onomastik und Geographie, Botanik, Pharmakologie und Medizin, Mathematik, Omina und Traumdeutung, Astronomie und Astrologie, Tempelbau und Kultorganisation, Magie sowie Weisheitslehre.

Religion

Vorangestellt wird eine Kurzdefinition ägyptischer Religion als gewachsene National- und Kultreligion. Die vorgestellten Beispiele stammen aus den Bereichen der Hymnen und Gebete, des Tier- und des Totenkultes. Auffällig ist, daß die demotische Schrift einerseits dazu diente, ältere hieroglyphisch geschriebene Texte neu aufzuzeichnen, u.a. um ihre Aussprache zu sichern, andererseits aber auch um neue Texte zu verfassen, in denen die veränderte Weltsicht dieser Zeit deutlich wird. Besonders nachdrücklich zeigt dies ein demotisches Gebet, das Isis analog zu den griechischen Aretalogien als Universalgöttin versteht. Für den Bereich des Totenkultes werden nicht nur Beispiele von Stelen und Totenbüchern herangezogen, sondern auch Sargaufschriften und Mumienetiketten. Als zusätzliche Information ist eine Statistik beigefügt, welche den Altersaufbau der Bevölkerung nach Mumienetiketten aus römischer Zeit verzeichnet.

Ptolemäische Synodaldekrete

Von hohem historischen Aussagewert sind die Synodaldekrete, die in der 2. Hälfte des 3. Jh. v. Chr. zwischen dem ptolemäischen König und den ägyptischen Priestern einmal im Jahr ausgehandelt wurden. Dabei ging es nicht nur um die Kult- und Tempelorganisation, sondern auch um Finanzregelungen, Rechte und Privilegien der Priesterschaft sowie die Anerkennung des Königs durch den ägyptischen Klerus. Meist wurden diese Texte in Hieroglyphisch, Demotisch und Griechisch niedergeschrieben, um so ihren allumfassenden Verbindlichkeitsgrad zu erhöhen. Vorgestellt werden das Kanopusdekret Ptolemaios’ III. (Anlaß: Rückholung der durch die Perser geraubten Götterbilder sowie Einfuhr ausländischen Getreides zur Linderung einer Hungersnot), das Raphiadekret Ptolemaios’ IV. (Anlaß: Sieg des Königs über Antiochos III.), das Rosettadekret Ptolemaios’ V. (Anlaß: Legitimierung des neuen Herrschers durch die ägyptischen Priester angesichts der Aufstände in der Thebais), das zweite Philädekret des gleichen Königs (Anlaß: Sieg des Königs über seinen ägyptischen Gegenspieler Chaonnophris) und das erste Philädekret Ptolemaios’ V. (Anlaß: Sicherung der Kulte, sowohl für die vergöttlichten Ahnen des Herrschers als auch für die ägyptischen Götter).

Prophezeihungen

Bei dieser Textkategorie handelt es sich vorwiegend um Schriften, die einerseits historische Ereignisse reflektieren, andererseits Erwartungen und Befürchtungen formulieren, ohne jedoch eine konkrete Personalisierung vorzunehmen. Vier demotische Texte werden hier vorgestellt. Die "Demotische Chronik" aus der frühen Ptolemäerzeit besteht aus einem historischen Rückblick auf die 28. — 30. Dynastie, und einem prophetischen Teil, der von einem (ägyptischen) Mann aus Herakleopolis berichtet, der nach den Persern und Griechen Ägyptens Herrscher werden würde. Die Fragmente vom "Lamm des Bokchoris" aus dem Jahr 4. n. Chr. enthalten eine apokalyptische Prophezeiung, ebenso wie die Fragmente des griechisch verfaßten, laut Kolophon aus dem Demotischen übersetzten "Töpferorakels" aus den 2. und 3. Jh. n. Chr. Etwas anders sind die Weissagungen des Hor zu verstehen, dessen Archiv im Serapeum von Memphis gefunden wurde. Seine Prophezeihungen basierten auf Offenbarungen, die ihm im Traum gesandt wurden, und von denen einige auch historische Ereignisse betrafen.

