Penny MacGeorge: Late Roman Warlords. Oxford: UP 2002. XVII, 347 S.  ISBN 0-19-925244-0.

 

In den letzten Monaten sind gleich zwei Monographien erschienen, in denen die politisch einflußreichen Militärs im Weströmischen Reich des 5. Jh. behandelt werden. Da der große Einfluß dieser sog. ‘Heermeister’ bzw. (umfassender – weil ihre institutionelle Stellung nicht immer einheitlich oder gar gleich war) ‘warlords’ in der Forschung vielfach als Niedergangsfaktor im Kontext der Diskussion um das Ende des Weströmischen Reichs angeführt wird und da ihr Wirken einen wichtigen strukturellen Unterschied zum Ostreich darstellt, handelt es sich hier durchaus um ein zentrales Thema. Timo Stickler geht in seinem Aëtius-Buch den „Gestaltungsspielräume[n] eines Heermeisters im ausgehenden Weströmischen Reich“ nach; seine Darstellung erweist sich dabei vor allem als eine Struktur- und – in zweiter Linie – Ereignisgeschichte der Zeit Valentinians III., also grob des 2. Viertels des 5. Jh., in der die Figur des Aëtius den roten Faden innerhalb allgemeinerer Überlegungen darstellt.[1] MacGeorge, deren Buch zeitlich an die Arbeit Sticklers anschließt (die ihr noch nicht bekannt sein konnte) und die ‘warlords’ der 2. Hälfte des 5. Jh. behandelt, rückt die Einzelpersonen stärker in den Mittelpunkt. Sie bietet damit eine auf die Akteure und ihre individuellen Karrieren zentrierte, stets nach den Wechselwirkungen zwischen kaiserlicher Zentralmacht und den Wirkungskreisen der jeweiligen Kriegsherrn fragende Ereignisgeschichte des späten Weströmischen Reiches, in der strukturelle Gesichtspunkte zwar immer mitberücksichtigt, jedoch – anders als bei Stickler – erst in zweiter Instanz behandelt werden. MacGeorge ist sich bewußt, damit „old-fashioned narrative history“ (2) zu betreiben, und resümiert am Ende ihrer Darstellung: „This book has been written very much as traditional history, in that it has tried to offer rational, if, obviously, not definitive, narrative reconstructions of events in chronological order, and in that it has focused on individuals [...]“ (305). Das Ergebnis dieser Ereignis- und Personengeschichte kann als ausgesprochen geglückt bezeichnet werden, zumal sich die Monographien Sticklers und MacGeorges aufgrund ihres unterschiedlichen Zugriffs hervorragend ergänzen und damit nun zwei fundierte Arbeiten nicht nur zu den ‘Heermeistern’/‘warlords’ des 5. Jh. erschienen sind, sondern – nimmt man beide Bücher zusammen – zugleich auch eine neue detaillierte Darstellung der letzten Jahrzehnte des Weströmischen Reichs vorliegt.

MacGeorge beginnt mit einigen kursorischen Bemerkungen zu den „Predecessors“ der von ihr behandelten ‘warlords’ (zur Problematik dieses von ihr in Ermangelung besserer Termini beibehaltenen Begriffs äußert sich die Verf. kurz selbst, vgl. V). Behandelt werden in aller Kürze der ältere Merobaudes, Bauto, Arbogast, Stilicho, Flavius Constantius III. sowie Aëtius (5–14). Man hätte sich in diesem Kapitel ein ausführlicheres Eingehen vor allem auf Stilicho erwünscht, der das Amt des magister peditum praesentalis entscheidend aufgewertet hat und so erst die Grundlage für die späteren ‘Heermeisterkarrieren’ schuf; daneben vermißt man eine eingehendere Beschäftigung mit Constantius III., der immerhin erstmals mit der Kombination von ‘Heermeisteramt’ und patricius-Titel die für spätere ‘warlords’ entscheidende Machtbasis geschaffen hat, sowie zu Aëtius selbst, der – nach MacGeorges eigenen Worten – „stands, directly or indirectly, behind all those discussed in this book“ (9).

MacGeorge präsentiert ihre ‘warlords’ der 2. Hälfte des 5. Jh. in Form einer Regionalgeschichte zentraler Gebiete des Weströmischen Reiches in dieser Phase: Während im Fall des Marcellinus der Fokus auf Dalmatien bzw. Illyrien liegt (15–67), geht es bei Aegidius und Syagrius um den nordgallischen Raum (69–164) sowie bei Rikimer, Gundobad, Orestes und Odoaker um Italien (165–293).

