Martin Wallraff: Christus Verus Sol. Sonnenverehrung und Christentum in der Spätantike. Münster: Aschendorff 2001 (Jahrbuch für Antike und Christentum, Ergänzungsband 32). 246 S., 16 S. Tafelteil.  Euro 50,20 ISBN 3-402-08155-6.

 

Die Relation zwischen paganer Religion und Christentum in der Spätantike wird seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert unter verschiedensten Fragestellungen und mit unterschiedlichsten methodischen und konzeptionellen Ansätzen untersucht. Trotz der außerordentlich großen Zahl von Monographien und Aufsätzen, die bis in die jüngste Zeit von Theologen, Religionswissenschaftlern, Historikern und Philologen zu dem Bereich angefertigt worden sind, kann das Themengebiet noch längst nicht als ‚überforscht’ angesehen werden. Seine Erforschung erfährt im Gegenteil immer wieder neue Impulse, sei es durch historisch orientierte Untersuchungen, die unser Wissen über die Spätantike in den vergangenen Jahrzehnten deutlich vermehrt haben, sei es durch neue Ansätze in der Textinterpretation, die wir literaturwissenschaftlichen Arbeiten verdanken, oder sei es durch die intensive Rezeption ethnologischer Studien, die die Beschäftigung mit antiken religiösen Praktiken erheblich befördert hat.

Ein Phänomen, das in dem Zusammenhang vielfach ins Visier genommen wird, ist das Verhältnis zwischen den verschiedenen Formen der Sonnenverehrung und dem Christentum. Man fragt nach strukturellen Gemeinsamkeiten sowie Differenzen und eruiert wechselseitige Einflüsse. Dabei erkundet man insbesondere, ob sich hier Synkretismen nachweisen lassen und welche Bedeutung diese gegebenenfalls für die Geschichte des Sonnenkultes wie der christlichen Religion haben.

            Vor kurzem hat Martin Wallraff (W.) dieses Sujet in seiner evangelisch-theologischen Habilitationsschrift „Christus Verus Sol. Sonnenverehrung und Christentum in der Spätantike“, noch einmal einer eingehenden Untersuchung unterzogen. Anders als die meisten seiner Vorgänger (am wichtigsten sind hier die Studien Franz Joseph Dölgers und Hugo Rahners) beschränkt er sich nicht auf einzelne Aspekte der Thematik, sondern zielt darauf, die Relation zwischen der religiösen Verehrung der Sonne und der christlichen Religion in einem umfassenden Sinne zu erforschen und in den historischen Kontext einzuordnen. Dazu bezieht er sämtliche Quellengattungen ein, beschränkt sich also nicht auf die Interpretation der literarischen Zeugnisse, sondern wertet auch die Inschriften, Papyri und Münzen sowie das archäologische Material aus.

            Im Einleitungskapitel legt er seine Betrachtungen zur Konzeption des Gegenstandes und zum methodischen Prozedere ausführlich dar. Besonders anregend sind hier nicht zuletzt seine Überlegungen zur Gliederung der Untersuchung, die die Schwierigkeiten des Unternehmens bereits erkennen lassen. Er erörtert drei mögliche Vorgehensweisen: zunächst die diachrone Perspektive, also eine Bearbeitung der Zeugnisse in chronologischer Reihenfolge. Diese wäre seiner Ansicht nach besonders günstig, um Entwicklungen aufzuzeigen und sie in den historischen Zusammenhang zu stellen; eine entscheidende Schwäche läge allerdings in dem Mangel an Systematik.

            Als zweite Möglichkeit diskutiert W. eine Gliederung nach ‚Diskursebenen’. Eine solche wäre speziell unter theoretischen und konzeptionellen Gesichtspunkten höchst interessant, böte etwa die Chance, die Anwendung literaturwissenschaftlicher Ansätze zu erörtern und zu erproben. Allerdings setzte sie eine eingehende Beschäftigung mit einem geeigneten Diskursbegriff sowie eine Untersuchung der verschiedenen Diskurse im Römischen Reich der Spätantike und deren Niederschlag in den Quellen voraus. W. nimmt von diesem Vorgehen vor allem aus pragmatischen Erwägungen Abstand: Seiner Ansicht nach ist in diesem Bereich noch nicht ausreichend geforscht, als daß eine solche Studie durchführbar wäre. Die Forschungslage zu dem Gebiet ist freilich sehr unterschiedlich; zum politischen Diskurs etwa liegen bereits zahlreiche Studien vor, auf die man gut rekurrieren könnte. Für andere Felder gilt das allerdings nicht; darin ist W. in jedem Fall beizupflichten.

