Rosemarie Bargheer, Die Gottesvorstellung Heliodors in den Aithiopika, Frankfurt am Main u. a. 1999 (Peter Lang), 187 Seiten

Die Verfasserin sieht Heliodors Gottesauffassung in Zusammenhang mit den religiösen Reformen des Kaisers Julian und hält den Roman für eine volkstümliche Propagandaschrift, welche die Bemühungen des Kaisers um die Wiederherstellung des heidnischen Glaubens unter Vorrangstellung von Helios populär machen will.

Schon beim Durchblättern der Arbeit fällt auf, daß B. außer zu Datierungsfragen fast keine Spezialliteratur zum Roman beizieht und die Erträge der Heliodorforschung nicht berücksichtigt. Erklärbar wird das Vorgehen beim Blick auf ihre Biographie. Zu bewundern ist, daß die Autorin noch an ihrem Lebensabend nach Beendigung ihrer ärztlichen Betätigung Klassische Philologie studiert und mit der Magisterprüfung und Promotion abgeschlossen hat.
Ziel der Arbeit ist es, die spezielle Gottesauffassung Heliodors zu beschreiben und zu den religiösen und politischen Strömungen ihrer Entstehungszeit in Beziehung zu setzen (14). Nach Maßgabe des rein deskriptiven Verfahrens ist das Ergebnis schlüssig. Doch darf bezweifelt werden, daß diese Methode dem Thema adäquat ist und zu einem wissenschaftlich fundierten Resultat führen kann.
Ausgangspunkt ist die Datierung des Romans. Im 1. Kapitel (17-49) wägt B. die Argumente ab, auf die sich Frühdatierer (3. Jh. n. Chr.) und Spätdatierer (4. Jh. n. Chr.) stützen. Sie schließt sich der Ansicht an, Heliodor habe Schriften von Kaiser Julian benutzt, und stimmt damit der Datierung des Romans in die 2. Hälfte des 4. Jhs. n. Chr. zu.
In den beiden folgenden Kapiteln bietet sie eine Nacherzählung der Handlung aus zweierlei Sicht. In Kapitel 2 (51-81) referiert sie den chronologischen Ablauf unter dem Aspekt der "lenkenden Mächte". Als solche definiert sie die mit Namen genannten Gottheiten Helios, Selene, Apollon, Artemis, Isis. Als Ziel des göttlichen Plans betrachtet sie, was am Ende geschieht: die Aufhebung der Menschenopfer und die Einsetzung der rechtmäßigen Königstochter und ihres Ehemanns in das Priesteramt für Selene und Helios. In Kapitel 3 (83-92) resümiert sie das Geschehen in der vom Roman gebotenen Reihenfolge, die es dem Leser erschwere, den göttlichen Plan und die Mehrdeutigkeit göttlicher Voraussagen zu entschlüsseln. Mit der Erzählstruktur wolle Heliodor zeigen, wie rätselhaft das menschliche Leben dem einzelnen immer wieder erscheinen müsse, obwohl jedem menschlichen Schicksal ein göttlicher Plan zugrunde liege (91).
Zu diesem äußerst einfachen, bruchlosen, geschlossenen Bild kommt B. durch eine gegen Bedenken gefeite Leseweise und eine dem geschriebenen Wort vertrauende credulitas. So wird aus dem oszillierenden, vielschichtigen, komplexen Gebilde eine plane Geschichte. Sooft göttliches Wirken ins Spiel gebracht, aber die Gottheit nicht beim Namen genannt wird, stellt sie mittels Vermutung eine Identifikation mit einer der Hauptgottheiten her. Ebenso betrachtet sie Träume und alles, was Manifestation des Göttlichen sein kann, unhinterfragt als solches und erschließt die dafür verantwortliche Gottheit. Sämtliche Angaben über Götter nimmt sie gleichermaßen beim Wort, unabhängig davon, ob sie vom auktorialen Erzähler oder einer persona agens stammen, ohne zwischen der Glaubwürdigkeit der Figuren zu differenzieren und ohne zu beachten, in welcher Situation, gegenüber welchem Adressaten und in welcher Absicht sich diese auf Götter berufen. Nicht zur Sprache bringt sie, daß es sich bei Kalasiris um eine sehr schillernde Persönlichkeit handelt, die von der Forschung äußerst konträr im Spektrum zwischen weisem Priester und Scharlatan gedeutet wird (bei B. a priori eine Inkarnation des Gottes Apollon, 75. 