Aufgrund der spärlichen Quellenlage gestaltet sich die Darstellung der Situation in Dalmatien ab dem 2. Viertel des 5. Jh. sehr schwierig (27). Während die Verfasserin zeigen kann, daß Salona weiterhin ein strategisch wichtiges regionales Zentrum gewesen sein muß (19–21), ist die Frage nach der Zugehörigkeit zum Ost- oder zum Westreich für große Teile der Diözese Illyricum im 5. Jh. unklar. MacGeorge weist nicht nur auf die komplizierte Problemlage hin, sondern vermutet zugleich, daß Dalmatia, wenn es vielleicht auch nicht durchgängig und offiziell dem Osten angegliedert war, so doch sicherlich Teil der östlichen Interessensphäre gewesen sein muß. Vor allem an Küstenstädten wie Salona dürften die Strategen im Osten interessiert gewesen sein, insbesondere dann, wenn militärische Interventionen im Westen anstanden (39). Diese Überlegungen spielen für MacGeorge insofern eine zentrale Rolle, als sie sich gegen die aus Prok. BV 3,6,7–8 abgeleitete These wendet, wonach es sich bei Marcellinus um einen aus Italien oder Gallien stammenden Offizier der Truppen des Westens handele. Sie vermag plausibel zu zeigen, daß diese Sichtweise den übrigen Quellen widerspricht (67); gleichwohl bleibt die Frage, wie das Prokop-Zeugnis dann einzuordnen ist, trotz einiger Erklärungsbemühungen (64–67) letztlich offen im Raum stehen. Klar kann MacGeorge jedenfalls zeigen, daß der Heide (44) Marcellinus, über dessen Herkunft und Aufstieg nichts bekannt ist und über dessen institutionelle Stellung (comes rei militaris? magister militum Dalmatiae?, vgl. 40) nur spekuliert werden kann, von einer regionalen Machtbasis aus operierte (Salona?) und unabhängig von der weströmischen Führung agierte. Seine Aktionen auf Sizilien erfolgten – so MacGeorge – weder im Dienst des weströmischen Kaisers noch zum Schutze Italiens, sondern, was in der Tat wahrscheinlicher ist, aus einem Eigeninteresse heraus, nämlich der Sicherung der dalmatinischen Küste vor vandalischen Übergriffen (50). Wesentlich intensiver scheinen demgegenüber Marcellinus’ Beziehungen zum Osten gewesen zu sein (49, 64); trotzdem blieb er unabhängiger ‘Herrscher’ in seinem angestammten Wirkungskreis (51).

Noch komplizierter stellt sich die Situation im nordgallischen Raum nach dem Ende des Aëtius dar. MacGeorge gibt zunächst eine kurze Beschreibung der Grundkonstellationen (71–77), bevor sie sich dem disparaten Quellenmaterial zu Aegidius und Syagrius zuwendet (77–81). An ihrem Versuch, die Karriere des Aegidius nachzuzeichnen, tritt das Quellenproblem und – daraus resultierend – das Problem biographischer Zugriffe auf Personen im Weströmischen Reich des 5. Jh. in aller Klarheit hervor. Die Verfasserin versucht, die einzelnen, häufig widersprüchlichen Bausteine zu einem konzisen Gesamtbild zusammenzusetzen, das naturgemäß einiges an Spekulation enthält (83ff.), letztlich aber dem typischen Muster des Aufstiegs und der zunehmenden Emanzipation eines hochrangigen Militärs im 5. Jh. entspricht. In der Tatsache, daß jeder uns bekannte magister militum des 5. Jh. „comes from a background of either aristocratic landed wealth or high-level imperial service [...], or is of noble barbarian ancestry“ (82f.), sieht sie bereits ein für das Mittelalter typisches Element. Aegidius könnte seine Stellung während der Herrschaft des im Osten nicht anerkannten Libius Severus und mit Billigung des Ostkaisers Leon konsolidiert haben (93). In der umstrittenen Frage nach der Historizität einer Bemerkung Gregors von Tours, wonach Aegidius kurzzeitig König der Franken gewesen sei (Greg. Tur. Hist. 2,12: [...] Franci [...] Egidium sibi [...] regem adsciscunt), vermutet MacGeorge, daß wir es mit Relikten einer „folk tradition“ zu tun haben, die sich um die Exilierung Childerichs, die Geburt Chlodwigs sowie ein von Aegidius dominiertes Bündnis zwischen diesem und den Franken ausgebildet habe (97). Wenig reflektiert mutet allerdings ihre Spekulation darüber an, daß diese Geschichte möglicherweise doch von größerer Bedeutung sein könnte, wenn sie dies mit einem ‘Gefühl’ begründet: „I have a persistent feeling [...]“ (97). Zusammenfassend hält sie hinsichtlich Aegidius fest: „All in all, the picture is that of an important Gallic political and military leader rather than that of a local warlord based in a rather obscure civitas in the north-east of the country“ (109). Diese Aussage richtet sich zugleich gegen die verbreitete These, wonach Aegidius Begründer des ‘Reichs von Soissons’ gewesen sei. Der Diskussion des Materials zu diesem ‘Reich’ ist der größte Teil der Überlegungen MacGeorges zu Aegidius und Syagrius gewidmet.

