Ruurd R. Nauta: Poetry for Patrons: Literary Communication in the Age of Domitian. Leiden/Boston/Köln: Brill 2002 (Mnemosyne Supplementum 206). XIV, 493 S. Euro 81. ISBN 90-04-10885-8.

 

In seinem 1995 erschienenen Aufsatz „Martial and the Book“ wendet sich Don Fowler dezidiert gegen „scholars interested in the Realien of ancient book production“ (31) und stellt diesen seinen streng literaturwissenschaftlichen Ansatz gegenüber. Ein vollkommen anderes Verständnis von der Interpretation antiker Texte leistet Franz Römer (1994). In seiner Untersuchung zu der Frage, ob Dichter wie Martial und Statius zwischen den Zeilen ihrer Werke Kritik an der Herrschaft Domitians übten, weist er auf einen Gegensatz zwischen „Mode“ und „Methode“ hin und warnt vor „Eskapaden neuzeitlicher Entdeckerfreude“ (113). Gerade in der Martialforschung – aber auch in anderen Bereichen der klassischen Philologie – haben sich zwei Fronten von Wissenschaftlern herausgebildet, deren Vorgehensweisen unvereinbar scheinen: Einige Gelehrte – häufig stammen diese aus der anglophonen Welt – setzen bei der Ausdeutung griechischer und römischer Literatur konsequent auf die Anwendung literaturwissenschaftlicher Theorien und heben die Textualität sowie Intertextualität antiker Werke hervor. Andere – nicht selten handelt es sich um deutschsprachige Forscher – lehnen moderne Ansätze als Mittel zum Verständnis dieser Texte ab und halten sich stattdessen lieber an althergebrachte Arbeitsweisen, zu deren Ergebnissen nicht zuletzt die Ermittlung des historischen Hintergrunds zu einem literarischen Werk und die Biographie des jeweiligen antiken Autors zählen.[1]

Es ist eines der großen Verdienste Ruurd Nautas, dass er in „Poetry for Patrons“ zeigt, wie traditionelle Ansätze der klassischen Philologie mit zeitgenössischen Herangehensweisen verbunden werden können. Dass er ein solches Anliegen bei der Abfassung seines Buchs in der Tat verfolgte, wird in einer Fußnote deutlich (39 Anm. 5). Dort reagiert er auf den bei Fowler implizit vorhandenen Vorwurf, der Versuch, die Epigramme Martials als Gelegenheitsgedichte zu deuten, sei „generally motivated by a wish to provide the texts with a specious transparency, or even to efface their textuality, but I hope that the sequel will bear out that that is not the case in the present book.“ Allerdings hält Nauta dieses Versprechen nicht immer.

Trotz der Vielfalt der Methoden tragen die Ergebnisse von Nautas Buch in erster Linie zur historischen Erforschung bei. Es geht ihm vor allem um die Rekonstruktion der Kommunikation, die Martial und Statius mit ihren Patronen führten – eine Kommunikation, die nicht nur Art und Inhalte der Werke beider Dichter beeinflusste, sondern in der die Silvae und die epigrammata auch selbst, wie Nauta mehrfach postuliert, als Kommunikationsmittel fungierten. Ich habe in meiner fast zeitgleich mit Nautas Buch erschienenen Untersuchung „Erotik und Panegyrik“ (2002) Zweifel an der These geäußert, Martials Epigramme seien eine realitätsgetreue Spiegelung der Flavierzeit. In diesem Zusammenhang habe ich mich auch kritisch mit Thesen aus „Poetry for Patrons“ auseinandergesetzt, die sich teilweise schon in Nautas gleichnamiger Leidener Dissertation aus dem Jahr 1995 finden. Im Folgenden werde ich trotz der vielen Qualitäten, die Nautas Arbeit fraglos hat, begründen, warum ich mit seinem Ansatz nicht übereinstimme. Da zu „Poetry for Patrons“ schon eine ausführliche und jedermann leicht zugängliche Rezension von Bruce Gibson (2002) erschienen ist, die sich vor allem mit Nautas Umgang mit der Theorie des Patronats befasst, schenke ich diesem Aspekt weniger Aufmerksamkeit und wende mich in erster Linie Fragen der Martial- und Statiusinterpretation zu.

