Theresa Urbainczyk: Theodoret of Cyrrhus. The Bishop and the Holy Man, Ann Arbor: The University of Michigan Press 2002. X, 174 S. ISBN: 0-472-11266-X.

 

Die kleine Monographie über die sog. Mönchsgeschichte Theodorets ist der Verfasserin zufolge als Parergon zu einer größeren Studie über Theodorets historiographisches Hauptwerk, die Kirchengeschichte, entstanden (3). Bereits zuvor war Theresa Urbainczyk mit einer Arbeit über den Kirchenhistoriker Sokrates hervorgetreten.[1] Ihr Ziel ist es, die Rolle Theodorets innerhalb der Mönchsgeschichte schärfer herauszuarbeiten sowie dieses Werk selbst innerhalb der christologischen und kirchenpolitischen Kontroversen zwischen den Konzilien von Ephesos 431 und Chalkedon 451 zu verorten. In der Forschungskontroverse, ob die Mönchsgeschichte eher in einer für den Autor im wesentlichen friedvollen Phase entstanden ist oder als Teil der religiös-kirchenpolitischen Auseinandersetzungen anzusehen ist, schließt sie sich klar der letzteren Position an: „[...] the Religious History is part of a struggle, not the product of a quiet hour“ (32).

Urbainczyk hat ihr Buch in drei Hauptabschnitte gegliedert: Im ersten Teil („Setting the Scene“, 3-64) geht es um den historischen und literarischen Hintergrund des Werkes sowie um die Ansprüche, die Theodoret selbst im Prolog erhebt. Der zweite Teil („The Heroes of the Religious History“, 65-112) bietet eine Werkanalyse unter den Fragestellungen, wie der Autor seine Figuren präsentiert, wie ihr sozialer Status war und welche Aktivitäten sie entfaltet haben. Der dritte Teil schließlich („Interaction with Clerics“, 113-147) ist der Rolle Theodorets gewidmet; gefragt wird vor allem nach der Beziehung zwischen Asketen und der Kirche bzw. ihren Vertretern und der Funktion Theodorets innerhalb dieses Beziehungsgeflechts.

Die Thesen der Verfasserin werden dabei rasch klar: Urbainczyk zufolge erfüllt die Mönchsgeschichte vor allem drei Funktionen (68):

1.) Sie plädiere für eine besondere Position Syriens in kirchenpolitischen Belangen, insbesondere gegenüber Ägypten, indem sie veranschauliche, daß auch Syrien – ebenso wie Ägypten – eine ganz beachtliche Zahl Holy Men hervorgebracht habe.

2.) Sie zeichne eine enge, geradezu ideale Verbindung zwischen den Holy Men und der Kirche bzw. ihren Vertretern.

3.) Sie demonstriere, daß Theodoret eine einzigartige Autorität unter den Holy Men im syrischen Raum genieße.

Um diese Thesen im einzelnen zu entwickeln und zu veranschaulichen, widmet sich Urbainczyk zunächst einigen Aspekten der Biographie Theodorets, vor allem der Tatsache, daß er offenbar einer wohlhabenden, griechischsprachigen Familie entstammte und eine klassische Erziehung genoß, trotz allem aber auch das Syrische beherrschte und insbesondere durch seine Mutter schon früh in Kontakt zu den Holy Men in der Umgebung seiner Heimatstadt Antiocheia getreten ist (16-21). Im folgenden zeichnet die Verfasserin Theodoret als energischen Verfechter klarer Positionen innerhalb der theologischen Kontroversen (21-28).

Wichtig für das Verständnis der Mönchsgeschichte ist Urbainczyks Beobachtung, daß der Aufbau dieses Werkes der Biographie des Verfassers folgt, insofern als die ersten Viten Asketen aus der Region um Antiocheia, der Heimatstadt Theodorets, beschreiben, während der Fokus im folgenden auf die Umgebung von Kyrrhos, dem späteren Bischofssitz Theodorets, gerichtet wird (39). Aufschlußreich ist sodann auch die Einordnung der Mönchsgeschichte in das hagiographische Schrifttum der christlichen Spätantike, das der Herausarbeitung besonderer Eigenheiten dieses Werkes dienen soll (40-51). Urbainczyk kontrastiert die Mönchsgeschichte u.a. mit der Antonius-Vita des Athanasios sowie mit verwandten Vitensammlungen und findet dabei eine Bestätigung eine ihrer Hauptthesen, wonach Theodorets Werk vor allem die Verwurzelung des Autors im syrischen Raum demonstrieren wolle („his insider nature“) und überdies weniger die hohe Anzahl der ansässigen Asketen als ihre Ausbreitung in der gesamten Region habe betonen wollen („studded with ascetic stars“) (46). Letztlich sei es darum gegangen, zu beweisen, „that Syria had spiritual heroes equivalent to those of Egypt“ (47). Im Vergleich zu anderen hagiographischen Texten sei zudem auffällig, daß Theodoret in seinem Werk eine ungewöhnlich hohe Präsenz aufweise und daß die Mönchsgeschichte in einem recht anspruchsvollen Stil verfaßt sei, sich also vornehmlich an gebildete Leser richte (51).

