Thomas Fischer: Noricum (Orbis provinciarum). IV, 157 S. mit 150 Farb-, 13 Schwarzweiß- und 64 Strichabb. Mainz: von Zabern 2002. Euro 37,50. ISBN 3-8053-2829-X.


Im Jahre 1999 legte Tilmann Bechert den ersten Band dieses anspruchsvollen Verlagsprojekts vor (Die Provinzen des Römischen Reiches. Einführung und Überblick). Der renommierte Kölner Provinzialarchäologe Thomas Fischer läßt nun den ersten monographischen Band mit der Darstellung der Provinz Noricum folgen. Er leistet damit im gewissen Sinne Pionierarbeit für die ganze Reihe, so daß das Erscheinen dieses Bandes Gelegenheit gibt, Stärken und Schwächen der Darbietung auch in Hinblick auf die weiteren geplanten Bände zu diskutieren. Im Editorial des Eröffnungsbandes formulierten die Herausgeber (Tilmann Bechert, Rudolf Fellmann, Margot Klee, Annette Nünnerich-Asmus) das Ziel der Reihe wie folgt: „Die Reihe ORBIS PROVINCIARUM richtet sich dabei sowohl an Fachkollegen aller historischen Disziplinen, die für ihre eigene Arbeit auf eine möglichst aktuelle Übersicht zurückgreifen möchten. Ebenso sollen aber auch die interessierten Laien angesprochen werden, die sich dem kulturellen Erbe der Vergangenheit verpflichtet wissen und es auch in Zukunft bewahren wollen." Der von Fischer (F.) vorgelegte Band soll daher im folgenden unter zwei Gesichtspunkten besprochen werden: Aus der Sicht des Philologen, der seine Texte eingebettet versteht in ein historisch-materielles Umfeld (hier ist v.a. an die Vita Severini des Eugipp zu denken), aber auch aus der Sicht des „dilettante", dem die Antike auch über die Texte hinaus ein Anliegen ist, der sich also auf dem Gebiet der Provinzialarchäologie im Sinne des „interessierten Laien" verstehen kann. Die materiell-substantielle Bewertung des Inhalts muß dabei dam Fachmann überlassen bleiben.

Um es vorwegzunehmen: Der Band besticht, wie auch der einleitende von Tilmann Bechert, schon rein äußerlich durch seine äußerst ansprechende Aufmachung. Wie von anderen Publikationen des Verlags gewöhnt, geben meist klar informierende Karten, abundante Farbbilder mit präzise zugeordneten Legenden, sinnvoll eingesetzte Strichzeichnungen eine einprägsame Vorstellung von den mannigfachen Facetten des Themas. Einleitend wird kurz die Geographie der Provinz umrissen. Die Beschreibung erfolgt mit den heutigen geographischen Namen, dazu gibt die Karte im Vorsatz bei den Ortsnamen jeweils die lateinische Benennung, ist also zweisprachig, nicht jedoch bei den Flußnamen. Für den dem Alpenraum fernewohnenden Benutzer werden wohl Flüsse wie Ybbs, Erlauf oder Traisen nicht ohne weiteres einzuordnen sein, wenn sie in der Karte zwar eingezeichnet, aber nicht benannt sind, d.h. die Abstimmung zwischen Text und Karte könnte noch optimiert werden. Das erste historische Kapitel gibt einen Überblick über „Die Kelten im Donauraum und in den Ostalpen in vorrömischer Zeit" (6-14). Zunächst wird die historische Entwicklung geschildert; leider fehlt hier eine Karte, auf der die Wohnsitze einzelner Stämme und die erwähnten Wanderbewegungen lokalisiert werden könnten. Im zweiten Abschnitt dieses Kapitels „Zur Archäologie der Kelten in Noricum" werden Siedlungsplätze und kulturelle Hinterlassenschaft nach den archäologischen Befunden dargestellt. Details: Warum ist nur die Rekonstruktion einer Pfostenschlitzmauer abgebildet und nicht der gleichzeitig erwähnte murus Gallicus? - „J. Caesar" (10) statt C. Iulius ist in der Abkürzung des Gentilnamens ein unzulässiger Modernismus. - Die S. 10ff. erwähnten Höhensiedlungen sollten auf einer Karte sichtbar gemacht werden. - Gurina bei Dellach im oberen Gailtal liegt nicht „südlich der Alpen", sondern südlich des Alpenhauptkamms (S. 11).