Zur Theorie des Patronats nur so viel: „Poetry for Patrons“ beginnt mit einer methodologisch fundierten Einleitung (1–34), in der Nauta in einer erschöpfenden Auseinandersetzung mit der relevanten Literatur zum Thema terminologische Fragen klärt und soziologische Grundlagen der Forschung zum antiken Patronat darlegt. Im Anschluss an Richard Saller (1982) werden „asymmetry“, „duration“ und „reciprocity“ als entscheidende Parameter zur Bestimmung von Art und Ablauf zwischenmenschlicher Beziehungen im Rahmen des Patronats präsentiert (18–26). Zudem bietet Nauta eine Darstellung der Besonderheiten der „literary patronage“ (27–34). Es ist erfreulich, dass Nauta sich hier nicht etwa – wie es leider so oft der Fall ist – auf methodologische Grabenkämpfe um terminologische Spitzfindigkeiten einlässt, sondern tatsächlich die Grundlage für die folgenden Kapitel bietet: So kommen zum Beispiel die zuletzt genannten Kriterien für das Patronat auch in den folgenden Kapiteln konsequent zur Sprache, wenn Nauta Martials und Statius’ Gedichte untersucht.

Der Hauptteil des Buchs ist in drei Kapitel gegliedert: In den ersten beiden Teilen befasst sich Nauta mit „Non-Imperial Patronage“ bei Martial (35–189) beziehungsweise Statius (191–323), und in Teil 3 untersucht er das Phänomen „Imperial Patronage“ in den Werken beider Dichter (325–440). Dass Nauta zwischen dem Verhältnis der Dichter zu ihren nicht-kaiserlichen Patronen und dem Patronat Domitians unterscheidet, ist gut begründet: In weitaus stärkerem Maße als die übrigen Mitglieder der römischen Elite konnte Domitian nicht nur Individuen materiell und ideell unterstützen, sondern auch die Gesamtheit seiner Untertanen – dem Thema „Evergetismus“ schenkt Nauta besonders viel Aufmerksamkeit (328–335). Außerdem spielen in den für Domitian verfassten Gedichten Traditionen herrscherpanegyrischer Literatur – Nauta äußert sich ausführlich und kundig zu Standardmotiven der Panegyrik wie z.B. civilitas oder clementia (387–412) – naturgemäß eine größere Rolle als in Produktionen für „non-imperial patrons“.

Nicht ganz überzeugend ist dagegen Nautas Versuch, einen Gegensatz zwischen „imperial“ und „non-imperial patronage“ herzustellen, der darin zum Ausdruck kommen soll, dass Martial allein dem Kaiser, nicht jedoch seinen übrigen Patronen, vor der Veröffentlichung der Epigrammaton libri kurze Sammlungen mit einzelnen Gedichtzyklen zusandte (108–120; 365–374). Für das „non-imperial patronage“ widerlegt Nauta überzeugend die sogenannte libellus-Theorie Peter Whites (1974), der zufolge die in den einzelnen libri Martials enthaltenen thematisch geschlossenen Epigrammzyklen und an verschiedene Adressaten gerichtete Widmungsgedichte Indizien für die Existenz derartiger Auswahlsammlungen sind. Für den Bereich „imperial patronage“ geht er jedoch von einer abweichenden Publikationsweise Martials aus, und meint, dass der „Löwe-Hase-Zyklus“ in Buch 1 durchaus vor der Entstehung des liber primus als libellus an Domitian gesandt worden sein kann (368–371). Diese Deutung basiert auf Nautas Interpretation des Epigrammpaars 1,44 und 1,45, das jedoch nicht die Publikation verschiedener Gedichtsammlungen thematisieren muss, sondern auf den Epigrammaton liber primus als Ganzen bezogen werden kann (Lorenz 2002, 131f.). Dass Nauta den „Löwe-Hase-Zyklus“ zudem als einziges eindeutiges Beispiel für einen an Domitian gerichteten libellus anführt – er vermutet, dass Martial allein vor der Publikation des Epigrammaton liber primus derartige libelli erstellte –, stützt seine These nicht.[2] Es ist wohl an der Zeit, von Whites Theorie Abstand zu nehmen, die Fowler (1995, 31) mit Recht als „damaging to the appreciation of the poems“ bezeichnet hat.

