Seth Schwartz:
Imperialism and Jewish Society, 200 B.C.E. to 640 C.E. Princeton and Oxford : Princeton
University Press 2001, 320 S.
Das hier anzuzeigende Buch ist ambitioniert und aspiring to innovation (4). Es behandelt die gesamte jüdische Geschichte in Palästina während der Antike über einen Zeitraum von über 1000 Jahren, ausgehend von den Reformen Esras und Nehemias im 5. Jahrhundert v. Chr. (also anders und weiter als im Titel angezeigt) bis zum Ende der römischen Herrschaft über Palästina im 7. Jahrhundert n. Chr. Trotz dieser weiten Spanne ist das Buch keine Überblicksdarstellung, denn ihm liegt eine besondere Fragestellung zugrunde: Wie wirkten sich die verschiedenen Typen auswärtiger Herrschaft der Perser, Makedonen, Ptolemäer, Seleukiden, sowie der zunächst republikanischen, dann kaiserzeitlichen und schließlich christlichen Römer auf die innere Struktur der jüdischen Gesellschaft aus? So vielversprechend und überhaupt naheliegend dieser Ansatz ist, so wenig ist er bisher der Forschung über das Judentum zugrundegelegt worden. Die Ursache dafür wird man in der Spezialisierung zu suchen haben, die Judaisten, Religionswissenschaftler, Althistoriker, Archäologen auf je ihre eigenen Gebiete beschränkt hält. Ausgangspunkt und Ergebnis des Buches zugleich ist, daß kleine Gesellschaften wie die jüdische in Palästina nicht zu lösen sind von den jeweiligen politischen Strukturen, in die sie eingebettet sind. Von diesem Ansatz ausgehend entwickelt S. eine Dreiteilung der jüdischen Geschichte in der Antike:
1. Vom
5. Jahrhundert v. Chr. bis 70 n. Chr. gab es eine im wesentlichen unitarische, lose
zentralisierte jüdische Gesellschaft, gestützt auf die Pfeiler Gott, Tempel, Torah,
während die jeweiligen Oberherrschaften relativ tolerant gewesen seien und mit der
jüdischen Führungsschicht zusammengearbeitet haben.
2. Der
wachsende römische Integrationsdruck nach 70 und noch mehr nach 135 destabilisierte und
desintegrierte die jüdische Gesellschaft, ein Prozeß, der bis etwa 350 angedauert habe.
Juden wurden zu normalen Teilhabern der städtischen Kultur im Osten des Reiches mit all
ihren heidnischen Implikationen; die rabbinische Gegenströmung blieb
zunächst eine Marginalie.
3. Die
Christianisierung des römischen Reiches seit Konstantin, besonders aber seit etwa 350,
bewirkte auch eine Rejudaisierung der Juden, die in einer kulturellen
Explosion ihren Ausdruck fand. Zentrum dieser Besinnung auf sich selbst wurden die
Synagoge mit ihrer eigenen Bildersprache.
Dieser ungewöhnliche Blick auf die Geschichte des
antiken Judentums wird eindrucksvoll herausgearbeitet, der Leser wird durch eine wahre
Flut von Ideen, Beobachtungen, Argumenten, dann wieder Zweifeln und Einschränkungen,
schließlich stringent deduzierten Erkenntnissen, gespeist aus einer immensen
Forschererfahrung auf diesem Gebiet, gleichsam an die Hand genommen und zur Hauptthese des
Buches hingeführt. Am Anfang steht eine Einführung (116), die psychologisch
geschickt gleich im ersten Satz dem Leser die Kernthese des Buches fast an den Kopf wirft,
um dann Methoden und den Umgang mit bestimmten Begriffen zu erläutern, die für ein
Verständnis des Buches unerläßlich sind. Gleichsam nebenbei werden auf diese Weise
potentielle Widersacher aus dem Wege geräumt, wie Jacob Neusner, der mit
seiner weithin akzeptierten Lehre einer Pluralität von Judaismen für die Zeit des
Zweiten Tempels der Idee unseres Autors entgegensteht. Eine andere Hürde für S. ist der
in der Literatur häufig verwendete Begriff Demokratisierung zur Kennzeichnung
eines innerjüdischen Prozesses seit der Zeit des späteren Zweiten Tempels; seine
Zurückweisung auf den Seiten 1214 ist ein Musterbeispiel für die Argumentierkunst
unseres Autors. Und so geht es weiter.
