Slavko Ciglenecki: Tinje nad Loko pri Zusmu (Tinje oberhalb von Loka pri Zusmu, Spätantike und frühmittelalterliche Siedlung). Ljubljana 2000 (Opera Instituti aechaeologici Sloveniae 4). 196 S., 146 Abb., 44 Taf. ISBN 961-6358-18-7

Wie unlängst die prähistorische und spätantike Besiedlung von Kuar vorgestellt wurde, publizierte C. in bester slowenischer Tradition als Monographie die spätantike Siedlung von Tinje. Als antike Siedlung auf einem Hügel ist Tinje der Forschung schon aus dem späten 19. Jh. bekannt. Moderne Eingriffe in den antiken Siedlungsbereich erforderten seit den 1980er Jahren einzelne Notgrabungen. Tinje konnte im Zuge dieser reduzierten Möglichkeiten nur partiell erforscht werden. Tinje oberhalb von Loka pri Zusmu liegt abseits der großen antiken Verkehrsrouten im Hügelland des südlichsten Noricum. Der kegelförmige Hügel (464 m Seehöhe) besitzt an seiner Südflanke eine wenig ausgeprägte Rückfallkuppe. An der Südseite ist die spätantike und, zeitlich darüber hinaus bestehende, slawenzeitliche Siedlung angelegt. Den Gipfel nimmt die mittelalterliche Burg ein. Die Siedlung von Tinje setzte in der zweiten Hälfte des 4. Jh. ein und bestand noch im 7. Jh. Ihr tatsächliches Ende (im 9. Jh.?) läßt der Verf. offen.

Ergraben wurden acht bauliche Objekte (sieben Häuser), Gebäudeteile und Gruben, und spätantike Gräber (Abb. 9). Die Bauten wurden auf Terrassen angelegt oder in den Hang eingesetzt. Nur drei Häuser liegen direkt nebeneinander (Objekte 5 bis 7). Die meist nur teilweise ergrabenen ein- und zweiräumigen Bauten sind, zumindest im Sockelbereich, Blockbauten, wovon die festgestellten Balkengräben, aber auch Pfostengruben zeugen. Die maximale eruierbare Größe eines Hauses beträgt 6,2 x mindestens 2,7 m. Die Funde aus den Gebäuden sind spätantik, einige Objekte weisen jüngere slawenzeitliche Keramik auf (Objekte 4 bis 8, vorherrschend in den Objekten 5 und 7). Das Fundmaterial weist auf Werkstätten - Eisenschmelzen (Objekt 2 und 4 mit zahlreichen landwirtschaftlichen Geräten) - und spezialisierte Handwerksbetriebe (Objekt 6 mit Schleif- und Mahlsteinen und Webstuhlgewichten). Die Gebäude 2 und 4 wurden gegen Ende des 6. Jh. durch Brand zerstört. Dieser Befund läßt zwangsläufig an den zeitgleichen Zerstörungshorizont in den südostalpinen Höhensiedlungen, verbunden mit kriegerischen slawischen und awarischen Invasoren, denken. Der Verf. übt diesbezüglich vorsichtige Zurückhaltung. Aus den acht Objekten stammen Münzen von Constantin II., Gratian und Valentinian I. Das aus Steinen aufgeführte Objekt 8 am äußersten südlichen Siedlungsrand interpretiert C. nicht überzeugend (39 ff.) und, wie man der Zusammenfassung entnehmen mag, selbst nicht ganz überzeugt (157) als heidnischen Altar mit zentralem Opferstein, der als „Friedhofskapelle umgestaltet" wurde.

Eine mächtige Grabenanlage, bestehend aus zwei im Abstand von 8 m parallel zueinander verlaufenden Gräben von 4 m Breite und 1,4 bis 1,5 m Tiefe, schützte den Ostrand der Siedlung. Diese Art der Befestigung ist bei spätantiken Höhensiedlungen äußerst ungewöhnlich und harrt, auch nach Meinung des Verf., einer weiteren Erforschung.

Am Südrand, knapp außerhalb der Siedlung, befindet sich das Gräberfeld. Drei Sarkophage von geringer Größe - einer mit Skelett-Teilen mehrerer Individuen wurde aus einer Spolie mit Inschrift zugerichtet, zwei weitere (davon ein mittlerweile verschollener Altfund) mit je einem Kreuz an einer Schmalseite - deutet der Verf. als separiertes kleineres Kindergräberfeld mit frühchristlichem Charakter. Ältere Gräberfunde weisen auf mehrere getrennte Gräbergruppen, die nicht mehr lokalisiert werden können.

