Michael J. Klein (Hrsg.): Die Römer und ihr Erbe. Fortschritt durch Innovation und Integration. Mainz: Verlag Philipp von Zabern 2003. 218 S. mit 146 Farb- und 82 Schwarzweißabbildungen. Euro 28, 50. ISBN 3-8053-2948-2.

In Verbindung mit einer Ausstellung, Vorträgen und Veranstaltungen ist im Philipp von Zabern Verlag anläßlich des 200jährigen Bestehens des Landesmuseums Mainz ein reich bebildeter Katalog erschienen: Die Römer und ihr Erbe. Fortschritt durch Innovation und Integration.

In zwölf Beiträgen befassen sich mehrere Autoren mit Mainz/Mogontiacum als Garnison und Zivilsiedlung, sowie als „Hauptstadt“ der Provinz Germania superior, wie auch als römischer Hafenstadt, dazu treten vier Aufsätze zu Funden von Helmen, Schwertern, Dolchen und Tafelgeschirr aus dem Rhein bei Mainz, weiterhin ein Aufsatz zu der Götterverehrung in Obergermanien und einen großen Raum nimmt die Rezeption provinzialrömischer Altertümer in Gründerzeit und Historismus vor allem in Mainz ein.

Leonhard Schumacher, „Mogontiacum. Garnison und Zivilsiedlung im Rahmen der Reichsgeschichte“, umfaßt in seinem Beitrag minutiös die Geschichte von der Gründung des römischen Mainz als Doppellager für zwei Legionen um das Jahr 13 v. Chr. bis zum Ende des römischen Mogontiacum durch die Plünderung der Vandalen, Sueben und Alanen am 31. Dezember 405. Wann und wie lange war welcher Kaiser in Mainz und welche Auswirkungen hatte sein politisches Handeln für diesen Raum? Der Blick des Autors hängt dabei stets an den Truppen und ruht auf den Werken der Historiker, vor allem des Tacitus, und den überkommenen Inschriften. Er bezieht dabei aber auch neue archäologische Zeugnisse mit ein. Der Autor setzt sich mit der Forschungslage und vor allem widersprüchlichen Quellen auseinander und nimmt einen pointierten Standpunkt bei strittigen Fragen ein.  Hier seien einige Beispiele herausgegriffen: Eine wenig beachtete Notiz Suetons nutzt S., um das Jahr 39 n. Chr. als den terminus post quem für die Errichtung der Rheinbrücke zu bestimmen (S. 4/5). So nimmt Schuhmacher nach Erörterung und zeitlichen Analyse der Weihinschrift den Standpunkt ein, die Dedikation der Mainzer Jupitersäule beziehe sich mit größerer Wahrscheinlichkeit auf die Pisonische Verschwörung als auf die Ermordung der jüngeren Agrippina (S. 4/5). Den Bau einer Pfahlrostbrücke unter den Flaviern datiert S. in die zweite Phase der Garnisonierung der legio XIIII Gemina Martia Victrix, die Ergebnisse der dendrochronologischen Untersuchung von Eichenpfählen für das Jahr 27 n. Chr. scheinen nicht relevant zu sein, solange nicht geklärt ist, ob sie von einer früheren Pfahljochbrücke stammen (S. 7). Der Forschungsdiskussion und der Klärung der antiken Quellen wendet sich Schumacher erneut bei der Frage zu, wo Severus Alexander ermordet worden ist. Hier sieht S. Mainz-Bretzenheim als Ort des Geschehens als gesichert an (S. 12/13).

Michael J. Klein, der Herausgeber des Kataloges und Leiter der archäologischen Abteilung im Landesmuseum Mainz, beschäftigt sich in drei aufeinander folgenden Aufsätzen mit den Helmen, Schwertern und Dolchen aus dem Rhein bei Mainz, wobei er jeweils eine enge Eingrenzung auf bestimmte Typen vornimmt. Er verweist darauf, daß für Dolchscheiden und Schwerter Mainz nach Windisch (Vindonissa) in der Schweiz der Ort mit den meisten Funden ist, und begründet von hier aus seine speziellen Ausführungen. Die vorgestellten Stücke werden detailliert beschrieben, Vergleichstücke herangezogen und die Fundgeschichte wird berichtet. Zu allen drei Themenbereichen kündigt der Verfasser eine umfassende Arbeit zur Publikation an. Hier findet der Leser vorerst eine reich bebilderte Darstellung von reinen exempla der Funde.

