Die Verfasserin sieht Heliodors Gottesauffassung in Zusammenhang mit den religiösen Reformen des Kaisers Julian und hält den Roman für eine volkstümliche Propagandaschrift, welche die Bemühungen des Kaisers um die Wiederherstellung des heidnischen Glaubens unter Vorrangstellung von Helios populär machen will.
Schon beim Durchblättern der Arbeit fällt auf, daß B.
außer zu Datierungsfragen fast keine Spezialliteratur zum Roman beizieht
und die Erträge der Heliodorforschung nicht berücksichtigt. Erklärbar
wird das Vorgehen beim Blick auf ihre Biographie. Zu bewundern ist, daß
die Autorin noch an ihrem Lebensabend nach Beendigung ihrer ärztlichen
Betätigung Klassische Philologie studiert und mit der Magisterprüfung
und Promotion abgeschlossen hat.
Ziel der Arbeit ist es, die spezielle Gottesauffassung Heliodors zu
beschreiben und zu den religiösen und politischen Strömungen
ihrer Entstehungszeit in Beziehung zu setzen (14). Nach Maßgabe des
rein deskriptiven Verfahrens ist das Ergebnis schlüssig. Doch darf
bezweifelt werden, daß diese Methode dem Thema adäquat ist und
zu einem wissenschaftlich fundierten Resultat führen kann.
Ausgangspunkt ist die Datierung des Romans. Im 1. Kapitel (17-49) wägt
B. die Argumente ab, auf die sich Frühdatierer (3. Jh. n. Chr.) und
Spätdatierer (4. Jh. n. Chr.) stützen. Sie schließt sich
der Ansicht an, Heliodor habe Schriften von Kaiser Julian benutzt, und
stimmt damit der Datierung des Romans in die 2. Hälfte des 4. Jhs.
n. Chr. zu.
In den beiden folgenden Kapiteln bietet sie eine Nacherzählung
der Handlung aus zweierlei Sicht. In Kapitel 2 (51-81) referiert sie den
chronologischen Ablauf unter dem Aspekt der "lenkenden Mächte". Als
solche definiert sie die mit Namen genannten Gottheiten Helios, Selene,
Apollon, Artemis, Isis. Als Ziel des göttlichen Plans betrachtet sie,
was am Ende geschieht: die Aufhebung der Menschenopfer und die Einsetzung
der rechtmäßigen Königstochter und ihres Ehemanns in das
Priesteramt für Selene und Helios. In Kapitel 3 (83-92) resümiert
sie das Geschehen in der vom Roman gebotenen Reihenfolge, die es dem Leser
erschwere, den göttlichen Plan und die Mehrdeutigkeit göttlicher
Voraussagen zu entschlüsseln. Mit der Erzählstruktur wolle Heliodor
zeigen, wie rätselhaft das menschliche Leben dem einzelnen immer wieder
erscheinen müsse, obwohl jedem menschlichen Schicksal ein göttlicher
Plan zugrunde liege (91).
Zu diesem äußerst einfachen, bruchlosen, geschlossenen Bild
kommt B. durch eine gegen Bedenken gefeite Leseweise und eine dem geschriebenen
Wort vertrauende credulitas. So wird aus dem oszillierenden, vielschichtigen,
komplexen Gebilde eine plane Geschichte. Sooft göttliches Wirken ins
Spiel gebracht, aber die Gottheit nicht beim Namen genannt wird, stellt
sie mittels Vermutung eine Identifikation mit einer der Hauptgottheiten
her. Ebenso betrachtet sie Träume und alles, was Manifestation des
Göttlichen sein kann, unhinterfragt als solches und erschließt
die dafür verantwortliche Gottheit. Sämtliche Angaben über
Götter nimmt sie gleichermaßen beim Wort, unabhängig davon,
ob sie vom auktorialen Erzähler oder einer persona agens stammen,
ohne zwischen der Glaubwürdigkeit der Figuren zu differenzieren und
ohne zu beachten, in welcher Situation, gegenüber welchem Adressaten
und in welcher Absicht sich diese auf Götter berufen. Nicht zur Sprache
bringt sie, daß es sich bei Kalasiris um eine sehr schillernde Persönlichkeit
handelt, die von der Forschung äußerst konträr im Spektrum
zwischen weisem Priester und Scharlatan gedeutet wird (bei B. a priori
eine Inkarnation des Gottes Apollon, 75. 115). So hegt sie auch nicht den
geringsten Zweifel an seiner Darstellung der entscheidenden nächtlichen
Begebenheit, bei der ihm Apollon und Artemis den Auftrag erteilen, die
Jugendlichen nach Ägypten mitzunehmen (3.11.5). Während der Ich-Erzähler
selbst sogar ein kleines verunsicherndes Signal setzt (Traum oder Wirklichkeit?),
ist für die Verfasserin die Epiphanie fragloses Faktum. Die Interpretation
solcher Schlüsselszenen (ebenso der Begegnung mit Persinna 4.12.1-13.1)
und der Kalasiris-Gestalt insgesamt hat indes maßgebliche Folgen
für die Frage "göttliche Lenkung oder menschliche Strategie".