Das Buch ist insgesamt in drei große Abschnitte
eingeteilt, die alle das palästinische Judentum betreffen, chronologisch angelegt und
tendenziell gleichgewichtig sind: Teil 1 (1799) befaßt sich mit der Epoche bis 70
n. Chr., Teil 2 (101176) mit derjenigen von 135350 n. Chr. und Teil 3
(177289) mit derjenigen von 350640 n. Chr. Jeder dieser Teile ist in sich
wieder in Kapitel untergliedert, die jeweils für Einzelfragen die ganze Epoche in den
Blick nehmen, also systematisch angelegt sind. Dadurch erreicht S. einen hohen Grad
argumentativer Dichte, man hat den Eindruck von Vollständigkeit, zumal alle
Quellengattungen ausführlich herangezogen werden.
Im ersten Teil über die persische, hellenistische und
frührömische Epoche stellt S. die Typen fremder Herrschaft mit ihrer Gewährung der
väterlichen Gesetze als weitgehend tolerant dar (Antiochos IV. war für ihn
eine Ausnahme) mit fundamentalen Auswirkungen auf die jüdische Gesellschaft und die
Religion. Um sich unter diesen Bedingungen einzurichten, wurden die drei Pfeiler der
jüdischen Religion Gott, Tempel, Torah fest verankert. Auch die apokalyptische und
dualistische Anschauung, greifbar in der literarischen Überlieferung seit dem 3.
Jahrhundert, änderte daran nichts, weil auch diese ganz auf die Torah und den Bund
bezogen gewesen sei. Judentum war im wesentlichen einheitlich dies im dezidierten
Gegensatz zu Neusner formuliert. Die Entwicklung der Sekten am Ende der Epoche
(Qumran, Christen) zeige die Stärke der Judaistischen Ideologie in Verbindung mit
zunehmender Schwäche der zentalen Religionskontrollen (97 f.).
Eine stringente Argumentation zeichnet auch Teil 2 des
Buches über die Zeit von Bar Kochba bis Konstantin aus. Die darin entwickelte These eines
postrevolt collapse of any normatively Jewish ideological system und der damit
zusammenhängenden vollständigen jüdischen Teilnahme an der städtischen und
zwangsläufig heidnisch kolorierten Kultur des römischen Ostens (158 ff.) hat zwei
Voraussetzungen: 1. die zwangsweise zur Integration drängende Gewalt des
römischen Staates (S. gebraucht tatsächlich den Begriff violence of the Roman
State) und 2. die Marginalisierung von Rabbinen und Patriarchen. Während letztere
Erkenntnis sich immer mehr durchzusetzen scheint (vgl. z.B. K. Strobel, Jüdisches
Patriarchat, Rabbinentum und Priesterdynastie von Emesa: Historische Phänomene innerhalb
des Imperium Romanum der Kaiserzeit, in: Ktema 14 [1989], S.3977), ist
Ersteres gewiß umstritten (vgl. nur F. Millar, The Roman Near East, Cambridge 1993). Zwar
habe ich selbst in einem Beitrag für die Historische Zeitschrift 266 (1998),
S.2346, gleichfalls auf die Tendenz zur Vereinheitlichung des Imperium Romanum
hingewiesen, dies aber natürlich nur auf der Basis des geltenden Rechts. S. diskutiert
gerade dieses Problem aber (anders als das rabbinische) nicht wirklich, sondern verlegt
sich umgehend auf die Diskussion des archäologischen und numismatischen Quellenbestandes
(129161) zu Galiläa, Tiberias und Sepphoris. Über die Deutung des Materials gibt
es innerhalb der Forschung Kontroversen (etwa E. R. Goodenough, Jewish Symbols in the
Greco-Roman Period, 13 Bde., Prindeton 1953-1968, und M. Avi-Yonah, Art in Ancient
Palestine, Jerusalem 1981), doch S. hat sich über die Vorentscheidungen (Rabbinen
marginal und Staat vereinheitlichend) bereits in die Lage versetzt, das jüdische
Palästina in eine Linie mit all den anderen Regionen des römischen Ostens zu versetzen
und dementsprechend die materielle Hinterlassenschaft zu interpretieren.