Rudolf Haensch wendet sich in seinem Aufsatz „Mogontiacum als ‚Hauptstadt’ der Provinz Germania superior“ zu und beleuchtet so einen weiteren Aspekt der Mainzer Geschichte. Der Autor selber stellt die Frage, auf welche antike Wirklichkeit mit dem Terminus Provinzhauptstadt angespielt wird, der kaum in der Antike und jedenfalls nicht für die vorgestellten Städte angewandt wurde, und gelangt so zu dem modernen Begriff, nach dem man in der Hauptstadt den Sitz der politischen und administrativen Institutionen erwartet. Gab es also in Mainz die beiden leitenden Beamten, nämlich den Statthalter und einen Leiter der Finanzverwaltung, sowie das concilium, den „Provinziallandtag“? Aus geschichtlichen Gründen während der Eroberung Germaniens wurden beide germanische Provinzen durch einen einzigen in Augusta Treverorum residierenden procurator Augusti für die Finanzen verwaltet. Weiterhin gab es offenbar kein spezielles concilium Germaniae superioris, sondern waren auch hier wahrscheinlich die beiden Provinzen vereinigt (S. 72). Doch dürfte sich nach Haensch der Statthalter, der legatus Augusti pro praetore Germaniae superioris, in Friedenszeiten vor allem in dem Siedlungskomplex an der Mainmündung aufgehalten haben. Im folgenden wendet sich Haensch, gestützt auf archäologische Zeugnisse, in allen Einzelheiten dem administrativen Personal des Statthalters und den Quartieren bis hin zum Archiv zu, - kurzum, durch die Anwesenheit des Statthalters und der dargestellten officiales wurde Mogontiacum zum administrativen Zentrum (S. 82). Doch abgesehen von ökonomischen Vorteilen - profitierte Mogontiacum auch kulturell durch die Anwesenheit des Statthalters? Dieser Frage wendet sich H. zuletzt zu.  Hier  aber stellt der Autor klar, daß erst für die Zeit Diokletians das Stadtrecht belegt ist: Fragmentarisch sind unsere Kenntnisse vom kaiserzeitlichen Statthaltersitz Mogontiacum, für die folgende Zeit kann der moderne Betrachter noch weniger erkennen.

Der nächste Beitrag von Olaf Höckmann beleuchtet die Funktionen von Mogontiacum als Hafenstadt. Nach einer kurzen historischen Einleitung von Caesar bis ca. 45 n. Chr. folgt ein sorgfältiger Überblick über die archäologischen Ausgrabungen von 1858 an mit einer historischen Einordnung der Funde. Ausgiebig werden die verschiedenen Häfen und die Schiffstypen vorgestellt – und können so dem Leser vor Augen führen, daß Mainz in der römischen Kaiserzeit ein großer Binnenhafen mit den verschiedenen Funktionen als Handels-, Kriegs- und Floßhafen war.

In dem Artikel „Von den Göttern verehren sie am meisten Merkur. Heiligtümer, Götterbilder und Inschriften aus Obergermanien und Raetien“ weitet Michael J. Klein den Blick und schaut über Mainz hinaus. Die bekannte große Mainzer Jupitersäule zeigt die Allgegenwärtigkeit römischer Götter am Rhein. Der Autor gibt einen kurzen Überblick über die verbleibende Eigenständigkeit keltischer Götter, aber auch über synkretistische Erscheinungen, um sich dann gestützt auf Caesar und Tacitus dem bei den Germanen am meisten verehrten Gott zuzuwenden: Merkur. Die Darstellungsformen Merkurs und seine Funktionen werden anhand von Reliefs und Inschriften beleuchtet, wobei der Autor vor Augen stellt, daß die Merkurweihungen eher selten von Soldaten und zum größten Teil von der Zivilbevölkerung ausgeführt wurden: Hier ist oft der einheimische Charakter der Gottheit zu erkennen (S. 112). Die sorgfältige archäologische Auswertung  - unterstützt durch eine reiche Bebilderung - setzt sich fort in der Darstellung verschiedener Merkurheiligtümer im nördlichen Obergermanien, natürlich auch bei Mainz.  