Erzählungen

Hier ergibt sich ein sehr heterogenes Bild. Vor allem werden Texte herangezogen, die in Zusammenhang mit historischen Ereignissen stehen, wobei Hoffmann darauf verweist, daß sie nicht als Geschichtsschreibung mißzuverstehen sind, da sie in erster Linie der Unterhaltung dienten. Als Beispiele werden die Erzählung von "König Amasis und dem Schiffer", die Inaros-Petubastis-Texte, weitere Erzählungen über Könige (z.B. über einen Kriegszug des Königs Djoser), Zaubergeschichten sowie der "Mythos vom Sonnenauge" präsentiert. Hierbei sollte allerdings erwogen werden in wie weit hierbei auch Aspekte der Belehrung eine Rolle spielen.

Spruchsammlungen und Invektiven

Als eine der wichtigsten literarischen Kategorien werden die ägyptischen Lebenslehren vorgestellt. Als Beispiele dienen die Lehre des Anchscheschonqi, die aus zahlreichen "locker assoziierten" Sprüchen besteht, und die eher thematisch gegliederte Lehre des Papyrus Insinger. Beide Texte werden auszugsweise wiedergegeben.

Für die Kategorie der Spottgedichte stellt Hoffmann zwei Texte vor, einen Auszug aus einer noch unedierten Komposition, die sich u.a. mit dem ungezügelten Essen und Trinken beschäftigt, und das Gedicht über den verkommenen Harfenspieler.

Graffiti

Dem breiten Spektrum der Graffiti wird der letzte große Abschnitt gewidmet. Dabei werden zuerst Gebete und andere kürzere Sprüche vorgestellt, dann kurze Inschriften aus der römischen Zeit und aus dem meroitischen Kulturhorizont, sowie die letzten Texte in demotischer Schrift aus dem 4. und 5. Jh. n. Chr. Hierbei geht es weniger um die Heterogenität des Materials, als um die Veränderung der demotischen Schrift und Sprache im Laufe der Jahrhunderte ihres Bestehens.

Anhang

Besonders nützlich ist der über 100 Seiten umfassende Anhang. Er besteht aus einer sehr ausführlichen Literaturliste, die eingangs allgemeine, weiterführende Werke nennt und anschließend die spezifischeren Publikationen zu den einzelnen Kapiteln.

Ein kurzes, für den ägyptologischen Laien in seinen Erklärungen vielleicht etwas zu stichwortartig ausgefallenes Glossar stellt die wichtigsten Fachtermini vor. Eine ausführliche Zeittafel nennt die notwendigen Daten und Fakten (Zeitrahmen: 3180 v. — 642 n. Chr., Schwerpunkt: 4. Jh. v. — 4. Jh. n. Chr.). Abschließend folgen ein Namensregister, eine sehr nützliche ägyptisch — griechische Namenskonkordanz, eine Auflistung der geographischen Bezeichnungen, eine Zusammenstellung der verwendeten Textstellen sowie ein sehr ausführliches Sachregister.

Mit Hilfe zweier Stammbäume wird die Genealogie der Ptolemäer schematisch verdeutlicht und auf drei Karten der südöstliche Mittelmeerraum mit Unterägypten, Oberägypten und Unternubien sowie ganz Nubien im Überblick dargestellt.

Abschließend kann man dem Autor nachdrücklich bescheinigen, daß er zweifellose seinem Ziel gedient hat, dazu beizutragen, "daß die Bedeutung der demotischen Texte besser wahrgenommen und die Erträge der demotischen Forschung stärker rezipiert werden". Sein gut strukturiertes, verständlich geschriebenes Studienbuch vermittelt einen hervorragenden Überblick über die Vielfalt des derzeitig vorliegenden Textmaterials und die dahinterstehende "Lebenswelt" der Ägypter. Außerdem weckt es gerade durch die nahe am Text gewählte Form der Übersetzung ein besseres Verständnis für die Aussagekraft und verdeutlicht die notwendige Vorsicht bei der weiterreichenden Interpretation im intra- wie interdisziplinären Bereich. Demzufolge kann der Band vorn Friedhelm Hoffmann nicht nur Ägyptologen, sondern auch allen an der ägyptischen wie der klassischen Antike Interessierten nachhaltig empfohlen werden.

Regine Schulz (München)