Michael McCormick: Origins of the European Economy. Communications and Commerce, A.D. 300-900, Cambridge: University Press 2001 (Ndr. 2002). XXVIII, 1101 S. £90.00. ISBN: 0-521-66102-1.

 

„Pirenne argued that without Muhammad, there would have been no Charlemagne. Although we must now situate the moments and stages of economic decline from antiquity elsewhere in time, space, and causality, yet there remains fundamental truth in his overall insight, that the rise – and economic consolidation – of Islam changed the nature of an emerging European economy. But it did so not so much by applying the coup de grace to a moribund late Roman exchange system in the 600s. A century later it offered the wealth and markets which would fire the first rise of western Europe, a rise whose rhythms we can detect in the movements of diplomats, pilgrims, warriors, merchants, and, I think, slaves, as a new Europe and its satellite societies exported its own human wealth in exchange for the wealth of goods and species of the House of Islam. So in a paradoxical and profound sense, perhaps Pirenne was right, even when he was wrong: without Muhammad, there would have been no Charlemagne.“

Mit dieser Zusammenfassung seiner Hauptthesen (798) bietet McCormick selbstbewußt dem noch immer einflußreichen Werk Henri Pirennes „Mahomet et Charlemagne“ die Stirn; der belgische Historiker hatte diese erste große interpretierende Zusammenschau der spätantik-frühmittelalterlichen Welt bei seinem Tod 1935 hinterlassen.[1] Nach vereinzelten Versuchen, diese Leistung noch einmal zu wiederholen – zuletzt die problematische Monographie von Ernst Pitz[2] – hat McCormick ein vergleichbares Unternehmen erneut gewagt und den Blick auf Handel sowie Kommunikation in der Übergangsphase 300-900 gelegt, wobei der Zeitraum 700-900 – d.h. die karolingische Zeit – den eigentlichen Fokus seiner Darstellung bildet. In fünf monumentalen Hauptkapiteln („The End of the World“, 25-119; „People on Move“, 121-277; „Things that Traveled“, 279-387; „The Patterns of Change“, 389-569; „Commerce“, 571-798) und vier Appendices (799-972) zeichnet der Autor ein faszinierendes Bild der Entwicklung von Austausch und Handel, Kommunikation und Reisen im mitteleuropäischen und vor allem mediterranen Raum.

Ausgangspunkt seiner Untersuchungen ist die allmählich niedergehende Wirtschaft des spätantiken Imperium Romanum. McCormick verfolgt minutiös die Transformationsprozesse, die in den verschiedenen Regionen des Reiches in unterschiedlichen Zeiträumen zwischen ca. 250 und 650 zu einer allmählichen Auflösung des immer weniger staatlich beeinflußten Wirtschaftssystems (das sich insbesondere in der Geschichte der Getreideversorgungsflotten von Ägypten nach Konstantinopel spiegelt) führten; stattdessen traten neue regionale Schwerpunkte, neu organisierte Händler und Handelsrouten (seit etwa 700) hervor. Die vom Autor nachgezeichnete Entwicklung, gekennzeichnet vor allem durch Bevölkerungsabnahme, Seuchen, einen Rückgang in der Metallverarbeitung und der Keramikproduktion, begann zunächst im Westen, erfaßte dann aber auch – wenngleich niemals in derselben Intensität – den Osten des Reiches, dessen wirtschaftlichen Tiefpunkt McCormick um die Mitte des 7. Jahrhunderts ansetzt.[3] Eine besondere Rolle weist er in diesem Niedergangsprozeß mit gutem Grund der Pest zu, die seit Mitte des 6. Jahrhunderts in Europa und Vorderasien endemisch war (39ff.; 113ff.; 783).[4]

Entgegen älteren Forschungsthesen gelingt es ihm dann jedoch zu zeigen, daß die einzelnen Regionen bzw. Herrschaftsräume im frühmittelalterlichen Europa (vor allem im Westen) keineswegs jeweils für sich nahezu isoliert waren, sondern daß – im Gegenteil – ein reger Austausch auch über weite Distanzen hinweg vorherrschte. McCormick vermag auf der Basis umfassender prosopographischer Vorarbeiten insgesamt 669 frühmittelalterliche Reisende in seinem Untersuchungsgebiet nachzuweisen und wertet die mit diesen Personen verbundenen weiteren Informationen sorgfältig aus, insbesondere „the ghostly shapes of the ships they took, the company they kept, the routes they followed“ (785). Unterwegs waren vor allem Gesandte, Pilger, daneben aber auch Flüchtlinge, Exulanten, Migranten, Sklaven und natürlich Kaufleute. Sie alle bewegten sich – wie McCormick zu recht anmerkt – nur selten allein, sondern wurden meist von weiteren Personen begleitet, so daß die in den Quellen dokumentierten Reisenden lediglich die Spitze eines Eisbergs darstellen.