Mit Whites Thesen hat Nautas Argumentation jedoch gemeinsam, dass auch er von einer mittels einzelner Epigramme und Silven durchgeführten Kommunikation zwischen den Dichtern und ihren Patronen ausgeht. Laut Nauta lassen sich viele Gedichte, in denen eine reale Person angesprochen wird, als unmittelbare kommunikative Sprechakte verstehen, durch die der Dichter dem jeweiligen Patron genau das mitteilen wollte, was das betreffende Gedicht wörtlich aussagt. Und eine solche kommunikative Funktion konnte ein Gedicht, so Nauta, sowohl vor seiner Publikation im Buchkontext – etwa beim mündlichen Vortrag – als auch im Buchkontext erfüllen (z.B. 33). Dies ist der grundlegende Punkt, in dem ich mit Nauta nicht übereinstimme. Denn erstens spricht Martial zumindest in einigen Epigrammen nicht in eigener Person, sondern lässt eine fiktionale Persona auftreten, was jede Form direkter Kommunikation natürlich erschweren, wenn nicht gar unmöglich machen musste. Ebenso enthalten Statius’ Silvae eindeutig fiktionale Elemente. Zweitens wird bei der Lektüre allein einzelner Gedichte der Buchkontext häufig vernachlässigt, in dem jedoch auch Gedichte, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben, durch ihre gemeinsame Veröffentlichung vollkommen neue Sinnebenen annehmen. Hier sind Zweifel berechtigt, ob die Gedichte überhaupt für einen anderen Kontext geschrieben worden sein können als für die Buchpublikation.[3]

Damit hängt mein dritter Einwand gegen Nautas Ansatz zusammen: Martial und Statius publizierten ihre Gedichte in Büchern, die auch den mit den Dichtern oder ihren namentlich genannten Adressaten nicht bekannten Rezipienten zugänglich gewesen sein müssen. Dass Gedichte, die ursprünglich zur privaten Kommunikation dienten, durchweg auch für ein anonymes Publikum attraktiv oder auch nur verständlich waren, wage ich zu bezweifeln. Grundsätzlich ist die Perspektive der allgemeinen Leserschaft, deren Existenz Nauta zumindest für Martial überzeugend nachweist (131–141), in „Poetry for Patrons“ unterrepräsentiert. In erster Linie spielt das allgemeine Publikum für Nauta dann eine Rolle, wenn es darum geht, inwiefern Martial und Statius den individuellen Adressaten ihrer Gedichte zu verbreitetem Ruhm bei ihren Zeitgenossen sowie bei der Nachwelt verhelfen konnten (z.B. 142–166). Zwar bezieht Nauta die anonymen Rezipienten bisweilen auch gewinnbringend in seine Einzelinterpretationen ein,[4] konzeptionell spielen diese in seiner Untersuchung jedoch keine bedeutende Rolle.

Zumindest den ersten der drei genannten Einwände antizipiert Nauta und legt eine interessante Auseinandersetzung mit dem „‘You’ and ‘I’ in Martial“ vor (39–58). Dieser Abschnitt ist der bislang fundierteste Versuch, die fiktionalen Äußerungen Martials von denjenigen Epigrammen zu unterscheiden, in denen die historische Person Martial mit ihrer eigenen Stimme spricht.[5] Nauta geht von der Prämisse aus, dass „the idea that the speaker of a poem is always fictional is a modernist doctrine, tied to modernist poetry, and not valid for periods in which poetry could be taken as direct communication from poet to addressee, so that poets could perform speech acts with their poetry rather than merely represent speech acts“ (48). Folgende Komponenten sollen die Unterscheidung realer und fiktiver Sprechakte ermöglichen: die Fragen, ob ein Adressat real oder fiktiv ist (ein allerdings sehr brüchiges Konzept) und ob ein Adressat gelobt oder kritisiert wird (Letzteres sei bei höher gestellten Patronen nur bedingt möglich gewesen), den humoristisch-satirischen Gehalt einzelner Gedichte (ebenfalls kein wasserdichtes Konzept bei der Untersuchung derart humorvoller Dichtung), das konsequente Vorkommen bestimmter Charakteristika des Sprechers in verschiedenen Epigrammen (die jedoch auch durchweg fiktiv sein können) sowie extratextuelle Belege (in erster Linie Plinius epist. 3,21[6]).

