Augustine: De bono coniugali and De
sancta virginitate. Edidit with an Introduction, Translation, and Notes by P.G. Walsh,
Oxford: Clarendon Press 2001 (Oxford Early Christian Texts). XXXVI, 164 S., 35 £. ISBN 0-19-826995-1
Mit diesem
schmalen Büchlein werden einer breiteren Leserschaft zwei kurze Schriften Augustins über
Ehe und Jungfräulichkeit neu zugänglich gemacht, deren Nachwirkung in der katholischen
Kirche bis in die jüngste Vergangenheit reicht, wie Walshs Vorwort zu entnehmen ist. Die
beiden Traktate De bono coniugali und De sancta virginitate (im folgenden BC
bzw. SV) sind unmittelbar nacheinander entstanden (zur Datierung s.u.), so dass
eine gemeinsame Edition nicht nur aus inhaltlichen, sondern auch aus textgenetischen
Gründen sinnvoll ist. Tatsächlich behandeln die beiden Werke nicht nur eng miteinander
zusammenhängende Fragen, sondern erörtern diese z.T. auch anhand der gleichen
Bibelstellen (1 Cor. 7,7; 7,9; 7,32ff. u.a.).
Das Buch enthält eine Einleitung,
Bibliographie, den Text mit Übersetzung und Anmerkungen sowie drei Appendices (die
Abschnitte zu BC und SV aus den Retractationes, Abweichungen von der
Vulgata in den Bibel-Zitaten und Abweichungen von Zychas Text im CSEL) und zwei Indices
(Bibelstellen sowie Namen und Sachen).
Zu Recht hebt W. hervor, dass die
Propagierung der Jungfräulichkeit im Vergleich zur paganen Antike eine Neuheit ist, wobei
er kurz auf die kontroverse Frage des sexual status (M. Beard) der römischen
Vestalinnen eingeht (XII). Was die Gründe für den Erfolg des
Jungfräulichkeitsideals angeht, geht W. bei aller Aufmerksamkeit für den
lebensweltlichen Kontext und für damalige Gesellschaftsstrukturen allerdings zu weit,
wenn er den jungen Frauen für ihre Entscheidung, nicht zu heiraten, offenbar politische
und soziale, aber kaum religiöse Motive zugesteht (XIV). Ebenso wäre die Rede von den
aufmüpfigen Jungfrauen, die ein zentraler Bestandteil der damaligen
Diskussion der Jungfräulichkeit war, mehr Wert als die Bemerkung, dass es wohl kein
Zufall sei, dass die zweite Hälfte von SV dem Thema der Demut gewidmet sei (ebd.).
Denn der Vorwurf des Hochmuts wurde gegenüber den Jungfrauen ja vorwiegend von Männern
erhoben und muss noch einmal vor dem Hintergrund der damals herrschenden Gender-Bilder
reflektiert werden, zumal es scheint, dass dieser Vorwurf nur gegen Frauen erhoben worden
ist, nicht aber gegen Männer, die zölibatär lebten.
Ebenfalls etwas unkritisch wirkt es, wenn W.
Livius' Einschätzung referiert, die Numidier seien notorisch sexversessen (S. XI), ohne
dem ethnographischen Klischee Rechnung zu tragen, bei dem mehr als nur
Übertreibung mitspielt.
Konkreter Anlass der Niederschrift von BC
und SV ist die Diskussion über Ehe und Jungfräulichkeit, die der später
exkommunizierte Mönch Jovinian ausgelöst hatte, bzw. Hieronymus' Entgegnung Adversus
Jovinianum (393/4). Gegen Berrouard (s.v. BC im Augustinus-Lexikon) hält W. an
einer elastischen Deutung der Zeitspanne fest, innerhalb welcher Augustins Beitrag zu
dieser Diskussion folgte, und datiert die beiden Schriften aufgrund der Angaben in den Retractationes
erst ins Jahr 401 (IX Anm. 2; vgl. 148 Anm. 2). Die These, dass BC und SV nicht
notwendigerweise schon Mitte 90er Jahre entstanden sind, wird grundsätzlich bekräftigt
durch die Ausführungen von P.-M. Hombert, der die beiden Traktate aufgrund von ganz
anderen Argumenten sogar ins Jahr 403-404 bzw. 404 / 412 datiert.[1]
Es folgen ausführliche Zusammenfassungen der
beiden Schriften, die einen raschen Überblick über die Themen und Argumente geben.