Mit dieser These einer Desintegration des Judentums hat
sich S. eine gute Voraussetzung für die Entfaltung seiner Hauptthese im Teil 3
geschaffen: Mittels der Synagoge gelingt die Rejudaisierung des Judentums
Voraussetzung deshalb, weil die Synagoge in der Zeit vor 350 keine große Rolle
gespielt haben darf, gewiß der problematischste Aspekt der Argumentation.
Um so sorgfältiger geht S. vor, um die Voraussetzungen
für seine These zu zementieren und zwar gerade auf den Feldern, wo ihm das offenbar
leicht möglich schien:
1. Die
Christianisierung des Reiches stellt für ihn eine fundamentale Zäsur in der Geschichte
des Judentums dar, weil sie die Juden marginalisierte und gleichzeitig gesellschaftlich
beeinflußte; die Kaiser machten sich bei ihrer Gesetzgebung immer mehr zu Handlangern der
Bischöfe. Diese Ansicht ist zwar weit verbreitet (zuletzt wieder K.-L. Noethlichs, Die
Juden im christlichen Imperium Romanum, Berlin 2001), sie ist aber trotzdem anfechtbar und
m.E. falsch. Ausführlich diskutiert S. dann die ohnehin herrschende Sicht in dieser Frage
(179202).
2. Die
Zeit von 350550 sei die Zeit des Synagogenbaues in Palästina gewesen, welcher die
Basis für die Neuorientierung des Judentums gewesen sei. S. weiß natürlich, daß die
Synagoge erheblich älter ist (3. Jahrhundert v. Chr.), doch bedient er sich eines
Kunstgriffs, um dieses Problem für ihn zu marginalisieren: Er halte eine ausführliche
Beschäftigung mit Ursprüngen für falsch, weil sie die Gewichte zu stark auf
die eigentlich nicht relevante Frühphase verschiebe und dadurch den Blick auf die
zentrale Frage verstelle. Rabbinen, Patriarchat, und nun also auch die Synagogen waren vor
350 ohne Gewicht. Diese Einschätzung ermöglicht S. in den letzten beiden Kapiteln, die
Judaisierung und Synagogisierung (240289) ausführlich zu
begründen, was ihm anhand wiederum eines besonderen Zugriffs auf die figürlichen
Darstellungen in den Synagogenbauten dieser Zeit, und dem Hinweis auf die steigende
Bedeutung der Rabbinen sowie neuer Literaturformen auch gelingt.
Zum Schluß wäre der Leser von der Gewalt der
Argumente, der offen gezeigten Abwägung und den immer wieder pointiert und fast als
Stilmittel vorgetragenen Einschränkungen all zu weitgehender Vermutungen überzeugt
wenn nicht doch die Zwangsläufigkeit der Argumentation manchmal eben nur scheinbar
wäre.
Der innovative Charakter des Buches zeigt sich gleich
mehrfach: Es vertritt für die Zeit des Zweiten Tempels auch gegen Ende einen unitarischen
Judaismus; die Marginalisierung der rabbinischen Deutung wird besonders für das 2./3.