Ich halte es für zweifelhaft, dass wir überhaupt in der Lage sind, eine derartige Unterscheidung zuverlässig durchzuführen. Ein Beispiel für die Probleme, die Nautas Ansatz mit sich bringt, ist seine Auseinandersetzung mit den Gedichten 10,58; 10,70 und 10,96 (55–58). Aufgrund der Tatsache, dass Plinius Martials Aussagen über seine Rückkehr nach Spanien, von der zuerst der liber decimus spricht, zumindest teilweise bestätigt,[7] werden Martials Ankündigungen der Reise in den drei Gedichten als autobiographische Angaben gelesen. Den Bericht über einen Besuch des Epigrammatikers in der Villa eines Faustinus, von dem 10,58 weiterhin spricht, versteht Nauta folglich ebenfalls als wahrheitsgetreue Angabe und somit auch Martials anschließende Klagen über die salutatio, zu der er als Klient verpflichtet sei. Dasselbe gelte für die ganz ähnlichen Klagen in 10,70 und 10,96, in denen zudem ebenfalls die Rückkehr nach Spanien angekündigt wird. Dass Martial (2,18; 10,10; 12,29) und Juvenal (Sat. 1,95–126) sogar von Senatoren berichten, die sich bei salutationes die sportula sicherten, interpretiert Nauta als weiteres Indiz für den Realitätsgehalt der genannten Epigramme. Die Jagd der Senatoren nach der sportula sei zwar „a malignant distortion“, aber deren Teilnahme an der salutatio könne nicht bezweifelt werden. Nautas Schlussfolgerung lautet:

„In view of such lines, we cannot seriously doubt that Martial was indeed caught up in a web of obligations to patrons, and that the material support of these patrons made no negligible contribution to the life-style he carried on as a Roman knight, an owner of slaves and of real estate“ (57f.).

Dass Nauta die Teilnahme von Senatoren an salutationes als römische Realität liest, deren Jagd nach der sportula aber als Fiktion, wirkt jedoch beliebig. Die Möglichkeit, dass hier eine umfassende satirische Verzerrung zugrunde liegt, besteht ebenso wie die, dass Martial in den genannten Epigrammen Reales (Namen der Adressaten; Rückkehr nach Spanien) mit Fiktivem (Klage über das Patronat) vermischte. Falls es für die Leser dieser Epigramme selbstverständlich war, dass ein Mann wie Martial nicht zur salutatio gehen musste, dann hätten sie diese Information problemlos vom Rest der Aussagen trennen können. Folgen wir dagegen Nautas Argumentation, dann können wir mit dem gleichen Recht auch 10,75 für einen Tatsachenbericht halten. Dort wird ebenfalls Martials sportula erwähnt, in erster Linie jedoch eine Hetäre verspottet, weil sie für ihre Dienste immer weniger Geld verlangt und schließlich sogar Bezahlung für ihre sexuellen Handlungen anbietet.

Nautas Argumentation leidet auch darunter, dass er bei seiner Besprechung scheinbar autobiographischer Epigramme regelmäßig Informationen aus weiteren Gedichten heranzieht, die er a priori für autobiographisch hält.[8] Es ist jedoch zu bedenken, dass die Möglichkeiten eines jeden Dichters, in seinem Werk die reale Welt abzubilden, schon aus formalen Gründen sehr eingeschränkt sind. Außerdem gibt es Argumente für die weit gehende Fiktionalisierung des „ich“ Sagenden in Martials Epigrammen – vor allem gattungstypische Charakterzüge des epigrammatischen Sprechers und die massive Ironisierung seiner Haltungen und Aussagen (Lorenz 2002, 4–42[9]). Schließlich ist zu bedenken, dass der Versuch, aus den Epigrammen die Lebensumstände Martials zu rekonstruieren und diese Informationen dann wiederum zur Ausdeutung der Epigramme heranzuziehen, ohnehin zu einem Zirkelschluss führt. So detailliert und anregend Nautas Überlegungen zu Martials Sprecher auch sind – ihren Ergebnissen kann ich dennoch nicht zustimmen.

Trotz dieser Kritik ist festzuhalten, dass Nauta im Gegensatz zu vielen anderen Martialforschern, die ebenfalls biographisch interpretieren, sein Vorgehen überhaupt auf eine methodologische Grundlage gestellt hat. Seine Ausführungen werden in jeder weiteren Auseinandersetzung mit den Sprecherrollen in der antiken Dichtung Beachtung finden müssen. Ebenso nützlich sind die Abschnitte zu Martials Patronatsepigrammen, deren Ausdeutung auf der Basis umfangreicher prosopographischer Untersuchungen zu den dort genannten Patronennamen erfolgt. Das Material, das Nauta hier – wie auch in den entsprechenden Abschnitten zu Statius – zusammenträgt, wird auch den Erforschern der flavischen Dichtung, die mit Nautas Ansatz nicht übereinstimmen, einen unschätzbaren Fundus an Informationen bieten, der gleichsam die Funktion eines Kommentars zu den Epigrammaton libri und den Silvae erfüllt (z.B. 61–73, 148–164, 206–235). Dasselbe gilt für Nautas Beschäftigung mit der antiken recitatio (93–105), mit römischen Praktiken bei der Widmung und Publikation schriftlich fixierter Texte (120–131) sowie mit dem Grad der Alphabetisierung zur Zeit der Flavier (131–141).