Kapitel 4 (93-164), hinter dem viel Sammelfleiß und große
Arbeit stecken, bringt wenig Neues für das Verständnis des Romans.
Sowohl für die fünf lenkenden Hauptgötter als auch für
die einzelnen Schicksalsmächte, die keinen größeren Einfluß
auf die Handlung ausüben (Daimon, Tyche, Moira, Heimarmene, Gestirne,
Erinys), zeigt B. zunächst jeweils in einem religionsgeschichtlichen
Überblick, welche Kompetenzbereiche und Funktionen sie in der antiken
Religion allgemein ausüben, dann, welche Rolle ihnen im Roman zukommt
(als Zusammenfassung der Ergebnisse der Kapitel 2 und 3 bzw. als Begriffsbestimmung
anhand einzelner Stellen). Ergebnis ist, daß der synkretistische
Helios-Apollon die ethisch begründete Vorrangstellung einnimmt und
sich als weibliche Entsprechung der Synkretismus Selene-Artemis-Isis anbietet.
Kapitel 5 (165-175) stellt den Bezug zwischen dem Roman und den geistigen
Strömungen des 4. Jhs. her. Da die neuplatonisch geprägte Sonnentheologie,
die Kaiser Julian in einer Lobrede auf Helios (362 n. Chr.) entwickelt
habe, nur für Gebildete verständlich gewesen sei, versuche Heliodor,
mit seiner eigenen Popularisierung der Sonnentheologie Propaganda für
die alten Götter des heidnischen Glaubens und Werbung für die
Religionsbestrebungen des Kaisers zu betreiben. Meiner Auffassung nach
überbewertet diese These nicht nur die religiöse Prägung
und Intention des Romans, sondern wirft auch religionsgeschichtliche Fragen
auf. Erklärungsbedürftig wäre der Widerspruch zwischen dem
Ziel der Religionsreform des Kaisers, die "alten Kulte mit ihren blutigen
Opfern wieder aus<zu>üben" (15), und dem einen Ziel des göttlichen
Plans in der "Propagandaschrift", nämlich "dem volk der Aithiopen
zu bedeuten, daß ihre althergebrachte Sitte der blutigen Opferung
von Mensch und Tier ihren Stammesgottheiten Helios, Selene und Dionysos
nicht genehm ist" (80). Auch wenn der Erzähler, der seine Situation
nicht nach religionspolitischer, sondern nach dramatischer Relevanz auswählt,
bei den blutigen Opfern die ganze Aufmerksamkeit auf das Menschenopfer
lenkt, sollte das gurndsätzliche Problem nicht übergangen werden.
Verbindet die Überlieferung doch mit dem Namen Julian gerade die Überdimensionierung
der von ihm veranstalteten Tieropfer. Außerdem wäre eine genauere
Positionierung des Romans im Spannungsverhältnis zwischen Heidentum
und Christentum wünschenswert. Wann und in welchem Kontext sollte
die Werbung für Julians Konzept stattgefunden haben, wenn der Kaiser
bereits nach knapp eineinhalbjähriger Regierungszeit (361363
n. Chr.) im Jahr nach seiner Lobrede auf Helios gestorben ist? Läßt
sich der Roman tatsächlich in Analogie setzen zu den relationes in
Rom, die von Anhängern des alten Glaubens in Krisensituationen eingebracht
wurden, die befürchteten, zornige Götter schickten das Unheil
"als Antwort auf mangelhafte Zuwendung von Opfern und Festen" (174)?
Für eine religionsgeschichtliche Einordnung des Romans sind weitere
Untersuchungen nötig. Der Forschung dazu die Anregung gegeben zu haben,
bleibt das Verdienst dieser Arbeit.
Gerlinde Bretzigheimer