Wenn es überhaupt dieses ‘Reich von Soissons’ gegeben habe, so könne man es nicht mit Aegidius, sondern allenfalls mit seinem Sohn Syagrius in Verbindung bringen. Für einen Bezug auf Aegidius sei die Bemerkung Greg. Tur. Hist. 2,27 zu vage. MacGeorge leitet ihre Überlegungen zum ‘Reich von Soissons’ zunächst mit einem Forschungsüberblick ein (111–114): Während in der älteren Literatur wie selbstverständlich von der Existenz eines solchen ‘Reiches’ zwischen 461 und 485/86 ausgegangen sei, habe E. James[2] dieses schlechthin für ein modernes Konstrukt erklärt. MacGeorge fragt danach, ob sich nicht möglicherweise eine vermittelnde Position zwischen den älteren, von romantisierenden Vorstellungen über den Fall Roms und die letzten Helden in diesem Prozeß sowie von fehlenden Informationen über die Region um Soissons geprägten Thesen einerseits sowie der von James als Konsequenz aus dem negativen literarischen Quellenbefund vertretenen Minimalposition andererseits finden läßt. Daß sie dafür auch archäologische Evidenz verstärkt heranzieht (137ff.), stellt einen wesentlichen Fortschritt in der Forschung dar. Dabei zeigt sich, daß Soissons nicht nur den literarischen Quellen zufolge in frühmerovingischer Zeit eine besondere Rolle spielte und erst später von Paris und Reims in den Hintergrund gedrängt wurde (148f.); entscheidend ist vor allem, daß sich um Paris und Soissons eine Reihe merovingischer Landgüter haben nachweisen lassen, die ursprünglich wohl gallo-römischen Herren gehörten und damit ein wichtiges Indiz für die Existenz einer römischen Enklave in Nordgallien darstellen könnten. Wahrscheinlich, so MacGeorge, verfügte Syagrius also tatsächlich über eine politische und militärische Machtbasis im Raum von Soissons („a significant sub-Roman political base“), doch war diese wohl wesentlich kleiner, als bisher vermutet (152). Die Verfasserin vermutet ansprechend, daß Norgallien im 3. Viertel des 5. Jh. weder Teil eines fränkischen noch eines separaten römischen Reiches war, sondern vielmehr „a complex and shifting patchwork“, in dem verschiedene ‘warlords’ um Einfluß rangen (163). Syagrius hätte demzufolge ein kleineres Gebiet unter seiner Kontrolle gehalten, jedoch nur als ein „ruler among a number, in an ethnically and politically heterogeneous region“ (164). Diese Sichtweise erscheint in der Tat plausibler als ältere Vorstellungen von fränkischen bzw. römischen oder westgotischen Blockbildungen in Gallien; sie wird viel mehr den ständig wechselnden machtpolitischen Konstellationen, Koalitionen und äußeren Einflüssen, sowie den individuellen Ambitionen einzelner ‘warlords’ gerecht. In diesen Kontext würde auch passen, daß Syagrius – vor allem im Konflikt mit Odoaker – Unterstützung im Osten gesucht haben könnte; jedenfalls will MacGeorge die Erwähnung einer gallischen Gesandtschaft an Zenon im photianischen Candidus-Exzerpt (Phot. cod. 79 = Cand. fr. 1,84-88 Blockley) auf Syagrius beziehen (116).