Mit einem literaturwissenschaftlichen Ansatz befasst Nauta sich dann in dem Abschnitt „Panegyric and Carnivalisation“ (166–189), der das Kapitel zu „Non-Imperial Patronage and Martial’s Epigrams“ abschließt. Nauta überprüft, inwiefern die Epigrammaton libri als karnevalistische Literatur im Sinne Bachtins gelesen werden können. Die Vermischung ernster und komischer Elemente in den Epigrammaton libri, ihren realistischen Gehalt und ihre Vielstimmigkeit erkennt er als typisch karnevalistische Merkmale an, lässt jedoch das Kriterium der Dialogizität angesichts der politischen Konnotationen, die Bachtin mit diesem verband, nur eingeschränkt gelten. Anders als Bachtin, der den Dialog als Möglichkeit, divergierende Meinungen zu Gehör zu bringen, und karnevalistische Literatur als Mittel, die Herrschenden zu kritisieren, versteht – Nauta weist darauf hin, dass Bachtin in diesem Zusammenhang den Stalinismus seiner Zeit assoziierte (183) –, deutet Nauta die Polyphonie der Epigrammaton libri als Mittel zur Äußerung einer systemkonformen Haltung: Das Nebeneinander von Ernstem und Satirischem stelle gerade einen Angriff auf die Verletzer gesellschaftlicher Normen dar.

Wie auch immer die politischen Aussagen Martials zu bewerten sind, es ist zu bedenken, dass Martial selbst für sein Oeuvre mangelnde gesellschaftliche Akzeptanz antizipiert, was er einerseits auf die angebliche Belanglosigkeit der Epigramme und andererseits auf deren obszönen Gehalt zurückführt, den er immer wieder zu rechtfertigen versucht.[10] Selbst wenn man Martials Epigramme als systemkonforme Literatur liest, steht das Bild, das Martial in den poetologischen Aussagen von seiner Dichtung vermittelt, der bachtinschen Karnevalimusdefinition näher, als Nauta meint. In jedem Fall hilft Nautas Karnevalismusabschnitt, die Gegensätze zwischen den einzelnen Gedichten zu akzeptieren und als Teil einer weit reichenden literarischen Tradition zu verstehen. Schließlich zeigt Nauta, dass diese Art von Literatur gerade den Gepflogenheiten bei den römischen Saturnalien, die in den Epigrammaton libri ja auch mehrfach erwähnt werden, sehr nahe steht. Es wäre hilfreich, wenn Nauta zudem in seiner später folgenden Diskussion der Frage, ob Martial und Statius unter anderem durch die Gegenüberstellung gegensätzlicher Aussagen zwischen den Zeilen ihrer Gedichte versteckte Domitiankritik üben, eindeutig auf die Ergebnisse dieses Abschnitts zurückverwiesen hätte.

Das folgende Kapitel zum „non-imperial patronage“ bei Statius ist ebenso nützlich wie der erste Teil des Buchs. Allerdings stellt sich hier ein grundsätzliches Problem, das Nauta selbst einräumt (z.B. 240): Während Martial häufig von materiellen Belohnungen spricht, die er von Patronen für seine Dichtung erhalten habe, tut Statius dies fast nie. Die Annahme, dass Statius’ Verhältnisse zu seinen Patronen denen Martials vergleichbar sind, ist somit problematisch. Zwar verweist Nauta auf einige Stellen, in denen Statius ein mit finanziellem Austausch konnotiertes Vokabular verwendet, und schließt, dass Statius von Patronen für seine Dichtung materiell entlohnt wurde. Aber dies ist nur teilweise überzeugend (240–244). Am deutlichsten wird das in Nautas Deutung des an Abscantus gerichteten Prosabriefs, der dem fünften Buch der Silvae voransteht und silv. 5,1, ein Epicedion auf Abscantus’ verstorbene Frau Priscilla, einleitet. Der Versuch, in Statius’ tröstenden Bemerkungen an den Witwer aufgrund des Vorkommens von Begriffen wie officium und gratia die Erfüllung der oben genannten „three criteria of patronage“ zu erkennen, ergibt sich eher aus Systemzwang, als dass hier die Ergebnisse einer Textanalyse erkennbar wären (193f.).

