Seth Schwartz: Imperialism and Jewish Society, 200 B.C.E. to 640 C.E. Princeton and Oxford : Princeton University Press 2001, 320 S. $39.50 / £27.95 | ISBN: 0-691-08850-0


Das hier anzuzeigende Buch ist ambitioniert und „aspiring to innovation“ (4). Es behandelt die gesamte jüdische Geschichte in Palästina während der Antike über einen Zeitraum von über 1000 Jahren, ausgehend von den Reformen Esras und Nehemias im 5. Jahrhundert v. Chr. (also anders und weiter als im Titel angezeigt) bis zum Ende der römischen Herrschaft über Palästina im 7. Jahrhundert n. Chr. Trotz dieser weiten Spanne ist das Buch keine Überblicksdarstellung, denn ihm liegt eine besondere Fragestellung zugrunde: Wie wirkten sich die verschiedenen Typen auswärtiger Herrschaft – der Perser, Makedonen, Ptolemäer, Seleukiden, sowie der zunächst republikanischen, dann kaiserzeitlichen und schließlich christlichen Römer – auf die innere Struktur der jüdischen Gesellschaft aus? So vielversprechend und überhaupt naheliegend dieser Ansatz ist, so wenig ist er bisher der Forschung über das Judentum zugrundegelegt worden. Die Ursache dafür wird man in der Spezialisierung zu suchen haben, die Judaisten, Religionswissenschaftler, Althistoriker, Archäologen auf je ihre eigenen Gebiete beschränkt hält. Ausgangspunkt und Ergebnis des Buches zugleich ist, daß kleine Gesellschaften wie die jüdische in Palästina nicht zu lösen sind von den jeweiligen politischen Strukturen, in die sie eingebettet sind. Von diesem Ansatz ausgehend entwickelt S. eine Dreiteilung der jüdischen Geschichte in der Antike:

1.    Vom 5. Jahrhundert v. Chr. bis 70 n. Chr. gab es eine im wesentlichen unitarische, lose zentralisierte jüdische Gesellschaft, gestützt auf die Pfeiler Gott, Tempel, Torah, während die jeweiligen Oberherrschaften relativ tolerant gewesen seien und mit der jüdischen Führungsschicht zusammengearbeitet haben.

2.    Der wachsende römische Integrationsdruck nach 70 und noch mehr nach 135 destabilisierte und desintegrierte die jüdische Gesellschaft, ein Prozeß, der bis etwa 350 angedauert habe. Juden wurden zu normalen Teilhabern der städtischen Kultur im Osten des Reiches mit all ihren „heidnischen“ Implikationen; die rabbinische Gegenströmung blieb zunächst eine Marginalie.

3.    Die Christianisierung des römischen Reiches seit Konstantin, besonders aber seit etwa 350, bewirkte auch eine „Rejudaisierung“ der Juden, die in einer „kulturellen Explosion“ ihren Ausdruck fand. Zentrum dieser Besinnung auf sich selbst wurden die Synagoge mit ihrer eigenen Bildersprache.

 

Dieser ungewöhnliche Blick auf die Geschichte des antiken Judentums wird eindrucksvoll herausgearbeitet, der Leser wird durch eine wahre Flut von Ideen, Beobachtungen, Argumenten, dann wieder Zweifeln und Einschränkungen, schließlich stringent deduzierten Erkenntnissen, gespeist aus einer immensen Forschererfahrung auf diesem Gebiet, gleichsam an die Hand genommen und zur Hauptthese des Buches hingeführt. Am Anfang steht eine Einführung (1–16), die psychologisch geschickt gleich im ersten Satz dem Leser die Kernthese des Buches fast an den Kopf wirft, um dann Methoden und den Umgang mit bestimmten Begriffen zu erläutern, die für ein Verständnis des Buches unerläßlich sind. Gleichsam nebenbei werden auf diese Weise potentielle Widersacher „aus dem Wege geräumt“, wie Jacob Neusner, der mit seiner weithin akzeptierten Lehre einer Pluralität von Judaismen für die Zeit des Zweiten Tempels der Idee unseres Autors entgegensteht. Eine andere Hürde für S. ist der in der Literatur häufig verwendete Begriff „Demokratisierung“ zur Kennzeichnung eines innerjüdischen Prozesses seit der Zeit des späteren Zweiten Tempels; seine Zurückweisung auf den Seiten 12–14 ist ein Musterbeispiel für die Argumentierkunst unseres Autors. Und so geht es weiter.

Das Buch ist insgesamt in drei große Abschnitte eingeteilt, die alle das palästinische Judentum betreffen, chronologisch angelegt und tendenziell gleichgewichtig sind: Teil 1 (17–99) befaßt sich mit der Epoche bis 70 n. Chr., Teil 2 (101–176) mit derjenigen von 135–350 n. Chr. und Teil 3 (177–289) mit derjenigen von 350–640 n. Chr. Jeder dieser Teile ist in sich wieder in Kapitel untergliedert, die jeweils für Einzelfragen die ganze Epoche in den Blick nehmen, also systematisch angelegt sind. Dadurch erreicht S. einen hohen Grad argumentativer Dichte, man hat den Eindruck von Vollständigkeit, zumal alle Quellengattungen ausführlich herangezogen werden.