W.s Einleitung stützt sich zum einen auf
Standardwerke eher älteren Datums, allen voran Peter Browns Augustine of Hippo (in
der ersten Auflage von 1967) und The Body and Society (1988). Zum anderen zieht er
aber auch neuere Arbeiten zu Frau und Familie in der Spätantike bei (E.A. Clark, G. Clark
u.a.) und vermittelt auf diese Weise in aller Kürze eine Übersicht über die
gegenwärtigen Fragestellungen. Die Bibliographie (XXXII-XXXIII) enthält sowohl Werke
allgemeinen und einführenden Charakters als auch einige wenige Publikationen zu
Spezialfragen (bis auf ein paar französische Titel alles in Englisch).
W.s Text beruht auf Zychas Edition der beiden
Schriften in CSEL 41, Wien 1900, 187-231 und 235-302; auf neue Handschriftenkollationen
wurde zu Recht verzichtet.
Ein Blick in das Verzeichnis der
Augustin-Handschriften zeigt, dass die beiden Traktate in weit über hundert Manuskripten
überliefert sind. Zycha hat seinen Text auf der Grundlage von 16 (BC) bzw. 19 (SV)
Handschriften erstellt (also nicht 20, wie W. S. XXXI schreibt), von denen die älteste
auf das 6. Jh. zurückgeht. Praefatio und Apparat geben umfassend Auskunft über diese
Textzeugen. Der immense Aufwand einer neuen Durchsicht der Überlieferung ist daher kein
dringendes Desiderat, zumal viele andere Werke Augustins nach wie vor nur in der PL
zugänglich sind und BC und SV kaum unüberwindliche Textprobleme aufweisen
(s.u.).
Neben Zycha hat W. für seine Textkonstitution
auch die Editionen von G. Combès bzw. J. Saint-Martin beigezogen (BC bzw. SV,
in Oeuvres de Saint Augustin, 1948), deren Texte PL 40 folgen. Die Abweichungen von
Zycha sind im Appendix verzeichnet (S. 158: acht für De bono coniugali; zehn für De
sancta virginitate). Darunter sind auch drei neue Konjekturen.
Die Abweichungen
bringen zweifellos einige Verbesserungen, so z.B. in BC 3 (S. 8): der Dativ voluptati
statt voluptatis gehört zu intercedere; ebd. 6 (S. 12): praecipit
statt praecepit lässt eine Parallele zur Präsensform concedit im gleichen
Satz entstehen; ebd. 27 (S. 52): die lectio facilior impudentem statt imprudentem
ist semantisch prägnanter, was gut zum polemischen Ton des Abschnitts passt; ebd. 33 (S.
58) illi statt illis hebt das Subjekt und damit die spezielle Situation der
Patriarchen hervor; SV 47 (S. 134) illi vel illae statt illi vel illi
trägt der Tatsache Rechnung, dass sich die Argumentation auf beide Geschlechter bezieht.
Auch die Konjektur SV 39 (S. 120) protegar ad statt protegi oder protegar
(Ps. 26 [27]:4) ist gelungen.
Weniger überzeugend ist BC 5 (S. 12) velle
statt vel, da vel (auch) das Wort marito und damit die
Gegenüberstellung von Ehebeziehung und ausserehelicher Beziehung hervorhebt (abgesehen
davon stört velle die Parallelität der drei Infinitive uti, misceri
und parere); ebd. 7 (S. 16) W.s Tilgung von ex (es ist paläographisch
schwierig zu erklären, wie ex in den Text geraten wäre; kausales ex ist
hingegen geläufig, und selbst beim komparativen Ablativ ist ex nicht
auszuschliessen allerdings bleibt die ungewöhnliche Sperrung von Gen. und
Bezugswort auf diese Weise unerklärt); ebd. 35 (S. 60) W.s Konjektur qui (+ kausal
gefärbter Relativsatz) statt quia, da quia mit dem vorangehenden ideo
korreliert und den gleichen Inhalt expliziter ausdrückt (so z.B. auch S. 20).