Im folgenden Beitrag stellen Michael J. Klein/ Dunja Zobel-Klein eine Auswahl von Tafelgeschirr vor. Mainz besitzt einen der größten Bestände nördlich der Alpen. Wie bei den militärischen Ausrüstungsgegenständen bleibt es bei einer detailreichen und sorgfältigen Darstellung von exempla, die im Rhein gefunden worden sind.

Einen Drittel des Kataloges nimmt die Darstellung der Rezeption von römischen Altertümern in Mainz in Gründerzeit und Historismus ein. Dunja Zobel-Klein informiert den Leser über das Leben des Dr. Joseph Emele, des ersten Präsidenten des Mainzer Altertumsvereins, und über die Geschichte seiner Sammlung von römischen Altertümern, im folgenden Beitrag über den Glasfabrikanten Oskar Rauter, der römisches Glas auch in Mainz zeichnete und nachbilden ließ. Die Autorin vertieft dies noch im folgenden Artikel „Gläser im ‚römischen Style’ aus der Rheinischen Glashütten AG. Einem neuen Kapitel des Historismus auf der Spur“ durch eine ausführliche Darstellung von Nachbildungen aus der „Rheinischen Glashütten-Actiengesellschaft“ - deren Direktor Rauter war - und den dahinter stehenden Intentionen des Fabrikanten. Der Blick der Autorin ruht also ganz auf der Rezeptionsgeschichte, wobei sie als exempla zwei für Mainz wichtige Männer und ihr Wirken vorstellt. Abschließend stellt die Autorin in dem Beitrag „Ein Schatzhaus der Geschichte – Stationen der Mainzer Römersammlung“ ausführlich mit zum Teil unveröffentlichtem Material die Geschichte der Sammlung von Altertümern in Mainz seit dem Jahre 1842 mit den verschiedenen Umzügen und Räumlichkeiten bis heute vor. In diesem Teil des Kataloges findet der Leser Informationen über das Fortwirken der Antike in Mainz anhand von Fallbeispielen und erfährt so, wie wichtig die eigene Vergangenheit für die Stadt bleibt. 

Der Leser findet in diesem Katalog viele interessante und spezielle Details über Mogontiacum bis in das Kleinste, er liest viel Neues und bisher noch nicht Publiziertes zu den Funden und dem Museum allgemein, die farbige Bebilderung ist schön und reich, die Autoren zeigen ihr Wissen und ihre Begeisterung für Mainz. Und so lernt der Leser viel. Nur stimmen Titel und Klappentext nicht unbedingt mit dem Inhalt überein. Gerne hätte der Leser mehr über den Fortschritt durch Innovation und Integration erfahren, was doch  im Titel des Kataloges angekündigt wird, mehr über die Assimilation der Kelten und Germanen und über die kulturelle Kraft der Römer, die so viele Neuerungen mit sich brachten. Es bleibt bei der überaus interessanten Darstellung von Details, die letztlich nicht in den Gesamtzusammenhang des Titels „Die Römer und ihr Erbe. Fortschritt durch Innovation und Integration“ gebracht wird. Trotz des weitgefaßten Titels erhebt dieser Band nicht den Anspruch, Themenschwerpunkte allgemein und umfassend zu behandeln. In dem jüngst erschienenen Katalog zu den Römern in Deutschland geht es ganz und gar um Mainz: Mogontiacum und die römischen Funde dort stehen im Zentrum und bilden das vorrangige und das spezielle Thema und das besondere Anliegen dieses Kataloges.

Iris Mäckel, Berlin

IrisMaeckel@gmx.de