Die Kleinfunde reichen von der Kaiserzeit (für diese Zeitstellung auch einige als Spolien genutzte? Relief- und Inschriftsteine) über die Spätantike hinaus in die Slawenzeit. Die Anzahl der Fibel- (eine emaillierte Scheibenfibel und zwei Ringfibeln mit rechteckig erweitertem Ring) und Schmuckfunde (eine Armspange mit Tierkopfende und eine mit verdicktem Ende) wie auch der Trachtbestandteile ist gering. Deltoide Geschoßspitzen aus Eisen, die nach analogen slowenischen und kroatischen Fundorten vom Verf. in das ausgehende 4. Jh. bis in die erste Hälfte des 5. Jh. datiert werden, finden immer häufiger Entsprechungen in der Steiermark. Hier zeugen sie von einem wenig friedlichen Bild um die Wende vom 4. zum 5. Jh., wenn sie nicht nur in prominenten Höhensiedlungen, sondern auch in der Umgebung von Flachlandsiedlungen gefunden werden. Die landwirtschaftlichen Eisengeräte (aus Objekt 4) können in die zweite Hälfte des 6. Jh. gestellt werden. Feinkeramik, Amphoren, Sigillaten sind in Tinje selten. Vergleichsweise häufiger vertreten sind glasierte und einglättverzierte Keramik. Letztere deutet nach C. auf langobardische Präsenz.

Wenn auch die Befunde aus den Notgrabungen - wie allzu oft - nur ein fragmentiertes Bild der Siedlung und des Friedhofes von Tinje vermitteln können, nimmt die einheimische Grobkeramik, spätantik und slawenzeitlich, eine prominente Stellung für die Keramikforschung ein. So hat sich der Verf. der äußerst verdienstvollen Mühe unterzogen, vergleichbares Gefäßkeramik-Material aus (befestigten Höhen-)Siedlungen im Südostalpenraum, Slowenien, Österreich und Friaul-Venetien, nicht nur verbal anzuführen und in Relation zu setzen, sondern auch in Abbildungen dem Leser zum Nachvollzug vorzustellen. Die Gefäßkeramik von Tinje ist nicht nur spätantik, sondern slawenzeitlich (7. bis 9. Jh. mit Schwerpunkt in der frühen Phase) zu datieren, was ein Weiterleben der Siedlung über die Zeit um 600 hinaus dokumentiert. Die Abgrenzung zwischen spätantikem und slawischem Keramikmaterial gestaltet sich aufgrund längerer Laufzeiten verschiedener Formen als schwierig, gelingt dem Verf. aber aufgrund der Fertigungsart und des Dekors und mit Hilfe von Parallelen zum Teil dennoch. Die grobe Gefäßkeramik von Tinje ist meist freihändig aufgebaut und auf der langsam drehenden Scheibe nachgedreht. Ausschließlich freihandgeformte oder auf der schnell rotierenden Scheibe erzeugte Gefäße sind selten. Die Grobkeramik ist typologisch unterteilt. Töpfe werden in fünf, Schüsseln in drei Typen gegliedert. Die Typologie ist schlüssig nachvollziehbar. Die Schüsseln sind bis auf wenige Ausnahmen spätantik (Taf. 26/8,9, beide freihand geformt; Taf. 26/10 ist formal nach Meinung der Rez. eher als Teller in der Tradition römischer Backplatten zu bezeichnen und an Parallelen vom Duel bei Feistritz an der Drau/Kärnten anzuschließen). Die Topftypen 1 (Ende 4. Jh. bis beginnendes 5. Jh.) und 5 und der Schüsseltyp 3 (beide zweite Hälfte 5. Jh. und 6. Jh.) lassen sich zeitlich recht gut eingrenzen. Die Topftypen 2 und 4 besitzen hinsichtlich ihrer Form eine längere Laufzeit und treten frühslawenzeitlich nur mit Wellenbandverzierung auf. Die Datierung findet Übereinstimmung mit dem Material der spätantiken, slawenzeitlich nicht mehr besiedelten slowenischen Siedlungen (beispielsweise Gradec bei Prapretno, Rifnik, Ajdovski gradec bei Vranje).

In der zeitlich deutlich früheren spätantiken Siedlung Hrušica, das um etwa 400 aufgegeben wurde, finden sich interessanterweise alle Topftypen - ein Beweis für die Langlebigkeit von Formen? Frühslawische Keramikfunde führt C. im Vergleich mit Kärntner Höhensiedlungen nur für den Hemmaberg und Ulrichsberg an. Für den Duel postulierte schon vor Jahren die Rez. frühslawisches Gefäßkeramik-Material. Die Keramik von Tinje besitzt, und das gilt nach Meinung der Rez. für alle spätantiken Höhensiedlungen, regionale Eigenheiten. Die besten Vergleichsmöglichkeiten finden sich in den nächstgelegenen zeitgleichen Fundorten. Mit der räumlichen Entfernung nehmen die Analogien naturgemäß ab.

Der Verf. leistet mit dieser Publikation einen überaus wichtigen Beitrag zu der Gefäßkeramik-Forschung der Spätantike und des frühen Mittelalters. Gerade die materielle Hinterlassenschaft dieser Übergangszeit ist nach wie vor nicht leicht zu fassen. Ihre Erforschung aber bedeutet Erkenntnis über historische Siedlungsabläufe. Die verantwortungsvolle Vorsicht, die C. bei dem schwierigen Thema übt, ermöglicht dem Leser eine eigenständige Verarbeitung und dem Forscher ein nicht präokkupiertes Anknüpfen an die Ergebnisse dieser Studie.

Ulla Steinklauber, Graz