Im Hinblick auf den sozialen Hintergrund der von Theodoret beschriebenen Asketen kommt die Verfasserin zu dem Ergebnis, daß die meisten von ihnen wohlhabenden Familien entstammten; einige hätten Syrisch gesprochen, doch sei nicht diese Eigenschaft ein Zeichen niedriger Herkunft gewesen, sondern eher das Fehlen von Griechischkenntnissen. Theodoret benutze die Hinweise auf die Sprachkenntnisse seiner Helden, um Kontraste zwischen hoher und niedriger Abkunft herauszuarbeiten. Asketen, die ausschließlich das Syrische beherrscht hätten, seien deshalb umso bewundernswerter gewesen, weil ihre trotzdem vorhandene Macht somit allein auf ihr inniges Verhältnis zu Gott habe zurückgeführt werden können. Damit ziehe sich ein permanenter Widerspruch durch die Mönchsgeschichte: Theodoret lobe auf der einen Seite Asketen niedriger Herkunft, andererseits aber auch solche, die aus wohlhabenden Familien gestammt und bewußt ihren Reichtum aufgegeben hätten (67-79). Man wird dies auf die Integrationsleistung des Autors zurückführen können, der beide Asketen-Gruppen in möglichst positivem Licht erscheinen lassen will.

Im folgenden gelingt es der Verfasserin überzeugend, Thesen zurückzuweisen, wonach Asketen in völliger Einsamkeit gelebt hätten, indem sie den Nachweis führt, daß alle Holy Men (Urbainczyk benutzt die Begriffe „Mönch“, „Asket“ und „Holy Man“ deckungsgleich, S.13) in bestimmte soziale Beziehungsgeflechte eingebunden waren (80-88), und kommt zu dem Ergebnis, daß „one might almost see Theodoret’s Religious History as a monastery, a collection of individuals, to which readers come to learn“ (83).

Die anschließenden Überlegungen sind der Lebensweise der Asketen bzw. ihrer Darstellung bei Theodoret gewidmet. Urbainczyk dürfte allerdings kaum das Richtige treffen, wenn sie das Sammelsurium an Askeseformen in der Mönchsgeschichte als „freak show“ bezeichnet (89). Auch wenn Theodoret möglicherweise mitunter übertrieben hat (obwohl er selbst allzu starke Askeseformen ablehnte), so ist doch zu bedenken, daß Holy Men im syrischen Raum keineswegs eine Seltenheit darstellten und – wie die Verfasserin ja zuvor selbst herausgearbeitet hat – in die sozialen Beziehungsgeflechte ihrer Umgebung eingebunden waren. Zudem erwartete die Leserschaft einer hagiographischen Biographiensammlung entsprechende Exempla. Theodoret beschreibt jedenfalls sicherlich keine gänzlichen Absurditäten. Als „freak show“ mögen die syrischen Asketen einem modernen mitteleuropäischen oder amerikanischen Publikum vorkommen – die von Theodoret intendierte Leserschaft dürfte in diesem Punkt differenzierter geurteilt haben.

Wie ein solch differenzierteres Bild ausgesehen haben mag, demonstriert Urbainczyk selbst am Beispiel der Symeon-Vita in der Mönchsgeschichte (Kap. 26), womit sie zugleich indirekt ihre „freak show“-These widerlegt: Denn – wie sie plausibel herausarbeitet – die Symeon-Vita scheint innerhalb der Mönchsgeschichte eine deutliche Kritik an übertriebener Askese zu artikulieren: „So Symeon appears, or Theodoret makes him appear, extreme, obstreperous, and even rather stupid“ (100). Symeons extreme Askese lag außerhalb der Kontrollmöglichkeiten der Kirche, insbesondere Theodorets. Der Autor kritisiert – wie Urbainczyk plausibel vermutet – damit Asketen, die weder den Rat von Laien noch von Klerikern beherzigten, sondern sich allein Gott verpflichtet fühlten.