Im Zentrum des Italien-Kapitels (165–293) steht die beherrschende Figur Rikimers. MacGeorge weist nach einem kurzen Überblick über die Situation Italiens im 5. Jh. (167–172, bes. 172: „decline in prosperity, increasing insecurity and social flux, widespread evasion of taxes and obligations, military weakness, the growing power of the Church, and isolation“) auf die enge personale Verbindung zwischen Rikimer und dem späteren Kaiser Maiorian hin; beide arbeiteten beim Sturz des Avitus Hand in Hand; bemerkenswert ist MacGeorges These, wonach Avitus trotz allem eines natürlichen Todes gestorben sei (195; dieselbe Vermutung auch im Fall des Libius Severus, vgl. 233). Als problematisch erweist sich hingegen ihre Vermutung, wonach Rikimer „as a Barbarian and an Arian“ nie selbst auf den Kaiserthron geschielt habe und damit den Beispielen Stilichos und des Aëtius nachgefolgt sei (201). Sicherlich spricht für diese Ansicht die Tatsache, daß Rikimer nach dem Ende eines Kaisers nie selbst zum Purpur gegriffen hat. Andererseits ist zu berücksichtigen, daß er durchaus versucht hat, zumindest Eingang in die kaiserliche Familie zu finden, möglicherweise mit dem weiteren Ziel, Kaiser Anthemius, dessen Tochter Alypia er geheiratet hatte (vgl. 235), zu beerben. Im übrigen hatte auch Aëtius eine dynastische Anbindung an das Kaiserhaus gesucht, als er versuchte, seinen Sohn Gaudentius mit Placidia, einer Tochter Valentinians III., zu verheiraten; dieser implizite Angriff auf die Autorität Valentinians in seiner eigenen Familie war, wie jetzt Stickler mit guten Gründen plausibel gemacht hat (75ff.), vielleicht der Grund für die Ermordung des Aëtius durch den Kaiser. Rikimer ging sogar noch weiter, indem er selbst die Tochter des Kaisers ehelichte.

Mit ihrer Darstellung der Karrieren Rikimers, Gundobads, Orestes’ und Odoakers bietet MacGeorge eine detailreiche Schilderung der letzten Jahre des Weströmischen Reiches; die Gestalt Rikimers wird im Kontrast zu älteren Charakterisierungen nicht mehr als intriganter Verräter, sondern als typisches Produkt der eigenen Zeit gewertet (268), während mit Odoaker bereits eine neue Stufe in der Geschichte der spätrömischen ‘warlords’ erreicht wird: Anders als seinen Vorgängern fehlte ihm der kaiserliche Widerpart; zwar führte er den Titel rex (was ihn prima facie auf eine Stufe mit anderen germanischen Herrschern stellt und was auf die späteren ostgotischen Könige vorverweist), doch ist dieser auch bei früheren ‘warlords’ bereits belegt (z.B. für Aegidius und Syagrius, vgl. 135, oder für Rikimer, vgl. 229f.); daneben war er aber auch patricius, „looking back to Aetius and Ricimer“ (293).

Konsequent ist es, wenn MacGeorge das Ende des Weströmischen Reiches aus ihrer Perspektive als „the mutiny of its army against the last warlord, rather than the last emperor“ interpretiert (281).

Die Autorin hat ein fundiertes und detailreiches Buch vorgelegt, das eine anschauliche Ereignisschilderung mit gut begründeten neuen Thesen verbindet. Mit imponierendem Elan hat sie sich den schwierigen, literarischen und materiellen Quellen zum 5. Jh. gewidmet. Ein wenig zupackender hätte die Behandlung der Frage sein können, welche Charakteristika es denn eigentlich sind, die die weströmischen ‘warlords’ des 5. Jh. zu einem Phänomen sui generis machen. Nur marginal fällt angesichts der sonstigen Leistungen des Buches ins Gewicht, daß die Verfasserin offenbar nur bescheidene Kenntnisse in den alten Sprachen besitzt; während sie mit ihren mangelnden Griechischkenntnissen selbst kokettiert (VI, 31), scheint ihr auch das Lateinische nicht wirklich zu behagen. Wie anders ist jedenfalls zu erklären, daß sie wiederholt vom magister utriusque militum spricht (5, 12, 222, 280)?

 

Mischa Meier, Bielefeld

mmeier8@Geschichte.uni-bielefeld.de



[1]  T. Stickler: Aëtius. Gestaltungsspielräume eines Heermeisters im ausgehenden Weströmischen Reich. München 2002 (Vestigia, Bd. 54).

[2]     E. James: The Franks. Oxford 1988.