            Der Autor entscheidet sich für eine dritte Möglichkeit: eine ‚systematisch-thematische’ Gliederung, die sich an Fragestellungen, Themen und Begriffen der Überlieferung orientiert und damit eher hermeneutisch ausgerichtet ist als die zuvor diskutierte Herangehensweise. Sie ist freilich ‚konventioneller’, erweist sich aber als dem Gegenstand angemessen; gut geeignet ist sie inbesondere deshalb, weil sie sehr quellennah ist und auch den Spezifika der verschiedenen Gattungen von Zeugnissen gerecht werden kann.

            An die Einleitung schließt sich der erste Hauptteil an, der mit dem Begriff ‚Hintergrund’ überschrieben ist. W. beschäftigt sich hier zunächst mit der „Sonne in den biblischen Schriften und in den Anfängen der christlichen Literatur“. Er zeigt auf, wie im Alten Testament eine kritische Haltung zur Sonnenverehrung des Alten Orients formuliert wird, weist aber zugleich nach, daß in alttestamentlichen Texten Attribute und Zuständigkeiten, die in der nicht-jüdischen Umwelt mit der Sonne in Verbindung gebracht werden, dem jüdischen Gott zugeschrieben werden. Im Neuen Testament ist die Thematik hingegen nahezu bedeutungslos. Wird die Sonne hier erwähnt und mit Gott resp. Christus in einen Zusammenhang gestellt, geschieht dies lediglich in metaphorischer Absicht.

            Im folgenden Abschnitt widmet sich W. der „Sonne in der paganen Kultur des Mittelmeerraums“. Er schlägt dabei einen Bogen vom archaischen Griechenland bis in die Spätantike. Obwohl die Darstellung sehr knapp ausfällt, finden doch alle zentralen Elemente zumindest Erwähnung. Einschlägig für den weiteren Verlauf der Untersuchung ist hier die Beschäftigung mit dem spätantiken Befund, u.a. der zunehmenden Verehrung des Sonnengottes, seiner Rolle in den Mysterienreligionen sowie dem Rekurs auf Sol invictus in der kaiserlichen Repräsentation. Zentral ist dabei die Beobachtung, daß die Sonnenverehrung insgesamt nicht nur an Intensität gewinnt und immer neue Ausdrucksformen annimmt, sondern daß sie auch eine neue Qualität erhält. W. bringt dies mit den allgemeinen religiösen Veränderungen im 3. Jahrhundert, insbesondere der Tendenz zum Heno- bzw. Monotheismus, in Zusammenhang. Details spart er an dieser Stelle aus; da es sich aber bekanntlich um ein in der Forschung vielfach traktiertes Phänomen handelt, dürfte der Leser keine Schwierigkeiten haben, seine Überlegungen nachzuvollziehen.

            Der zweite Hauptteil der Untersuchung trägt den Titel ‚Auseinandersetzung’. Gemeint ist die direkte oder indirekte, reflektierte oder unreflektierte Auseinandersetzung des Christentums mit den verschiedenen Formen der Sonnenverehrung in der Spätantike. Dabei ist nicht impliziert, daß es vor dem 3. Jahrhundert keine Berührungspunkte zwischen beiden gegeben hätte (W. geht auf diese vielmehr immer wieder ausführlich ein); jedoch wird festgestellt, daß die Kontakte nun wesentlich intensiver werden und ein wachsender wechselseitiger Einfluß zu konstatieren ist. Dies hat zum einen damit zu tun, daß der Prozeß der Adaption und Assimilation der christlichen Religion an ihre pagane Umwelt in konstantinischer Zeit erheblich voranschreitet; zum zweiten ist bedeutsam, daß sich pagane Vorstellungen durch die zunehmende Ausrichtung auf eine einzelne Gottheit allmählich verändern und sich dem Christentum annähern.