Wie in dem Kapitel zu Martial geht es Nauta um die möglichst genaue Rekonstruktion der Kommunikation zwischen dem Dichter und seinen Patronen. Dass er dabei dem traditionellen Ansatz folgt, die einzelnen Silven auch einzeln zu datieren, zeigt abermals, dass für Nauta der Aspekt der Buchkomposition eine untergeordnete Rolle spielt. Es sollte jedoch nicht übersehen werden, dass z.B. das eben genannte Epicedion in Priscillam nicht einfach ein Dokument ist, anhand dessen man Statius’ Umgang mit Abscantus rekonstruieren kann, sondern auch ein Prologgedicht, das den liber quintus der Silvae einleitet.[11] Wenn es dann an die Ermittlung des historischen Hintergrunds zu den einzelnen Silvae geht, macht es sich Nauta jedoch keineswegs leicht. Die Frage, ob die Silvae vor ihrer Buchpublikation mündlich vorgetragen wurden, behandelt er im Zusammenhang mit einer ausführlichen Diskussion des Problems, ob und inwieweit deiktische Elemente in der Dichtung uns etwas über die reale Vortragssituation sagen können oder ob sie vielmehr fiktional sind. Weiterhin zieht Nauta antike theoretische Schriften zur Rhetorik heran und untersucht, ob sich in den angeblich mündlich präsentierten Silven Einflüsse oratorischer Traditionen finden lassen (256–277). Vieles, was Statius als ursprünglich mündliche Dichtung ausgibt, erweist Nauta überzeugend als Literatur, die für „presentation in writing“ verfasst wurde. Es ist angesichts der Komplexität, die Nauta hier für die Entstehungsgeschichte einzelner Silven darlegt, allerdings zweifelhaft, ob wir wirklich in der Lage sind, über die Entstehungshintergründe dieser Gedichte so viel zu sagen wie Nauta.

Vor allem stellt sich die Frage, ob wir Statius’ Aussagen, denen zufolge er für die Publikation seiner Silvendichtung kritisiert wurde (z.B. silv. 4 praef. 27f.), wirklich für bare Münze nehmen dürfen oder ob er nicht eher fiktive Kritiker auftreten lässt, deren Meinung ihm dann zur Definition seines Genres dienen. Tatsächlich ist Nautas Auseinandersetzung mit dem Genre der Silvae sehr interessant (251–254). Nauta weist die These zurück, der Begriff Silva bezeichne Literatur von einer gewissen „variety (because a wood consist of a variety of trees)“, und nimmt stattdessen an, silva – ein Synonym für materia – stehe für schnell verfasste, improvisierte Literatur: für Gelegenheitsdichtung (254). Was auch immer die richtige Erklärung für den Titel der Gedichte sein mag – für Nauta ist „their function of being immediate reactions to specific occasions in the life of their addressees“ von besonderer Bedeutung. Selbst wenn er darauf hinweist, dass die Silven nicht allein bei der Gelegenheit zu Gehör gekommen sein dürften, die zu ihrer Entstehung angeregt habe, steht abermals historistisches Interpretieren im Mittelpunkt.

Auf das Statiuskapitel folgt der Teil zum „Imperial Patronage“ bei Martial und Statius, auf den ich oben schon eingegangen bin. Das Buch schließt mit dem Abschnitt zur Frage nach „Subversion or Support“, in dem sich Nauta kritisch mit der These John Garthwaites (1978; 1990; 1993) und Niklas Holzbergs (1988) auseinandersetzt, Martial und Statius übten zwischen Zeilen ihrer Gedichte versteckte Kritik an Domitian.[12] Nauta äußert berechtigte Zweifel an der Annahme, Martials Darstellung der Lex Iulia de adulteriis coercendis neben einer Reihe von Epigrammen über Ehebruch sowie Martials und Statius’ Gedichte über den kaiserlichen Freigelassenen Earinus, einen Kastraten und Geliebten Domitians, dessen Erlass zum Verbot der Kastration als Widerspruch zum Privatleben des Kaisers gelesen werden können, drückten Herrscherkritik aus. Nautas vorsichtiger Schluss, dass eine derartige Spannung zwischen verschiedenen Epigrammen Martials auch die Folge des üblichen thematischen Rahmens sein kann, der die Dichtung Martials ohnehin bestimmt (432), überzeugt. Das Kapitel schließt mit einem kurzen Blick auf Martials Gedichte über Domitians Nachfolger Nerva und Trajan.