Der letzte Abschnitt des Buches behandelt die Beziehungen von Holy Men und Klerikern sowie die Rolle Theodorets dabei. Urbainczyk zufolge wirbt die Mönchsgeschichte für eine enge Zusammenarbeit von Asketen und den Vertretern der Kirche, wobei erstere zwar als bemerkenswerte, letztlich aber doch naive Persönlichkeiten gezeichnet würden, die der kirchlichen Leitung bedürften. Wie eine solche kirchliche Leitung im Idealfall aussehe, beschreibe Theodoret an sich selbst. Der Autor suggeriere, daß das Priesteramt eine größere Herausforderung als die reine Askese darstelle, da es schwieriger sei, innerhalb der menschlichen Gesellschaft zu wirken, als in der Einsamkeit den eigenen asketischen Neigungen zu folgen (116-120). Unter den insgesamt ausgesprochen positiv gezeichneten Klerikern nähmen für Theodoret vor allem die Bischöfe eine Sonderstellung ein, denn sie müßten sich außergewöhnliche Verdienste erwerben. Der einzige Bischof, der dabei ausführlicher geschildert werde, sei Theodoret selbst. Er kümmere sich um die Asketen, betreue sie regelrecht und wirke als Mittelsmann zwischen ihnen und der Gesellschaft. Sein besonderes Ansehen unter den Holy Men wird mehrfach betont. Urbainczyk arbeitet heraus, daß das Verhältnis zwischen Asketen und Klerikern „symbiotic“ gewesen sei, da beide Gruppen aufeinander angewiesen gewesen seien und sich gegenseitig zugearbeitet hätten (129).

Wichtig sind Urbainczyks folgende Überlegungen zu den Passagen, in denen Theodoret seine eigene Geburt und deren Vorgeschichte schildert. Der Verfasserin ist es gelungen, überzeugend herauszuarbeiten, daß Theodoret, der „(von) Gott geschenkte“, deutliche Parallelen zwischen sich selbst und Christus sowie zwischen seiner Mutter und Maria zieht und für sich selbst darüber hinaus Attribute eines Heiligen in Anspruch nimmt. So erscheint er schließlich in seinem Werk nicht nur als Bischof, sondern – wie Urbainczyk bereits im Untertitel ihres Buches vermerkt – als Holy Man, d.h. als eine Person, die beide Ideale in sich vereinigt und somit als einzigartige Mittlerfigur zwischen Klerikern und Asketen zu wirken vermag (136-142).

Auf den ersten Blick hat die Verfasserin damit eine konzise Analyse eines zentralen Werkes christlicher Hagiographie der Spätantike geleistet. Dennoch wirft ihr Buch eine Reihe von Problemen auf: Die in der Einleitung angekündigte Verortung der Mönchsgeschichte in die zeitgenössischen theologischen und kirchenpolitischen Kontroversen wird letztlich nicht geleistet. Urbainczyks Thesen zum persönlichen Führungsanspruch Theodorets unter den Asketen und Klerikern im syrischen Raum sowie zum Gegensatz zwischen Syrien und Ägypten bleiben zu vage, als daß sie die Stellung des Werkes innerhalb der Kirchenpolitik zwischen 431 und 451 wirklich zu erhellen vermöchten. Wer in dieser Hinsicht präzisere Informationen sucht, sei auf die Arbeit Hartmut Leppins „Zum kirchenpolitischen Kontext von Theodorets Mönchsgeschichte“ verwiesen,[2] wo im übrigen eine Reihe der Ergebnisse Urbainczyks bereits formuliert sind: Bereits Leppin, dessen Arbeit Urbainczyk durchaus geläufig ist (S. 159), hat auf Theodorets Tendenz hingewiesen, ein Idealbild der Beziehungen zwischen Asketen und Klerikern zu zeichnen;[3] ebenso hat er Theodorets Bemühen, seine eigene Position dabei in besonders günstiger Weise hervorzuheben, erkannt;[4] Leppin hat zudem die These gut begründet, daß die Mönchsgeschichte in einer Phase starker kirchenpolitischer Spannungen, die auch den Autor betrafen, entstand;[5] auch ein Verweis auf Theodorets Ablehnung allzu strenger Askese läßt sich bereits bei Leppin finden;[6] und letztlich vertritt auch Leppin bereits die These vom Charakter der Mönchsgeschichte als einer Tendenzschrift, die das syrische Asketentum gegenüber dem ägyptischen aufwerten will.[7]