            W. eruiert sieben Gebiete, auf denen sich diese Auseinandersetzung vollzieht, und die er eingehend untersucht:

1. „Die Sonne und die theologische Rede von Christus“

2. „Die Sonne als Grund der christlichen Gebetsostung“

3. „Die Sonne und der christliche Sonn-Tag“

4. „Die Sonne als Interpretament des Osterfestes“

5. „Die Sonne und das christliche Staatsdenken“

6. „Die Sonne in der christlichen Kunst“

7. „Die Sonne und das Weihnachtsfest“

            Zum ersten Gebiet zeigt W. auf, daß der Rekurs auf die Sonne bei christologischen Kontroversen schon im ausgehenden 2. Jahrhundert auszumachen ist. Er findet sich vor allem in apologetischen Werken, in denen aber stets betont wird, daß der Sonne im christlichen Verständnis keine göttliche Qualität zukommt, sondern daß sie als Geschöpf verstanden wird. Die Sonne wird jedoch vielfach als Metapher zunächst für Gott-Vater und später für Christus verwendet. Zur Explikation des Sohnes wird im 3. Jahrhundert auch das Bild des Sonnenstrahls entwickelt. Im Zuge des Arianismusstreites tritt es aber wieder in den Hintergrund, da der Sonnenstrahl als der Sonne (die für Gott-Vater steht) wesensmäßig untergeordnet begriffen werden kann, was aus orthodoxer Perspektive in der christologischen Frage bekanntlich nicht akzeptabel ist. In konstantinischer Zeit wird Christus vielfach als die „wahre Sonne“ charakterisiert. W. geht davon aus, daß sich diese Vorstellung bereits im 3. Jahrhundert in Alexandrien herausgebildet hat – bei Clemens wie bei Origenes finden sich zahlreiche Belege. Wichtig ist in dem Kontext auch die Beobachtung, daß im 4. Jahrhundert mit der Sonnenmetapher nicht mehr ausschließlich in apologetischer Absicht operiert wird, sondern daß sie auch in Predigten und exegetischen Schriften begegnet, die eindeutig dem innerchristlichen Diskurs zuzuordnen sind.

            Die Sonne als Grund der christlichen Gebetsostung (2.) wird vom Beginn des 3. Jahrhunderts an in der Literatur thematisiert, aber höchstwahrscheinlich schon vorher praktisch betrieben. W. geht davon aus, daß die Ostung eher als Ausrichtung auf den Sonnenaufgang denn als Wendung gen Jerusalem verstanden wird. Er vertritt die These, daß hier eine pagane Tradition in christliche religiöse Praktiken einfließt, was aber nicht zu einer kultischen Verehrung der Sonne durch Christen führt und insofern auch in der Patristik in keiner Weise kritisch beleuchtet wird. Interessant ist auch die Beobachtung, daß dieses Phänomen nicht mit der starken Verbreitung der Sonnenfrömmigkeit in der paganen Welt des 3. und frühen 4. Jahrhunderts in ursächlichem Zusammenhang stehen kann, da es ihr zeitlich vorausgeht.

            Die Konzeption eines christlichen Sonntags (3.) ist komplex und vielschichtig. W. skizziert hier zunächst die Herausbildung der Planetenwoche, die anfänglich rein pagan konnotiert ist, mit der Zeit aber auch bei Christen auf Wiederhall stößt (im Westen des Reiches reichen die Zeugnisse sogar bis ins 5. Jahrhundert). Die Verbindung zwischen dem Sonntag und dem christlichen Herrentag wird schon im 3. Jahrhundert hergestellt, die Bezeichnung dies solis verwendet man allerdings vorrangig in der Kommunikation mit Nichtchristen. Eingehend beschäftigt sich W. in diesem Zusammenhang auch mit dem konstantinischen Sonntagsgesetz. In Übereinstimmung mit einem Großteil der Forschung betont er den ambivalenten Charakter des Erlasses, der nicht explizit christlich konnotiert ist, aber doch für die Christen entscheidende Bedeutung erhält.

            Mit dem Osterfest (4.) wird die Sonne in verschiedener Weise verbunden: wichtig ist dort zum einen der „Lichtcharakter der Osternacht“, wo aber der Bezug zur Sonne nicht ausdrücklich formuliert wird, zum anderen die Auferstehung Christi und der Konnex von Auferstehung und Sonnenaufgang. Die Sonne ist hier zweifellos nicht bloß metaphorisch gemeint; dennoch gibt es keine Hinweise auf Heliolatrie, da der Sonne nach wie vor keine numinöse Qualität zugeschrieben wird.