Angesichts der Fülle von Themen, die Nauta in seinem Buch behandelt, hätte ich mir ein zusammenfassendes Schlusskapitel gewünscht. Anderseits ist „Poetry for Patrons“ ohnehin schon sehr lang, sodass über das Fehlen eines weiteren Kapitels hinweggesehen werden kann. Immerhin bietet das Buch außer einer Appendix zur Datierung der Epigramme und der Silven sowie einer äußerst ausführlichen Bibliographie noch zwei sehr brauchbare Indices. Ebenso wie die übersichtliche Kapiteleinteilung räumen diese dem Martial- und Statiusforscher auch die Möglichkeit ein, Nautas Opus magnum als Materialsammlung für eigene Interpretationen zu nutzen. Als solche wird „Poetry for Patrons“ in jedem Fall einer Vielzahl von Lesern gute Dienste erweisen.

Dasselbe gilt für die methodologischen Überlegungen, die das gesamte Werk durchziehen. Auch wenn ich persönlich mit Nautas Ansatz nicht übereinstimme, hoffe ich doch deutlich gemacht zu haben, wie wichtig Nautas Ausführungen sowohl für Vertreter literaturwissenschaftlichen als auch historisch orientierten Interpretierens sein wird. Wissenschaftler von beiden Fronten der zeitgenössischen Altphilologie werden Poetry for Patrons mit Gewinn lesen und sich für ihre eigenen Arbeiten inspirieren lassen.

 

Sven Lorenz , München         

sven.lorenz1@freenet.de

 

Bibliographie

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Damon, Cynthia: The Mask of the Parasite: A Pathology of Roman Patronage. Ann Arbor 1997.

Fowler, Don: Martial and the Book. Ramus 24, 1995, 31–58.

Garthwaite, John: Domitian and the Court Poets Martial and Statius. Diss. Cornell University 1978.

Garthwaite, John: Martial, Book 6, on Domitian’s Moral Censorship. Prudentia 22, 1990, 13–22.

Garthwaite, John: The Panegyrics of Domitian in Martial Book 9. Ramus 22, 1993, 78–102.

Garthwaite, John: Putting a Price on Praise: Martial’s Debate with Domitian in Book 5, in: Farouk Grewing (Hrsg.): Toto Notus in Orbe: Perspektiven der Martial-Interpretation, Stuttgart 1998 (Palingenesia 65), 157–172.

Gibson, Bruce: Rez. Nauta 2002, BMCRev 11.22, 2002.

Holzberg, Niklas: Martial. Heidelberg 1988 (Heidelberger Studienhefte zur Altertumswissenschaft).

Holzberg, Niklas: Martial und das antike Epigramm. Darmstadt 2002.

Lorenz, Sven: Erotik und Panegyrik: Martials epigrammatische Kaiser. Tübingen 2002 (Classica Monacensia 23).

Lorenz, Sven: Martial, Herkules und Domitian: Büsten, Statuetten und Statuen im Epigrammaton liber nonus, in Vorbereitung.

Maurach, Gregor: Horaz: Werk und Leben. Heidelberg 2001 (Wissenschaftliche Kommentare zu griechischen und lateinischen Schriftstellern).

Römer, Franz: Mode und Methode in der Deutung panegyrischer Dichtung der nachaugusteischen Zeit. Hermes 122, 1994, 95–113.

Rosati, Gianpiero: Muse and Power in the Poetry of Statius, in: Efrossini Spentzou/Don Fowler (Hrsgg.): Cultivating the Muse: Struggles for Power and Inspiration in Classical Literature, Oxford 2002, 229–251.

Saller, Richard P.: Personal Patronage Under the Early Empire. Cambridge 1982.

White, Peter: The Presentation and Dedication of the Silvae and the Epigrams, JRS 64, 1974, 40–61.