In Appendix 3 werden
zwei Abweichungen von Zycha aufgeführt, die im Text selber nicht als solche
gekennzeichnet sind und deren paläographische Grundlage daher nicht ersichtlich ist (SV
26, S. 98 und SV 30, S. 104).
W.s klare und flüssige Übersetzung löst
ältere englische Übersetzungen ab (BC von Cornish in The Library of the
Fathers von 1847; BC und SV von Wilcox bzw. McQuade in The Fathers of
the Church von 1955). Noch nicht zur Kenntnis nehmen konnte W. wohl Ray Kearney, Marriage
and Virginity. The Works of St Augustine. A Translation for the 21st Century, part I,
vol. 9, New York 1999. [2]
Auf Deutsch liegt BC in der
Übersetzung von A. Maxsein, 1949, vor, der das Werk mit einem ausgeprägtem moralischen
Auftrag kommentiert, was die Lektüre heute sehr erschwert. Ähnlich liegen die Dinge bei
der deutschen Übersetzung von SV von P. I.M. Dietz, 1952.
Falsch
übersetzt ist bei W. eine Stelle gegen Ende von BC 8 (S. 20, fünfte Zeile vor 9):
Subjekt von abstineret ist soror (nicht Martha); es liegen also drei
parallel konstruierte Perioden vor.
Die schlanken Anmerkungen zeigen
Bibelbezüge auf und geben die wichtigsten Informationen zum Inhalt sowie weitere
bibliographische Angaben (die Fussnotenzeichen finden sich zum Vorteil der gesamten
Leserschaft sowohl im Text als auch in der Übersetzung). Wenn die Angaben der
Bibelstellen nur selten über Zychas Zitaten- und Parallelenapparat hinausgehen, so bieten
dagegen die knappen Ausführungen zur patristischen Diskussion, zum sozialgeschichtlichen
Kontext und gelegentlich auch zur paganen philosophischen Tradition eine neue, willkommene
Hilfestellung für die Lektüre. Ausgespart werden Kommentare zu Sprache und Stil, was in
einer zweisprachigen Ausgabe auch angemessen ist.
Kein
Erklärungspotential bieten jedoch anekdotenhafte Verweise auf Augustins (mögliche)
eigene Erlebnisse (z.B. 44 Anm. 86). Auch manche Bezüge zur Gegenwart wirken gezwungen,
so z.B. 8 Anm. 21 die Bemerkung, auch heutzutage müssten sich die Ehemänner 'in Rom oder
Paris' in sexueller Enthaltsamkeit üben, während sie ihre Frauen in die Ferien schickten
und selber weiterarbeiteten. Hilfreicher wäre es, etwas über damalige Ansichten zur
Frage zu erfahren, ob sexuelle Enthaltsamkeit die Gesundheit gefährde, was an der
betreffenden Stelle im Text angedeutet wird.
Folgende Druckfehler sind zu verzeichnen: 56
Anm. 109 sollte es an statt and heissen; S. 112 Zycha statt Dycha; 124 Anm. 109 Punkt
statt Komma; 149 urge statt urged; der griechische Text 12 Anm. 28 enthält mehrere
Akzentfehler.
W.s Buch ist insgesamt eine lohnende und
informative Lektüre, und es dürfte künftig der Ausgangspunkt für detailliertere
Untersuchungen sein.
Karin Schlapbach, Zürich
karinsc@klphs.unizh.ch
[1]
P.-M. Hombert: Nouvelles recherches de chronologie augustinienne. Paris 2000, 105-136.
Hombert gelangt zu seinen Ergebnissen aufgrund der (diskutablen) Hypothese, dass
Schriften, die die gleichen Bibelzitate enthalten, grundsätzlich zur gleichen Zeit
entstanden sind.
[2] Vgl. G. Gould, Rez. W., Journal of Theological Studies 53,
2002, 431.