115). So hegt sie auch nicht den geringsten Zweifel an seiner Darstellung der entscheidenden nächtlichen Begebenheit, bei der ihm Apollon und Artemis den Auftrag erteilen, die Jugendlichen nach Ägypten mitzunehmen (3.11.5). Während der Ich-Erzähler selbst sogar ein kleines verunsicherndes Signal setzt (Traum oder Wirklichkeit?), ist für die Verfasserin die Epiphanie fragloses Faktum. Die Interpretation solcher Schlüsselszenen (ebenso der Begegnung mit Persinna 4.12.1-13.1) und der Kalasiris-Gestalt insgesamt hat indes maßgebliche Folgen für die Frage "göttliche Lenkung oder menschliche Strategie".
Kapitel 4 (93-164), hinter dem viel Sammelfleiß und große Arbeit stecken, bringt wenig Neues für das Verständnis des Romans. Sowohl für die fünf lenkenden Hauptgötter als auch für die einzelnen Schicksalsmächte, die keinen größeren Einfluß auf die Handlung ausüben (Daimon, Tyche, Moira, Heimarmene, Gestirne, Erinys), zeigt B. zunächst jeweils in einem religionsgeschichtlichen Überblick, welche Kompetenzbereiche und Funktionen sie in der antiken Religion allgemein ausüben, dann, welche Rolle ihnen im Roman zukommt (als Zusammenfassung der Ergebnisse der Kapitel 2 und 3 bzw. als Begriffsbestimmung anhand einzelner Stellen). Ergebnis ist, daß der synkretistische Helios-Apollon die ethisch begründete Vorrangstellung einnimmt und sich als weibliche Entsprechung der Synkretismus Selene-Artemis-Isis anbietet.
Kapitel 5 (165-175) stellt den Bezug zwischen dem Roman und den geistigen Strömungen des 4. Jhs. her. Da die neuplatonisch geprägte Sonnentheologie, die Kaiser Julian in einer Lobrede auf Helios (362 n. Chr.) entwickelt habe, nur für Gebildete verständlich gewesen sei, versuche Heliodor, mit seiner eigenen Popularisierung der Sonnentheologie Propaganda für die alten Götter des heidnischen Glaubens und Werbung für die Religionsbestrebungen des Kaisers zu betreiben. Meiner Auffassung nach überbewertet diese These nicht nur die religiöse Prägung und Intention des Romans, sondern wirft auch religionsgeschichtliche Fragen auf. Erklärungsbedürftig wäre der Widerspruch zwischen dem Ziel der Religionsreform des Kaisers, die "alten Kulte mit ihren blutigen Opfern wieder aus<zu>üben" (15), und dem einen Ziel des göttlichen Plans in der "Propagandaschrift", nämlich "dem volk der Aithiopen zu bedeuten, daß ihre althergebrachte Sitte der blutigen Opferung von Mensch und Tier ihren Stammesgottheiten Helios, Selene und Dionysos nicht genehm ist" (80). Auch wenn der Erzähler, der seine Situation nicht nach religionspolitischer, sondern nach dramatischer Relevanz auswählt, bei den blutigen Opfern die ganze Aufmerksamkeit auf das Menschenopfer lenkt, sollte das gurndsätzliche Problem nicht übergangen werden. Verbindet die Überlieferung doch mit dem Namen Julian gerade die Überdimensionierung der von ihm veranstalteten Tieropfer. Außerdem wäre eine genauere Positionierung des Romans im Spannungsverhältnis zwischen Heidentum und Christentum wünschenswert. Wann und in welchem Kontext sollte die Werbung für Julians Konzept stattgefunden haben, wenn der Kaiser bereits nach knapp eineinhalbjähriger Regierungszeit (361­363 n. Chr.) im Jahr nach seiner Lobrede auf Helios gestorben ist? Läßt sich der Roman tatsächlich in Analogie setzen zu den relationes in Rom, die von Anhängern des alten Glaubens in Krisensituationen eingebracht wurden, die befürchteten, zornige Götter schickten das Unheil "als Antwort auf mangelhafte Zuwendung von Opfern und Festen" (174)?
Für eine religionsgeschichtliche Einordnung des Romans sind weitere Untersuchungen nötig. Der Forschung dazu die Anregung gegeben zu haben, bleibt das Verdienst dieser Arbeit.

Gerlinde Bretzigheimer