„Einrichtung und Entwicklung der Provinz in der frühen und mittleren Kaiserzeit" ist das folgende Kapitel überschrieben, in dem Okkupation, Herrschaftsbildung, Verwaltung, Raumordnung und Grenzen, die Grenzverteidigung und politischen Entwicklungen bis zu den Markomannenkriegen sowie diese selbst dargestellt werden. Abgeschlossen wird das Kapitel mit einer Übersicht über die Entwicklung der Orte am Donaulimes, die Romanisierung des Gebiets sowie mit einen Blick über die Donau nach Norden ins Barbaricum.
Details: Bei der Beschreibung der Provinzgrenzen (20f.) wird der Nachvollzug auf der Karte des Vorsatzblattes durch fehlende Eintragungen erschwert. - Wiederholungen und Überschneidungen ergeben sich aus der Tatsache, daß S. 31ff. ein Überblick über die Orte am Donaulimes gegeben wird, der dann S. 135ff. für die Spätantike fortgesetzt ist (besonders auffallend die teilweise wörtliche Wiederholung der Beschreibung des burgus von Passau-Haibach S. 32 und S. 135, von Hirschleitengraben S. 34 und S. 135, von Mauer S. 43 und S. 138). Da außerdem ein Ortsregister fehlt, muß der Benutzer sich die Informationen an verschiedenen Stellen zusammensuchen. Die Informationen über Passau sind anhand des Kartenmaterials nur unzureichend nachvollziehbar, ein Plan von Linz fehlt, dafür gibt es drei von Lorch. - Kryptisch ist der Hinweis auf die Identifizierung von Mautern mit Favianis „trotz heftiger Kontroversen in den siebziger Jahren" (45). Gemeint ist wohl der in den Literaturangaben nicht genannte Versuch von Johanna Haberl („Favianis, Vindobona und Wien" - Leiden 1976 und „Wien ist älter" - Wien 1981), Favianis mit Wien gleichzusetzen. - Die tabula Peutingeriana wird auf S. 32 erwähnt, aber erst bei der nächsten Erwähnung auf S. 44 als mittelalterliche Kopie einer spätantiken Straßenkarte erklärt (und S. 120 für die Erforschung des römischen Straßenwesens gewürdigt), allerdings in der fehlerhaften Form Peuitingeriana (ebenso S. 138). - Der Abschnitt „Romanisierung" enthält auch ein Kapitel „Kunst", das dem reichen Denkmälerbestand kaum gerecht wird. Die Verwahrorte der abgebildeten Gegenstände (Museen, Sammlungen) sind, anders als bei Bechert, in aller Regel nicht genannt.

Etwas überrascht begegnet man der folgenden Überschrift „Die Provinz Noricum" (65-128), nachdem ja bis dahin ausschließlich davon die Rede war. Und so sieht man sich einleitend mit Wiederholungen konfrontiert, so besonder S. 66 zum Städtewesen mit einer Wiederholung von S. 19. Breiten Raum nimmt der Abschnitt „Städte in Noricum" ein, gefolgt von den vici und villae rusticae (69-115). Für diese wird man nach den neuesten Forschungen nicht mehr von einem einheitlichen Bautypus ausgehen können (108f.). Wirtschaft, Infrastruktur (die S. 121 genannten Straßen und Pässe sind auf der Karte im Vorsatz nur teilweise verzeichnet), Kulte und Bestattungswesen werden in weiteren Abschnitten besprochen.
Details: Bei der erfreulich ausführlichen Besprechung des Magdalensberges werden die bedeutenden Wandmalereien (vgl. Antike Welt 1, 3, 1970, 42ff.), die sich heute im Museum in Klagenfurt befinden, mit gerade einem Satz erwähnt und nur durch die kleinformatige Abbildung 84 illustriert. - Da Ovilava/Wels unter Diokletian Hauptstadt der Provinz Ufernorikum wurde, ist sinnvollerweise S. 88f.die Stadtgeschichte bis in die Spätantike fortgeführt. Überschneidungen mit dem Kapitel „Spätantike" (129f.) waren aber dadurch vorgegeben. - Leider sind die zu St. Pölten/Cetium genannten Fernstraßenverbindungen (89) durch keine Karte veranschaulicht. - In den Notizen zum municipium Lauriacum wird als Gründungszeit die Regierung Caracallas (212) angegeben (S. 92, ebenso S. 41), dagegen S. 69 die des Septimius Severus. - Moosham/Immurium (104) erscheint auf der Karte im Vorsatz als Moosheim /In Murio.