Den Reiseberichten stellt er im folgenden materielle Hinweise auf Austausch und Kommunikation an die Seite, so etwa Reliquientranslationen, Münzfunde, Berichte über den Umlauf fremder Münzen in den Quellen u.ä. Untersucht werden auch die Seefahrtsrouten und ihre Frequentierung. Der Autor kommt zu dem Ergebnis, daß mittelalterliche Händler – anders als die meisten Schiffsherrn in der Antike – auch in der Winterjahreszeit segelten und darüber hinaus auch die Nachtzeit nutzten, was zu einer erheblichen Vermehrung der transportierten Personen und Güter geführt habe. Zudem hätten sich allmählich zusätzliche Reisewege entwickelt, die größere Variationsmöglichkeiten bei der Wahl der Routen zugelassen hätten. Mit der Zunahme arabischen Einflusses im Mittelmeerraum korrelieren die Münzfunde: Seit dem Ende des 8. Jahrhunderts nimmt die Zahl byzantinischer Münzen in Europa ab, diejenige der arabischen Münzen hingegen zu.

Dies und eine Fülle weiterer Einzelbeobachtungen leiten McCormick zu seiner zentralen These: Nach dem wirtschaftlichen Niedergang in spätrömischer Zeit sei es bereits seit dem späten 8. Jahrhundert (d.h. nicht erst – wie bisher zumeist vermutet – im Hochmittelalter) zu einem erheblichen wirtschaftlichen Aufschwung im Mittelmeerraum und in Mitteleuropa gekommen, gekennzeichnet durch zunehmende Reise- und Handelstätigkeit und ermöglicht durch rege Kontakte zwischen dem Westen (insbesondere den Karolingern) und Byzanz sowie vor allem – und hier liegt McCormicks wichtige Gegenthese zu Pirenne – durch einen wachsenden Austausch mit den moslemischen Zentren, die aus Europa vor allem Sklaven importierten und ihre eigenen Produkte im Westen durchaus abzusetzen vermochten. Auch die allmähliche Entfaltung des venezianischen Handels (ebenfalls im späten 8. Jh.) sowie der Eintritt Nordeuropas in den Austausch mit den Arabern seit dem 9. Jh. hätten diesen Prozeß befördert. Wichtig ist McCormick zufolge vor allem, daß im Zeitraum zwischen ca. 750 und 900 die Kommunikation zwischen Mittel- bzw. Westeuropa und Byzanz sowie den Zentren des Islams deutlich zunahm. Die arabische Expansion hat Mitteleuropa demnach nicht von der mediterranen Kultur abgeschnitten, wie noch Pirenne gemutmaßt hatte, sondern – im Gegenteil – den wechselseitigen Austausch befördert und die Kommunikation intensiviert.

Dies alles wird auf 1100 Seiten in einer herculischen Arbeitsleistung minutiös und mit erkennbarer Freude am Detail entwickelt. Dem Autor gelingt es, jedem noch so nebensächlich erscheinenden Zeugnis noch weitere Erkenntnisse und damit einen spezifischen Quellenwert abzugewinnen. Computergestützte Analysen haben McCormick die Auswertung der literarischen Quellen ermöglicht (bei denen er vielfach auch auf bisher kaum beachtete Texte zurückgegriffen hat). Daneben hat er aber auch die neuesten Ergebnisse der archäologischen Forschung sowie der Numismatik mit einbezogen, um seine Thesen durch ein möglichst dichtes Netz an Belegen zu fundieren. Und so erscheint das Frühmittelalter, bei dem bislang die Quellenarmut stets besonders hervorgehoben wurde, in ganz neuem, wesentlich facettenreicheren Licht. Zahlreiche Karten, Tabellen und Statistiken illustrieren McCormicks Ergebnisse. Auch wenn der Autor bescheiden von einer „early and incomplete study“ spricht (782), weil er sich bewußt ist, daß das Material in nächster Zeit weiter zunehmen (und seine Ergebnisse möglicherweise auch in einigen Punkten modifizieren) wird, so hat er mit diesem Buch dennoch Bleibendes geleistet.

 

Mischa Meier, Bielefeld
mmeier8@Geschichte.uni-bielefeld.de

 



[1] ) H. Pirenne: Mahomet et Charlemagne. Paris/Brüssel 1937.

[2] ) E. Pitz:  Die griechisch-römische Ökumene und die drei Kulturen des Mittelalters. Geschichte des mediterranen Weltteils zwischen Atlantik und indischem Ozean 270-812. Berlin 2001; zu meiner Kritik an diesem Buch vgl. Das Altertum 47, 2002, 262-265.

[3] ) Dazu s. jetzt auch W. Brandes: Finanzverwaltung in Krisenzeiten. Untersuchungen zur Byzantinischen Administration im 6.-9. Jahrhundert. Frankfurt a.M. 2003.

[4] ) Vgl. zuletzt auch M. McCormick. Rats, Communications, and Plague: Toward an Ecological History. Journal of Interdisciplinary History 34, 2003, 1-25.