Im ersten Teil über die persische, hellenistische und frührömische Epoche stellt S. die Typen fremder Herrschaft mit ihrer Gewährung der „väterlichen Gesetze“ als weitgehend tolerant dar (Antiochos IV. war für ihn eine Ausnahme) mit fundamentalen Auswirkungen auf die jüdische Gesellschaft und die Religion. Um sich unter diesen Bedingungen einzurichten, wurden die drei Pfeiler der jüdischen Religion Gott, Tempel, Torah fest verankert. Auch die apokalyptische und dualistische Anschauung, greifbar in der literarischen Überlieferung seit dem 3. Jahrhundert, änderte daran nichts, weil auch diese ganz auf die Torah und den Bund bezogen gewesen sei. Judentum war im wesentlichen einheitlich – dies im dezidierten Gegensatz zu Neusner formuliert. Die Entwicklung der „Sekten“ am Ende der Epoche (Qumran, Christen) zeige die Stärke der Judaistischen Ideologie in Verbindung mit zunehmender Schwäche der zentalen Religionskontrollen (97 f.).

Eine stringente Argumentation zeichnet auch Teil 2 des Buches über die Zeit von Bar Kochba bis Konstantin aus. Die darin entwickelte These eines „postrevolt collapse of any normatively Jewish ideological system“ und der damit zusammenhängenden vollständigen jüdischen Teilnahme an der städtischen und zwangsläufig heidnisch kolorierten Kultur des römischen Ostens (158 ff.) hat zwei Voraussetzungen: 1. die zwangsweise zur Integration drängende „Gewalt“ des römischen Staates (S. gebraucht tatsächlich den Begriff „violence of the Roman State“) und 2. die Marginalisierung von Rabbinen und Patriarchen. Während letztere Erkenntnis sich immer mehr durchzusetzen scheint (vgl. z.B. K. Strobel, „Jüdisches Patriarchat, Rabbinentum und Priesterdynastie von Emesa: Historische Phänomene innerhalb des Imperium Romanum der Kaiserzeit“, in: Ktema 14 [1989], S.39–77), ist Ersteres gewiß umstritten (vgl. nur F. Millar, The Roman Near East, Cambridge 1993). Zwar habe ich selbst in einem Beitrag für die Historische Zeitschrift 266 (1998), S.23–46, gleichfalls auf die Tendenz zur Vereinheitlichung des Imperium Romanum hingewiesen, dies aber natürlich nur auf der Basis des geltenden Rechts. S. diskutiert gerade dieses Problem aber (anders als das rabbinische) nicht wirklich, sondern verlegt sich umgehend auf die Diskussion des archäologischen und numismatischen Quellenbestandes (129–161) zu Galiläa, Tiberias und Sepphoris. Über die Deutung des Materials gibt es innerhalb der Forschung Kontroversen (etwa E. R. Goodenough, Jewish Symbols in the Greco-Roman Period, 13 Bde., Prindeton 1953-1968, und M. Avi-Yonah, Art in Ancient Palestine, Jerusalem 1981), doch S. hat sich über die Vorentscheidungen (Rabbinen marginal und Staat vereinheitlichend) bereits in die Lage versetzt, das jüdische Palästina in eine Linie mit all den anderen Regionen des römischen Ostens zu versetzen und dementsprechend die materielle Hinterlassenschaft zu interpretieren.

Mit dieser These einer Desintegration des Judentums hat sich S. eine gute Voraussetzung für die Entfaltung seiner Hauptthese im Teil 3 geschaffen: Mittels der Synagoge gelingt die „Rejudaisierung“ des Judentums – Voraussetzung deshalb, weil die Synagoge in der Zeit vor 350 keine große Rolle gespielt haben darf, gewiß der problematischste Aspekt der Argumentation.

Um so sorgfältiger geht S. vor, um die Voraussetzungen für seine These zu zementieren und zwar gerade auf den Feldern, wo ihm das offenbar leicht möglich schien:

1.    Die Christianisierung des Reiches stellt für ihn eine fundamentale Zäsur in der Geschichte des Judentums dar, weil sie die Juden marginalisierte und gleichzeitig gesellschaftlich beeinflußte; die Kaiser machten sich bei ihrer Gesetzgebung immer mehr zu Handlangern der Bischöfe. Diese Ansicht ist zwar weit verbreitet (zuletzt wieder K.-L. Noethlichs, Die Juden im christlichen Imperium Romanum, Berlin 2001), sie ist aber trotzdem anfechtbar und m.E. falsch. Ausführlich diskutiert S. dann die ohnehin herrschende Sicht in dieser Frage (179–202).