Jahrhundert exzessiv argumentativ weitergeführt; die Synagoge wird als Fundament einer
Rejudaisierung auf die Zeit des 4.6. Jahrhunderts beschränkt. Dazu kommt die
argumentative Kraft des Autors, der nahezu auf jeder Seite originelle Beobachtungen und
Interpretationen anstellt und den Leser auch durch den Verzicht auf jede Polemik zu
gewinnen vermag. Gegen die Stichhaltigkeit seiner Theorie gibt es freilich Einwände:
1. Das Buch
heißt Imperialism and Jewish Society im Sinne eines engen Zusammenspiels,
doch verzichtet S. völlig auf den Faktor Imperialism: Why the Roman
Empire rose, why it was more centralizing than its predecessors and why, finally, it
eventually became Christian - three developments of central importance in this account(!)
are questions I happily leave to others (4). Das bedeutet realiter: S. konzentriert sich auf das
Judentum allein, und noch mehr: auf das palästinische Judentum und gerade nicht auf das
Zusammenspiel zwischen Weltmächten und jüdischen Untertanen. So fehlt im Grunde all den
Thesen die Untermauerung, die ja ihre Voraussetzung ist.
2. Das
Buch basiert auf Grundannahmen - zum Charakter hellenistischer Königreiche, zur
römischen Republik, zur Kaiserzeit und zur Spätantike -, die nicht nur nicht überprüft
werden, sondern z.T. gar nicht, z.T. mißverständlich, z.T. auch fehlerhaft vertreten
werden. Als Beispiel mag ein Verweis auf
S.181 genügen: The writings of pagan intellectuals are rife with it, and the
brutality of the suppression of the three Jewish revolts goes without saying. But
hostility to Jews and Judaism certainly reached an unprecedently high pitch in late
imperial Christian writing, and this hostility was increasingly reflected in imperial
legislation. Hier ist so ziemlich
alles verfehlt: Die Heiden Tacitus und Apion reflektieren gewiß einen höheren Grad an
Judenfeindschaft als selbst Johannes Chrysostomos und alle anderen christlichen Autoren,
die kaiserliche Gesetzgebung ist sicherlich Ausdruck starken Drucks auf die Juden, doch
nicht um sie zu marginalisieren, sondern um sie zu integrieren, und staatliche
Kriege gegen die Juden hat die Spätantike, anders als der Prinzipat, erst recht nicht
gekannt. S. argumentiert oft so. Zudem kontrastiert er, wo es nichts zu kontrastieren
gibt, z.B. die römische Politik des 2./3. Jahrhunderts mit derjenigen des 4. Jahrhunderts
in Bezug auf den zunehmenden Vereinheitlichungsprozeß.
3. Ähnliches
könnte auch den Umgang mit dem archäologischen Material betreffen, das er brillant, aber
auch willkürlich auswertet.
4. Man
fragt sich, ob die methodischen Vorbemerkungen zu Beginn des Buches wirklich notwendig
waren und immer bedacht worden sind; gelegentlich widerspricht sich S. auch auf diesem
Feld, so wenn er seinen auf S.187 formulierten Umgang mit den Rechtstexten (But we
can not write social history from prescription) auf S.195 offenbar ganz vergessen
hat, wo gerade die massive Bedeutung der Rechtstexte auf die jüdische Gesellschaft
umfassend analysiert werden.
Es bleibt trotz allem ein anregendes Buch, mit vielen
Ideen, umfassender Quellenanalyse (zumeist der rabbinischen und archäologischen Quellen)
und einem erfreulicherweise klar greifbaren Ergebnis. Ganz allerdings wird es seinem
Anspruch, das Verhältnis zwischen dem Imperialismus und der jüdischen Gesellschaft zu
erforschen, nicht gerecht.
Ernst Baltrusch, Berlin
balt@zedat.fu-berlin.de