Trotz allem sind Urbainczyk gute und wichtige Beobachtungen gelungen, doch wundert man sich, warum sie diese nicht genutzt hat, um ihrer Analyse eine größere Schärfe und Tiefe zu verleihen: Wichtig ist – wie schon angedeutet – die Beobachtung, daß der Aufbau der Mönchsgeschichte den wichtigsten Stationen der Biographie ihres Autors folgt – allein, was folgt daraus? Ähnlich verhält es sich mit der Einordnung der Mönchsgeschichte in den Kontext spätantiker Hagiographie: Wenn nach längerer Erörterung der Antonius-Vita und ihrer Exempel-Funktion als Ergebnis stehen bleibt, daß diese länger ist als Theodorets Asketenviten und daß Theodoret im Gegensatz zu Athanasios auf adhortative wörtliche Reden in Richtung der Mönche verzichtet hat (44f.), so stellt sich die Frage nach dem Erkenntniswert solcher Erörterungen. Wenig geschickt ist auch Urbainczyks Begründung für ihre Analyse des Prologes: Zwar seien Theodorets Äußerungen insgesamt recht topisch und er habe seine eigenen Ansprüche vielfach nicht eingelöst, aber es sei doch interessant, sie sich trotzdem einmal anzusehen. Warum sollte man dies denn dann tun, zumal wenn am Ende das insgesamt doch wenig hilfreiche Ergebnis steht, daß „the prologue is, above all else, an effective advertisement for the work as a whole, promising an entertaining, varied, perhaps amazing tale, which will also be good for its readers“ (59). Ein wenig ungeordnet wirken schließlich Urbainczyks Überlegungen zur Funktion der syrischen Sprache bei Theodoret (72-79). Ist das Syrische nun ein Indikator für soziale Stellung oder nicht, und wenn ja, in welcher Weise? Auch Urbainczyks interessante Beobachtung, daß Theodoret prinzipiell mit Wunderbeschreibungen geizt und diese – wenn überhaupt – dann vor allem mit denjenigen Asketen verknüpft, zu denen er selbst eine besondere Beziehung hatte, bleibt letztlich nutzlos, da nicht danach gefragt wird, was daraus gefolgert werden kann. Mit ihrer Bemerkung „whatever the reason“ (94) geht die Autorin hier – wie so oft – der entscheidenden Frage aus dem Weg.

Schließlich sei noch angemerkt, daß eine Einordnung der Mönchsgeschichte sowie der Person Theodorets insgesamt in allgemeinere kirchenpolitische Kontexte letztlich nicht auf Basis einer ausschließlichen Betrachtung dieses Werkes geleistet werden kann. Um hier zu stichhaltigeren Ergebnissen zu gelangen, hätten weitere Zeugnisse – vor allem die übrigen Schriften Theodorets – in weitaus stärkerem Maße herangezogen werden müssen.

So bleibt am Ende ein zwiespältiges Urteil: Urbainczyk hat eine Reihe wichtiger, nicht immer neuer Aspekte plausibel herausgearbeitet; aber sie hat sich vielfach zu früh mit ihren Resultaten begnügt, ohne weiterzufragen, wo dies angemessen und fruchtbar gewesen wäre. Vielleicht könnte dies die Perspektive für einen zweiten Band sein, der auf den Ergebnissen der vorliegenden Monographie aufbauen könnte.

 

Mischa Meier, Bielefeld
mmeier8@Geschichte.uni-bielefeld.de

 



[1] ) Th. Urbainczyk: Socrates of Constantinople, Historian of Church and State. Ann Arbor 1997.

[2] ) H. Leppin: Zum kirchenpolitischen Kontext von Theodorets Mönchsgeschichte,.Klio 78, 1996, 212-230.

[3] ) Vgl. Leppin (wie Anm. 2), 213.

[4] ) Leppin (wie Anm. 2), 214, 217, 218, 219, 220, 226, 227, 228.

[5] ) Leppin (wie Anm. 2), 215.

[6] ) Leppin (wie Anm. 2), 223, 226.

[7] ) Leppin (wie Anm. 2), 230.