 



[1] Typisch ist die folgende Äußerung Maurachs (2001, VII) im Vorwort zu seiner neuen Monographie zu Horaz: Die „Dankbarkeit“ des wahren Horazlesers zeige sich unter anderem darin, „dass er ... den alten Text nach seinem Vermögen auch vor Entstellungen schützt, nicht zuletzt vor solchen interpretatorischer Art, die zumeist daher kommen, dass man ihm nicht ehrfürchtig dienen mag, sondern ihn selbstsüchtig vernutzt um rascher Einfälle oder fader Ideologien willen.“

[2] Auf S. 373 zieht Nauta noch die Möglichkeit in Betracht, dass auch die drei Epigramme 9,64; 9,65 und 9,101, die allesamt eine Herkulesstatue mit dem Antlitz Domitians beschreiben, ursprünglich ein libellus für Domitian waren. Angesichts der Tatsache, dass diese Gedichte jedoch mit weiteren Epigrammen des liber nonus korrespondieren, in denen ebenfalls Statuen und Statuetten thematisiert werden, ist ihre Einbindung in den Buchkontext so fest, dass man kaum von einem unabhängig von Buch 9 entstandenen libellus ausgehen kann; vgl. Lorenz (in Vorbereitung).

[3] Vgl. z.B. Lorenz 2002, 20f. zu 2,89 und 2,90. Bisweilen bezieht Nauta solche Verbindungen durchaus in seine Argumentation ein, allerdings nur dann, wenn derartige Beispiele zur Rekonstruktion der von ihm postulierten Kommunikationssituation beitragen; vgl. z.B. S. 299f. zu 6,21 und 6,22.

[4] Zum Beispiel auf S. 369 bei seiner Auseinandersetzung mit Mart. 1,44.

[5] Nautas Untersuchung übertrifft auch Damons 1997, 159-168 Versuch, reale von fiktionalen Sprechakten zu unterscheiden, an Genauigkeit.

[6] Plin. epist. 3,21, das außer den Epigrammen einzige antike Zeugnis für Martials Leben und Schaffen ist, dient Nauta auch als Beleg für seine Annahme, dass das Patronat zur Zeit der Flavier tatsächlich den Austausch von Dichtung gegen materielle Unterstützung der Dichter beinhaltete, wie es die Epigramme Martials mehrfach behaupten. Allerdings sind Zweifel an dieser Deutung der epistula erlaubt: Zum einen bezeichnet Plinius den Austausch als mos antiquus, der inzwischen aus der Mode gekommen sei (3). Zum anderen ist denkbar, dass Plinius, dessen Briefe ohnehin starke thematische und formale Ähnlichkeiten zu den Epigrammen aufweisen, in 3.21 intertextuell das literarische Milieu der Epigrammaton libri aufgreift und die tatsächlichen Gegebenheiten seiner Zeit nicht vollkommen realistisch wiedergibt.

[7] Allerdings hat Plinius nichts über die Art, Dauer und das Reiseziel Martials zu sagen: Plin. epist. 3,21 spricht allein von einem viaticum.

[8] Vgl. z.B. S. 52: „That Martial was indeed moderately well-off is confirmed by his references to slaves“ (Kursivdruck – SL).

[9] Vgl. auch Holzberg 2002, 77-85, der seine Überlegungen zum fiktionalen Sprecher der Epigramme gerade anhand der Patronatsgedichte Martials belegt.

[10] Der Aspekt der Apologie bei Martial wird von Banta 1998 (eine Arbeit, die Nauta nicht heranzieht) eingehend untersucht.

[11] Vgl. jetzt Rosati 2002 zu Statius’ Gedichten im Rahmen der Tradition literarischer Prologe; zu silv. 5.1 ebd., 246-248.

[12] Dass Nauta, S. 431 Anm. 173 Garthwaite vorwirft, er habe die Idee des „imperial criticism“ an Domitians Wiederbelebung der Lex Iulia de adulteriis coercendis, von der Martial in Buch 6 spricht, in seinem Aufsatz von 1998 „silently abandoned“, ist nicht ganz fair. Zum einen geht es in Garthwaite 1998 nicht um Buch 6, sondern um Buch 5, zum anderen schließt dieser Aufsatz mit dem Ergebnis, dass „a more critical reading of these poems in Book 5 shows, I believe, a tone of disaffection, if not sarcasm, beneath their apparent courteousness and humility.“ Holzberg 2002, 65-67 nimmt dagegen seine früheren Aussagen zum „hidden criticism“-Problem explizit zurück; vgl. Lorenz 2002.