Der Spätantike sind drei Kapitel gewidmet mit den Überschriften „Die Spätantike", „Spätantike und Ende der römischen Herrschaft in Noricum ripense" und „Spätantike und Ende der römischen Herrschaft in Binnennorikum (Noricum mediterraneum)". Im ersten wird die historische Entwicklung unter besonderer Berücksichtigung des Verteidigungswesens allgemein umrissen (129/130). Für die Entwicklung in Noricum ripense ist die Gestalt Severins von besonderem Interesse, dessen Vita wertvolle Nachrichten über diese letzte Phase römischer Präsenz in der Provinz bietet und dessen Wirken auch archäologisch zu belegen ist. Bei der Beschreibung der Orte an der Donau war deren weiteres Schicksal meist schon erwähnt worden, so daß gerade in diesem Abschnitt die wortwörtlichen Wiederholungen (auch zwischen Text und Bildlegende, z.B. Abb. Nr. 201, 203) besonders auffallen. Für Binnennorikum wird zunächst die historische Entwicklung skizziert, anschließend werden ausgewählte Siedlungen und Höhensiedlungen vorgestellt. Ach dabei fällt wieder Textwiederholung (Abb. 223) unangenehm auf. Die abschließende Zusammenfassung ist überflüssig.

Nachdem der Leser durch die Darstellung und eine Fülle von Literaturangaben kundig gemacht und zur Vertiefung des Gebotenen angeregt wurde, könnte er auch auf den Gedanken kommen, das vorliegende Werk bei einer Reise in das antike norische Gebiet zu benutzen. Doch sieht er sich dabei sehr rasch und allenthalben im Stich gelassen: Er findet, wie schon angedeutet, keinerlei Hinweise auf Aufbewahrungsorte der genannten Funde, er findet keine präzisen Ortsangabe zum Aufsuchen einzelner Burgi oder Villae und nicht einmal die wichtigsten Museen der Region (Salzburg, Klagenfurt, Graz) sind genannt. Die Anfänge der archäologischen Erforschung des Zollfeldes, sichtbar in dem Kuriosum des Prunnerkreuzes, bleiben ebenso unbeachtet wie das materialreiche Lapidarium von Graz-Eggenberg und die gerade in Kärnten häufige Verbauung von Spolien in späteren Gebäuden ist nicht einmal ansatzweise erwähnt. Und wer sich vielleicht das vielfältige Material des Bandes gezielt zur Vorbereitung einer archäologischen Kunstfahrt zusammensuchen will, sieht sich ebenfall im Stich gelassen, denn ein Ortsregister fehlt ebenfalls. Obwohl erfreulicherweise der Band nicht der sog. neuen Rechtschreibung folgt, wird der Text durch nicht wenige Druckfehler oder Verschreibungen entstellt. Zur Auflösung der Abkürzungen ist der Benutzer auf das Verzeichnis bei Bechert angewiesen. So bleibt als Fazit: Ein material- und literaturreiches Werk mit erheblichen Mängeln in der stofflichen Anordnung, Darstellung und praktischen Handhabung. Für die Fortsetzung der Reihe mit Bänden ohne die aufgezeigten Defizite wünscht man dem Verlag viel Erfolg und dem Noricum-Band bald eine zweite, gründlich verbesserte Auflage.

Joachim Gruber, Erlangen
joachim.gruber@nefkom.net