Tobias Arand: Das schmähliche Ende. Der
Tod des schlechten Kaisers und seine literarische Gestaltung in der römischen
Historiographie. Frankfurt am Main u.a.: Peter Lang 2002 (Prismata. Beiträge zur
Altertumswissenschaft, Bd. 13). XIII, 328 S. Euro
50.10. ISBN 3-631-39821-2.
Die schlechten Kaiser Roms
sind, verglichen mit ihren guten Herrscherkollegen, als historische
Persönlichkeiten bei weitem interessanter. Das wenigstens suggeriert die Sichtweise
römischer Historiographen und Biographen, die den Irren, Scheusalen und Bösewichten auf
dem Thron meist die längeren, detailreicheren und spektakuläreren Darstellungen
widmeten. Das gilt, auch und gerade, für die Schilderungen ihres Todes: Genüßlich
entfalten antike Autoren das gesamte Panoptikum abnormer, widerwärtiger oder schlicht
bizarrer Todesfälle, von Krankheiten, Selbsttötungen und Meuchelmorden.
Allfälligen Mißverständnissen beugt
Arand (A.), bereits Verfasser einer Abhandlung zu Todesdarstellungen in der Historia
Augusta (Arand 1999), gleich zu Beginn seiner Studie vor: Nicht um die Rekonstruktion
der realen Todesumstände, gleichsam eines Rankeschen wie es eigentlich
gewesen, geht es ihm, sondern um Geschichtsschreibung als Strukturform
der Konstitutionsebene Geschichte (S. 4), oder, weniger kompliziert
formuliert: um die Spur, die das historische Ereignis in der römischen
Historiographie als spezifischer Variante fiktionaler Literatur hinterläßt. Entsprechend
breiten Raum widmet A. in seinem lesenswerten, wiewohl von Zitaten überfrachteten
Methodenkapitel Aspekten der Diskursanalyse und der historiographischen Narrativik (vgl.
v.a. White 1973, Kocka/Nipperdey 1979). A. outet sich so gleichsam als radikaler Vertreter
eines historischen Skeptizismus Hayden Whitescher Prägung, der, wie seine Studie
überzeugend zeigt, bei dem von ihm ausgewählten Untersuchungsgegenstand nur allzu
begründet ist.
Ziel von A.s Darstellung ist
folgerichtig die Rekonstruktion literarischer Topoi und, über sie, von Geschichtsbildern
und Geschichtsbewußtsein, wie es zu uns aus den literarischen Quellen spricht. Besonders
geht es ihm um den Wandel von Topoi und Geschichtsbildern unter den Auspizien der
allmählichen Ausbreitung des Christentums. A. zeigt, wie mit den neuen Konfliktlinien
Christen vs. Heiden bzw. Orthodoxie vs. Heterodoxie ideologische Grabenbrüche in die
Historiographie Eingang fanden und traditionelle Kriterien zur Beurteilung der
Herrscherpersönlichkeiten in den Hintergrund rückten. Das gilt für christliche Autoren
(von Eusebius bis Gregor von Tours) wie ihre heidnischen, in Rückzugsgefechten auf
verlorenem Posten kämpfenden Gegenspieler (von den Verfassern oder dem Verfasser der Historia
Augusta bis Zosimus). Trotz des christlichen Paradigmenwechsels (S. 252)
und hier gelingt A. der Nachweis, daß klassisch-antike Traditionen sich als
Deutungsmuster sehr wohl behaupteten blieben die Mittel zur Charakterisierung des
schlechten Herrschers, von A. exemplifiziert an ihrem Sterben, im Kern
dieselben. Auch die Topoi, die jeweils den schlechten Herrscher
kennzeichneten, änderten sich, wie A. zeigt, kaum: Sie waren, paganen wie christlichen
Autoren, grausam, unsittlich, ausschweifend oder wahnsinnig (S. 94). Möglicherweise ist
A.s Kategorienschema (Usurpator, Barbar/Fremder/Hochkommling,
Frevler, Mörder/Verbrecher) nicht in jeder Beziehung glücklich
gewählt, wenigstens die Kategorie Usurpator mit ihren weitreichenden
Implikationen bereitet erhebliche Probleme. Entscheidend aber ist, daß mit der neuen
Konfliktlinie Christen vs. Heiden einer weiteren Kategorie erhebliche Bedeutung zuwuchs:
der jeweils subjektiv bestimmten Abweichung vom rechten Glauben. Wichtig, weit
über den Zusammenhang von Tod und Sterben schlechter Herrscher hinaus, ist
auch A.s Beobachtung: Ein Herrscher wurde [...] schon als negativ bewertet, wenn nur
ein Wertungstopos eindeutig auf ihn zutraf. (S. 94).
A. steigt sodann in die Einzelanalyse
ein. Er geht, mit einem leichten Hang zum Schematischen, akkurat systematisch vor:
Zunächst behandelt er, getrennt nach paganen und christlichen Autoren, die
Todesdarstellungen nach Textgattungen und Autoren; sodann nach inhaltlichen
Gesichtspunkten (Todesarten, Behandlung des Leichnams und des Andenkens). Schließlich
greift er in Fallstudien besonders markante (Caligula, Nero, Elagabal, Galerius),
kontroverse (Julian) bzw., im Fall notorisch guter Kaiser, gerade durch ihre
Insignifikanz auffallende (Titus, Nerva, Antoninus Pius, Severus Alexander)
Todesdarstellungen auf und verdichtet so exemplarisch die zuvor gewonnenen Erkenntnisse.
A.s Buch bietet, dem scheinbar
spektakulären, historischen Voyeurismus bedienenden Gegenstand zum Trotz, geballte
Sachlichkeit, nüchterne, durchweg plausibel daherkommende, theoretisch fundierte Analyse
und luzide Argumentation. Er schießt freilich manchmal etwas übers Ziel hinaus:
Gehetztes Namedropping im Theorieteil, gelegentlich unnötig umständliche, blähende und
verkomplizierende Formulierungen, Hang zu vermeidbaren Soziologismen, schließlich
einzelne Errata sie aufzuzählen, grenzt bei der mit methodischen Sicherheit
gepaarten stupenden Quellenkenntnis, die das Buch offenbart, allerdings schon an
Beckmesserei. A. ist ein nützliches Buch, mehr noch: ein wichtiger Beitrag zur
historiographischen Literatur der römischen Kaiserzeit gelungen.
Zitierte Literatur:
Arand 1999: T. Arand: Das unverdiente Ende Suizid und Todesdarstellung in der Historia Augusta als Elemente literarischer Bewertung im Kontext paganer Selbstbehauptung, Berlin 1999.
Kocka/Nipperdey 1979: J. Kocka/Th. Nipperdey (Hrsgg.): Theorie und Erzählung in der Geschichte, München 1979.
White 1973: H. White: Metahistory. The Historical Immagination in Nineteenth-Century Europe, Baltimore.
Michael Sommer, Oxford
sommermichael@yahoo.com