2.    Die Zeit von 350–550 sei die Zeit des Synagogenbaues in Palästina gewesen, welcher die Basis für die Neuorientierung des Judentums gewesen sei. S. weiß natürlich, daß die Synagoge erheblich älter ist (3. Jahrhundert v. Chr.), doch bedient er sich eines Kunstgriffs, um dieses Problem für ihn zu marginalisieren: Er halte eine ausführliche Beschäftigung mit „Ursprüngen“ für falsch, weil sie die Gewichte zu stark auf die eigentlich nicht relevante Frühphase verschiebe und dadurch den Blick auf die zentrale Frage verstelle. Rabbinen, Patriarchat, und nun also auch die Synagogen waren vor 350 ohne Gewicht. Diese Einschätzung ermöglicht S. in den letzten beiden Kapiteln, die „Judaisierung“ und „Synagogisierung“ (240–289) ausführlich zu begründen, was ihm anhand wiederum eines besonderen Zugriffs auf die figürlichen Darstellungen in den Synagogenbauten dieser Zeit, und dem Hinweis auf die steigende Bedeutung der Rabbinen sowie neuer Literaturformen auch gelingt.

 

Zum Schluß wäre der Leser von der Gewalt der Argumente, der offen gezeigten Abwägung und den immer wieder pointiert und fast als Stilmittel vorgetragenen Einschränkungen all zu weitgehender Vermutungen überzeugt – wenn nicht doch die Zwangsläufigkeit der Argumentation manchmal eben nur scheinbar wäre.

Der innovative Charakter des Buches zeigt sich gleich mehrfach: Es vertritt für die Zeit des Zweiten Tempels auch gegen Ende einen unitarischen Judaismus; die Marginalisierung der rabbinischen Deutung wird besonders für das 2./3. Jahrhundert exzessiv argumentativ weitergeführt; die Synagoge wird als Fundament einer Rejudaisierung auf die Zeit des 4.–6. Jahrhunderts beschränkt. Dazu kommt die argumentative Kraft des Autors, der nahezu auf jeder Seite originelle Beobachtungen und Interpretationen anstellt und den Leser auch durch den Verzicht auf jede Polemik zu gewinnen vermag. Gegen die Stichhaltigkeit seiner Theorie gibt es freilich Einwände:

1. Das Buch heißt „Imperialism and Jewish Society“ im Sinne eines engen Zusammenspiels, doch verzichtet S. völlig auf den Faktor „Imperialism“: „Why the Roman Empire rose, why it was more centralizing than its predecessors and why, finally, it eventually became Christian - three developments of central importance in this account(!) – are questions I happily leave to others“ (4). Das bedeutet realiter: S. konzentriert sich auf das Judentum allein, und noch mehr: auf das palästinische Judentum und gerade nicht auf das Zusammenspiel zwischen Weltmächten und jüdischen Untertanen. So fehlt im Grunde all den Thesen die Untermauerung, die ja ihre Voraussetzung ist.

2.    Das Buch basiert auf Grundannahmen - zum Charakter hellenistischer Königreiche, zur römischen Republik, zur Kaiserzeit und zur Spätantike -, die nicht nur nicht überprüft werden, sondern z.T. gar nicht, z.T. mißverständlich, z.T. auch fehlerhaft vertreten werden. Als Beispiel mag ein Verweis auf S.181 genügen: „The writings of pagan intellectuals are rife with it, and the brutality of the suppression of the three Jewish revolts goes without saying. But hostility to Jews and Judaism certainly reached an unprecedently high pitch in late imperial Christian writing, and this hostility was increasingly reflected in imperial legislation“. Hier ist so ziemlich alles verfehlt: Die Heiden Tacitus und Apion reflektieren gewiß einen höheren Grad an Judenfeindschaft als selbst Johannes Chrysostomos und alle anderen christlichen Autoren, die kaiserliche Gesetzgebung ist sicherlich Ausdruck starken Drucks auf die Juden, doch nicht um sie zu „marginalisieren“, sondern um sie zu integrieren, und staatliche Kriege gegen die Juden hat die Spätantike, anders als der Prinzipat, erst recht nicht gekannt. S. argumentiert oft so. Zudem kontrastiert er, wo es nichts zu kontrastieren gibt, z.B. die römische Politik des 2./3. Jahrhunderts mit derjenigen des 4. Jahrhunderts in Bezug auf den zunehmenden Vereinheitlichungsprozeß.

3.    Ähnliches könnte auch den Umgang mit dem archäologischen Material betreffen, das er brillant, aber auch willkürlich auswertet.

4.    Man fragt sich, ob die methodischen Vorbemerkungen zu Beginn des Buches wirklich notwendig waren und immer bedacht worden sind; gelegentlich widerspricht sich S. auch auf diesem Feld, so wenn er seinen auf S.187 formulierten Umgang mit den Rechtstexten („But we can not write social history from prescription“) auf S.195 offenbar ganz vergessen hat, wo gerade die massive Bedeutung der Rechtstexte auf die jüdische Gesellschaft umfassend analysiert werden.

 

Es bleibt trotz allem ein anregendes Buch, mit vielen Ideen, umfassender Quellenanalyse (zumeist der rabbinischen und archäologischen Quellen) und einem erfreulicherweise klar greifbaren Ergebnis. Ganz allerdings wird es seinem Anspruch, das Verhältnis zwischen dem Imperialismus und der jüdischen Gesellschaft zu erforschen, nicht gerecht.

 

Ernst Baltrusch, Berlin
balt@zedat.fu-berlin.de