            Der Abschnitt über die Sonne und das christliche Staatsdenken (5.) hat seinen Schwerpunkt in der konstantinischen Zeit. W. faßt hier im wesentlichen die bisherige Forschung zusammen, zeigt u.a. auf, wie Konstantin auch nach 324, als Sol invictus nicht mehr auf Münzprägungen erscheint, in seiner Selbstdarstellung noch immer solare Epitheta verwendet. Die „solare Konzeption“ des Kaisertums, die in der Repräsentation vielfältigen Ausdruck findet, ist auch noch bei seinen Nachfolgern auszumachen, sogar bei den getauften. Selbst die religiöse Verehrung der Sonne wird von den christlichen Kaisern nicht unterbunden.

            Bei der Beschäftigung mit der Sonne in der christlichen Kunst (6.) zeigt W. zahlreiche Zusammenhänge zwischen der Sonne und der sich herausbildenden christlichen Symbolik auf. Er befaßt sich u.a. mit der Verwendung des Strahlenkranzes und des Nimbus in Darstellungen Christi und mit Abbildungen von Apotheosen bzw. der Himmelfahrt. Hier macht er zum Teil Synthesen von paganen und christlichen Motiven aus, teilweise aber auch eine unreflektierte Übernahme paganer Elemente. Bemerkenswert ist, daß sich letztere häufiger vor der sog. Konstantinischen Wende beobachten läßt als in der nachfolgenden Zeit.

            Schließlich geht W. auf den Zusammenhang der Sonne mit dem Weihnachtsfest (7.) ein. Er zeigt die Beziehungen zwischen der römischen Tradition der paganen Feier der Geburt der Sonne am 25. Dezember und der Datierung des christlichen Festes der Geburt Christi auf. In diesem Fall weist er nach, daß es sich um Parallelentwicklungen handelt, nicht um direkte Beeinflussung der einen Seite durch die andere.

            Im Schlußkapitel faßt W. seine Ergebnisse systematisch zusammen und ordnet sie in den größeren historischen Kontext ein. Ausgehend von der christlichen Haltung zur Sonnenverehrung thematisiert er das diffizile Verhältnis von Christentum und Heidentum im spätantiken Imperium Romanum: Angleichungs- wie auch Differenzierungstendenzen, welchselseitige Einflüsse wie auch parallele Entwicklungen, welche keine direkten Abhängigkeitsverhältnisse erkennen lassen, und nicht zuletzt die Schwierigkeit, ‚christlich’ und ‚pagan’ überhaupt zu definieren und voneinander abzugrenzen. Zudem spricht er das Phänomen der Integration und Adaption heidnischer Elemente in der christlichen Religion grundsätzlich an. In ähnlicher Weise, wie schon des öfteren anhand des Mithras-Kultes geschehen, diskutiert er die Frage, warum sich das Christentum schlußendlich gegen die heidnische Sonnenverehrung durchsetzt und in welcher Form dies geschieht. Er erörtert auch, ob es angemessen ist, von einem ‚Sieg’ des Christentums zu sprechen. An dieser Stelle bringt W. keine neuen Argumente vor, gibt aber einen guten Einblick in die Forschungsdiskussionen zu der Thematik.

            W. ist es mit seiner Monographie gelungen, ein höchst komplexes Sujet überzeugend darzulegen und verständlich zu vermitteln. Zu verdanken ist dies nicht nur der Schlüssigkeit seiner Argumentation, sondern auch der übersichtlichen und systematischen Gliederung des Stoffes, die der Arbeit hohe Transparenz verleiht. Die Fragestellungen sind stets klar expliziert, jedes Kapitel endet mit einer Zusammenfassung, in der die wichtigsten Aussagen noch einmal zusammengestellt und zu den Leitfragen der Studie in Beziehung gesetzt werden. Speziell für Studierende der Theologie oder Alten Geschichte, die über wenig Vorkenntnisse verfügen, ist dies außerordentlich nützlich. Hervorzuheben sind auch die konzeptionellen und methodischen Reflexionen, die der Autor immer wieder anstellt. Anders als in vielen Studien ‚verselbständigen’ sie sich bei ihm nicht, sondern folgen stets konkreten forschungspraktischen Überlegungen. In inhaltlicher Hinsicht ist überdies ganz besonders die gelungene Verbindung von Detailstudien mit der Erörterung der großen Fragen des Themenkomplexes herauszustreichen.

 

Karen Piepenbrink, Mannheim

karen.piepenbrink@phil.uni-mannheim.de